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Die Macht der Geduld

Baustück: Claudia B.   01.06.6023

Die Macht der Geduld

Wieso habe ich schon wieder ein Thema, das sich letztendlich mit der Zeit beschäftigt, gewählt? Und das recht spontan! Vielleicht gehört die Ungeduld zu einer meiner SEHR rauen Kanten und soll daher umso sorgfältiger „bearbeitet“ werden?

So beginne ich mit dem Versuch einer Definition:

dt. Geduld; Verb dulden: Leiden ertragen, zulassen

abgeleitet von thult, über tholon (8.jhr) aus lat. tollere/tolerare, gr. tlenai aus der indogerm. Wurzel *tel(e) – aufheben, wägen, tragen, ertragen, dulden

lat. Patientia

1. leiden

2.  Geduld, Ausdauer, Langmut, Nachsicht, Beständigkeit

s. auch engl. Endurance: Ausdauer – schließt lat. Durum, hart bzw. Mühsal sein

ähnl. lat. Pietas

Sinnbild der europäischen (christlichem) Verständnisses:

die (Madonna della) Pieta im Petersdom (Michelangelo, 1499)

Synonyme: Beharrlichkeit, Ausdauer, Beständigkeit, Impulskontrolle, Gelassenheit, Gleichmut,   Langmut

Geduld ist die Fähigkeit, eine innere Spannung anzunehmen, ohne sich dabei zu ärgern oder zu verspannen. Diese innere Spannung entsteht meistens, wenn sich unsere Wünsche nicht erfüllen und diese mit der Realität auseinanderklaffen. Zusätzlich kommt hinzu, dass diese Spannung dann noch durch einen zeitlichen Faktor bestimmt wird. Ich möchte zum Beispiel jetzt schon etwas haben, muss aber noch warten. Geduldige Personen wissen, dass es sich lohnen kann, nicht jedem Impuls sofort nachzugeben, sondern diesem mittels Disziplin zu widerstehen und dafür in der Zukunft eine größere Belohnung zu erhalten.

Geduld direkt zu definieren, ist wie sich zeigt schwierig. Aber man kann Aspekte, die häufig mit Geduld einhergehen, wie Akzeptanz, Spannungstoleranz und Hoffnung benennen.

Auf jeden Fall handelt es sich bei Geduld um eine wertvolle Fähigkeit die sowohl Ausdauer, Mut als auch Gelassenheit impliziert. Der Schriftsteller Truman Capote beschrieb es so:

GONG: „Der Jammer mit der Menschheit ist, dass die Klugen feige, die Tapferen dumm und die Fähigen ungeduldig sind. Das Ideal wäre die tapfere Kluge mit der nötigen Geduld.“

Neben der Akzeptanz, die ein Bestandteil der Geduld ist, schwingt oft auch Hoffnung mit. Hätten wir keine Hoffnung auf etwas, was wir erwarten, würde sich das Warten ja nicht lohnen. Wir stellen uns nicht in eine lange Schlange und warten bis wir an die Reihe kommen, wenn wir nicht die Hoffnung hätten, dafür etwas Lohnenswertes zu bekommen.

Geduld ist also etwas, dass sich für einen selbst aus der Auseinandersetzung mit spannungsvollen Situationen als erlebter Zustand und Erfahrung definieren muss.

So sind die Aspekte der Geduld:

1. Zeit: etwas dauert länger als man möchte. Viel länger. Geduld ist die Ausdauer im ruhigen, beherrschten, nachsichtigen Ertragen oder Abwarten von etwas.

2. Leid: Oft erfordert die Situation nicht nur das reine Warten, sondern es ist unangenehm, lästig oder furchtbar. Sie verursacht also Leiden, das ertragen werden muss.

3. Gelegenheit: Irgendwann ändert sich schlagartig etwas: eine Gelegenheit tut sich auf. Diese gilt es nun beherzt zu ergreifen. Ob es sich dabei um einen Fehler der Gegenseite handelt (Schach), oder eine deus ex machina-artige äußere Entwicklung (Cinderella), in beiden Fällen heißt es: jetzt zuschlagen: denn sonst war das lange Ertragen des Leidens umsonst.

GONG: „Geduld ist die Kraft, die uns ermöglicht, unser Schicksal zu ertragen, ohne es zu ändern.“ – Søren Kierkegaard

In der Literatur wird Geduld oft als eine Tugend dargestellt, die notwendig ist, um Herausforderungen zu meistern und erfolgreich zu sein. In vielen Fällen wird gezeigt, dass Geduld belohnt wird, indem die Charaktere ihre Ziele erreichen oder Probleme lösen.

Ein bekanntes Beispiel aus der Literatur ist die Geschichte von „Ali Baba und die 40 Räuber“ aus „Tausendundeiner Nacht“, in der Ali Baba Geduld hat und wartet, bis die Räuber in die Höhle zurückkehren, bevor er den Eingang verschließt und die Räuber tötet.

Auch in der Bibel finden sich viele Beispiele von Geduld, wie zum Beispiel in dem Gleichnis vom Senfkorn (Matthäus 13,31-32) Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Senfkorn, das ein Mann auf seinen Acker säte. Es ist das kleinste von allen Samenkörnern; sobald es aber hochgewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum, sodass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten.

UND auch Johann Wolfgang von Goethes Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ ist ein klassisches Beispiel für die transformative Kraft der Geduld im Zusammenhang mit der persönlichen Entwicklung. Während seiner Reise lernt Wilhelm, wie wichtig Geduld ist, sowohl im Umgang mit anderen als auch für seine persönliche Entwicklung.

Eines der stärksten Beispiele für die Bedeutung der Geduld in Wilhelm Meisters Lehrjahre ist die Figur der Mignon. Mignon ist ein junges Mädchen, das von Wilhelm aufgenommen wird und zu einer zentralen Figur in seinem Leben wird. Trotz ihrer Jugend besitzt Mignon eine tiefe Weisheit und innere Stärke, die es ihr ermöglichen, großes Leid und große Entbehrungen zu ertragen. Ihre Geduld und Unverwüstlichkeit sind eine Quelle der Inspiration für Wilhelm und helfen ihm, ein tieferes Verständnis für die menschliche Erfahrung zu entwickeln.

Goethe erkennt an, dass persönliches Wachstum ein allmählicher und schrittweiser Prozess ist, der Geduld und Ausdauer erfordert. Dies spiegelt sich in der Betonung des Zeitablaufs im Roman wider, da Wilhelms Reise sich über viele Jahre erstreckt und ein breites Spektrum an Erfahrungen und Herausforderungen umfasst.

Auch in Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ spielt Geduld eine große Rolle. Tamino muss eine künstlich auferlegte Prüfung der Geduld bestehen, indem er trotz seiner starken Liebe zu Tamina nicht mit ihr sprechen darf. Diese Prüfung soll zeigen, ob er in der Lage ist, seine Gefühle zu beherrschen, geduldig zu sein und seine wahre Motivation geheim zu halten, um seine Eignung für den Tempel zu beweisen.

GONG:   „Geduld und Zeit erreichen mehr als Kraft und Gewalt.“ – Jean de La Fontaine

ABER: Es ist wichtig zu betonen, dass Geduld nicht bedeutet, dass man sich nun jeder Situation ergeben oder ausliefern soll und alles mit sich geschehen lassen soll. Es heißt nur zu akzeptieren, dass die Dinge im Moment so sind wie sie sind. Und man sich aus einer geduldigen und gelassenen inneren Haltung heraus entscheiden kann, ob man es dabei belässt oder man aktiv etwas an der Situation ändern möchte. Wer geduldig ist, sieht oft klarer, was als nächstes zu tun ist- auch wenn das vielleicht erst einmal bedeutet, nichts zu tun.

Ein wichtiger Faktor für Geduld ist, sich die Zukunft vorstellen zu können.

 Es gibt viele symbolische Darstellungen der Geduld in verschiedenen Kulturen und Traditionen.

Einige bekannte Symbole der Geduld sind:

  Der Elefant: Der Elefant wird oft als Symbol der Geduld und Ausdauer betrachtet, da er für seine lange Lebensdauer und seine Fähigkeit bekannt ist, schwere Lasten zu tragen.

    Der Baum: Der Baum wird oft als Symbol der Geduld und Durchhaltevermögen betrachtet, da er jahrelang wächst und sich den Herausforderungen der Natur stellt.

    Der Löwe: Der Löwe wird oft als Symbol der Geduld und Selbstbeherrschung betrachtet, da er in der Lage ist, seine Beute zu jagen, ohne sich von seiner Gier leiten zu lassen.

Im Buddhismus ist Geduld (Khanti) eine der wichtigsten Tugenden und eine der sogenannten „Vier unbesiegbaren Waffen“ (catvari acala-viriya), zusammen mit Einsicht (dassana), Energie (viriya) und Konzentration (samadhi). Geduld wird als unerlässlich angesehen, um spirituelle Fortschritte zu machen und den Weg zur Erleuchtung zu gehen. Sie beinhaltet auch Nachsicht, Vergeben und Toleranz (mit sich selbst und anderen). Sie drückt sich aus als gelassene Haltung in inneren und äußeren Stresssituationen und befähigt einen Menschen, den Strom der Ereignisse mit Gleichmut hinzunehmen.

Die Geduld wird als die Fähigkeit verstanden, das Leiden zu ertragen, ohne zu klagen oder sich zu beklagen. Es ist die Fähigkeit, Probleme und Schwierigkeiten mit Gelassenheit und innerer Ruhe zu begegnen, anstatt sich von Emotionen wie Wut, Angst oder Frustration leiten zu lassen.

Jon Kabat-Zinn, ein amerikanischer Professor, hat einen immensen Beitrag geleistet, Achtsamkeit und Meditation in den Westen und in die Psychologie zu integrieren. Er beschreibt Geduld als ein inneres Wissen.

„Sie bringt zum Ausdruck, dass wir verstehen und akzeptieren, wenn Dinge ihre eigene Zeit brauchen, um sich zu entfalten“ Jon Kabat-Zinn 2013[1]

GONG: „Geduld ist die Wurzel aller Tugenden.“ – Clive Staples Lewis

Das Gegenteil von Geduld ist Ungeduld. Jemand der ungeduldig ist, nimmt die Möglichkeit, dass vielleicht „Nichtstun“ die richtige Entscheidung ist, gar nicht bewusst wahr. Ungeduld geht dabei oft mit diversen körperlichen Beschwerden einher. Diese können zum Beispiel erhöhte Herz- und Atemfrequenz, muskuläre Anspannung und allgemeine körperliche Unruhe sein, typische  Anzeichen einer Stressreaktion. Unter Stress sind wir aber eher auf Überlebensmodus geschaltet und weniger in der Lage, vernünftige Entscheidungen zu treffen.

Jetzt denkt ihr euch wahrscheinlich schon, bitte erzähle doch einmal etwas Neues!

Ja, es ist tatsächlich schwierig zu diesem Thema noch neue Aspekte und Erkenntnisse aufzuzeigen. Deswegen werde ich nun versuchen Freimaurerisches, Persönliches und Wissenschaftliches einzubringen, in der Hoffnung etwas Neues zu erzählen.

In der Freimaurerei wird Geduld oft als Symbol für die Fähigkeit verstanden, die Schwierigkeiten des Lebens zu ertragen und sich auf die spirituelle Reise zu konzentrieren, anstatt von äußeren Umständen abgelenkt zu werden. Es wird auch als die Befähigung betrachtet, andere mit Toleranz und Mitgefühl zu behandeln, ohne zu urteilen. Der Geselle übt sich in Geduld und schult sein Sozialverhalten. Geduld wird auch als wichtiges Element in der Arbeit an sich selbst betrachtet, indem man sich Zeit nimmt, um seine Fehler zu erkennen und sich zu verbessern, anstatt sich selbst unter Druck zu setzen.

GONG: „Ungeduld und Stolz gehören zu den Haupthindernissen auf dem Pfad.“ (Dalai Lama)

Im Zusammenhang mit meiner persönlichen Entwicklung spielt die Geduld, bzw. Ungeduld eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, dass ich mit der Zeit wachsen und mich weiterentwickeln soll(te). Ich sehe die persönliche Entwicklung auch im Zusammenhang als Freimaurer, als einen Prozess, mich, in Bezug auf innere Qualitäten wie Selbsterkenntnis, emotionale Intelligenz und Widerstandsfähigkeit, selbst zu verbessern. Geduld sollte es mir ermöglichen, Ziele im Auge zu behalten, auch wenn ich nur langsam vorankomme, oder Rückschläge erleide, und die Ausdauer und Entschlossenheit zu entwickeln, die für eine dauerhafte Veränderung notwendig sind.

Das heißt, zuerst muss ich den Ist-Zustand ermitteln: was macht mich denn so ungeduldig?

Gedanken wie „Ich verschwende hier nur meine kostbare Zeit“, „Wenn das so weitergeht, wird das nie was“, oder sogar „Warum sind die alle so unfähig“ lösen keine Probleme, aber sie lösen Stress und teilweise auch eine feindliche und abwertende Stimmung in mir aus. Gerade in dem Extremfall, wenn es anfängt, feindlich zu werden, zeigen sich die weitreichenden Konsequenzen. Wenn ich die Leute in der Warteschlange, die Kassierer, die anderen Verkehrsteilnehmer oder meine Mitarbeiter innerlich abwerte und zu Feinden mache, wird das auch für die Welt um mich herum spürbar und unangenehm. Ich mache mich selbst im schlimmsten Fall zum Feind für meine Umwelt. Von daher lohnt es sich, diese Gedanken in Ruhe zu betrachten und auf ihren objektiven Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Dies kann anfangs in einer stressigen Situation schwierig sein.

Dabei sind die Dinge, die wir statt des Schlangestehens tun würden meist nicht so wichtig, dass man sie nicht auch eine Stunde später erledigen könnte. Es ist der vorherrschende Optimierungswahn, der uns etwas Anderes suggeriert, wie Studien von Stressforschern immer wieder belegen: Nicht trödeln, bloß keine Zeit verplempern, alles muss immer schneller, immer besser werden. Diese allgemeine Lebens-Ungeduld bedingt die Ungeduld im Alltag. Sich an der Kasse anstellen zu müssen, passt da nicht rein, denn es zwingt uns Langsamkeit auf, die wir nicht wollen – für viele Menschen unerträglich. Schuld ist unser Gehirn, das ständig nach Belohnung, Spaß und guten Gefühlen schreit. Von denen gibt es im Stau ziemlich wenige, wenn wir sie nicht aktiv herbeidenken und dem linken präfrontalen Kortex sein Wohlfühlfutter geben. Tut man das nicht, gilt für den auf Steinzeit gepolten Denkapparat „Katastrophe kommt vor Vergnügen“, wie Ilona Bürgel[2] , Diplom-Psycholgin und Autorin, erklärt. „Wir sind ständig mit unseren Gedanken woanders, ärgern uns über das, was gestern war, machen uns Sorgen über Dinge, die wir hören und lesen und die (noch) gar nicht real sind.“ Dieses „katastrophische Gehirn“ hat einst das menschliche Überleben gesichert. Es sorgte dafür, dass man nicht vor lauter Freude über das schöne Wetter den Säbelzahntiger übersah, und gefressen wurde.

GONG: „Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man die großen Vorhaben zum Scheitern.“ Konfuzius

Wie sieht sie nun aus, die Arbeit an meinem rauen Stein?

1.  Dankbar sein

Eine Studie, die von David DeSteno, Leah Dickens und Jennifer Lerner im Jahr 2014[3] erschienen ist, untersuchte, ob es einen Zusammenhang zwischen Dankbarkeitsübungen und Geduld gibt. Dabei wurden Teilnehmer unterschiedlichen Gruppen zugeteilt. Eine Gruppe sollte über ein Ereignis schreiben, dass ihren Alltag wiedergibt. Die zweite Gruppe über eine Erinnerung, bei der sie sich sehr glücklich gefühlt haben und die dritte Gruppe über eine Erinnerung, bei der sie viel Dankbarkeit empfunden haben. Danach wurde allen Teilnehmern eine kleine Summe Geld angeboten, die sie gleich bekommen könnten oder eine größere Summe Geld, wenn sie zwischen einer Woche und sechs Monate warten würden und sich so also in Geduld üben. Die Gruppe mit der Dankbarkeitserinnerung schnitt am besten ab, da in dieser sich mehr Teilnehmer entschieden, länger zu warten.

Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass eine Beschäftigung mit den Dingen, für die wir dankbar waren und dankbar sind, einen Einfluss auf unsere Fähigkeit geduldig zu sein haben.

2. Warten üben: Eine neue Einstellung zum Warten zu bekommen, ist ebenfalls eine wichtige Voraussetzung, um geduldiger zu werden. Es hilft, meine Denkmuster zu ändern und die Zeit stattdessen für etwas Sinnvolles zu nutzen, wie zum Beispiel: die Wartezeit für Gehirnjogging, Musik hören zu nutzen?

3. Lernen, still zu sein: zB. meditieren

4. Geduld in Gesprächen

Um geduldiger in Gesprächen zu werden, hat es sich gezeigt, dass es sich lohnt genauer zuzuhören und dabei ein ehrliches Interesse unserem Gegenüber zu vermitteln oder zu entwickeln. Um das mit schwierigen Gesprächspartnern zu erreichen, können wir, also ich J , versuchen einen Perspektivwechsel anzustreben und zu versuchen, die Dinge aus der Sicht des Gesprächspartners zu sehen.

Grundsätzlich sollten sich ungeduldige Zeitgenossen mit einer Belohnung motivieren. „Das Gehirn stellt eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf und der Nutzen muss überwiegen“, sagt Bürgel. „Wenn ich mich zu etwas überrede, muss das einen Sinn für mich ergeben.“ Also: Wer brav den Stau erträgt, ohne ins Lenkrad zu beißen, bekommt zu Hause ein Eis, ein gutes Buch, eine Folge seiner Lieblings-Serie – womit auch immer man sich selbst eben am besten motivieren kann.

Zum Schluss möchte ich über eine sehr bekannte Studie, samt Folgestudien berichten: Der Marshmallow-Effekt von Walter Mischel[4],[5] ; Wie Willensstärke unsere Persönlichkeit prägt

Walter Mischel setzte 4-6-jährige Kinder in einen kargen Untersuchungsraum an einen Tisch. Darauf stand ein Teller mit einem Marshmallow, sonst nichts. Während das Kind begierig auf die klebrige Süßigkeit starrte, erklärte Mischel ihm, dass es das Marshmallow sofort essen könnte – oder aber eine Weile warten und dafür später zwei bekommen.

Er verließ den Raum und beobachtete durch einen Einwegspiegel, was die Kinder anstellten, bis er 15 Minuten später zurückkam. Einige der Kinder schafften es, unter Aufbietung all ihrer Kräfte zu warten. Andere konnten oder wollten nicht – und das Marshmallow war vom Teller verschwunden, als Mischel zurück ins Zimmer kam. Der Psychologe war sehr zufrieden. Die Zeit, die bis zum Aufessen verging, war ein gutes Maß für die Willenskraft der Kinder, fand er. Was er aber nicht ahnte: Sein einfaches Marshmallow-Experiment, das er mit über 500 Kindern mit unterschiedlichen Belohnungen und Wartezeiten durchführte, würde legendär werden. Denn als er die Kinder 13 Jahre später nochmals einlud, gab es erstaunliche Ergebnisse. Jene, die schon im Vorschulalter hatten warten können, waren als junge Erwachsene zielstrebiger und erfolgreicher in Schule und Ausbildung. Außerdem konnten sie besser mit Rückschlägen umgehen, wurden als sozial kompetenter beurteilt und waren seltener drogenabhängig als jene, die dem Marshmallow vor ihrer Nase damals nicht hatten widerstehen können. Die Ungeduldigen dagegen waren emotional instabiler und schnitten in der Schule schlechter ab – obwohl sie nicht weniger intelligent waren.

GONG: „Geduld ist nicht die Fähigkeit zu warten, sondern die Fähigkeit, sich während des Wartens zu behaupten.“ – Martin Luther King Jr.

In „Die Entdeckung der Geduld – Ausdauer schlägt Talent“, berichtet Matthias Sutter[6] , Wirtschaftsforscher, zwar auch vom Marshmallow-Experiment und seinen Folgen für den einzelnen Menschen – doch sein Interesse gilt den Folgen, die die Forschungserkenntnisse für das Funktionieren einer ganzen Gesellschaft haben.

Er meint: „Geduld heißt: Ich verzichte auf heutigen Konsum, um in der Zukunft mehr davon zu haben. Wir investieren heute in Bildung, damit wir morgen bessere Berufschancen haben, wir sparen heute, damit wir in der Zukunft eine Pension haben, wir investieren heute, damit wir morgen mehr produzieren können.“ Sutter zeigt, wie Menschen, die bereits als Kinder nicht sonderlich geduldig sind und eine Belohnung in der Gegenwart einer in der Zukunft bevorzugen, mit den ganz praktischen Untiefen des Lebens umgehen. So haben die Ungeduldigen später durch eine kürzere Ausbildungszeit nicht nur ein geringeres Einkommen, sie tendieren auch deutlich mehr dazu, kein oder nur sehr wenig Geld zu sparen und stattdessen Schulden anzuhäufen.

All das verursacht nicht nur individuelle Probleme, sondern belastet die Wirtschaft und damit die Funktionsfähigkeit einer ganzen Gesellschaft. Das geht weiter, wenn man die gesundheitlichen Folgen von Ungeduld betrachtet, so der Ökonom. Wie Sutter in eigenen Experimenten zeigen konnte, geben Ungeduldige mit höherer Wahrscheinlichkeit Geld für Zigaretten und Alkohol aus als Geduldige. Auch japanische Forscher fanden einen Zusammenhang zwischen der Entscheidung zu rauchen und der Ungeduld eines Menschen.

In Regionen mit geduldigen Einwohnern wird deutlich mehr verdient, zeigt auch eine Studie von Ökonom Thomas Dohmen[7].

(Jene, die Belohnungen schnell zu ihrer Verfügung haben wollten, waren häufiger sportlich untätig und hatten einen bedeutsam höheren Body-Mass-Index als die geduldigen Versuchsteilnehmer. Und dieser ist ein möglicher Vorläufer für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – in Europa, USA die Erkrankung, an der die meisten Menschen sterben. Angesichts der erschlagenden Liste von Konsequenzen scheint die Geduld eine geradezu schicksalsbestimmende Eigenschaft im Leben eines Menschen zu sein – nur gut also, wenn man sie hat.)

GONG: „Gib das, was dir wichtig ist, nicht auf, nur weil es nicht einfach ist.“ (Albert Einstein)

„Unsere größte Schwäche liegt im Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg ist immer, es noch einmal zu versuchen.“ (Thomas Alva Edison)

Eine Untersuchung der Psychologin Betty Jo Casey[8] von der Cornell University in New York hatte im Jahr 2011 gezeigt, dass die Kinder der Marshmallow studie mit weniger Geduld bis ins Erwachsenenalter mehr Zeit benötigen, um irrelevante Informationen beiseitezuschieben, und dabei auch mehr Fehler machen.

Walter Mischel konnte zusammen mit seinem Kollegen Marc Berman vom Rotman[9] Research Institute in Toronto erste Indizien für die Vermutung vorlegen, dass Geduld zumindest teilweise genetisch veranlagt ist. Die Forscher fanden heraus, dass sich ein hohes Maß an Selbstkontrolle aus der Gehirnaktivität ablesen lässt. Teilnehmer mit guter Selbstkontrolle nutzen ihre neuronalen Netzwerke effizienter als jene mit geringerer Selbstkontrolle. Das Besondere an der Studie: Bei den Probanden handelte es sich erneut um Teilnehmer der allerersten Marshmallow-Experimente in Stanford.

„Es ist bemerkenswert, dass unsere Versuchsteilnehmer selbst nach 40 Jahren eine so ausgeprägte neuronale Signatur tragen, die möglicherweise einen biologischen Marker für die Fähigkeit zur Selbstkontrolle darstellen könnte“, so die Wissenschaftler.

Niemand schaffe es immer, geduldig zu sein. Aber dass man Geduld trainieren kann, daran glauben die Wissenschaftler. Das sei auch ein Unterschied zum Intelligenzquotienten, den Kritiker gern mit der Fähigkeit zur Selbstkontrolle gleichsetzen. „Den IQ und auch das elterliche Umfeld kann man nicht einfach ändern, das ist ja nun einmal so, aber Geduld ist erlernbar – und kann schlechtere Startbedingungen im Leben kompensieren.“

Dass Menschen ihre eigenen Wege finden, Zeiten der Entbehrungen für einen späteren Erfolg zu überbrücken, kann man bereits bei den Vorschulkindern aus dem Marshmallow-Experiment sehen. Sie alle nutzen zwar die gleichen Methoden wie Erwachsene, nämlich Ablenkung und die Konzentration auf die Belohnung – aber jedes Kind erreicht das auf andere Art und Weise.

(Manche singen oder flechten Zöpfe. Andere stehen vom Tisch auf und reden sich selbst gut zu, und wieder andere verstecken das Marshmallow. Manche stellen sich sogar schlafend. Und einige, die ganz gerissenen, knabbern das Marshmallow an. Ein kleines bisschen nur, von der unteren Seite. Dann stellen sie es zurück auf den Teller. Man muss ja schließlich wissen, worauf man wartet.)

GONG: „Geduld ist die Seele der Weisheit.“ – Immanuel Kant

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kraft der Geduld ein wesentliches Element sowohl der Erleuchtung als auch der persönlichen Entwicklung ist. Geduld ermöglicht es uns, Widerstandsfähigkeit, emotionale Intelligenz und ein tieferes Verständnis für uns selbst und die Welt um uns herum zu entwickeln. Indem wir Geduld als Leitprinzip in unser Leben aufnehmen, können wir ein größeres Selbstbewusstsein, emotionale Widerstandsfähigkeit und innere Stärke kultivieren und letztlich ein erfüllteres und sinnvolleres Leben erreichen und auch unsere Gesellschaft

Liebe Schwestern und Brüder, ich danke Euch für Eure Geduld, für Eure Aufmerksamkeit und freue mich auf Eure Gedanken.

Kettenspruch:

Siehe eine Sanduhr: Da lässt sich nichts durch Rütteln und Schütteln erreichen, du musst geduldig warten, bis der Sand, Körnlein um Körnlein, aus dem einen Trichter in den andern gelaufen ist.[10] Christian Morgenstern

Einzug: Wagner  Tannhäuser – Ouvertüre

Entzünden der Lichter: Arvo Pärt- Spiegel im Spiegel

Zwischenmusik: Erik Satie – Gnossienne No2

Zwischenmusik: The Painted Veil Soundtrack ♪ River Waltz

Zwischenmusik: Ludovico Einaudi – Ascolta

Auszug: Moondog- Bird´s Lament


[1] Kabat-Zinn, J. (2013). Gesund durch Meditation: das große Buch der Selbstheilung mit MBSR. OW Barth eBook.

[2] Ilona Bürgel; Schokologie: Was wir vom Schokolade-Essen fürs Leben lernen können. Südwest Verlag (23. September 2013) ISBN-10 ‏ : ‎ 3517089524

[3] DeSteno, D., Li, Y., Dickens, L., & Lerner, J. S. (2014). Gratitude: A tool for reducing economic impatience. Psychological science, 25(6), 1262-1267

[4] Mischel, W. (2014). The Marshmallow Test: Mastering self-control.

[5] Mischel, W., & Ebbesen, E. B. (1970). Attention in delay of gratification. Journal of Personality and Social Psychology, 16 (2), 329.

[6] ‎ Matthias Sutter; ecoWing; 2. Aufl. Edition (22. Juni 2018) ISBN-10 : ‎ 3711000541

[7] T.Dohmen, A. Falk, U. Sunde, B. Enke, D. Huffmann und G. Meyerheim ist als Discussion Paper bei ECONtribute erschienen: https://selten.institute/RePEc/ajk/ajkdps/ECONtribute_035_2020.pdf

[8] www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1108561108; Behavioral and neural correlates of delay of gratification 40 years later

[9] Willpower, over the life span: decomposing self-regulation Soc Cogn Affect Neurosci. 2011 Apr; 6(2): 252–256.Published online 2010 Sep 18. doi: 10.1093/scan/nsq081

[10] Christian Morgenstern (1871 – 1914), deutscher Schriftsteller, Dramaturg, Journalist und Übersetzer; Quelle: Morgenstern, Stufen. Eine Entwicklung in Aphorismen und Tagebuch-Notizen, 1918 (posthum). 1909

Eigennutz und Gemeinwohl

Sollten dem Individualismus Grenzen gesetzt werden?

Welche Fürsorgepflichten treffen den Staat für die Gesundheit seiner Bürger? Gibt es (rechtliche) Grenzen für staatliche (Gesundheits-)vorsorgemaßnahmen?“

„Das Schicksal des Menschen ist der Mensch“ (B. Brecht „Die Mutter“)

Es haben schon sehr viele, sehr gescheite Menschen dieses Thema analysiert, diskutiert, darüber doziert und kommentiert. Daher probiere ich heute ein Resümee zu ziehen und werde einige Fragen in den Raum stellen, die wir in „break-out-sessions“ diskutieren können. Freilich war das allgegenwärtige Thema „Corona-Pandemie“ mit all den dazugehörenden Einschränkungen der Grundrechte, sowie die emotional geführten Impfdebatten, Auslöser meiner Gedanken und Fragen. Gestern hat uns Schwester Erna den „Eckstein“ weitergeleitet, und ich habe darin eine hervorragende Analyse mit dem Titel „Die gekränkte Gesellschaft – in Sachen Corona kommt es nicht darauf an, was die Dinge mit uns, sondern was wir mit den Dingen machen“ von Konrad Paul Liessmann gefunden. Eigentlich sollte ich nun diesen Impulsvortrag beenden und auf eben jenen Artikel verweisen, denn besser und trefflicher kann ich es sicher nicht sagen.

Jetzt, da wir nun schon alle beisammen sind, könnten wir vielleicht all die Fragen wie: „Wieviel Gemeinschaft soll es sein? Und wieviel Individuum? Wo sollten dem Individualismus Grenzen gesetzt werden? Und wann kippt der Gemeinsinn in einen freiheitsberaubenden Kollektivismus?“ gemeinsam erörtern.

 Seit tausenden Jahren wird über das rechte Verhältnis von Einzelnem und Gemeinschaft, Individuum und Kollektiv, Bürger und Staat, deren wechselseitiger Beeinflussung und die Rechtfertigung ihres Ausmaßes, insbesondere ihrer Begrenzung philosophiert.

Es gibt viele Beispiele, von denen ich nur einige erwähnen möchte:

Menschenrechte: Rechte regeln das Zusammenleben von Individuen in Gemeinschaft, nur hier gibt es überhaupt Regelungsbedarf. Sowohl die Beziehung der Individuen zueinander als auch die Beziehung des einzelnen Menschen zur Gemeinschaft müssen dauerhaft normiert werden.

Mit der Entdeckung des Individuums, seines Gewissens und seiner personalen Würde beginnt zugleich auch die Geschichte der Menschenrechte, an deren Ende ihre Kodifikation steht; „Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, die am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen wurde. Rechte, die für alle Menschen gelten sollen. Sie sind lang erkämpfte Grundsätze, die fundamentale Freiheiten aller Menschen festlegen. Ihr Ziel ist es, die rechtliche Gleichbehandlung aller Menschen zu wahren. Das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit, Verbot von Sklaverei und Folter, Gedanken- und Glaubensfreiheit, Recht auf freie Meinungsäußerung, Bildung, Arbeit, Gesundheit und Wohlbefinden sind nur einige von ihnen.

            Recht auf Meinungsfreiheit: „Twitter-Trump“

Wir brauchen in liberalen Demokratien ein nachvollziehbares, transparentes und sinnvoll anfechtbares Sperr-Regime. Eine zuständige Instanz, die im Zweifel über den AGB der Medien-Plattformen steht. Um es noch etwas komplizierter zu machen, wäre das Idealszenario in autoritären Staaten und Diktaturen genau umgekehrt: Dort sollte der Staat im Zweifel zumindest in politischen Sphären nicht kontrollieren können, was zu veröffentlichen sei und was nicht. Wenn Trump gesperrt wird, müssen auch andere gegen die moralischen Rechte agierenden Personen gesperrt werden. Man muss sich in Politik und Wirtschaft trauen, die liberale Demokratie als überlegenes System zu betrachten (Sascha Lobo, Spiegel 13.01.2021).

Bürgerarbeit, lokale Währungen: Die Selbstorganisation der Gesellschaft: in Japan führten einige Gemeinden eine lokale Währung, ein Gemeindegeld, ein, die drei Ziele verfolgen, wie Ikuma Saga, Volkswirt des Japan Research Institute erklärt: „Erstens: die Beziehungen zwischen den Menschen einer bestimmten Gemeinschaft wiederzubeleben oder zu festigen, um das Sozialgefüge zu festigen. Zweitens: Projekte zu unterstützen, für die keine finanziellen Mittel in den Kommunen vorhanden sind. Dazu können Aufräumarbeiten, der Umwelt- und Naturschutz und Bereiche der Armen- und Altenpflege zählen. Also alles Vorhaben, die für das Leben in der Gemeinde wichtig sind. Das dritte Ziel eines Gemeindegeldes sind die Wiederbelebung lokaler Wirtschaftskreisläufe und die Förderung unternehmerischen Handelns.

Dieses Gemeindegeld wird von den Unternehmern einer Gemeinde für gemeinnützige Arbeiten an Arbeitslose, Obdachlose und ähnliche Gruppen von Bedürftigen ausgegeben. Dieses Gemeindegeld steht nicht in Konkurrenz mit dem Yen, da es nur in der jeweils ausgebenden Gemeinde verwendet werden kann, nicht im ganzen Land. Deshalb ermöglicht es in erster Linie nur den Konsum lokal produzierter Güter und Waren, was eben die lokalen Wirtschaftskreisläufe stützt und gegenüber einem Einkommen in der Landeswährung eine Einschränkung darstellt. (2008 von Sebastian Wienges)

Sparkassa: Anwendung und Auslegung des Gemeinwohlprinzips

Im ausgehenden 18. Jahrhundert erkannten einige sozial denkende Bürger die zunehmende Armut in den Städten als Problem der frühen industriellen Revolution. Daher gründeten sie die ersten Sparkassen, die mit der Förderung des Sparsinns und damit der Vermögensbildung der Bürger, sowie der Sicherstellung der kreditwirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung öffentlich beauftragt wurden. Hauptzweck der Sparkassenidee war also die Hilfe zur Selbsthilfe und die Förderung der Selbstverantwortung des Einzelnen. Noch heute unterscheiden sich Sparkassen von privaten Banken dadurch, dass die „Erzielung von Gewinnen nicht Hauptzweck des Geschäftsbetriebes“ ist, sondern die Verpflichtung zum Gemeinwohl. Dies ist in den Sparkassengesetzen  festgeschrieben. Heute kommen die Sparkassen ihrer Gemeinwohlverpflichtung zudem durch die Verwendung eines Teiles ihres Jahresüberschusses als Spenden für gemeinnützige, kulturelle, wissenschaftliche oder soziale Zwecke nach (Wikipedia „Gemeinwohl“). 

Sozialversicherungen (Unfall-, Kranken-, Pensionsversicherungen) entstanden im 19. Jhdt.

Tragik der Allmende (tragedy of the commons), Tragödie des Allgemeinguts bezeichnet ein sozialwissenschaftliches und evolutionstheoretisches Modell, nach dem frei verfügbare, aber begrenzte Ressourcen nicht effizient genutzt werden und durch Übernutzung bedroht sind, was auch die Nutzer selbst bedroht. Probleme sollten nicht mehr nur von einzelnen Individuen, sondern auch als Gemeinschaft betrachtet und gelöst werden (Wikipedia „Tragik der Allmende“).

Der freie Zugang zu landschaftlichen Schönheiten, Anspruch auf reine Luft

Die Argumentation, reiner Luft sei im Sinne des Gemeinwohls Priorität einzuräumen, konnte sich gegenüber wirtschaftlichen Interessen aber höchstens in touristisch geprägten Regionen mit starken alternativen Wirtschaftskonzepten durchsetzen.

Eigentums- und Verfügungsrechte werden zwar in Deutschland im Sinne einer „common pool resource“ meist mittels gesetzlich festgelegter Grenzwerte zu regeln versucht, das aber in der Praxis teilweise eher den Charakter eines ‚open-access-Gutes’ innehat. Die Strategie der Produzenten und ihrer Unterstützer lief dagegen darauf hinaus, Entstehung und Ausmaß negativer Externalitäten herunterzuspielen oder mit der parallelen Produktion von Gemeinwohlbelangen wie Arbeitsplätzen oder eines allgemein wünschenswerten Gutes (z.B. Elektrizität) zu kontrastieren (Ute Hasenöhrl; Zivilgesellschaft, Gemeinwohl und Kollektivgüter).

Leistbare Wohnungen: Mietpreisbremse (z.B. in Berlin)

Wer bestimmt eigentlich das öffentliche Interesse? Im eben zitierten Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts hieß es, der Gesetzgeber müsse die Freiheitssphäre des Einzelnen mit dem Wohl der Allgemeinheit zum Ausgleich bringen. Allerdings ist der Gesetzgeber dabei offenbar nicht frei, wenn er doch die Vorgaben des Grundgesetzes zu beachten hat. Bis zu einem gewissen Grad scheint das öffentliche Interesse also durch die Verfassung vorgeprägt zu sein. Außerdem stellt sich die Frage nach der „Gemeinwohlkompetenz“ von Exekutive und Rechtsprechung: In welchem Umfang dürfen Verwaltung und Gerichte bestimmen, was im öffentlichen Interesse liegt? (Robert Uerpmann-Wittzack, Univ. Regensburg)

Georg Wilhelm Friedrich Hegel meint:

In einer Diskussion vergraben sich oft beide Seiten in ihrer Position. Der Verstand neigt zum Entweder/Oder: Entweder Freiheit oder Determinismus, entweder Liberalismus oder Tyrannei. Die Dialektik macht erkennbar, dass die Dinge komplizierter sind. Keine Seite hat ganz recht, keine hat ganz unrecht. Das Versprechen der Dialektik ist Schritt für Schritt zur Wahrheit zu vorzustoßen.

Der wichtigste Beweger in der Geschichte der Menschheit ist die Freiheit: „Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“.

Einerseits bedeutet Freiheit, zu tun, was man will. Andererseits bedeutet Freiheit, zu tun, was für alle gut ist. Wer nur im Eigeninteresse handelt, ist nicht frei, er ist Sklave seines Egoismus. Aber Freiheit bedeutet auch nicht sich für die Allgemeinheit aufzuopfern, sie bedeutet nicht, dass der Wille des freien Menschen ununterscheidbar vom Allgemeinwohl wird.

Das ist wohl der Fehler so mancher Revolutionäre, die behaupten im Namen aller zu sprechen.

Hegel glaubte auch an die Kraft sozialer Institutionen, denn diskutieren alleine reicht nicht. Damit Ideen wirksam werden, brauchen sie Gebäude, Budgets, und Angestellte. Institutionen sind materialisierte Ideen. Statt weiterer Bekenntnisse zum Klimaschutz würde Hegel heute vielleicht eine weltweit handlungsfähige Klimabehörde fordern.

Somit wären wir auch bei unserer „Institution“.  Eine wesentliche Aufgabe der FM sollte meines Erachtens ebendieses Handeln, das Umsetzen der Ideen für ein individual-solidarisches Leben sein.

Niemand mag ein Schaf, jeder ein Held (Revolutionär, Andersdenkender) sein. Das Heldentum ist aber mit Vorsicht zu betrachten. Im »Faschismus ist Heroismus die Norm. Dieser Heroismus ist eng mit dem Kult des Todes verbunden… der urfaschistische Held… ersehnt den Heldentod“ (U. Eco). Natürlich nicht immer für sich selbst, manchmal sollen auch einfach andere sterben, aber so insgesamt darf es schon etwas mehr Tod und deshalb auch etwas mehr Krieg sein, »das Leben ist ein permanenter Krieg«.

Dies bedenkend, ist unsere Fähigkeit und unsere Stärke mit Vernunft und Erfahrung zu leiten mehr gefragt denn je.

Frage: Wie kommen wir FM zu den „richtigen“ Ideen?

Als Naturwissenschaftlerin wäre mein erster Zugang: Fragen wir die Experten!

Aber: Wissenschaftliche Experten sind diejenigen, die wissenschaftlichen Prozesse, Theorien und Forschungsergebnisse in eine allgemeinverständliche Sprache übersetzen und damit demokratische Überprüfung ermöglichen. Dafür muss ihnen vom Souverän Vertrauen entgegengebracht werden — Vertrauen in die Aufrichtigkeit ihrer Motive und Verlässlichkeit der Informationen, die sie weitergeben.

Leider gibt es manchmal Gründe, Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Experten zu hegen, insbesondere, wenn ihnen besonderer Einfluss in Medien oder Politik zukommt. Wie andere Menschen auch, können sie sich irren und wichtige Fakten übersehen, sind schlecht darin, Vorhersagen zu machen und Evidenz, die ihren Ansichten oder Werten widerspricht, einzubeziehen, sie haben private Interessen und sind nicht immer finanziell unabhängig. Die COVID-19 Pandemie hat einmal mehr Beispiele für alle diese Schwächen hervorgebracht.

Die Wissenschaft nimmt einen bislang ungekannten Einfluss auf Gesellschaften: durch Medizin und Technologie, durch neuartige Untersuchungsmethoden wie die der Computersimulation (ohne die uns Klimawandel gänzlich unbekannt wäre), durch neue Theorien wie die Theorie der Verhaltensökonomik, durch die neuartige Politikansätze begründet werden. In liberalen Demokratien wünschen wir, solche Einflussnahmen demokratisch zu legitimieren, d.h. abhängig von der Zustimmung des Souveräns zu machen. Eine Voraussetzung für die Ausübung der demokratischen Kontrolle ist, dass die Regierung ausreichende Kenntnisse der relevanten wissenschaftlichen Zusammenhänge erhält, damit sie den Vorschlägen informiert zustimmen kann (Julian Reiss, JKU Linz).

Technisch-politische Entscheidungen müssen von der Politik getroffen werden, denn: die Politik ist demokratisch legitimiert und kann (durch Abwahl) zur Rechenschaft gezogen werden. Dennoch sind politische Entscheidungen weit von einem Ideal entfernt. Es bestehen Anreize kurzfristige und „sichtbare“ Folgen überzubetonen. Darum obliegt der Wissenschaft wie auch der Presse, den Medien die besondere Rolle, stets auf längerfristige und weniger sichtbare Folgen hinzuweisen, um somit dem Einzelnen, der Bevölkerung bessere Werkzeuge zur demokratischen Kontrolle zu geben. Die Aufgabe der Politik besteht darin, sich aus allen relevanten Expertisen ein Bild zu schmieden über die Handlungsalternativen und ihre Folgen, um eine optimale Entscheidung zu treffen.            Da niemand in der Wissenschaft Expertisen zu genau jeder speziellen Frage hat, kann die Politik gar nicht an Expertisen gebunden sein und es widerspräche auch demokratischen Grundsätzen, denn jede Stimme sollte gleichviel zählen, nicht die von einigen doppelt!

In der Pandemie haben wir auf der einen Seite gelernt, dass wir aus epidemiologischer Sicht am besten isolierte souveräne Individuen wären, die sich allein in ihre Höhlen zurückziehen. Jeder Mitmensch ist eine potenzielle Gefahr, räumliche Distanz daher die maßgebliche Sozialnorm der pandemischen Gesellschaft. Wir scheinen in unserer Entwicklung weit zurückgeworfen worden zu sein in eine Welt in der, der von einem »anthropologischen Misstrauen« beseelte Thomas Hobbes in seinem berühmten „Leviathan“ vor mehr als 350 Jahren die Notwendigkeit eines (letztlich autoritären) Staats begründet hatte, welcher der Vernunft der Menschen misstraut und sie daher vor ihren Mitgeschöpfen schützen muss. Seinerzeit waren die Mitmenschen als gewaltbereite Waffenträger eine Gefahr, heute als potenzielle Virenträger. Weil er die Fähigkeit hat, uns davor zu schützen, stellt man den Leviathan ggfs. auch von der Bindung an das Recht frei; das notwendige Vertrauen bezieht er paradoxerweise aus dem Misstrauen gegen den Menschen (Thorsten Kingreen, doi.org/10.1515/jura-2020-2602).

Gute und entschlossene Verwaltung kann Gesundheit schützen und Leben retten. »Alles, was der Mensch an Annehmlichkeiten kennt, ist aus der gegenseitigen Hilfe entsprungen. Nächst Gott gibt es nichts auf der Welt, was dem Menschen größeren Nutzen bringt als der Mensch selbst« (Hobbes). Staatlich verordnete Einsamkeit negiert die Sozialität des Menschen, der, gerade weil er soziales Wesen ist, Rücksicht auf seine Mitmenschen nimmt. Autoritäre Ideen und Maßnahmen fallen auf fruchtbaren Boden, sobald sich Menschen existentiellen Gefahren ausgesetzt sehen, deren Ausmaß ihre Vorstellungskraft übersteigt. In der Corona-Krise wird nicht nur hinter vorgehaltener Hand geraunt, autoritäre Regime, die nicht auf lästige demokratische Spielregeln Rücksicht nehmen müssen, kämen doch viel besser mit dem Virus zurecht als die zaudernden Rechtsstaaten. Besondere Anziehungskraft hat daher auch die Alarmvokabel des Ausnahmezustands, in dem die Regeln des Normalzustands um der Effektivität des Schutzes vor der Gefahr willen suspendiert sein müssen (Thorsten Kingreen, doi.org/10.1515/jura-2020-2602).

Frage: Aber was ist noch normal und was die Ausnahme; wer bestimmt darüber und über die dann irgendwie anderen Regeln?

Ein kleiner Exkurs in die Tierwelt: Was können wir von Ameisen lernen?

Sich trotz Fieber und Husten zur Arbeit zu schleppen ist nicht gesund für einen selbst und nicht für andere, die sich im schlimmsten Falle anstecken — das weiß spätestens seit 2020 jeder Mensch. Ameisen haben das seit 130 Millionen Jahren verinnerlicht; da lebten noch die Dinosaurier. Seitdem isolieren sie sich wenn sie krank sind. Und seitdem meiden die Ameisen im Außendienst, die einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind, den Kontakt zu ihren Kolleginnen im Innendienst, zur Brut und zur Königin. Wer heute durch einen Wald geht wird keinem Dinosaurier begegnen — Ameisen schon! Sie verstehen also etwas vom Überleben. Sie folgen einem ähnlichen Credo wie die Musketiere: Einer für alle, alle für die Kolonie.

Was für Tiere selbstverständlich ist, führt zu einer Erkenntnis, die in den letzten Monaten auch in den menschlichen Fokus geraten ist: Was alle tun hat Auswirkungen für mich — was ich mache (oder nicht) hat Auswirkungen auf alle. Individuelles Verhalten hat kollektive Konsequenzen.

Der Ansatz des zweckorientierten Denkens kommt dem Bereich Public Health sehr nahe. Die Daten, auf die man sich bei der Abwägung von Nutzen, Schaden und Kosten bestimmter Maßnahmen (z.B. in der aktuellen Krisensituation) beruft, stammen in der Regel aus epidemiologischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Studien. Ein problematischer Aspekt des Utilitarismus ist, dass hier nur das Wohlergehen der Mehrheit berücksichtigt wird, wodurch das Wohlergehen des Individuums vernachlässigt wird (vgl. Eggert et al. 2017). Drastische Maßnahmen sind nämlich nicht grundsätzlich abzulehnen. Sie dürfen in Extremsituationen gegeneinander abgewogen werden und die Entscheidung für oder gegen eine Maßnahme muss für den Menschen positiv ausfallen, indem sie dem Prinzip der Nützlichkeit am meisten entspricht. Wie umfangreich und schwierig es ist, diese „Nützlichkeit“ zu definieren, wird bei der Betrachtung folgenden Beispiels ersichtlich:

Angenommen die Reproduktionsrate des Virus in Österreich steigt wieder an. Es müssen nun verschärfte Maßnahmen ergriffen werden, die noch stärker in die individuelle Freiheit der Menschen eingreifen als die aktuellen Einschränkungen. Auf der anderen Seite ist diese Maßnahme Voraussetzung für eine Entlastung des Gesundheitssystems und damit für die Sicherung der medizinischen Kapazitäten für COVID-19-PatientInnen.

Welches Vorgehen ist in diesem Fall „nützlicher“? Die Weiterführung der gelockerten Maßnahmen oder die verstärkten Maßnahmen zur Einschränkung jeglicher individueller Freiheiten?

Es wird deutlich, dass allein die Begriffe „Glück“ und „Nützlichkeit“ sehr unterschiedlich ausgelegt werden können. Auch ist ersichtlich, dass je größer die Anzahl an Informationen über die Gesellschaft ist, die Abwägungen umso komplizierter werden, wird das Einbeziehen aller Informationen vorausgesetzt.

Der Kontext, in dem sich das beschriebene ethische Dilemma während der Corona-Krise befindet, ist die Public Health-Ethik. Denn im Gegensatz zu einer Ethik im Gesundheitswesen in der Individualmedizin geht es primär um das Ziel, mit Blick auf die gesamte Bevölkerung sowie auf einzelne bestimmte Bevölkerungsgruppen, die ethisch vertretbaren Maßnahmen der Prävention einer COVID-19-Infektion und der Versorgung zu definieren (vgl. Egger et al. 2017).

Die eigene Befindlichkeit als Maßstab für die Gesellschaft

Interessant dabei ist ja, dass das Hohelied des Individuums heute quer über das politische und gesellschaftliche Spektrum hinweg gesungen wird – von linken Esoterikern bis hin zu wirtschaftsliberalen Denkern und Politikern. Letztere wissen ja schon seit Adam Smith, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist und die egoistische Verfolgung der eigenen Ziele immer auch segensreich für die Gesellschaft als Ganzes wirkt. In den letzten Jahren haben die sozialen Medien wie ein Brandbeschleuniger für die um sich greifende Ich-Gesellschaft gewirkt. Selbstoptimierung und die öffentliche Darstellung des optimierten Selbst ist nicht nur Sache von Social-Media-Stars. Wir alle sind heute Influencer. Außerdem haben wir uns durch Facebook, Instagram und Twitter angewöhnt, unsere persönlichen Befindlichkeiten zum Maßstab dafür zu machen, was in einer Gesellschaft gedacht, gesagt und getan werden soll – und uns in Filterblasen eingeschlossen, in denen unser persönliches Weltbild bitteschön nicht mehr in Frage gestellt wird (Christoph Elsenschink; 18.03.2020).

Wir brauchen Fakten und evidenzbasierte Informationen, die von den Medien neutral und verständlich an die Bürger weitergegeben werden, damit diese eine Entscheidung treffen können um nicht blind wie Schafe einer Autorität folgen zu müssen, sondern als „Held-in“ freiwillig solidarisch handeln.

Der Aufklärer Immanuel Kant gründete seine Philosophie auf vier Fragen. Zwei davon lauteten: Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Nun: Denkt jetzt weniger an euch und hofft darauf, dass das so bleibt, wenn das Coronavirus einmal Geschichte sein wird.

Thomas von Aquin meint dazu „Es ist unmöglich, dass ein Mensch gut sei, außer er stehe im rechten Bezug zum gemeinen Wohl“.

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf meine Arbeitswelt aus?

Nach Schockstarre und pseudo-systemrelevantem Zwangsaufenthalt/-Arbeit im Büro die Ruhe genossen und effektiver gearbeitet, da keine Störungen.

Woran arbeite ich?

Nach 20-jähriger Forschungstätigkeit in einer großen Pharma-Firma (3 Jahre) und an Universitäten (17 Jahre) bin ich vor 10 Jahren in den  Technologietransfer (TTO) der MedUni Wien gewechselt. Das TTO ist Meldestelle für Diensterfindungen, zuständig für das Patent- & Lizenz-Management der MedUni Wien und bildet die Schnittstelle zwischen den WissenschaftlerInnen der MedUni Wien und der Wirtschaft. Ziel der MedUni Wien ist es, die Ergebnisse der universitären Forschung bestmöglich zum Wohle der Gesellschaft und des medizinischen Fortschrittes zu verbreiten. Darüber hinaus fördert die MedUni Wien die Patentierung und wirtschaftliche Verwertung ihrer Forschungsergebnisse, um zusätzliche Finanzierungsquellen für die Forschung generieren zu können. 

Ich habe vor fast dreißig Jahren im Fach molekulare Virologie (Erforschung von Retroviren, HIV; HTLV 1) promoviert. Dreißig Jahre! Was hat sich inzwischen getan? Welche Erkenntnisse hat man dazugewonnen, oder eben nicht, sodass es passieren konnte, dass wir dermaßen von Covid-19 überrascht wurden.

Dafür gibt es mehrere Gründe:

1.) Pharmafirmen haben ihre Forschungsaktivitäten aus Kostengründen ausgelagert und „bedienen“ sich bei den Universitäten, die in Österreich erst in den letzten 10 Jahren lernten, ihr Wissen auch zu vermarkten (Frage, ist das der Sinn und Zweck einer Uni?).

Durch 2.) viel zu wenig Budget für Forschung und Bildung sind die Unis gezwungen, Drittmittel einzuwerben (MedUni Wien: 102,7 Mio Drittmittel, 400 Mio vom Staat) und Einnahmen aus Lizenzen zu lukrieren.

Was hat das zur Folge?  Es werden vor allem jene Krankheiten erforscht, deren Behandlung/Diagnose Gewinne einbringen. Es werden auch Krankheiten generiert (Cholesterinnormwerte, die sukzessive niedriger werden). D.h. Forschung betreffend seltener Erkrankungen und Erkrankungen, die vor allem in nicht zahlkräftigen Ländern auftreten, sowie Grundlagenforschung werden nicht mehr betrieben, da keine Einnahmen zu erwarten sind.

 Also, wer bitte möchte an Coronaviren forschen, wenn dafür kein Geld zu holen ist?

Plötzlich (jetzt)  gibt es viel Geld/staatl. Förderungen, um klinische Studien und andere Covid- 19-Forschungsprojekte zu finanzieren: alleine die MedUni Wien hat zur Zeit über 100 Projekte laufen (im Wert von mehreren Mio €).

Gesellschaftliche Aspekte:

– Investition in Bildung und Forschung ist unpopulär (in den letzten  Jahren Verbesserung)

 -„Prostitution“ der Wissenschaftler, um ihre Gehälter zumindest für einige Jahre, zu gewährleisten

Das Ansehen der Wissenschaft in der Gesellschaft muss gestärkt werden: jetzt einmalige Chance:

 Der Gesamtösterreichische Universitätsentwicklungsplan 2019–2024 Wien, Oktober 2017, Systemziel 2: Stärkung der Grundlagenforschung

Umsetzungsziele: a) Die Universitäten bleiben Hauptträgerinnen der Grundlagenforschung in Österreich. Universitäten, deren Ausgaben für Forschung und experimentelle Entwicklung 2015 64% aller F&E-Ausgaben für Grundlagenforschung in Österreich ausmachten (insgesamt zeichnen die Universitäten für 21% aller Ausgaben für F&E verantwortlich).

Die Medizinische Universität Wien  ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit fast 8.000 Studierenden ist sie weltweit eine der größten und bundesweit die mit Abstand größte medizinische Ausbildungsstätte. Mit ihren 26 Universitätskliniken, zwei (Stichtag 1.1.2020) klinischen Instituten, zwölf medizintheoretischen Zentren und zahlreichen hochspezialisierten Laboratorien, zählt sie auch zu den bedeutendstenSpitzenforschungsinstitutionen Europas im Life Science Bereich.5800 Angestellte, 630.000 Patienten.

Was können wir tun?

Lobbying für Stärkung der Unabhängigkeit der Wissenschaft, größeres Budget, Bewusstseinsbildung

Forschungs- und Technologiebericht 2019

Achtung: Fördergelder (FFG) fließen erst recht wieder in Unternehmen (KMU)

Und welche Zeit haben wir jetzt?

20´´ Pause

Was ist nun los? Hat es ihr die Sprache verschlagen? Die Zeit verrinnt!

Nun, das waren gerade einmal 20 Sekunden. Aber vielen ist es sicher viel länger vorgekommen. Womit wir gleich beim ersten Merkmal der Zeit wären. Sie ist relativ.

Großvater pflegte zu sagen: „ Das Leben ist erstaunlich kurz. Jetzt in der Erinnerung drängt es sich mir so zusammen, dass ich zum Beispiel kaum begreife, wie ein junger Mensch sich entschließen kann, ins nächste Dorf zu reiten, ohne zu fürchten, dass – von unglücklichen Zufällen ganz abgesehen- schon die Zeit des gewöhnlichen, glücklich ablaufenden Lebens für einen solchen Ritt bei Weitem nicht hinreicht“ dieser Ausspruch von Franz Kafka in „Ein Landarzt“, steht stellvertretend für unser Gefühl, unsere Wahrnehmung, dass die Zeit so unterschiedlich vergehen kann.

Schon in der Antike unterschied man die messbare Zeit von der gefühlten und wies ihnen zwei Gottheiten zu: Chronos und Kairos. (siehe auch Stangl, 2019).

Gott Chronos findet in unserer Sprache Verwendung in den Begriffen Chronologie, Chronometer oder auch chronisch und steht für das Verstreichen der Zeit, einem Zeitverlauf, für den Abschnitt von Beginn bis Ende. Er drückt sich aus in der Natur vom Aufblühen bis zum Verwelken, in der Lebenszeit der Menschen oder dem Bestehen des Universums seit dem Urknall. Ähnlich wie wir unsere Zeit oft beurteilen, war auch der Gott Chronos grausam, hart, quälend.

Zeus jüngster Sohn Kairos steht für den rechten Augenblick, den Moment. Niemand weiß, wann er wo sein wird und ist er da, ist er auch schon wieder weg. Ganz markant ist sein Haarschopf und sein kahler Schädel, sowie das messerscharfe Rasiermesser in seiner Hand. Durch Kairos wurde die Redewendung geprägt „Die Gelegenheit am Schopfe packen“, was bedeutet, dass man vorbereitet sein sollte für den rechten Augenblick, dann kann man zugreifen oder wenn nicht zeitig genug zugegriffen am kahlen Hinterkopf abrutschen. Kairos gibt der Zeit eine völlig neue Dimension. Er verleiht ihr Tiefe, eine Qualität. Mit Mut und Entscheidungsfreude, geht man ins freudvolle Handeln. Geht ein Risiko ein, irrt, sammelt Erfahrung, übernimmt Verantwortung für sich, den Gedanken und Gefühlen, dem eigenen Leben. In Kairos und somit dem rechten Augenblick, dem verantwortlichen mutigen Handeln, liegt der Schlüssel zum Glück. (Anita Schmitt)

Ich habe mir die Zeit genommen, einige meiner Tätigkeiten in „Echtzeit“, damit meine ich, die Zeit, die Uhren messen zu berechnen. Was aber messen Uhren? Sie geben Antwort auf die Frage nach der Position von Ereignissen auf einer Skala, es geht also um den Zeitpunkt und die Dauer eines Geschehens, zB. Sand, der durch die Sanduhr läuft. Womit früher die Zeit doch recht genau gemessen werden konnte. Heute wird die Zeit mit Atomuhren gemessen, was auch der Anlass war die Definition der Zeiteinheit über atomare Vorgänge zu geben: Seit 1967 ist eine Sekunde als das 9 192 631 770-fache der Periodendauer der Strahlung definiert, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes des Cäsium133- Atoms entspricht. Daher wird sie als Atomsekunde bezeichnet.

Unter dieser Definition kann ich mir nicht wirklich etwas vorstellen, bzw. sie nachvollziehen. Da ist mir die „alte“ Sonnensekunde wohl geläufiger (bis in die 1950er Jahre): Der Bruchteil, nämlich 1⁄86 400 des mittleren Sonnentages. Diese Festlegung wurde eingeführt, damit ein durchschnittlicher Sonnentag 24 · 60 · 60 Sekunden lang ist.

Zurück zu meinen Berechnungen (bezogen auf 50 Lebensjahre, der einfachen Rechnung halber) wofür ich bis jetzt wieviel Zeit aufgebracht habe und wie ich sie wahrnahm:

Als die Zeit im Flug verging: Kino, Theater: 7 Monate; spielen: 6 Monate; Tagträumen: 3 Monate; interessante Gespräche führen: 7Monate; TV: 2 Jahre (gesamt 4 Jahre); Arbeiten: 3,5 Jahre (gesamt 4,5 Jahre), Essen: 1 Jahr (gesamt 2 Jahre).

Als die Zeit stehenblieb: Küssen: 200 Stunden; Autounfall: 10 Sekunden; Schlafen: 16 Jahre (wo bin ich denn da und wie lange? darauf werde ich später noch kurz eingehen)

Als die Zeit nicht und nicht verging: Auto-, Bahnfahrten: 2 Jahre; Warten auf irgendwen oder – was: 125 Tage; TV: 2 Jahre (gesamt 4 Jahre); Arbeiten: 1 Jahr (gesamt 4,5 Jahre); Essen: 1 Jahr

(gesamt 2 Jahre)

Wenn wir im Alltag auf die Zeit achten, dann scheint sie mal an uns, bzw. mit uns vorbeizurasen, mal zieht sie sich in die Länge

Hier eine der physiologischen Erklärungen dazu:

Je mehr man erlebt und sich daran auch erinnern kann, desto länger kommt einem eine Zeitspanne später vor. Ein abwechslungs- und ereignisreicher Urlaub erscheint daher länger als der gleiche Zeitraum in der Monotonie des Alltags. So vergeht das Leben für uns subjektiv wohl auch deshalb immer schneller, weil wir – verglichen mit Kindheit und Jugend – im Lauf des Älterwerdens immer weniger neuartige Erlebnisse haben und die Routine des immer Gleichen zunimmt.

In Schrecksekunden tritt ein Zeitlupeneffekt ein, bei dem sich die Abläufe scheinbar verlangsamen. Das ist durch das stark erhöhte Erregungsniveau des Körpers in einer „kämpfe oder flüchte „-Situation bedingt, wodurch physiologische und mentale Vorgänge vergleichsweise schneller ablaufen; der ganze Organismus ist auf eine möglichst rasche Überlebensreaktion ausgerichtet (Hudson Hoagland). Man nimmt an, dass das Auge in derselben Zeiteinheit mehr Einzelbilder „aufnimmt“ und dadurch die Zeit gedehnt wird.

Wir kennen dieses Phänomen auch wenn wir Fieber haben. Unsere innere Uhr läuft durch die erhöhte physiologische Aktivität beim Fieber schneller ab, was die Zeit subjektiv betrachtet dehnt.

Über diese physiologischen Vorgänge (neuronale Aktivität, die in der vorderen Inselrinde kulminiert, sowie über nachgeschaltete Hirnareale wie dem anterioren zingulären Kortex in der Mittellinie des Gehirns, die physiologische und Verhaltensreaktionen anstoßen) , entsteht demnach ein Ich, das sich seiner selbst und seiner Präsenz in Zeit und Raum bewusst ist. Dieses gefühlte Ich ist untrennbar verbunden mit den sich verändernden Körperzuständen und damit dem Gefühl des Zeitverlaufs. Die Ich-Vorstellung und das Zeit-Erleben gehen somit Hand in Hand: Eine intensivere Ich-Wahrnehmung läuft mit dem Gefühl eines langsameren Zeitverlaufs parallel; ein weniger ausgeprägtes Ich-Empfinden korrespondiert mit einer erlebten Beschleunigung des Zeitverlaufs. (Marc Wittmann)

Verschiedene Bewusstseinszustände verdeutlichen diese Zusammenhänge:

So sind wir in der Langeweile des Wartens ganz auf uns zurückgeworfen und spüren uns selbst intensiv – und die Zeit will einfach nicht vergehen.

Anders das so genannte Flow-Erleben: Bei ihm führen stark fordernde Tätigkeiten, die sich aber mit den eigenen Ressourcen bewältigen lassen, zu beschleunigtem Zeitempfinden. Beispiele sind etwa das Musizieren, Schreiben eines Textes, oder Basteln. Die Absorption in der Beschäftigung reduziert die Ich-Wahrnehmung stark, und neben ihr verliert sich auch das Zeitgefühl. (Marc Wittmann)

Der Schlaf und Halluzinogene lassen Zeit und Ich verschwinden.

Der Philosoph Heraklit konstatierte: Die Wachen/Munteren haben eine einzige gemeinsame Welt, im Schlaf wendet sich jeder der eigenen zu, und ich ergänze: bei unseren Arbeiten zwischen Hochmittag und Hochmitternacht wenden wir uns unserer freimaurerischen Welt, dem inneren Licht zu.

Die Zeit und das Bewusstsein, diese Geschwister, die ohne einander nicht sind und sein können. Denn wer würde denn über Zeit philosophieren und nachdenken, wenn nicht unser Ich UND wo wäre denn unser ICH ohne Zeit, ohne Anfang und Ende, Geburt und Tod?

Dieser Erkenntnis, so neu sie auch nicht ist, gewahr, ist es nun mein Plan, meinen Alltag mit vielen neuen Handlungen zu spicken. Die vielzitierte Achtsamkeit führt dann zur ebenso viel zitierten Entschleunigung und dies wiederum zu einer mir subjektiv langsam vergehender Lebenszeit. Womit wir beim Zeit gewinnen wären:

Der Aufruf: Carpe diem soll dieses Wertschätzen der uns nur endlich zur Verfügung stehenden Zeit in Erinnerung rufen.

Gewinne ich Zeit, wenn ich entschleunige, also das Gegenteil von beschleunige, demnach bremse?

„Die Zeit verweilt lange genug für denjenigen, der sie nutzen will“ meinte schon Leonardo da Vinci. Soll ich nun verweilen, bremsen, die Zeit dehnen? Denn es gibt doch Wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen, sagte schon Mahatma Gandhi.

Ein Widerspruch unserer Zeit, unserer Gesellschaft ist unter vielen anderen genau dieser: Einerseits ist das Handeln pro Zeiteinheit, die Effizienz, das Maß aller Dinge. Andererseits wird viel über das vorher erwähnte Entschleunigen berichtet und in diversen Lebensratgebern der Wohlstandsgesellschaft als DIE Erkenntnis für ein glücklicheres Leben dargestellt.

Wir haben alle 24 Stunden Zeit. Jeden Tag. Das ganze Jahr. Unser ganzes Leben lang. Es geht also nicht darum, wie wir mehr Zeit gewinnen können, sondern vielmehr darum, was wir aus diesen 24 Stunden neben Schlafen und gelegentlich Essen tun. Statt „Ich habe keine Zeit“ sollte ich lieber „Ich habe Zeit für andere Dinge“ sagen. Damit bin ich Herrin meiner Zeit.

Manchmal lasse ich mir einfach bewusst noch eine Minute länger Zeit. Tick tack

Jetzt habe ich noch gar nicht über den physikalischen, philosophischen oder gar den maurerischen Aspekt gesprochen, wiewohl alle miteinander verknüpft sind.

Denn ein maurerische Symbol, der 24-zöllige Maßstab leitet uns an, über die Zeit nachzudenken und den Tag bewusst und weise zu planen. Er symbolisiert die 24 Stunden (schöne Primzahlzerlegung und glz. Produkt der ersten natürlichen Zahlen 1x2x3x4=24) des Tages die der Maurer folgendermaßen einteilen soll:

Sechs Stunden zur Arbeit, sechs Stunden um Gott zu dienen, sechs Stunden um einem Bruder oder Freund zu dienen, soweit es in seinen Kräften steht und sechs Stunden zum Schlafe.

Dies wiederum auf die heutige Zeit umgelegt entspricht einer Einteilung der Wachzeit in drei Abschnitte: Arbeitszeit, Sozialzeit –die Zeit mit Familie und Freunden – und Individualzeit –die Zeit mit sich selbst.

Natürlich soll diese Zeiteinteilung symbolisch begriffen werden. Sicherlich ist damit nicht eine pedantische Zeiteinteilung unseres Tagesablaufs gemeint. Wir sollten damit vielmehr darauf hingewiesen werden, für alles ein rechtes Maß zu pflegen und die Dinge zur rechten Zeit in angemessener Qualität zu tun. Sowohl im Ritual, also auch zu den gemeinschaftlichen Abenden und Vorträgen ruft uns der Meister zur Arbeit. Diesem Aufruf sollten die Maurer auch nachkommen und pünktlich ihre Arbeit aufnehmen.

Ich weiß ja nicht, inwieweit eure Zeiteinteilung weise ist, meine muss definitiv noch verbessert werden. Zuviel Arbeit, zu wenig Zeit für Familie und Freunde und viel zu viel Zeit „verschwendet“ mit TV! Nichts Neues, aber allein dieses Wieder-Bewusstmachen, Zeit-Prioritäten neu zu setzen war es wert dieses Baustück zu erarbeiten.

Ein weiterer Aspekt, der mir immer bewusster wird: Es kommt nicht auf die Menge der erledigten Aufgaben an, sondern auch, wie bewusst ich sie erledige, erlebe und wertschätze. Das gilt in der Arbeit genauso, wie für den Augenblick, wenn ich morgens das Schlafzimmerfenster öffne und mehrmals tief durchatme. Ich bemühe mich den Dingen die Zeit, die sie brauchen, zu geben.

Und welche Zeit haben wir jetzt?

Halbzeit des Baustücks? Profan: 20:02? Weltenkritisch: 5 vor 12? Maurerisch: 6019 (oder doch eher 6023?), bzw. HochNACHmittag?

Nun gut, mit der Jahreszahl 6019 kann ich schon etwas anfangen, aber bitte was bedeutet denn Hochmittag? Ziemlich sicher nicht highnoon. Obwohl – eine Definition gefällt mir: erfolgreichster, aufregendster Zeitabschnitt, Höhepunkt einer Periode. So soll unsere Arbeit doch sein.

Die Übersetzung indes lehrt: es lautet korrekt: High twelve.

Die Definition im Freimaurer-wiki: Der Begriff „Hochmittag“ wird im englischen Ritual folgendermaßen gegeben: „Da die Erde sich ständig um ihre Achse und um die Sonne dreht, und die Freimaurerei allgemein über ihre Oberfläche verbreitet ist, so folgt daraus, dass die Sonne immer in ihrem Meridian in Beziehung zur Freimaurerei sein muss.“

Die symbolischen Arbeiten vollziehen sich in zeitlicher Ausdehnung von Hoch-Mittag bis Hoch- Mitternacht. Damit ist der Sonnenlauf der symbolische Rahmen für den zeitlichen Ablauf der zeremoniellen Handlung. Ein also nicht näher definierter, nicht abgegrenzter, sich je nach Stand- Gesichtspunkt und Erkenntnis ausdehnender, wachsender Zeit-Raum. Ein Heraustreten aus der realen Zeit in eine Dimension, in der das Wirklichkeit wird, was nie geschieht und immer ist.

Diese Dimension wird von jeder unserer maurerischen Gemeinschaften bei jeder Feier geschaffen, wenn sie sich auf sich selbst, ihren Charakter und ihre Aufgaben besinnen und unserem Sein einen übergreifenden Sinn geben möchte.

Ich soll meine befristete Lebenszeit rechtschaffen einteilen und sie bestmöglich nutzen. „Meine Arbeit gelingt nur dann, wenn sie zur rechten Zeit geschieht und das klarste Licht des Mittags meinen Werkplatz erhellt“.

Aber, bei all dieser vernünftigen Zeiteinteilung und –nutzung, sollte auch Platz bleiben für genussvolles Verweilen, Spontanität, Offenheit für flexible Zeitrochaden, eine sinnvolle Zeitverschwendung. Denn sonst kommen wir, also ich zumindest, wieder in die Alltagszeitspirale, die mein Leben im Sauseschritt (und nicht in „Saus und Braus“) vorbeizischen lässt.

Denn und das muss hier auch erwähnt werden, die Zeit unterscheidet sich von den anderen Dimensionen (Oben/Unten, Links/Recht, Vorne/Hinten) grundsätzlich, da sie nur in eine Richtung geht. D’ Alembert schrieb 1754 in Diderots berühmter Enzyklopädie unter dem Stichwort „Dimension“, lange vor Einsteins vierdimensionaler Raumzeit: „Ein schlauer Bekannter von mir glaubt, dass man eine Zeitspanne als vierte Dimension betrachten kann; diese Idee mag man kritisieren, aber sie besitzt meiner Ansicht nach einen gewissen Wert, und sei es, dass sie neu  ist“.

Keine Umkehr ist möglich. Keine Zeitreise. Ein herunterfallendes Glas zersplittert und die Splitter setzen sich nicht wieder zum Glas zusammen: das ist die unumkehrbare Gerichtetheit eines Vorgangs, von der Unwahrscheinlichkeit einer gegebenen Ordnung zur Wahrscheinlichkeit ihrer Auflösung, der Entropie (Rüdiger Safranski).

Der Zeit wohnt also eine Richtung inne, durch welche sich die Vergangenheit von der Zukunft unterscheidet.

Sehr schön ist das von Friedrich Schiller in Worte gefasst worden:

Dreifach ist der Schritt der Zeit:

Zögernd kommt die Zukunft hergezogen, Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,

Ewig still steht die Vergangenheit.

Unser Leben wird immer mehr von der Zeit bestimmt, von einer Zeit, die unser Leben einteilt, unsere Verfügbarkeit diktiert, die immer knapper wird und nicht zuletzt immer globaler. Aber nicht nur die Simultaneität der Weltzeit bestimmt unser Denken, wenn wir zum Beispiel an die Bewegungen der internationalen Märkte denken.

An dieser Stelle kam mir in den Sinn mich mit der Zeit, in der wir gerade leben, auseinanderzusetzen. Allerdings stürmten so viele Gedanken gleichzeitig auf mich ein: wie Werteverlust, Nationalismus, Klimawandel, Wohlstandsverwahrlosung, Turbokapitalismus, (Plastik)-vermüllung, künstliche Intelligenz, Asylpolitik, Digitalisierung, Umweltschutz, Bevölkerungsexplosion. Dies wären Themen für mindestens 10 weitere Baustücke.

So bleibe ich heute doch bei der Zeit als solcher.

Es ist uns schon seit einiger Zeit bewusst geworden, dass man mit der Zeit ein besonderes Problem hat: Anders als der Raum, der sich in aller Stille betrachten und vermessen lässt, hat die Zeit die unangenehme Eigenschaft, ihre eigene Betrachtung zu unterminieren. Wie der Meisterdenker des Deutschen Idealismus Hegel schon feststellte, vergeht Zeit, während wir über sie nachdenken. Man kann nicht sagen: „jetzt“, denn schon ist das gegenwärtige „jetzt“ zum vergangenen „jetzt“ geworden. Die subjektiv erlebte Gegenwart umfasst z.B.in der Physiologie eine Zeitspanne von 2,7 sec. Die Schwelle, ab der zwei Ereignisse als getrennt erkannt werden (Fusionsschwelle), ist vom jeweiligen Sinnesorgan abhängig. So müssen optische Eindrücke 20 bis 30 Millisekunden auseinander liegen, um zeitlich getrennt zu werden, während für akustische Wahrnehmungen bereits 3 Millisekunden ausreichen (Gerstbach).

Wie können wir das Jetzt erfassen? „Die Physik hat keine Begriffe, keine Methoden, um diesen unendlich kurzen Moment zwischen Vergangenheit und Zukunft zu beschreiben“, so der Physiker Gernot Münster. „Sie möchte allgemeingültige Aussagen treffen. Die Zukunft liegt offen vor uns, die Vergangenheit unveränderlich, wie ‚gefroren‘, hinter uns. Der Moment des Gefrierens aber hat sich im Augenblick der Beschreibung schon wieder verändert.

Andere Kulturen haben eine ganz andere Zeitauffassung. Würden wir Hopi-Indianer aus Nordamerika fragen, stießen wir mit unserer Zeitreihung auf Unverständnis: »Vergangenheit« und »Zukunft« kommen in ihrer Sprache nicht vor (Benjamin Lee Whorf). Wie viele andere Bauernkulturen leben die Hopi in einer praktisch zeitlosen Welt. Ihr Tageslauf ist an die natürlichen Erscheinungen gekoppelt, und so wie die Jahreszeiten sich wiederholen, wiederholt sich auch die Zeit. Jahreszahlen sind unbekannt und natürlich auch Bezeichnungen für kleinere Intervalle wie Minuten oder Sekunden. Die Sprache der Hopi enthält keinen Verweis auf die Zeit, weder explizit noch implizit, sie leben in einem Zustand des immer währenden Jetzt.

Das Jetzt »verdunstet« auf unendlich kleinem Raum und in unendlich kurzer Zeit. Vielleicht hatte Albert Einstein dies im Sinn, als er sagte: »Der Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist eine Illusion, wenn auch eine hartnäckige. « Zen-Meister Seppo formuliert diese Einsicht so: »Wenn du wissen willst, was Ewigkeit bedeutet – sie ist nichts weiter als eben dieser Moment. Wenn du sie nicht in diesem gegenwärtigen Moment erfassen kannst, wirst du sie nie erhaschen.«

So komme ich als leidenschaftliche Naturwissenschaftlerin auch nicht ohne Bemerkungen zur Relativität der Zeit umhin. Sehr einfach erklärte der Meister der Relativität, Albert Einstein, ebendiese: „Zeit hängt von der Bewegung ab. Draußen fällt ein Fahrrad um, hinten platzt ein Schlauch im Garten. Für den, der mittendrin sitzt, passiert das gleichzeitig. Für jemanden, der mit 30 Kilometern pro Stunde vorbei fährt, fällt erst das Fahrrad um, dann platzt der Schlauch. Das ist Relativität“.

Mit anderen Worten: Der Ablauf der Zeit, genauer gesagt der Gang von Uhren, hängt davon ab, wie sich der Beobachter und die Uhr relativ zueinander bewegen. Eine Uhr, die sich relativ zu uns mit einer gewissen Geschwindigkeit bewegt, geht langsamer als eine ruhende Uhr. Hält Laufen daher jung? Ja, aber nicht wegen der Relativität J, außer ich bewege mich mit Lichtgeschwindigkeit.

Die Relativität der Zeit wird gerne im so genannten Zwillingsparadoxon veranschaulicht: Ein Zwilling verlässt die Erde in einem Raumschiff, welches mit hoher Geschwindigkeit ins Weltall fährt und nach ein paar Jahren wieder zurückkehrt. Während der auf der Erde verbliebene Zwilling zum Greis gealtert ist, entsteigt dem Raumschiff seine deutlich weniger gealterte Schwester. Zwar liegt die Realisierung dieser Geschichte weit außerhalb der heutigen Möglichkeiten, der Effekt wurde jedoch mit Hilfe von Atomuhren in Flugzeugen experimentell bestätigt. Für gewöhnliche Geschwindigkeiten ist der Effekt natürlich äußerst gering. Der Faktor, um den eine bewegte Uhr langsamer geht, beträgt für einen Radfahrer 1 Sekunde in 200 Millionen Jahren. Erst bei Geschwindigkeiten, die mit der Lichtgeschwindigkeit von 300.000 km/sec vergleichbar sind, wird der Effekt nennenswert.

.Die aus der Relativitätstheorie folgenden Effekte sind keineswegs esoterische Phantasiegebilde der Wissenschaftler, sondern spielen in vielen Bereichen der heutigen Physik und Technik eine Rolle. Als Beispiel sei das GPS (Global Positioning System) genannt. Ohne Berücksichtigung der Relativitätstheorie würde sich in den GPS-Geräten täglich ein Fehler von 10 km aufsummieren.(Gernot Münster).

Die Fülle der Antworten auf die Frage „Nun was ist ‚Zeit‘, hat unermesslich zugenommen, und dennoch sind wir so ratlos wie zuvor: ja, je weiter wir in das Geheimnis der Zeit einzudringen scheinen, umso mehr wird das Phänomen zum Rätsel.

Insofern ist es kein Wunder, dass die Philosophie seit über 100 Jahren vom Thema der Zeit fasziniert ist, genauer, dass sie versucht, den allmächtigen Seinsfaktor Zeit neu und angemessener zu bestimmen. Zeit vergeht, aber sie dauert auch an: Ein Paradox, das der französische Philosoph Henri Bergson zu seinem Untersuchungsfeld gemacht und beschrieben hat. Zur Veranschaulichung dieses Fließens der Zeit greift Bergson gern zu einem musikalischen Beispiel, der Melodie. Auch bei ihr hören wir einzelne Töne, aber erst im Verschmelzen erkennen wir die Melodie.“

Bei Kant hingegen war die Zeit a priori gegeben, demnach von der Erfahrung unabhängig („Kritik der reinen Vernunft“,1781). Die moderne Physik jedoch lehrt uns, dass Zeit unauflöslich mit dem Raum verbunden ist. Daher muss sie genauso wie der Raum erfahren werden.

Naturwissenschaftler pflegen sich oft unbefangener auszudrücken. Der Physiker John A. Wheeler hat die Zeit gerne so charakterisiert, wie er es in einem Graffito in der Herrentoilette des Old Pecan Street Cafe in Austin, Texas, 1976, fand: „Zeit ist die Methode der Natur, zu verhindern, dass alles auf einmal passiert! (Time is nature’s way to keep everything from happening all at once.“)

„Du musst die Veränderung sein, die du in der Welt sehen willst.“, sagte einst Gandhi. Wenn du dir also ein Umfeld wünschst, in dem jeder weniger Stress und dafür mehr Zeit hat, beginne am besten bei dir selbst. Du allein entscheidest, was für dich wichtig ist und wofür du dir Zeit nehmen willst. Alle anderen kannst du ohnedies nicht ändern.

Steve Jobs: Ihre Zeit ist begrenzt, also verschwenden Sie sie nicht damit, das Leben eines anderen zu leben. Lassen Sie sich nicht von Dogmen in die Falle locken. Lassen Sie nicht zu, dass die Meinungen anderer Ihre innere Stimme ersticken. Am wichtigsten ist es, dass Sie den Mut haben, Ihrem Herzen und Ihrer Intuition zu folgen. Alles andere ist nebensächlich.

Thich Nhat Hanh: Unser wahres Zuhause ist der gegenwärtige Augenblick. Wenn wir wirklich im gegenwärtigen Augenblick leben, verschwinden unsere Sorgen und Nöte und wir entdecken das Leben mit all seinen Wundern.

Dalai Lama:  Der Mensch opfert seine Gesundheit, um Geld zu machen. Dann opfert er sein Geld, um seine Gesundheit wieder zu erlangen. Und dann ist er so ängstlich wegen der Zukunft, dass er die Gegenwart nicht genießt; das Resultat ist, dass er nicht in der Gegenwart lebt; er lebt, als würde er nie sterben, und dann stirbt er und hat nie wirklich gelebt.

Werden wir mit der Zeit lernen, wie wir am besten mit der Zeit umgehen? Kommt der Rat weiterhin, wenn die Zeit kommt?

Wird die Zeit weiterhin alle Wunden heilen?

Oder laufen wir weiterhin mit der Zeit um die Wette?

Literatur:

Franz Kafka: Ein Landarzt – Kleine Erzählungen, Vitalis 2007. Stangl, W. (2019). Gehirn und Zeit. werner stangl´s arbeitsblätter

Anita Schmitt, Akademie Heiligenfeld GmbH, https://www.kongress-heiligenfeld.de/chronos- und-kairos-goetter-der-zeit/Hudson Hoagland, amerikanischer Neurowissenschaftler Marc Wittmann, Gefühlte Zeit, C.H Beck Verlag, Aug. 2016

Marc Wittmann, Wenn die Zeit stehen bleibt: Kleine Psychologie der Grenzerfahrungen, C.H Beck Verlag, März 2015

Zitat von Heraklit von Ephesos (Philosoph, Grundthese: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ (Griechenland, 550 – 480 v. Chr.)

Friedrich v. Schiller, Sprüche des Konfuzius

Rüdiger Safranski, Zeit: Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen, Carl Hanser Verlag,2015 ISBN 978-3-446-25011-6

Gernot Münster, Institut für Theoretische Physik, WWU Münster; Was ist Zeit?

Gottfried Gerstbach: Analyse persönlicher Fehler bei Durchgangsbeobachtungen von Sternen in: Geowissenschaftliche Mitteilungen, Band 7, S. 51–102, TU Wien 1975, ISSN 1811-8380.

Henri Bergson: Dauer und Gleichzeitigkeit. Über Einsteins Relativitätstheorie. Hamburg 2015 Philo Fine Arts, Fundus-Bücher 218

Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, Der transzendentalen Ästhetik , Zweiter Abschnitt, Von der Zeit, 1781

Benjamin Lee Whorf , Hopi time controversy, 1936 „An American Indian model of the Universe“