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Geld – Gold – Alchemie und Freimaurerei

Markus J. 30.11.2023

In der profanen Welt dreht sich (fast) alles um das „liebe“ Geld. Es treibt die Menschen an,
bedeutet für sie Energie. Bei den einen schürt es die Gier nach mehr davon, bis vielleicht der
Kollaps gewagter Finanzkonstrukte folgt. Bei anderen löst die laufende Beschäftigung mit
einem zu wenig an Geld nach dem Gesetz der Anziehung noch mehr gefühlten Mangel daran
aus.
Das Wort Geld stammt vom althochdeutschen gelt, das so viel bedeutete wie Entgelt, Zins,
Lohn, Opfer, Einkommen, Wert oder gelten. Bereits Aristoteles erkannte die auch heute
unumstrittenen drei Funktionen des Geldes als Tauschmittel, Wertmesser und
Wertaufbewahrungsmittel.
Für viele bestimmt der Geldbesitz, ob das individuelle Streben nach Freiheit (finanzielle
Unabhängigkeit) und Zufriedenheit, aber auch nach sozialem Einfluss und Macht befriedigt
werden kann. Geld zu bekommen bedeutet Wertschätzung. Menschen sind bereit, für Geld
zu arbeiten; dabei werden sie zu Wettbewerbern und Konkurrenten. Kämpfe und Kriege sind
um Schätze entstanden, und mancher hätte mit einem kleineren Schatz länger gelebt.
Gleichwohl, ob der Schatz in Form von Geld oder wie früher aus Gold besteht.
Gold wird mindestens seit sechs Jahrtausenden vor allem für rituelle Gegenstände und
Schmuck verwendet sowie seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. in Form von Goldmünzen als
Zahlungsmittel genutzt.
Der Goldabbau in Europa war nicht sehr ergiebig und so wurde die Gier nach Gold mit der
Vormachtstellung der europäischen Seemächte Spanien, Portugal, England und Italien zu
einem maßgeblichen Grund für Kriege und Eroberungszüge der Neuzeit. Im 19. Jahrhundert
führten Funde in Kalifornien und Alaska, aber auch in Australien und Südafrika zum
Goldrausch.
Solange die frühe Erde noch keine feste Kruste hatte, ist alles Gold aufgrund seiner hohen
Dichte ins Erdinnere gewandert. Wir finden heute nur noch Gold, das nach der
Krustenbildung durch einen Supernova-Kernkollaps auf die Erde gelangt ist oder durch
vulkanische Prozesse wieder an ihre Oberfläche kam.
Beim Abbau von Gold kommen häufig hochgiftige Chemikalien wie Arsen, Quecksilber und
Zyanid zum Einsatz. Durch Fortschritte in den Gewinnungsmethoden, Vernachlässigung der
Abfallproblematik und bei hohem Marktpreis lohnt sich sogar der Abbau von Erz, das nur ein
Gramm Gold pro Tonne enthält. Alte Abraumhalden ehemaliger Goldvorkommen werden
deshalb mittels verbesserter Technik nochmals aufgearbeitet.
Gold war immer ein knappes Gut und daher heiß begehrt. Es repräsentierte Reichtum und
Macht. Die Hoffnung, Gold künstlich herstellen zu können, wurde daher von vielen Kulturen
über Jahrhunderte gehegt. Dabei entstand unter anderem die Sage vom sogenannten Stein
der Weisen, der von den Alchemisten Gold aus unedlen Metallen entstehen lassen sollte. Die
Alchemie wurde gelegentlich als „künstliche Darstellung von Silber und Gold“ oder schlicht
als „Goldmacherei“ aufgefasst.

Die Herkunft des Wortes Alchemie ist eng mit ihrer geschichtlichen Entwicklung verbunden.
Zu den Grundlagen gehören Astrologie, Magie, Kabbala und Hermetik. Das Wort Alchemie
leitet sich vermutlich vom arabischen al-kimiya ab als Name, mit dem die alten Ägypter ihr
Land bezeichneten bzw. vom griechischen chymeia als Lehre des Schmelzens und Gießens.
Im chinesischen steht kim-lya für Goldmachersaft und kem für Transmutation.
Bereits um 3500 v. Chr. gab es sumerische Metallarbeiter in Mesopotamien, um 3000 v.Chr.
ägyptische Goldschmiede. Im 1. Jh v. Chr. entwickelte sich die chinesische Alchemie mit dem
Taoismus zu Philosophie und Religion. In der alexandrinischen Epoche im 3. Jh. n. Chr., auch
als 1. Blütezeit bezeichnet, entwickelte sich die griechisch-ägyptische Alchemie. Ägypten als
Khem, das „dunkle Land“, steuerte die Technologie über Erfahrungen in Chemie, Metallurgie
und im Färben von Glas bei; weitere Grundlagen bildeten die babylonische Astrologie, die
ägyptische Zauberkunst, die griechische Philosophie und die jüdisch-christliche Mystik.
Im 5. Jh. n. Chr. kommt die arabische Alchemie ins Spiel, 3000 Texte wurden ins Syrische
übersetzt. Im 11. und 12. Jh. werden arabische Texte in Toledo in Latein übersetzt. Ein
holisƟsches Weltbild mit Mikrokosmos und Makrokosmos entwickelt sich und läutet die 2.
Blütezeit ein. Das 12. und 13. Jh. brachte die Ausbreitung der Alchemie in Westeuropa,
ausgehend von den Universitäten in Palermo, Toledo, Barcelona und Segovia.
In der 3. Blütezeit im 17. und 18. Jh. begann die Spaltung der Alchemisten: die einen
beschäŌigten sich mit den naturwissenschaŌlichen Aspekten der Alchemie und begründeten
allmählich die Chemie. Die „spirituellen“ Alchemisten wendeten sich von den
„naturwissenschaftlichen“ Alchemisten ab und den Rosenkreuzern zu, einer Bruderschaft
(„Fraternitatis Rosae Crucis“), die sich frommen Werken wie der Heilung von Kranken
widmete.
Die Alchemie ist natürlich auch mit Namen verbunden. Aus dem alten Ägypten und der
Antike ist zunächst der legendäre Hermes Trismegistos hervorzuheben („dreimalgrößter
Hermes“, weil er auf der Erde, im Himmel und in der Unterwelt (Hades) als König, Priester
und Alchemist wirkte), dessen Name als Gründungsmythos der historisch beispiellosen
Verbindung von chemisch-technischer Praxis und Naturphilosophie gilt. In dieser Gestalt sind
neben unbekannten früheren Alchemisten auch zwei Götterfiguren, der ägyptische Thot, der
Schöpfer der Weisheit und Magie, und der griechische Hermes, der für die Hellenen die
Personifikation allen Wissens und des schöpferischen Geistes war, vereinigt. Hermes
Trismegistos war erster Namensgeber der Alchemie (Hermetische Kunst, ars hermetica) und
wird mit dem allmächtigen Baumeister aller Welten assoziiert.
Weitere Namen aus der Antike sind Empedokles (ca. 490 – 430 v. Chr.), Demokrit (ca. 470 –
380 v. Chr.) und Pseudo-Demokrit, Maria, die Jüdin und Kleopatra, die Alchemistin (ca. 300 –
400 n. Chr.). Aus dem arabischen Kulturkreis ist insbesondere Geber (ca. 721 – 815) zu
nennen, der als Vater der Chemie gilt.
Abendländische Vertreter sind insbesondere Albertus Magnus (Albert von Lauingen; vor
1200 – 1280), Roger Bacon (1214 – 1292/94), Paracelsus (1493 – 1541), John Dee (1527 –
1608), Elias Ashmole (1617 – 1692), Isaac Newton (1643 – 1727; hielt dies zeitlebens
geheim), Robert Boyle (1627 – 1692) und Johann Friedrich Böttger (1682 – 1719).
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Auch Goethe hat sich in seinen jungen Jahren intensiv mit Alchemie und mit „Luftsalz“ und
„Kieselsaft“ beschäftigt.
In die Übergangszeit von der Alchemie zur Chemie im 17. Jahrhundert fiel der Beginn der
spekulativen Freimaurerei. Das Ende der Alchemie kam im 18. Jahrhundert.
Nebst ernsthaften Alchemisten gab es auch Scharlatane und Goldmacher, die Königen und
vermögenden Personen versprachen, Blei und andere unedle Metalle in Gold verwandeln zu
können. Raimundus Lullus machte sich an die Ausarbeitung eines Prozesses zur Gewinnung
des Lapis („Stein der Weisen“) und schreibt 1332 in dem ihm zugeschriebenen
„Testamentum“, er habe in London gelebt und für König Edward III. (1312 – 1377) aus
Quecksilber, Zinn und Blei 60.000 Pfund Gold gefertigt. Dies ist die größte Menge künstliches
Gold, die je von einem einzelnen Adepten (einem Kundigen der Kunst Alchemia) fabriziert
worden sein soll.
Ein weiteres Beispiel ist Rudolf II. von Habsburg, den seine Leidenschaft für die Alchemie in
den Ruin trieb.
Die Goldmacher waren, wie die meisten Hochstapler, von einnehmendem Wesen, mit der
Hofeetikette vertraut, kultiviert und gebildet. Ob jemand sein Vermögen damals an einen
Goldmacher oder heute an einen sogenannten Finanzinvestor verliert, ist letztlich völlig
gleichgültig.
Eine Definition der Alchemie mit einem Wort wäre Transmutation. Damit meinen die
Alchemisten eine allmähliche Änderung aus einem niederen Zustand zu etwas Edlerem. Alle
Dinge auf Erden würden sich weiterentwickeln bzw. wachsen. Unedle Dinge wurden in ihrem
Reifeprozess unterbrochen oder sind unvollkommen geblieben. Mithilfe der Alchemie sollte
dieser Prozess fortgeführt und beschleunigt werden. Ein Leitspruch in den Laboratorien
lautete daher: „Die alchemisƟsche Kunst vollendet was die Natur begonnen hat.“
Den mythologischen Zeitpunkt, zu dem der Reifeprozess aller Dinge (vielleicht sogar im
ganzen Universum) unterbrochen worden ist und sich sehr stark verlangsamte, sehen die
Alchemisten den Zeitpunkt als Eva und Adam durch die Schlange verleitet vom Baum der
Erkenntnis über Gut und Böse gegessen hatten und aus dem Paradies verbannt wurden.
Vor dem Sündenfall sollen Adam und Eva ein zweigeschlechtliches Wesen in einem Körper
gewesen sein. Deshalb finden sich in der Alchemie immer wieder die Symbole eines
zweigeschlechtlichen Hermaphroditen, eines Baumes und der Schlange. In der
Paradieserzählung der Bibel wird bildhaft zum Ausdruck gebracht, dass etwas, was zuvor eins
war, sich voneinander abspaltete. Die Alchemisten sehen daher den eigentlichen Sündenfall
in Form der Trennung des hermaphroditischen, androgynen Menschen durch das Feuer der
Erkenntnis in eine männliches und ein weibliches Geschöpf.
Die modernen Wissenschaften haben den Sündenfall als sagenumwobenen Zeitpunkt
gleichsam in ihre Theorie des Urknalls übernommen mit der Explosion aller Materie im
Universum an einem Ort zu einem weit enƞernten Zeitpunkt. Diese Explosion soll zu einer
endlichen aber bereits lange andauernden Expansion allen Seins im Universum geführt
haben.

Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) war der für die Elementenlehre der Alchemie wichtigste
Philosoph. Er ging von einer Urmaterie (materia prima) aus und postulierte vier
Grundqualitäten. Durch Ansatz von jeweils zwei dieser Grundqualitäten gelangte er ebenso
zu vier Elementen: Feuer (warm – trocken), Luft (warm – feucht), Erde (kalt – trocken) und
Wasser (kalt – feucht). Jeder irdische Körper, auch der Mensch, bestünde demnach aus allen
vier Elementen in wechselnden Mischungsverhältnissen.
Die frühen Mediziner behandelten Krankheiten als Imbalance der Elemente durch Zufuhr
eines fehlenden Elements oder leiteten ein Zuviel ab.
Eine weitere Bezeichnung für das Große Werk, die Gewinnung des Steins der Weisen, ist die
Quadratur des Kreises. Der Kreis steht für Gott und Himmel und das Quadrat für Mensch und
Erde. Die „unmögliche“ Aufgabe, den Kreis in ein Quadrat zu überführen steht für die
Überführung eines unedlen Metalls in ein edles. Jeder kennt die Skizze des vitruvianischen
Menschen von Leonardo da Vinci.
An die Vier-Elemente-Lehre schließt die Schwefel-Quecksilber-Theorie (ca. im 9.Jh.) an: alle
Metalle können aus den vier Elementen hergestellt werden, durchlaufen aber bei der
Umwandlung die Zwischenstufe von Schwefel/Quecksilber. Spirituell steht Quecksilber für die
Seele und Schwefel für den Geist. Schwefel besƟmmt die Farbe und die Oxidierbarkeit
(Brennbarkeit) und Quecksilber den metallischen Charakter der daraus resulƟerenden sieben
Metalle Blei, Zinn, Eisen, Kupfer, Quecksilber, Silber und Gold. Jedes weitere Metall steht für
eine höhere Stufe im alchemisƟschen Prozess der TransmutaƟon von Blei zu Gold. Die sieben
Metalle entsprechen den damals bekannten 7 Planeten. Die KonstellaƟon der Planeten war
wichƟg für das Gelingen chemischer ReakƟonen.
Paracelsus (1493 – 1541) war Alchemist, Arzt, Astrologe, MysƟker und Philosoph. Die
Alchemie setzte er vor allem zur Herstellung von Medikamenten ein und erzielte beachtliche
Heilungserfolge. Er erweiterte die Schwefel-Quecksilber-Theorie um das Prinzip Salz und
komplettierte damit die Analogie Körper (Salz; Festigkeit, Erde) – Seele (Schwefel;
Bewusstsein, Feuer und Luft) – Geist (Quecksilber; Wasser der Weisen, Wasser).
Diese drei Elemente finden sich mitunter als V.I.T.R.I.O.L. in der dunklen Kammer bei der
Aufnahme eines Neophyten.
Vitriol ist einerseits die Bezeichnung für die kristallwasserhaltigen Salze der Schwefelsäure
von zweiwertigen Metallen wie dem weißen Zinkvitriol, dem grünen Eisenvitriol und dem
blauen Kupfervitriol, anderseits ein alchemisƟsches Anagramm bzw. Akronym und ist als
Abkürzung zu verstehen:
Visita Interiora Terrae RecƟficando Invenies Occultum Lapidem, was übersetzt heißt:
„Betrachte, was im Inneren der Erde liegt: indem du es läuterst, wirst du einen zuvor
verborgenen Stein erhalten“ (oder frei übersetzt: entdecke den wahren Kern einer Sache,
also dessen Geist als fünŌes Element oder die Quintessenz).
Diese Formel wird dem Alchemisten Basilius ValenƟnus (16./17. Jh; deutschsprachiger Autor
alchemistischer SchriŌen) zugeschrieben; Rosenkreuzer und Freimaurer übernahmen den

Merksatz, wobei sie den ursprünglichen Zusatz „veram medicinam“ (wahre Medizin)
wegließen.
Ab 1599 ist der Vitriol-Spruch zusammen mit einem Emblem untrennbar mit der Tabula
Smaragdina verknüpft – dem Glaubensbekenntnis der Alchemisten.
Die Tabula Smaragdina ist ein traditionell dem Hermes Trismegistos zugeschriebener Text,
der die philosophische Basis der Hermetik bildet und als Grundlagentext der Alchemie gilt.
Die älteste erhaltene Textversion findet sich im Anhang zu einem arabischen Manuskript des

  1. Jahrhunderts. In den zwölf dunklen, allegorischen Sätzen spiegelt sich die Vorstellung von der Herstellungsformel des Steins der Weisen und eines Zusammenhangs von Mikrokosmos
    und Makrokosmos: Das was unten ist, ist wie das, was oben ist, und das was oben ist, ist wie
    das was unten ist, ein ewig dauerndes Wunder des Einen.
    Paolo Coelho schreibt dazu in seinem Alchimisten: „Die Smaragdtafel stellt einen direkten
    Zugang zur Weltenseele dar. Die Weisen hatten erkannt, dass die Welt lediglich ein Abbild
    des Paradieses ist. Die bloße Existenz dieser Welt ist die Garantie dafür, dass es eine
    vollkommenere Welt gibt. Gott erschuf diese Welt, damit der Mensch durch das Stoffliche
    seine geistigen Gesetze erkennen lernt.“
    Das Große Werk bestand aus zwei Teilen: einem äußeren Werk (opus magnum physicum),
    mit dem Ziel unedles Metall in Gold zu verwandeln und einem inneren Werk (opus magnum metaphysicum) mit dem Ziel der Vervollkommnung der Seele und der Umwandlung des Experimentierenden selbst. Der Adept, der diese Wandlung vollzogen hatte, trug das spirituelle (philosophische) Gold in sich, das Opus Magnum war vollbracht.
    „Es ist vollbracht“ waren nach dem Johannes-Evangelium auch die letzten Worte von Jesus am Kreuz. Christus selbst wird auch als das Endprodukt des Opus Magnum, als der Stein der Weisen, dargestellt.
    Die überwiegende Zahl der Alchemisten widmete sich in der Hoffnung auf Reichtum und
    Unsterblichkeit dem äußeren materiellen Stein der Weisen. Er wurde aber auch als Elixier
    (arabisch el iksir steht für Stein der Weisen) für ewige Jugend und Schönheit gesehen.
    Viele der alchemistischen Arbeitsmethoden und Gefäße haben Eingang in die moderne
    Chemie gefunden.
    Im Jahr 1941 gelang es Harvard-Physikern tatsächlich mithilfe eines Linear-
    Teilchenbeschleunigers ein radioaktives Isotop des Quecksilbers in reines Gold zu
    verwandeln. Der Aufwand war enorm und die Kosten untragbar. Eine Transmutation aber
    fand statt.
    Die Stufen der Transmutation bestanden schon in der Antike aus vier (später drei: nigredo, albedo und rubedo) grundlegenden Phasen. Die genaue Reihenfolge der alchemistischen Operationen waren nicht exakt definiert. Zusammen mit der unübersichtlichen Vielfalt an Variationen machte dies ein genaues Schema unmöglich. Nicht zuletzt darum handelt es sich bei der Alchemie um eine Kunst.

    In „Des Hermes Trismegistos wahrer alter Naturweg“ bleibt die alte Mahnung der Weisen
    bestehen, dass, wer mit profanen oder materiellen Gedanken arbeite, nichts schaffen werde.
    Nur wenn sich der Alchemist auch als Experimentator in das Experiment einbringt, also auch
    seelisch und geistig, kann er den Stein der Weisen finden und das Große Werk vollenden.
    Dies ist eine zentrale Botschaft der Alchemie und auch der Freimaurerei.
    Für das innere Werk soll zunächst die Aufmerksamkeit von außen nach innen gelenkt
    werden. Dies führt dazu, die eigene Unvollkommenheit anzunehmen und das Unbewusste über sich selbst wahrzunehmen. Der Begründer der Tiefenpsychologie C.G. Jung erkennt bildhafte Zusammenhänge im Unbewussten und bezeichnet sie als Archetypen. Die wichtigsten Symbole für Jung waren der Hermaphrodit (Hermes und Aphrodite) und das Königspaar.
    Die „Chymische Hochzeit des Christiani Rosenkreutz Anno 1459“, ein Manifest der
    Rosenkreuzer aus 1616, hat die Form eines sinnlichen, teilweise obskuren, alchemistischen Märchens und erzählt von der Hochzeit eines Königs und einer Königin, die sich über sieben Tage erstreckt. Das Motiv der Hochzeit von König und Königin ist in der alchemistischen Literatur sehr bekannt und symbolisiert die Vereinigung der Gegensätze bzw. die Vereinigung von Mercurius und Sulphur. Die sieben Tage beziehen sich auf das häufig in sieben Stufen beschriebene Opus Magnum. Dies mündet in der Vereinigung der Gegensätze, in der chymischen Hochzeit, der mystischen Hochzeit, der Heiligen Hochzeit. Die Figur des Christian Rosenkreutz ist eine Schöpfung des evangelischen Theologen Johann Valentin Andreae (1586 bis 1654), der als einer der Urheber der Rosenkreuzer-Legende gilt.
    Die Alchemisten hielten ihr Wissen arkan und verwendeten ein System von Decknamen und Symbolen.
    Die Alchemie kombiniert auf einfache und geniale Weise die Zahl 3, dargestellt durch ein
    Dreieck, mit den vier Elementen. Aus zwei übereinander liegenden Dreiecken wird das
    Hexagramm gebildet, als Symbol für die Vereinigung der Gegensätze. Die aufrechte Pyramide stellt die Macht des Königs dar, die andere Pyramide repräsentiert die Macht des Priesters, die im Himmel begründet ist und zur Erde hinabreicht. Enfernt man die beiden waagrechten Linien des Hexagramms verbleiben als Symbolpaar Winkelmaß und Zirkel. Das alchemistische Winkelmaß steht für Mercurius, den Geist, der Zirkel für Sulphur, die Seele. Das Hexagramm steht aber auch für die Vereinigung der vier Elemente.
    Die Quintessenz als die vier Elemente ergänzt um den Geist als fünftes Element wird als
    Pentagramm dargestellt, auch als Synonym für die mythologische Jesus Christus-Gestalt als Geist Mercurius an der Spitze des Pentagramms.
    Die Zahl 3 als heilige Zahl der Freimaurerei, wird ebenfalls als Dreieck dargestellt und findet sich in der Form der Kelle oder den drei Lichtern. Das Symbolpaar Winkelmaß und Zirkel, das Symbol der Vollkommenheit in der Freimaurerei, steht für den Sieg des Geistes (Zirkel) über die Materie (Winkelmaß).
    Ein wichtiges Symbol des Judentums, die Bundeslade, hatte zwei Tragestangen. Diese stehen ebenso wie das Hexagramm für das Prinzip der Dualität. Später symbolisierten die beiden Stangen die beiden Säulen des Tempels Salomos, J und B.

    Das Bild des Philosophischen Eis aus der Theoria Philosophicae Hermeticae um 1620
    bezeichnet die Vereinigung zweier Prinzipien (Mercurius und Sulphur) zu einem Höheren,
    aber auch die Vereinigung des männlichen und weiblichen Prinzips zum Hermaphroditen bei der Zubereitung des Steins der Weisen. Der „Rebis“ (lat. zwei Dinge) ist das Endprodukt des Opus Magnum und zeigt neben dem Hermaphroditen ebenfalls Zirkel und Winkelmaß.
    In seiner Monas-Hieroglyphica („verborgene Einheit“) aus 1564 zeigt John Dee durch Punkt, Linie und Kreis Verbindungen zwischen Universum, Schöpfung und Mensch auf und erläutert diese in 24 Lehrsätzen. Das Symbol umfasst eine Fülle von Assoziationen, Verhältnissen und Querverweisen nach den Prinzipien der Kabbala. John Dee erkennt in seiner Hieroglyphe auch die Geburt, Kreuzigung und Auferstehung Christi. Die Monade ist dem Habsburger Maximilian II. (1527 – 1576) gewidmet; sie wird in der „Chymischen Hochzeit“ abgedruckt.
    In einer rosenkreuzerischen Schrift aus 1714 wird das Symbol der Monas Hieroglyphica mit Tubalkain verbunden. Mondsichel, Sonne, Kreuz der Elemente und das astrologische Zeichen des Widders (das für das Feuer steht) werden bestimmten Körperstellen Tubalkains zugeordnet.
    Nach Elias Ashmole (1617 – 1692) ist die Alchemie weder eine Wissenschaft, noch eine
    Technik, sondern eine Kunst. Während der Techniker seine Arbeit nur ausführt, bringt sichder Künstler selbst in die Arbeit ein. Er ist das Experiment im Experiment, der Beobachter kann nicht vom Beobachtungsgegenstand getrennt werden. Ashmole, selbst Freimaurer und Rosenkreuzer, prägte den Begriff der königlichen Kunst, welcher ebenso für die Freimaurerei beansprucht wird. Die Königliche Kunst steht auch für die „Liebe zur Weisheit“, einer Veredlung/ Vervollkommnung des Menschen.
    Solve et coagula ist eine essentielle Formel zum Verständnis der Alchemie. Löse (solve), um die Ursubstanz aus dem Stoff zu gewinnen. Verbinde (coagula) sodann die Ursubstanz zu einer neuen, besseren Substanz. Solve et coagula ist symbolhaft mit einem Ouroboros, einer Schlange, die sich in den Schwanz beißt, dargestellt. Diese steht für einen, in sich
    geschlossenen und wiederholt ablaufenden Wandlungsprozess der Materie, oft in Form von zwei Drachen, der eine oben mit Flügeln, Füßen und Krone (solve), der andere unten quasi nackt (coagula). Als ein Ouroboros stellen sie das Symbol der kosmischen Einheit dar und umschließen als Kreis ein zweifaches Hexagramm mit Winkelmaß und Zirkel, Symbole der Vollkommenheit. Symbole der Planeten bzw. Metalle vervollständigen die Darstellung, wobei die Sonne oben bei solve steht und der Mond unten bei coagula. Solve steht daher im Jahreskreis der Freimaurer für Sommerjohannis und im Tagesablauf für Hochmittag, während coagula für Winterjohannis und Hochmitternacht steht.
    Der alchemistische Merkurbrunnen aus dem Rosarium Philosophorum könnte als
    alchemistischer Arbeitsteppich bezeichnet werden und hat einige Gemeinsamkeiten mit dem freimaurerischen Tapis. Dieses Rosarium ist eine Bildersammlung zum Prozess des inneren Opus Magnum und wurde 1550 publiziert. In der Mitte der Darstellung steht ein runder Brunnen, das Vas Hermeticum, die alchemistische Retorte, als Symbol des Menschen.
    Darüber schwebt ein zweiköpfiger Drache, Symbol der Zweiheit und des Urgegensatzes.

    Die Parallelen zum Freimaurer-Tempel sind evident. Die Wolkensäulen entsprechen den
    Säulen J und B, beide Bilder zeigen Sonne und Mond. Die vier Sterne entsprechen den vier Elementen und den Himmelsrichtungen. Die drei kleinen Lichter entsprechen den drei Brunnenröhren, aus denen Wasser als Symbol für die drei Prinzipien Körper, Seele und Geist fließt. Die drei großen Lichter werden durch die dreizackige Krone bzw. Blüte auf der Brunnensäule symbolisiert.
    Das Ziel der hermetischen Alchemie ist nicht die Herstellung des physischen Steins der
    Weisen durch Umwandlung unedler Metalle in Gold, als vielmehr die mentale Transmutation (Umwandlung) von mentalen Schwingungen in andere Schwingungen. Die Legende vom „Stein der Weisen“ war eine Allegorie der hermetischen Philosophie, die von allen Studenten der wahren Hermetik wohl verstanden wurde. Das „Kybalion“ wird dem Hermes Trismegistos zugeschrieben, ist Teil der Hermetuschen Schriften und eine Sammlung von Maximen, Axiomen und Regeln. Das alte, uns überlieferte Kybalion ist eine Offenbarung der uns umgebenden Wirklichkeit der Dinge. Ein Geheimnis, das uns, wenn es enthüllt wird, dabei hilft, das Leben von Grund auf zu verstehen und so auf das (nur augenscheinliche) „Schicksal“ Einfluss zu nehmen. Das Kybalion stellt folgende sieben „Prinzipien“ auf:
  • Das Prinzip der Geistigkeit: „Das All ist Geist; das Universum ist geistig.“ Alles Materielle ist
    vom Geist geschaffen.
  • Das Prinzip der Entsprechung: „Wie oben, so unten; wie unten, so oben.“ Wie innen, so
    außen; wie der Geist, so der Körper. Die Verhältnisse im Universum (Makrokosmos)
    entsprächen demnach denen im Individuum (Mikrokosmos) – die äußeren Verhältnisse
    spiegelten sich im Menschen und umgekehrt. Veränderungen im mikrokosmischen Bereich
    wirkten sich folglich auch auf die Gesamtheit aus (Magie). Wenn wir uns verändern,
    verändern wir unser Umfeld, unsere Gedanken beeinflussen unser Leben und unser Tun.
  • Das Prinzip der Schwingung: „Nichts ruht; alles ist in Bewegung; alles schwingt.“ Lassen wir Veränderung zu.
  • Das Prinzip der Polarität: „Alles ist zweifach, alles ist polar; alles hat seine zwei Gegensätze.
    Gleich und ungleich sind dasselbe. Gegensätze sind ihrer Natur nach identisch, nur in ihrer Ausprägung verschieden; Extreme begegnen einander; alle Wahrheiten sind nur Halb-Wahrheiten; alle Paradoxa können in Übereinstimmung gebracht werden.“ Im Ausgleich liegt das Ziel.
  • Das Prinzip des Rhythmus: „Alles fließt – aus und ein; alles hat seine Gezeiten; alles hebt
    sich und fällt, der Schwung des Pendels äußert sich in allem; der Ausschlag des Pendels nach rechts ist das Maß für den Ausschlag nach links; Rhythmus gleicht aus.“ Wir können diese Gesetzmäßigkeit nicht verändern, aber für uns nützen.
  • Das Prinzip der Kausalität: „Jede Ursache hat ihre Wirkung; jedes Phänomen hat seine
    Ursache; alles geschieht gesetzmäßig; Zufall ist nur ein Begriff für ein unerkanntes Gesetz; es gibt viele Ebenen von Ursachen, aber nichts entgeht dem Gesetz.“ Wir selbst sind für unser Wohlergehen und unser Leben verantwortlich.
  • Das Prinzip des Geschlechts: „Geschlecht ist in allem; alles trägt sein männliches und sein
    weibliches Prinzip in sich; Geschlecht offenbart sich auf allen Ebenen.“
    Insbesondere das hermeƟsche Prinzip der Entsprechung findet sich ebenso in der
    Freimaurerei („Erkenne dich selbst!“; äußere und innere Deckung; wie im Tempel durch das Wort, so draußen durch die Tat). Der Mensch wurde als Ebenbild Adam Kadmons geschaffen.
    Er verlor jedoch die drei Eigenschaften, die den Adam Kadmon an die Seite Gottes stellen,
    nämlich die Weisheit, die Unsterblichkeit und die Herrlichkeit. Erkennen wir da nicht auch die Weisheit, die Stärke und die Schönheit mit der wir an uns bauen? Durch Veredelung können wir wieder zur Vollkommenheit des göttlichen Makrokosmos kommen.
    Aber auch das Prinzip der Polarität finden wir in der Freimaurerei in Form des Solve et
    coagula als Symbol für das Vereinigen von Gegensätzen, wie dem Zusammenführen von
    Winkelmaß und Zirkel und das stete Arbeiten am rauen Stein.
    Die wahren Alchemisten verstanden sich als Anhänger einer ganzheitlichen Wissenschaft. Sie
    waren geistig erleuchtete Arbeiter in einem Laboratorium und versuchten alle Stufen des
    Menschseins zu vollenden: Körper, Geist und Seele. Sie glaubten daran, dass der Mensch das Potential habe, sich unbegrenzt zu veredeln. Der Mensch wird aus seinem bleiernen Zustand in eine goldene Seelenpersönlichkeit mit veredeltem Charakter transmutiert. Diese geistige Evolution ist auch das Ziel der Freimaurerei. Im persönlichen Erleben des alchemistischen Prozesses der Läuterung der Seele liegt wie im Ritual das eigentliche Geheimnis.
    Alchemie und Freimaurerei haben viele Gemeinsamkeiten, die Alchemie hat die Freimaurerei zumindest symbolisch stark geprägt. Vieles dazu wurde schon erwähnt. Da wie dort gilt Arkandisziplin. Wie in der Alchemie führt auch der Weg in der Freimaurerei aus der Dunkelheit zum Licht. Der Neophyt wird auf seinen Reisen mit den Elementen konfrontiert.
    Das Abnehmen der Metalle des Neophyten in der dunklen Kammer und Retournierung nach der Rezeption stehen dafür, dass den Bruder oder die Schwester der falsche Glanz der Dinge nicht mehr täuschen kann, nachdem er geistig und moralisch gereinigt wurde.
    Heute wird Alchemie vielleicht mit Goldmacherei oder esoterischer Gedankenwelt
    verbunden. Die wahren Alchemisten versuchen weiterhin, unbeeindruckt von den
    Strömungen der Zeit, alle Stufen der Menschheit beginnend bei sich selbst, zur Vollendung zu bringen. Sie bezeichnen sich heute jedoch nicht mehr als Alchemisten, sondern haben den Namen „Freimaurer“ angenommen.
  • Unsere Wanderung vom Geld der Neuzeit über das Gold der Antike, die Alchemie und
    schließlich die Freimaurerei ist für mich vergleichbar mit dem Bild unseres Zirkels: während der eine Schenkel das Materielle verkörpert, steht die Alchemie als Bindeglied beider Welten für die Achse und die Freimaurerei für den zweiten Schenkel. Die Beschäftigung mit Alchemie und Freimaurerei ist für mich wie es Paolo Coelho im Vorwort zu seinem Alchimisten aus einem Brief eines Verlegers berichtet, der für mich ebenfalls alchemistische Elemente enthält: „Den Alchimisten zu lesen ist wie im Morgengrauen aufstehen und dem Sonnenaufgang zusehen, während der Rest der Welt noch schläft.“

Wie wirkt sich die Corona-Krise in meinem beruflichen Umfeld aus?

In meinem Beruf als Wirtschaftsprüfer beurteile ich im Auftrag der Eigentümer oder des Aufsichtsrates die Ordnungsmäßigkeit des Jahresabschlusses und der Buchführung von Unternehmen, Stiftungen und auch von Vereinen. Der Jahresabschluss umfasst die Bilanz, also eine Übersicht über Vermögensgegenstände, Eigenkapital und Schulden sowie eine Gewinn- und Verlustrechnung, also die Zusammenfassung der Erträge und Aufwendungen für das abgelaufene Geschäftsjahr. Daneben sind in einem Anhang zum Jahresabschluss die Bilanzierungs- und Bewertungsgrundsätze sowie ergänzende Angaben für den Jahresabschluss darzustellen, um ein möglichst getreues Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens zu vermitteln. Bei größeren Unternehmen ist zusätzlich ein Lagebericht über den Geschäftsverlauf mit wesentlichen Kennzahlen, einer Beschreibung der wesentlichen Risiken, denen das Unternehmen ausgesetzt ist sowie einem Ausblick auf das nächste Geschäftsjahr zu erstellen.

Unser Prüfungsurteil bildet Grundlage für unternehmerische Entscheidungen der Geschäftsführung und der Eigentümer, aber auch anderer Stakeholder wie Banken, Investoren und Arbeitnehmervertreter und soll das Vertrauen der Kapitalgeber in die Finanzberichterstattung der Unternehmen stärken.

Wie wirkt sich nun die Krise in meinem beruflichen Umfeld aus?

Die Abschlussprüfungen führen wir nach entsprechender Planung und Vorbereitung vor Ort bei unseren Kunden durch. Dabei analysieren wir Zahlen aus der Buchhaltung und anderen IT-Systemen, sehen uns Berechnungen und Belege an und besprechen sie mit unseren Kunden. Mit 16. März war alles anders: ab da wurde für alle unsere Mitarbeiter Home-Office verordnet und der persönliche Kontakt, sowohl zu unseren Teams als auch zu unseren Kunden,  war schlagartig nicht mehr möglich. Nachdem alle unsere Mitarbeiter über Laptops, Smartphones und Internet-Verbindung zu unseren Bürosystemen verfügen, war das Weiterarbeiten von zuhause aus technisch kein Problem. Der fehlende persönliche Kontakt in unserem engeren Team von rund 70 Mitarbeitern musste mit vielen Telefonaten, Telefon-  und Videokonferenzen kompensiert werden, um das Level an erforderlicher Information, des Coachings und der Motivation, aber auch des Arbeitsfortschrittes aufrecht zu erhalten. Das hat für mich die Arbeitstage um Einiges verlängert, wo ich doch absolut kein Frühaufsteher bin! Das Arbeiten über zwölf bis dreizehn Stunden vor dem Bildschirm und das ohne viel Bewegung habe ich als anstrengend empfunden. Da ist Selbstdisziplin gefragt!

Unsere vorwiegend junge Mannschaft ist damit im Großen und Ganzen sehr gut zurechtgekommen und kann sich auch künftig die Arbeit von zuhause aus sehr gut vorstellen, die Work-Life-Balance kommt da offenbar nicht zu kurz. Seit 18. Mai ist unter bestimmten Einschränkungen die Arbeit im Büro wieder möglich, doch der befürchtete Ansturm blieb gänzlich aus: lediglich rund 15% der auf die Hälfte reduzierten Arbeitsplätze wurden täglich besetzt.

Die Zusammenarbeit mit unseren Kunden hat in dieser Zeit flächendeckend sehr gut funktioniert, bis auf wenige, allerdings davor bekannte  Ausnahmen („aus den Augen, aus dem Sinn“). Die Prüfungen konnten virtuell sowohl inhaltlich als auch zeitlich weitgehend planmäßig abgewickelt werden, Flexibilität war natürlich auf beiden Seiten gefragt. Erste Kundenbesprechungen finden nun auch wieder persönlich statt.

Langjährige gute persönliche Kontakte haben die Umstellung  erleichtert, aber alle haben die neue Arbeitsweise als eine Herausforderung angesehen, die es gemeinsam zu bewältigen galt. Virtuelle Besprechungen wurden gut angenommen und gelebt. Dies gilt auch für Aufsichtsratssitzungen oder eine Angebotspräsentation vor einem 25-köpfigen Entscheidungsgremium, indirekt mein erster Berührungspunkt mit der Krise, als das physische Treffen Ende Februar ganz kurz davor abgesagt wurde.

Ich arbeite vor allem mit Handelsunternehmen oder Konsumgüterherstellern zusammen, das können Familienunternehmen oder internationale Konzerne sein. Dementsprechend unterschiedlich waren und sind diese Unternehmen von der Krise betroffen: während sich Hersteller von Toilettenpapier, Snackprodukten, Würsten oder Brettspielen sogar an Umsatzzuwächsen erfreuen konnten, blieb vor allem der Textilhandel auf seiner Ware sitzen. Ganz schlimm hat es Unternehmer getroffen, die am Flughafen auf nicht vorhandene Gäste warten müssen, wie z.B. den Autohandel.  Das wird wohl noch eine Weile so bleiben und sich nur sehr langsam erholen.

Praktisch alle betroffenen Kunden haben die wirklich tolle Unterstützung der Hilfsprogramme der österreichischen Bundesregierung in Anspruch genommen, vor allem die Kurzarbeitsbeihilfe und nun den Fixkostenzuschuss. Dabei wurde Solidarität mit den Arbeitnehmern gezeigt, Kündigungen gab es praktisch keine.

Was kann nach der Krise besser werden, was wird bleiben?

Werte wie Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft, einschließlich des Carings für die Kunden als Menschen auch in deren privatem Umfeld  haben aus meiner Erfahrung an Bedeutung gewonnen und führen zu einer Intensivierung der persönlichen Beziehungen. Auch mit meinen Kunden habe ich durch die gemeinsam durchlebte Krisensituation ein Zusammenrücken und mehr emotionale Nähe erlebt. Ich wünsche mir, dass sich dieses Mehr an Menschlichkeit auch im beruflichen Umfeld erhalten kann.

Darüber hinaus ist in einer virtuellen Umgebung eigenverantwortliches Handeln hoch gefragt, der Blick muss über den Tellerrand erhoben werden!

Der Anteil der Arbeit im Home Office wird nach der Krise deutlich höher sein als davor, in unserem Unternehmen rechnen wir mit einem Anstieg von 5% auf 20 bis 25%. Gleichzeitig wird es mehr Desk-Sharing in den Büros geben und es wird weniger Bürofläche pro Mitarbeiter benötigt. Heißt das auch, dass es weniger neue Bürotürme geben wird? Mehr Home Office hat auch Auswirkungen auf die Wohnsituation, junge Familien wollen zunehmend im Grünen wohnen und arbeiten.

Die Krise als schöpferische Zerstörung (nach Josef Schumpeter) hat zu einem Neudenken und Überdenken von Geschäftsmodellen geführt, wie z.B. beim Gastronomen, der auf Lieferservice umstellte oder das kleine Buchgeschäft, das schnell einen Online-Shop aufbaute. Diese Online-Aktivitäten werden weiter stark zunehmen und nicht nur von den Jungen sehr gut angenommen. Die Krise wirkt wie ein Turbo auf die Digitalisierung und Innovationen. So wünschen sich manche meiner Kunden für die Zukunft die Beibehaltung der virtuellen Abschlussprüfung.

Manche Unternehmen haben in der Krise die Nachteile der Globalisierung hautnah erlebt, etwa wenn Lieferungen aus China plötzlich ausgeblieben sind und sie selbst nicht mehr produzieren oder liefern konnten. Es ist noch zu früh, eine Rücknahme der globalen Produktions- und Lieferketten zu erkennen, aber ist es notwendig, dass eine Jeans im Laufe der vielen Produktionsschritte bis zur letztbestimmten Verwendung 60.000 km zurücklegt?

Das Profitdenken wird man nicht verbieten können, aber wenn sich Kostenvorteile auch global ausgleichen (können) oder es grundsätzlich um die Lieferfähigkeit und damit auch Versorgungssicherheit geht, wird die Regionalität an Bedeutung gewinnen, ebenso wie verlässliche Geschäftspartner. Hier müssen die großen Lebensmittelhändler achtgeben, das „leben und leben lassen“ nicht noch mehr zulasten ihrer Lieferanten zu verschieben.

Mein Fazit aus der Krise: so aufregend die Umstellung der Arbeitsweise auf Home-Office auch war, die Menschen auf Kundenseite und unsere Mitarbeiter freuen sich aufrichtig wieder auf persönliche, wertschätzende Kontakte, die durch eine virtuelle Umgebung nicht ersetzt werden können. Vor allem aber haben menschliche Werte an Bedeutung gewonnen und man ist trotz Abstand halten näher zusammen gerückt.

Die Verkettung von Widersprüchen – das musivische Pflaster

Der Mensch kann ohne Symbole nicht leben. Er braucht sie, um seine Welt zu ord­nen, um die Erfahrungen seines Lebens und der transzendenten Welt auszudrücken. Die Symbole sind die Grundlage der Freimaurerei. Sie kennzeichnen die freimaureri­sche Sprache und Ausdrucksweise und sind das wichtigste Ausdrucksmittel im Ritu­al. Ein Symbol ist ein konkretes Bild, ein Gegenstand oder eine Handlung, stellvertre­tend für eine dahinterstehende, nicht direkt wahrnehmbare Idee, etwas Gedachtes oder Geglaubtes. Symbole wenden sich weniger an den Intellekt, sie sprechen viel­ mehr das Unbewusste an. Es geht eine seelische Wirkung vom Symbol aus, die ein inneres Erlebnis vermittelt. Das Symbol besitzt eine Kraft, die sich auf den Menschen überträgt. Für den Freimaurer sind die Symbole eine Kraftquelle, die ihn stützt.  Eines der freimaurerischen Symbole ist das musivische Pflaster. Nach der Literatur kommt das Wort „musivisch“ (gr. Lithostrotos) erstmals in Sophokles‘ ,,Antigone“ (ca. 440 v. Chr.) vor, ferner je einmal beim Geographen Strabo und beim Historiker Appi­an. Im Evangelium nach Johannes (19, 13) bildet das musivische Pflaster den Boden des Richtplatzes, auf dem Jesus von Pilatus verurteilt wurde (Hochpflaster, hebrä­isch Gabbatha). Die Freimaurer könnten es – wie vieles andere -den Schriften des jüdischen Historikers Flavius Josephus (um 79 n. Chr.) entnommen haben.

Der Lateinische Begriff „opus musivum“ diente als Bezeichnung für ein Boden- oder ein Wandgemälde welches aus vielen kleinen, meist quadratischen Steinen oder Glasstücken zusammengesetzt ist. Heute kennen wir den Begriff Mosaik für solche Arbeiten.

Das musivische Pflaster im maurerischen Sinne ist ein Mosaik, das aus regelmäßi­gen, quadratischen schwarzen und weißen Flächen zusammengesetzt ist. Nach ei­ner alten maurerischen Tradition war der Salomonische Tempel mit schwarzen und weißen Steinen gepflastert. Aus der Bibel lässt sich diese Information nicht gewin­nen. Im Talmud jedoch heißt es, dass ein solcher Fußboden im Konklave des salo­monischen Tempels bestanden hat und die «Grundfeste des Tempels deckt». Damit sei der alte Tempel gemeint, der mit dem musivischen Fußboden bedeckt ist.Die Meister der Bauhütten in England – und natürlich auch auf dem Festland – ha­ben ihre Entwürfe und auch den Unterricht für die Lehrlinge auf Platten oder Perga­menten gemacht, auf welchen sie Pläne für den Kathedralenbau entwickelten, die sie auf diesem geometrischen System aus Kreisen und Quadraten aufbauen konnten.

Aus diesem Grundmuster hat sich dann das musivische Pflaster entwickelt.

Dieses wurde als eines der Geheimnisse gehütet und auf den ältesten bekannten Arbeitstafeln und deren Vorgängern als ein maßgebliches Symbol der Freimaurerei aufgezeichnet.

Im asiatischen Raum findet sich die 64 als Zahl der Vollkommenheit (8 mal 8): die 64 Hexagramme (Strichbilder) des chinesischen Weisheitsbuches I Ging (Buch der Wandlungen) sind Ausdruck der Welterfahrung wie auch der Vielfalt menschlichen
Schicksals und beschreiben Kräfte, Situationen oder Aufgaben, Familie, persönliche Eigenschaften oder Fähigkeiten, konkrete Tätigkeiten und politische Phasen. Ähnliche Bedeutung dürfte ursprünglich auch das aus Indien stammende Schach­ spiel mit seinen 64 Feldern gehabt haben. Der Kampf der beiden auf dem Schach­brett aufgestellten Heere hat den Kampf der Devas und Asuras, der Götter und Dä­ monen, zum Vorbild. Das Schachbrett symbolisiert je nach Daseinsstufe, auf die man es bezieht, ein Schlachtfeld, die Erde oder das ganze Weltall.

Das Schachbrett dient als Grundriss indischer Tempel. Es ist dort als Mandala ge­ dacht, als ein Bild, das zur Meditation dient. Für das Mandala gilt ebenfalls der Wechsel zwischen Kreisform und Quadrat.

Damit wird als erwiesen angesehen, dass unser musivisches Pflaster weit älteren Ursprungs ist als der Messgrund der Steinmetze. Der Tempel gilt in allen Kultformen als Symbol der Welt. So liegt es nahe, dass ein gleiches Symbol seinen Grund aus­ füllte, ein Symbol, welches sich auf Grund seiner Struktur auch als Messgrund eigne­ te. Das musivische Pflaster prägt auch heute noch die Mitte vieler Freimaurertempel; zumindest wird es mit dem Tapis aufgelegt.

Hieber beschreibt im Leitfaden durch die Ordenslehre, 1922, den Fußboden, der die Grundlage bildet, als ein Bild der sichtbaren Welt, in die der Mensch als Teil hinge­ stellt ist und in der sich sein Leben abspielt. So wie in dem Mosaik die hellen und dunklen Dreiecke abwechseln, so ist auch in der Natur und im Menschenleben ein steter Wechsel von Licht und Finsternis, von Entstehen und Vergehen, von Freude und Schmerz, von Glück und Unglück, von Leben und Tod. Dadurch aber, dass die­ses Mosaik eine vollkommene Regelmäßigkeit in seiner Abwechslung von hellen und dunklen Dreiecken zeigt, soll der Lehrling sich gewöhnen, das irdische Dasein nicht als ein Spiel des blind waltenden Zufalls, sondern als etwas von ewigen Gesetzen in die Bahnen der Entwicklung zum Vollkommenen hin Geleitetes zu betrachten.

Auf seinem symbolischen Weg zum Licht muss der Lehrling die Gegensätze und die Dualität erkennen, beherrschen und überwinden, will er auf dem Weg zur Meister­schaft voranschreiten. Das musivische Pflaster zeigt nach Horneffer die Welt wie sie ist, als eine ursächli­che Verkettung von Gut und Böse. Es ist also ein Symbol unseres täglichen Lebens mit seiner Polarität.

Dunkle und helle Felder wechseln einander absolut paritätisch ab, kein dunkles be­rührt das helle und dennoch hängen beide Farbtöne zusammen und dergestalt von­ einander ab. Weiß beinhaltet das ganze Spektrum des Lichts und Schwarz absor­biert das gesamte Spektrum des Lichts. Beide sind alles und eins. So bilden sie großartig vereinfacht das universelle Spiel der Gegensätze. Gegensätze können sich ausdrücken in der Polarität, dem „Sowohl als auch“ (konträ­rer Gegensatz) oder in der Dualität, dem „Entweder-Oder“ (kontradiktorischer Ge­gensatz).

Die Polarität stellt Gegensatzpaare zusammen, die einander bedingen, die sich er­ gänzen und zum Ganzen verbinden können. Dabei kann zwischen den beiden Polen ein Mittleres oder über ihnen ein übergeordnetes stehen. So ergibt sich aus Vater und Mutter das Kind, aus Sommer und Winter der Jahresablauf.

In der Freimaurerei treten verschiedene polare Symbolpaare auf: Sonne – Mond / unbehauener Stein – vollkommener Kubus / rechte und linke salomonische Säule. Der Mensch ist dabei meist in die spannungsgeladene Mitte gestellt. Und viele Be­griffspaare, die das Urprinzip der Polarität verdeutlichen, treten im freimaurerischen Sprachgebrauch auf: oben – unten / Licht – Schatten / Mann – Frau / Freude – Leid / Leben – Tod. Ihre voneinander abhängigen und aufeinander bezogenen Pole bilden eine Ganzheit und bewirken die das Leben ermöglichende Spannung, die auch Vo­raussetzung des Schöpferischen ist.

Der Dualismus hingegen bedingt unüberwindbare Gegensatzpaare, die sich unver­söhnlich gegenüberstehen. Man muss sich für das eine oder das andere entschei­ den, muss ja oder nein sagen. Eine Vermittlung ist nicht möglich.

Dualismus ist die Lehre von der Zweiteilung und Gegensätzlichung, die durch unsere Ratio, manchmal auch durch die Moral, einander entgegengesetzt werden. Gegen­ sätze sind unvereinbare, einander bekämpfende Größen, sie spalten die Wirklichkeit. Das dualistische Entweder-Oder ist die säkularisierte und rationalistische Form des polaren Sowohl-als-auch.

Gut und Böse, Diesseits und Jenseits, Furcht und Hoffnung, schön und hässlich, Ausbeuter und Ausgebeutete sind beispielsweise unüberwindbare Gegensätze. Der Dualismus, die Zweiteilung und Gegensätzlichung haben zumeist zerstörenden Cha­rakter, ausgenommen dort, wo sie echte Alternativen setzen und zu Entscheidungen herausfordern oder sie erzwingen.

Wie kann ich nun die Gegensätze und Polaritäten erkennen?

In der Zwei teilt sich das Eine, die Zwei schließt sich zusammen und wird Eins. Das Schöpferische und das Empfangende vereinigen sich und erzeugen die Welt. So sagt Laotse, dass die Eins die Zwei erzeugt, die Zwei erzeugt die Drei, und die Drei erzeugt alle Dinge.

Wenn es das Eine gibt, gibt es zwingend auch das Andere, wie Oben und Unten, Links und Rechts – sowie alle weiteren Gegensätze durch das Ausweiten der Eins entstehen. Solange wir uns in der Polarität befinden, ist uns diese gar nicht bewusst. Erst durch das Heraustreten aus der Polarität auf einen dritten Punkt wird es mög­ lich, die beiden anderen Punkte als Pole wahrzunehmen und zu erkennen, woraus sie entstehen. Damit erkennen wir die Ursache für ein Geschehen. Eine Verände­ rung des Standortes ermöglicht uns eine neue Sicht und Überblick. Das Gesetz der Polarität prägt uns Menschen wesentlich und weist eine enorme Tie­fe und Tragweite für unser tägliches Leben auf.

Wir teilen Geschehnisse, Ereignisse, Menschen und Gedanken in „positiv“ oder „ne­gativ“ ein. Menschen befinden sich in einem ständigen Spannungsfeld zwischen po­ sitiver und negativer Bewertung dessen, was sie gerade erleben oder sich vorstellen.

Sehr angenehme Erfahrungen bewertet unser Ego als „positiv“ und klammert sich an sie bzw. sucht nach mehr davon oder stellt sie als etwas Allein-Gültiges heraus. Un­-angenehme Erfahrungen werden als „negativ“ bewertet und abgelehnt. Wir befinden uns im Widerstand und wollen so schnell wie möglich wieder einen „positiven“ Zu­stand erreichen.

Die positiven und negativen Kräfte werden je nach Orientierung des Bewusstseins dem Menschen mit seinen Interessen und Denkweisen mitgegeben. Eine alte Le­gende indianischen Ursprungs erklärt das mit zwei Wölfen, welche in jedem von uns wohnen. Der dunkle Wolf verfügt über die Kräfte Zorn, Neid, Gier, Überheblichkeit, Vorurteile, Misstrauen, Gram, Stolz, das Ego. Der helle Wolf wird von Liebe ange­ trieben, von Hoffnung, Heiterkeit, Wohlwollen, Großzügigkeit, Zutrauen, dem Mitge­ fühl. Diese beiden Jäger ringen in unserer Seele ununterbrochen miteinander. Wer ist von beiden der Stärkere? Der Großvater antwortet auf die Frage des Jüngeren: „Derjenige wächst, den du fütterst.“

Betont man den einen Pol, folgt zwingend der andere, wie wir beim Ein- und Ausat­ men ständig erfahren. Je stärker die Bewertung – das Bestreben zum einen und Ab­ lehnen des anderen, desto stärker ist die Spannung zwischen den Polen. Je stärker die Ablehnung, desto mehr kommt einem der Gegenpol durch äußere Umstände, durch „Fremd-Einwirkung“ entgegen. Wir kennen den großen Knall, der immer dann folgt, wenn man Konflikten über einen längeren Zeitraum konsequent aus dem Weg gegangen ist.

Jeder kennt das Zeichen von Yin und Yang. Zwei Tropfen, die sich geschmeidig um­ armen, ineinander geschwungen zu einem perfekten Kreis verschmelzen und sich dennoch voneinander klar unterscheiden.

Yin und Yang sind „Ein und dasselbe“ und sind doch genau ihr jeweiliges Gegenteil. Sie sind in erster Linie ein Konzept zu beschreiben, dass alles miteinander verbun­ den ist und nur durch das Vorhandensein von Gegensätzen die Möglichkeit zur Viel­ falt besteht.

Die Daoisten im alten China suchten nach allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten hin­ ter den Dingen. Ihre Antworten versuchten sie auch durch Beobachtung der Natur zu ergründen. Der Wechsel zwischen Tag und Nacht, der Jahreszeiten, Ebbe und Flut, Sonne und Mond, Geburt und Tod, Helligkeit und Dunkelheit, etc. Jeder Rhythmus kann nur existieren, wenn seine Gegensätze sich einander abwechseln. Keiner von beiden kann ohne den anderen und sie sind gleichwertig.

Yin und Yang drückt sich im Spiel ihrer Gegensätze aus. Wir könnten nicht wissen, was Stille bedeutet, wenn wir nicht ihr Gegenteil erlebt hätten. Es gibt keine Vorstel­lung von Gut, wenn wir nicht Böses im Leben erfahren. Das Böse trägt allerdings gleichzeitig den Keim der Verwandlung in sich. Nach dem Prinzip von Yin und Yang birgt eine große Krise ein riesiges Potenzial in sich, in Glück gewandelt zu werden.

Für mich bedeutet dies, das Leben auf eine Art und Weise zu führen, bei dem alle ,,Aufs“ und „Abs“ willkommen sind. Mit dem Bewusstsein, dass alles im Wandel ist, habe ich die Möglichkeit, durch Höhen und Tiefen zu lernen und mich nicht als Spiel­ball des Lebens zu sehen.

Es gibt dann keine Unterscheidung mehr zwischen Gut und Böse, sondern alles hat seine Berechtigung zu existieren. All meine Charakterzüge, ob ich sie mag oder nicht, machen mich genau zu dem Menschen, der ich gerade bin. Und meine Unzu­länglichkeiten kann ich als Chance sehen, zu einer größeren Persönlichkeit zu wer­ den. Sich selbst so zu akzeptieren wie man ist, bildet die Grundlage für eine tiefgrei­fende Veränderung, um meine Schwächen und Leidenschaften und schlechten Ge­wohnheiten zu beseitigen, also am rauen Stein zu arbeiten.

In unserem Rezeptions-Ritual heißt es: ,,In dir, in deinem Wesen, in deinem Denken und Handeln, in deinem Tun und Lassen spiegelt sich das Wesen der Welt.“ Erkenne dich selbst! Beherrsche dich selbst! Veredle dich selbst!Licht und Schatten sind zwei Gegensätze, die uns in unserer Umwelt und genauso in uns selbst ständig umgeben. Diese zwei Pole sind Teil der Natur. Trotzdem wollen wir uns immer wieder auf die helle Seite konzentrieren und flüchten oft vor den dunk­len Seiten in uns selbst, die wir nicht mögen oder in die dunkelste Ecke unseres Be­ wusstseins verdrängt haben. Allerdings können wir durch die Flucht vor der Dunkel­ heit nicht wirklich ins Licht gelangen. Alles, was ich bekämpfe, wird größer. Alles, was ich verdränge, verfolgt mich. Es gibt keine Abkürzungen im Leben.

Gegensätze oder Widersprüche sind also gut für uns und für unsere Entwicklung. Nur wenn wir uns mit Widersprüchen und ihren Extremen – ihren Polen – ernsthaft auseinandersetzen, erhalten wir ein möglichst vollständiges Bild der Welt. Ein Mensch, der bemüht ist, immer nur auf der bequemen Seite des Lebens zu agieren und der seine Grenzen nicht sucht, dem wird ein Teil seines Ichs verborgen bleiben. Wer sich dem Pol des Bewahrens voll und ganz verschreibt und jede Veränderung ausschließt, der wird ein langweiliges Leben führen. Die stabilen Phasen mögen sich gut anfühlen, aber Entwicklung passiert hier nicht. Ich bleibe in diesen Wohlfühlzeiten immer die Person, die ich schon war. Es vergrößert sich nur mein Erfahrungsschatz und die Anzahl der Gewohnheiten, die mich durch das Leben bringen. Erst eine unvorhergesehene Situation verhilft uns dann dazu, den anderen Pol der Veränderung zu erkennen. Da dies unter Zwang erfolgt, ist die Veränderung oft mit großen Schmerzen und viel Leid verbunden. Wahrscheinlich sind wir besser beraten, wenn wir den Widerspruch nicht durch eine Entscheidung zu lösen versuchen, son­dern lernen, mit dem Widerspruch zu leben und beide Pole erkunden.

In Diskussionen und bei jeder Verhandlung liegen die Möglichkeiten zwischen den Extrempositionen. Zwischen heiß und kalt liegt die angenehme Temperatur, zwi­schen Groß und Klein die richtige Dimension, zwischen schnell und langsam die an­ gemessene Geschwindigkeit. Zwischen beiden Polen spielt sich das Leben ab.Schwarz und Weiß sind nur die Leitplanken, unsere äußeren Begrenzungen im Den­ken.

Auch Vielfalt und Toleranz kann im musivischen Pflaster gesehen werden. Was wä­ren die hellen Flächen des Schachbretts ohne die dunklen, die weißen Figuren ohne die schwarzen? Dieses Spiel funktioniert nur deshalb, weil es beide gibt. Was tragen Menschen zu meiner Entwicklung bei, die meine Meinung haben, die mir sehr ähn­lich sind, die es mir leicht machen, sie zu mögen oder ihnen zu folgen? Weitaus mehr lernen kann ich von den anderen, auch über mich selbst. Von jenen, die mir anstrengend sind, deren Interaktion mir etwas abverlangt. Schwarz und weiß bedingen einander, erst ihr Kontrast zueinander verschafft uns Orientierung und die Mög­lichkeit zu Weiterentwicklung. Wie bei Yin und Yang.

Es wäre daher unvernünftig, das Anderssein zu verurteilen, wie man seit einiger Zeit auf mehreren Ebenen sieht, obwohl wir das schon überwunden geglaubt haben. To­leranz ist daher mehr denn je gefragt, Andersartigkeit ist notwendig. Das musivische Pflaster steht daher auch für ein ausgewogenes, tolerantes Miteinander.

Aber auch für Geschwisterlichkeit – für die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern (Mann und Frau). Und im Rosenritual finden wir den Gegensatz von Geburt und Tod.

All das sind Grundlagen für unseren Auftrag, in Weisheit, Stärke und Schönheit am Gebäude der Menschlichkeit zu arbeiten – mit (und an) uns selbst. Wie hier drinnen durch das Wort, so im Leben durch die Tat.