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Der Lehrbetrieb mittelalterlicher Bauhütten

Gast-Baustück Monika K./NPfl. vom 12. September 6024


Ich werde mich im Folgenden vor allem auf das Gebiet des Heiligen Römischen
Reichs Deutscher Nation beziehen das sich seit der Krönung Ottos I. 962 als
„Nachfolgestaat“ des römischen Reiches bildete. Dessen Krone wurde nach der
Wahl Rudolfs von Habsburg (1273–1291) 1438 mit Ausnahme der Amtszeiten des
Kurfürsten und Herzog von Bayern, Karls VII. (1742–1745), und des Gemahls Maria
Theresias und Großherzog der Toskana, Franz‘ I. Stephan (1745–1765), bis zu dem
von Napoleon erzwungene Ende 1806 von den Habsburgern getragen. Zur Zeit
seiner größten Ausdehnung um 1200 umfasste das Reichsgebiet die heutigen
Benelux-Staaten mit Ausnahme von Teilen Flanderns, weiters Deutschland, die
Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Tschechien, Slowenien und Norditalien außer
Venedig, sowie weite Teile im Osten Frankreichs und das westliche Drittel Polens.
Dieses Gebiet war bautechnisch in vier Haupthütten unterteilt. Die Straßburger Hütte
war verantwortlich für Kurpfalz, Franken, Hessen, Thüringen, Meißen, Sachsen,
Schwaben, Süddeutschland, die Kölner Hütte für Nordwestdeutschland, die Wiener
Hütte für Österreich, Steiermark, Kärnten, Ungarn und die Berner bzw. ab 1615 die
Züricher Hütte für die Schweiz.
Zur Organisation
Mit dem Aufkommen des Dombauwesens der Gotik im 13. Jahrhundert spielten
Steinmetzordnungen eine wesentliche und einmalige Rolle. Mit der Entwicklung des
Bauwesens im 12. Jahrhundert und der Entstehung zahlreicher Städte, entwickelten
sich weitere Anforderungen an die Baukonstruktion und deren Organisation. Die
damit verbundenen Regelwerke wurden zuerst nur mündliche überliefert und erst
gegen Ende des 14. Jahrhunderts verschriftlicht. In diesen Ordnungen waren nicht
nur berufliche Abläufe, sondern auch eine eigene Gerichtsbarkeit, eigene Regeln
über ihre Gebräuche, Zusammenkünfte und Zusammenschlüsse festgelegt. Es
waren Ordnungen, die nicht nur die beruflichen Abläufe, sondern auch die Beziehung
der Beteiligten, der Meister, Gesellen und Lehrlinge untereinander bestimmten.
Im Laufe des 13. Jahrhunderts kamen in Mitteleuropa die ersten Bauhütten auf.
Diese entwickelten eine spezifische und arbeitsteilige Organisationsstruktur, die den
hohen technischen und handwerklichen Anforderungen des gotischen Dombaus
nachkommen bzw. entsprechen sollte. Ein entscheidenden Schritt für die
Herausbildung des Bauhüttenwesen war die 1275 vom Straßburger Dombaumeister
Erwin von Steinbach (1244–1318) einberufene erste Versammlung der
wesentlichsten deutschen, französischen, italienischen und englischen Bauhütten.
Steinbachs Ziel war die vorhandenen Regeln zu vereinheitlichen. Gleichzeitig wurde
die Münsterbauhütte von Straßburg zur obersten Haupthütte und als letzte Instanz
anerkannt. Daneben gab es Haupthütten in Köln, Bern (später Zürich) und Wien.
Man nimmt an, dass in diesem Zusammenhang der römisch-deutsche König Rudolf I.
die Bauhütten mit der freien Gerichtsbarkeit belehnt hat.
Folie 3
Eine erste Verschriftlichung der Zunftregeln und die Entstehung der Steinmetzzunft
findet sich in England im Regius- oder Halliwell-Manuskript von 1390 in der British
Library und im Matthew Cooke-Manuskript des 15. Jahrhundert im British
Museums. In diesem Zeitraum wurde der Begriff Freemason erstmals erwähnte, der
wahrscheinlich von dem in der Grafschaft Kent verwendeten freestones, einem
weichen Stein, abgeleitet und diejenigen Steinbildhauer die diesen Stein
verwendeten als freestone-masons im Unterschied zu den roughstone-masons, die
für die gröberen Arbeiten zuständig waren.
1445 trafen, wiederum in Straßburg, die vier Vertreter der Haupthütten (Straßburg,
Köln, Wien, Bern) zusammen, konnten jedoch keinen Konsens finden. Erst auf
weiteren Tagungen in Speyer, Straßburg und abschließend in Speyer im April 1449,
erreichte man eine Einigkeit aller Bauhütten des damaligen Deutschen Reiches und
der Schweiz, die als Straßburger Steinmetzordnung anerkannt ist.
Folie 4
Zehn Jahre später am 25. April 1459 wurde in Regensburg für das Römischen Reich
eine überregionale Steinmetzbruderschaft von 19 der bedeutendsten Werkmeister
und 21 Gesellen beschlossen und durch einen Schutzbrief des römischen Königs
und späteren Kaisers Maximilian I. beglaubigt. Von den 91 Artikeln der Ordnung
betrafen lediglich 38 das Bauhandwerk, während 53 die Bruderschaft regelten. Ein
wichtiger Bestandteil war die gegenseitige Unterstützung, wie etwa im Krankheits-
oder Todesfall. Die Regel enthielt auch die oberste Gerichtsbarkeit die den
personellen Aufbau einer Hütte und die Ausbildung des Nachwuchses regelte, sich
mit Arbeits- und Lohnfragen, dem Gesellen- und Meisterrecht sowie dem Streikverbot
auseinandersetzte. Bei Streitigkeiten der Hütten untereinander war die Straßburger
Hütte die letzte Instanz. Dabei wurden bis zu privatesten Details geregelt, wie
Teilnahme an bestimmten Gottesdiensten, strenge Strafen für Glücksspiel oder
Ehebruch.
Fol. 5
Wie schon bei den Zünften und Gilden war die Weitergabe von Hüttengebräuchen an
Außenstehende verboten. Dabei ging es vor allem um den Schutz des technischen
Wissens der Baukunst. Deshalb mussten sich die Gesellen beim Eintritt in eine
fremde Hütte durch Gruß und Griff identifizieren. Während des Regensburger
Treffens wurden auch zahlreiche Baurisse ausgetauscht wie zum Beispiel die
Zeichnung des Orgelfußes aus der Bauhütte von Ulm, die sich heute in Wien
befindet.
Zum Begriff der Bauhütten und deren Struktur
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Die Struktur der Bauhütten lehnte sich an die der Zünfte oder Gilden an: Lehrlinge,
Gesellen und Meister. Dazu kamen an der Spitze ein Werkmeister der magister
operis et fabrica, welcher für den Bau, das Werkzeug, die Anfertigung von
Schablonen für den Steinschnitt, die Auswahl der Baumaterialien, die Kontrolle des
gelieferten Steinmaterials und der Werkstücke und der Verwaltung des Baues
verantwortlich war. Neben einem Taglohn, der ident mit dem von Taglöhnern war,
erhielt er einen Teil seines Jahresgehalts vier Mal zur Zeit der „Fronfasten“, das
waren jeweils am Mittwoch, Freitag und Samstag vor Ostern, vor Pfingsten, während
der dritten Woche im September, sowie der dritten Adventswoche. Dazu kam meist
freie Logis und Naturalien. Der Werkmeister musste eine Steinmetzausbildung,
Arbeitserfahrung und Fürsprachen von zwei bewährten Meistern nachweisen. (Ich
erinnere an unsere Interviews).
In der ersten Hälfte des 15. Jh. gab es noch keine einheitliche Architektenausbildung
für Stein-, Backstein- und Fachwerkbauten und keine überregionalen Standards. Erst
im dritten Viertel des 15. Jh. kam es in der Wien Dombauhütte, als Nachfolgerin der
Prager Hütte, zu einer zunehmenden Professionalisierung und Systematisierung der
Architektenausbildung die sich nun aus dem bisherigen Hüttenverband zu lösen
beginnt. Ende des 15. Jh. war der Werkmeister nur mehr mit Planungsaufgaben
beschäftigt, arbeite aber nicht mehr als Steinmetz am Bau. Deshalb bestand keine
Notwendigkeit mehr an praktischen Kenntnissen. Dies ermöglichte die Anstellung
eines Theoretikers als Bauplaner und Entwerfers. Dadurch überwiegte bald die
Bedeutung des baukünstlerischen Konzepts. Dies erforderte eine umfassende
Kenntnis des Bauwesens bzw. Grundkenntnisse in allen am Bau beteiligten
Handwerksdisziplinen.
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Als Stellvertreter stand dem Werkmeister ein Parlier zur Seite. Dieser konnte
entweder ein Steinmetzmeister oder auch ein sogenannter Meisterknecht, das ist ein
sich in Ausbildung befindender Geselle, sein. Der Parlier hatte eine Vorbildfunktion
für die Gesellen (1. Aufseher). Seine Symbole waren der „Richtscheit“ und das
Winkelmaß.
Die Struktur der Lehre an den Bauhütten folgt denen der Zünfte mit der Abfolge:
Lehrling, Geselle und Meister.
Lehrlinge
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Steinmetzlehrlinge, auch Hüttendiener genannt, mussten mindestens 14 Jahre alt,
getauft und Kinder von verheirateten Eltern sein. Die Lehrzeit betrug sechs Jahre, ab
der Hüttentagung von Straßburg 1564 fünf Jahre. Sollte der Steinmetzlehrling bereits
eine abgeschlossene Maurerlehre haben, verkürzte sich die Lehrzeit auf drei Jahre.
Die Lehre der Maurerlehrlinge dauerte drei und die der Zimmerer zwei Jahre. Im
ersten Lehrjahr erhielten sie 6 Pfennige, im zweiten und dritten 8 Pfennige. Bei
Aufnahme des Lehrlings war eine Bürgschaft von 20 Gulden zu hinterlegen die nach
Abschluss der Lehre samt einer Vergütung von weiteren 10 Gulden zurückgezahlt
wurden. Für 20 Gulden erhielt man 1.000 Liter Bier oder 1.818,2 Kilo Brot.1 Bei
Abbruch der Lehre verblieb dieser Betrag in der Hütte. Die Ausbildung der Lehrlinge
erfolgte meist durch die Gesellen, wobei die Lehrinhalte von der jeweiligen Bauhütte
definiert wurden.
Folie 9
1 https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Kaufkraftrechner.
Auskunft über die Ausbildung und die Aufgaben geben uns Skizzenbücher, wie
dasjenige Villard de Honnecourts um 1220/30, Folie 10 das Bellifortis Konrad
Myesers um 1405, das Basler Skizzenbuch Anfang 15. Jh., oder das Wiener
Skizzenbuch aus der ersten Hälfte des 15. Jh., welches Vorbild für das
Werkmeisterbuch Lorenz Lechlers war, dasjenige Hans Böblingers aus Esslingen
von 1453, das Konstanzer Hüttenbuch von 1563, Folie 11 das Skizzenbuch Hans
Hammers aus Basel von 1476–1482 und das Frankfurter Steinmetzbuch von

  1. In dieser Zeit waren die Bauhütten bereits hochspezialisiert und beschäftigten
    neben Steinmetzen, Zimmermänner, Schmiede, Maurer, Ziegler, Steinbrecher,
    Sattler, Wagner, Seiler, Fuhrleute und Hilfskräfte.
    Gesellen
    Folie 12
    Mit der Ledigsprechung (nach dem Frühneuhochdeutschem Wörterbuch bedeutet
    dies ungebunden, losgelöst, befreit) wurde der Lehrling zum Gesellen, erhielt sein
    Steinmetzzeichen und wurde in die Steinmetzbruderschaft aufgenommen.
    Es wurde ihm das geheime Zureiseritual – der Gruß und der Griff – beigebracht, mit
    dem er sich auf allen Hütten als zur Bauhütte zugehörig ausweisen konnte. Es war
    ihm nun freigestellt, ob er in der bisherigen Hütte um Arbeit, die Förderung genannt
    wurde, ansucht, ob er ausscheiden, auf Wanderschaft gehen oder als Kunstdiener
    weiterlernen will. Wenn sie in ihrer Hütte blieben, lebten unverheiratete Gesellen
    meist im Meisterhaushalt und wurden dort auch versorgt.
    Folie 13
    Die Wandergesellen blieben, mit Ausnahme im Winter, meist nur ein bis zwei Woche
    in den von ihnen besuchte Hütten, wobei sie sich mit ihrem Namen, dem vorherigen
    Aufenthaltsort, der Anzahl an Lehrjahren und Zeichen und Griff ausweisen mussten.
    Zudem wurde von ihnen verlangt mitzuteilen, ob sie etwas Nachteiliges über einen
    anderen Gesellen am Ort wissen. Konnte ein Geselle nicht aufgenommen werden
    erhielt er ein Handgeld. Eine Reise von Ulm bis Wien dauerte nach den
    Rechnungsbüchern beider Dombauhütten an die zwei Jahre. Für künftige Parliere
    war die ein bis zweijährige Wanderschaft, eine zweijährige Dienstverpflichtung als
    Kunstdiener und eine weitere, spezialisierte Ausbildung bei einem Werkmeister
    verpflichtend.
    Die Gesellen der Stammbelegschaft waren meist verheiratet, hatten einen eigenen
    Wohnsitz und Familie und öfters auch das Bürgerrecht der jeweiligen Stadt. Ihre
    Aufgabe bestand in der Anfertigung von Aufrissen, Stein-, Laub- oder
    Bildhauerwerke, Wendeltreppen oder Gewölbe, die sie selbst wählen konnten.
    Meister
    Folie 14
    Meisterprüfungen gab es lange Zeit keine. Dies wurden verschieden gehandhabt, so
    fanden in Regensburg 1488 keine statt, hingegen gab es in Konstanz 1563 schon
    genaue Vorschriften dazu. Auch Meister reisten, um Informationen insbesondere
    über bautechnische Probleme oder Innovationen von anderen Hütten zu erhalten.
    Dadurch kam es zu einem regen Austausch der Bauhütten. War ein Bau vollendet
    wurden dessen Baurisse anderen noch bestehenden Baustellen zur Verfügung
    gestellt. Deshalb besaß die Wiener Dombauhütte Pläne bedeutender gotischer
    Bauten, wie z. B. des Veits Dom in Prag. Man darf nicht vergessen, dass
    Großbaustellen, wie auch der Stephandom, teilweise über 200 Jahre dauerten.
    Es gab aber auch Werkmeister ohne Handwerksausbildung, bei denen waren die
    Voraussetzung zur Einstellung Gutachten und Empfehlungsschreiben. Der
    berühmtesten Dilettant war Albrecht Dürer der 1525 seine „Unterweisung der
    Messung mit dem Zirkel und Richtscheit“ und 1527 sein Buch über „etlicher
    Unterricht zur Befestigung der Städte, Schlösser und Flecken“ herausgab. Dürer war
    ein ausgesprochener Gegner des zünftischen Lehrbetriebs und ein Verfechter einer
    akademischen Ausbildung.
    Zur Wiener Dombauhütte
    Fol. 15
    Die weltweit größte Sammlung von gotischen Baurissen stellt die ehemalige
    Plansammlung der Wiener Dombauhütte dar, die sich nach einer Odyssee heute im
    Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien befindet. Neben
    großen Schauplänen, Turmrissen, umfasst diese Sammlung Darstellung
    geometrischer und entwurfstechnischer Grundprobleme, die für die theoretische wie
    praktische Ausbildung von Steinmetzen und Architekten im ausgehenden Mittelalter
    von Bedeutung waren.
    Fol. 16
    In zeitlicher Hinsicht umfasst das Material die Spanne von Mitte 14. bis Mitte 16.
    Jahrhundert, also eine wesentliche Epoche, die für die Ausbildung des modernen
    Architektenberufes und seiner Befreiung aus dem mittelalterlichen Hüttenverband
    ausschlaggebend war. Im 18. Jahrhundert kam es zum Niedergang der
    Dombauhütten: 1707 untersagte Kaiser Josef I. ihnen ihre eigene Gerichtsbarkeit
    und sein Nachfolger, Kaiser Karl VI., verbot sie 1731 endgültig. Nur die Wiener
    Dombauhütte durfte ihren Namen bis heute weiterführen. Doch zu dieser Zeit waren
    die meisten gotischen Dome, Kirchen und andere Bauwerke schon längst vollendet,
    mit Ausnahme derjenigen von Köln oder Mailand die erst im 19. Jahrhundert beendet
    wurden.
    Gleichzeitig mit dem Ende der Bauhütten kam es zur Blüte der Freimaurerei. Am 24.
    Juni 1717 schlossen sich in London vier Logen zur ersten Großloge von England,
    zusammen. In der Habsburger Monarchie wurde 1735/1740 die Loge Zu den drei
    gekrönten Sternen und Redlichkeit in Prag gegründet. Wien folgte am 17. September
    1742 mit der erste blauen Loge Aux trois canons, unter dem Protektorat der
    Breslauer Loge Zu den drei Totengerippen.
    Fol. 17
    Ab Ende des 18. Jahrhundert begann ein Gothic Revival das in der Neogotik des
  2. Jahrhunderts zu einer letzten Blüte kam. So gab es in der Wiener Akademie ab
    1848 einen eigenen Lehrstuhl für gotische Baukunst, den ab 1859 der
    Dombaumeisters Friedrich von Schmidt (1825–1891) innehatte. Hier zum
    Abschluss noch sein Wappen anlässlich der Erhebung in den Freiherrnstand 1886
    welches zentral seine Steinmetzzeichen zeigt.
    Ich habe gesprochen.
    Literatur
    Anne-Christine Brehm: Netzwerk Gotik. Das Ulmer Münster im Zentrum von
    Architektur und Bautechniktransfer, Ulm 2020.
    Johann Josef Böker: Der Wiener Stephansdom – Architektur als Sinnbild für das
    Haus Österreich, Salzburg, 2007
    Johann Josef Böker: Architektur der Gotik/Gothic Architecture. Bestandskatalog der
    weltgrößten Sammlung an gotischen Baurissen des Kupferstichkabinetts der
    Akademie der bildenden Künste Wien, Salzburg 2005

Mensch und Tier – in Dir + mir

Wolfgang Trubel



Meine heutige Zeichnung dient in erster Linie der frm. Selbsterkenntnis, auch der
Selbstbeherrschung und Selbstveredelung, weil ja nur zu beherrschen und zu veredeln ist, was
man auch selbst kennt. Aber es kommt bei diesem Thema auch ein autobiografisches Element
hinzu.
Als junger Mensch bin ich nämlich vor einer Berufswahl gestanden: „Graugans oder
Äskulapnatter?“ Ohne ein klärendes Gespräch mit dem in den letzten Jahren zwar wegen seiner
historischen NS-Belastung nicht unumstrittenen, dennoch welt-berühmten Forscher +
Nobelpreisträger Konrad Lorenz, mit dem ich angeheirateter Weise verwandt bin, wäre ich
vielleicht Verhaltensforscher geworden und nicht Arzt!
Aber inspiriert durch Lorenz, in dessen Umfeld ich zu Schulzeiten erste Kontakte zur
Wissenschaft geknüpft habe, hat mich eine Frage schon damals begeistert und sie interessiert mich bis heute: was und wie viel von unserem menschlichen Verhalten findet sich auch in der Tierwelt wieder und welches Erbe tragen wir von unseren tierischen Vorfahren in Bezug auf unser tägliches Denken und Handeln noch heute in uns?
Ich möchte Euch nun auf eine kleine Reise zur Selbsterkenntnis in das Gebiet der vergleichenden Verhaltensbiologie mitnehmen, schauen wir uns an, was für Tiere wir Menschen so sind:
Denken wir dazu am Anfang einmal an die biblische Schöpfungsgeschichte. Da heißt es:
(Zit.)… Gott schuf die Menschen nach seinem Bilde, Er segnete sie und sprach zu ihnen: «Seid
fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und die Vögel des Himmels, über das Vieh und alle Tiere, die sich auf der Erde regen. » Und es geschah also.
Der Mensch hat sich über Jahrtausende gerne als Mittelpunkt der Welt gesehen und definiert, als etwas das nicht zur übrigen Natur gehört, sondern ihr als etwas wesensmäßig Höheres, quasi als des Schöpfers Ebenbild, gegenübersteht.
Zwar hat der bedingungslose Glaube an diese gottgegebene Überlegenheit des Menschen in
unserer aufgeklärten Kultur- und Wertegemeinschaft schon deutliche Sprünge bekommen, doch haftet dem Tierischen auch heute noch in der Sprache und Einstellung vieler das Primitive, Minderwertige und Unkontrollierbare an, von dem wir Menschen uns Kraft unseres Geistes, unserer Zivilisation und unserer Kultur doch gerne allzu deutlich unterscheiden. Eigentlich wirklich eine ausgesprochene Schweinerei!
Darwins Abstammungstheorie wurde bereits im Jahre 1858, also vor >165 Jahren publiziert.
Diese, wie auch alle weiteren Erkenntnisse der Naturwissenschaften, die uns Menschen zwar als
hochentwickelte Wesen, aber dennoch als Abkömmlinge aus dem Tierreich sehen und sich

damit in Gegensatz zu praktisch allen religiösen Überlieferungen stellen, haben bis in unsere Tage sehr viel Intoleranz und Widerspruch hervorgerufen.
Das schließt auch unsere modernen aufgeklärten Gesellschaften mit ein, dürfen doch Darwins
Lehren beispielsweise bis heute in vielen US-amerikanischen Schulen, wie z.B. in Utah immer
noch nicht unterrichtet werden! In der Türkei droht den Lehrern für die Vermittlung von Darwins Lehre seit Jahren gar eine schwere Kerkerstrafe, von Ländern, in denen die Scharia gilt, ganz zu schweigen! Unsere gemeinsamen tierischen Vorfahren und unser tierisches Erbe werden also heute immer noch vielfach in Abrede gestellt oder zumindest gründlich verdrängt.
Konrad Lorenz nennt dafür mehrere Gründe:
• Da ist einmal die frappante Ähnlichkeit unseres nächsten Verwandten aus dem Tierreich,
dem Schimpansen, der auf so manchen von uns wie eine schlechte menschliche Karikatur
wirkt und mit dem wir wirklich nicht allzu nahe verwandt sein wollen!
• Die Vorstellung, dass wir Menschen unserer hohen Intelligenz zum Trotz auch von
tierischen Instinkten und Trieben abhängig sein sollen, erscheint erniedrigend und kann
auch Angst machen.
• Und drittens gerät damit unsere idealistisch-philosophisch zweigeteilte Welt – hier die
wert-indifferente Welt der äußeren Dinge – dort die hohe Welt der inneren
Gesetzmäßigkeit des menschlichen Denkens – ziemlich durcheinander.
Zur Frage der Ähnlichkeit mancher Menschen mit Tieren möchte ich nichts sagen. Was immer es da zu sagen gäbe, es wäre nicht wissenschaftlich, subjektiv und im Einzelfall sicherlich
beleidigend. Auch die Philosophie möchte ich heute nicht strapazieren.
Das menschliche Verhalten – welches der homo sapiens ja kraft seines Geistes angeblich so gut
unter Kontrolle hat – ist es, auf das ich näher eingehen möchte. Und vor allem auf das „Tierische“ daran.
Jedes Lebewesen – so auch der Mensch – hat bestimmte genetisch festgelegte, also angeborene
Verhaltensweisen. Teilweise sind dies Reflexbewegungen, wie der Greif – Reflex des Säuglings.
In unserer Evolution haben nur jene Säuglinge überleben und sich später weiter fortpflanzen
können, die sich reflektorisch an ihrer Mutter anklammern und so mit ihr gemeinsam vor Gefahren flüchten konnten.
Auch unsere Mimik wie das Lachen, Weinen etc. als Reaktion auf äußere Reize ist dem Menschen angeboren. Und überall erkennen und begrüßen Menschen einander durch ein unbewusstes kurzes Heben der Augenbrauen, Anheben des Kopfes und Nicken, gleichzeitig breitet sich meist ein Lächeln auf dem Gesicht aus.
Wenn allerdings einer unserer „ganz nahen Verwandten“, der Schimpanse, uns „anlächelt“, d.h.
die Zähne bleckt, ist Gefahr im Verzug, denn bei diesem Tier bedeutet das Zähne-Blecken ein
Angriffssignal.

Prägung durch erstes Erlebtes ist der nächste Schritt in der Entwicklung unseres Verhaltens. Ein
Baby kann schon im Alter von wenigen Wochen seine Mutter am Geruch, dem Klang ihrer
Stimme und an ihren Konturen erkennen und reagiert freudig darauf, es „fremdelt“ hingegen bei ihm unbekannten Menschen.
Lorenz hat diese frühkindliche Prägung erstmals bei seinen Graugänsen beschrieben, bei denen die erste Prägung unmittelbar nach dem Schlüpfen erfolgt. Die frischgeschlüpften Küken watscheln demjenigen Objekt nach, das sie als erstes in ihrem neuen Leben in Bewegung sehen. Das ist üblicherweise die Graugansmutter und im speziellen Fall war es eben der Forscher Lorenz selbst.
Kleinkinder äußern ihre körperlichen und seelischen Bedürfnisse in der Folge immer gezielter und entwickeln ihr Verhalten, welches dann schon zunehmend erlernte Komponenten aufweist, reflektorisch in Bezug auf ihre Umgebung. Sie lernen also, zu assoziieren.
Auf einen bestimmten auslösenden Reiz hin wird mit einem bestimmten Verhalten geantwortet.
Anfangs geschieht dies ganz unbewusst. Tierexperimentell ist hier an das Beispiel des Pawlow‘
schen Hundes zu erinnern, der das Läuten einer Glocke mit dem nahenden Fressen assoziiert und zu speicheln beginnt.
Die Koppelung zweier aufeinanderfolgender Geschehnisse hat zur Folge, dass der Organismus,
sowie das erste Ereignis eingetreten ist, das zweite „erwartet“. Das Kleinkind verspürt mit Beginn des Essenzubereitens (Klappern von Kochgeschirr in der Küche etc.) seinen Hunger wie der Pawlow’sche Hund und fordert teils sehr heftig eine baldige Fütterung.
Im Tierreich zählen zu diesem reflektorischen Verhalten die meisten Instinkthandlungen, die
stets durch sog. Schlüsselreize auslösbar sind. Aber auch wir erwachsenen Menschen sind
natürlich überhaupt nicht frei von solchen Verhaltensmustern – man denke zum Beispiel an das
Imponier- und Balzverhalten einer Männer- oder Frauenrunde, wenn eine junge attraktive Frau
oder ein fescher junger Mann dazukommen.
Aber zurück zur Entwicklung unseres Verhaltens: die zuvor genannten Assoziationen werden mit zunehmendem Alter bewusster erlebt, das Kind lernt, durch bestimmtes Verhalten von ihm
gewünschte Reaktionen der Umwelt auch gezielt auszulösen (= assoziatives Verhalten).
Über-protektive Eltern, die schon auf den kleinsten Muckser des Kindes reagieren oder überhaupt ihr Verhalten zu sehr an den Bedürfnissen des Kindes orientieren – was unter sonst vernünftigen Menschen besonders jüngerer Generationen erstaunlich verbreitet ist – können so in kürzester Zeit vom eigenen Kleinkind regelrecht versklavt und tyrannisiert werden.
Wie von Niko Tinbergen und Konrad Lorenz experimentell gezeigt werden konnte, ist das soziale Verhalten, aber auch unsere Denk -und Wahrnehmungsweisen auch sehr stark durch
stammesgeschichtliche bzw. traditionelle Überlieferungen beeinflusst.
Im Tierreich lernen die Jungen viele Verhaltensweisen von ihren Eltern und geben sie wiederum an ihre Jungen weiter, wir nennen das auch die „funktionale Erziehung“.

Geschieht dies nicht, so wurden Versuchstiere frühzeitig von ihren Eltern getrennt und wuchsen mit neutralen Tierattrappen oder einem Spiegel auf – so kann sich das nicht-funktional aufgezogene Tier in seiner Umwelt überhaupt nicht zurechtfinden und vor allem mit seinen unter normalen Umständen aufgewachsenen Artgenossen überhaupt nicht kommunizieren.
Beim Menschen zeigten sich Auswirkungen der Abkehr von Traditionen und von spezifischem
Rollenverhalten und auch das Experimentieren mit neuen Erziehungs-Methoden auf das Verhalten künftiger Generationen bereits heutzutage in unserer von Beliebigkeit charakterisierten Sozietät, in der inzwischen praktisch alles – sogar bis hin zum eigenen Geschlecht – disponibel und wandelbar geworden ist.
Mangelnde funktionale Erziehung führt bei der jüngeren Generation zunehmend zur Isolation, zu Verunsicherung, Zukunftsängsten und auch zur Flucht aus der Realität in virtuelle Scheinwelten (X, Facebook, Tictoc etc.). Konsequenz daraus ist die fortschreitende Veränderung unserer Sozialstrukturen vom Gemeinsamen hin zur übersteigerten Egomanie des Einzelnen. Doch werden diese negativen Entwicklungen der Jugend von vielen Angehörigen der Elterngeneration bewusst in Kauf genommen.
Sich jungen Menschen und deren Problemen zuzuwenden, kann sehr mühsam und zeitaufwändig sein. Die Arbeitswelt nimmt den Eltern oft die dafür nötige Energie. Fokussierung auf den Broterwerb wird aber als Preis für höheren Lebensstandard, Sicherheit und Wohlstand gesehen.
Veränderungen im Sozialverhalten einer Spezies durch Wohlstand, Sorglosigkeit und
unzureichender funktionaler Erziehung können sich auch im Tierreich offenbaren. Hierzu ein
Bericht über das soziale Leben der Kuhreiher im Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende
Verhaltens- biologie der ÖAW auf dem Wiener Wilhelminenberg. Dort wurde unter anderem eine Kuhreiher-Kolonie begründet, um das Verhalten dieser Vögel in freier Natur besser studieren zu können. Hören wir dazu nun kurz den Bericht des Forschers Otto König:
(Zit.) Die vorerst kleine Kolonie entwickelte sich anfangs recht gut. Jedoch schon bald sollten wir Überraschungen erleben.
Die Jungen verließen nicht mehr ihre Eltern, ließen sich weiterhin füttern, statt selbständig zu
werden; ja sie gründeten selbst im Alter von einem Jahr keinen eigenen Hausstand, sondern
brüteten kollektiv – gemeinsam mit den Eltern. So standen nun drei, bisweilen auch fünf Vögel an einem Horst und benahmen sich genauso, als wären sie nur ein Ehepaar.
Keiner war auf den anderen eifersüchtig, keiner versuchte, eine Paarung mit einem anderen Vogel zu verhindern; ja es schien sogar, als verliefe durch die Vielfalt der Stimmungen der
verschiedenen Vögel alles viel intensiver. Es wurde mehr gegrüßt, mehr gebalzt, und das Kommen und Gehen nur während der großen Ruhepause mittags und in der Nacht unterbrochen.
Mehr Weibchen produzieren mehr Eier. Statt der normalen Vierergelege gab es sechs oder acht
Eier in den Horsten. Allerdings wollten nun auch mehr Vögel das Gelege unter ihre Fittiche
nehmen. Es wurde viel häufiger abgelöst und oft brüteten zwei Kuhreiher übereinander, manchmal schob sich noch ein dritter daneben. Selbstverständlich wurden in der Folge die Eier
öfters gerollt, und bei dem ganzen Getue fiel auch öfters mal eines auf den Boden.
Auf diese Weise verringerte sich die Zahl der Eier zusehends. Auch die Jungen hatten es beim
Schlüpfen, infolge der allgemeinen Unruhe, viel schwerer. Denn zu viele „Eltern“ kümmerten sich zu sehr um die Eier, jeder wollte unbedingt etwas betreuen. Da auch jeder Altreiher füttern
wollte, bekamen die Kinder zu viel Nahrung, waren ständig satt, bettelten nicht und hockten nur gelangweilt in den Nestern herum.
In der Freiheit sehen einander die Vogelpaare infolge der vielfachen Arbeit, die es dort zu leisten
gilt, wie Futterfang, Nestausbesserung, Jungenfütterung, Suchen neuer Nahrungsquellen, meist nur kurzfristig.
Einer der beiden Partner wacht etwa zwei bis drei Stunden am Horst bei den Jungen. Kommt der Gatte von der Nahrungsbeschaffung zurück, sind die Kinder bereits hungrig, betteln eifrig, und der bisher wachehaltende Vogel ist froh, nun selbst um Futter fliegen zu können.
Man begrüßt einander, krault ein wenig im Gefieder und wechselt die Arbeitsfunktion. Der
Ankömmling füttert die Kinder, ordnet am Nest und bleibt zur Wache, während nun seine
Partnerin davonfliegt. Zwei oder drei Stunden später kommt auch sie zurück und löst nun
ihrerseits ab.
Im Gehege aber hat man das Futter dauernd vor dem Schnabel, verliert den Partner nie aus dem Auge und wird seine auf die freie Wildbahn abgestimmte Energie nicht mehr los. Auch die Kinder kommen niemals in Notsituationen, lernen nicht die Schwierigkeiten und die Schliche der Futterbeschaffung, sondern machen nur die einzige, ihr weiteres Leben gestaltende Erfahrung, dass man im Fall von Hunger nur die Eltern anzubetteln braucht.
So kommt es, dass hier noch erwachsene, flügge Vögel vor den vollen Futterschüsseln sitzen und mit Flügelgepaddel und lautem Geckern von den Eltern Nahrung fordern.
Wir hatten unseren Kuhreihern, vom Brutplatz angefangen über Nistmaterial, Trink- und
Badewasser bis zur vitaminmäßig restlos ausgeklügelten Nahrung, alles gegeben, was sie
brauchten. Es gab keine Probleme mehr, keine Feinde und keine Bedrohungen. Sie lebten in einer „Sozialvoliere“ bester Konstruktion und hatten nichts zu tun. Es war eine Wohlstandskolonie mit kompletter Wohlstandsverwahrlosung entstanden.
Der Vergleich zum Menschen unserer Breiten drängt sich auf, vor allem der zum jungen
Menschen. Die zunehmende Tendenz, auf das wirtschaftliche „flügge werden“ zu verzichten und die Früchte elterlichen Wohlstands solange wie nur möglich zu genießen, anstatt unter gewissen Entbehrungen selbst welchen zu begründen, hat sich in unserer Gesellschaft weit verbreitet, wir nennen es auch das „Hotel Mama“.

Natürlich trifft diese jungen Leute nicht alleine die Schuld an einer solchen Lebenseinstellung,
sondern vor allem deren Eltern, die ihre Kinder zu lange und zu intensiv wirtschaftlich
verwöhnen.
Aber noch einmal zurück zum Kuhreiher, dem Otto König sehr ausführliche Untersuchungen
gewidmet hat. Dieser zeigt noch eine weitere interessante Ähnlichkeit zum Menschen. Wie schon der Name „Kuhreiher“ sagt, handelt es sich um eine Reiherart, die immer im Gefolge großer Weidetiere angetroffen wird und sich vornehmlich von den Insekten ernährt, die diese großen Tiere umschwirren. Bei uns gibt es sie nicht freilebend, da es ihnen derzeit hier noch zu kalt ist.
Kuhreiher haben sich aber von Afrika aus, praktisch auf alle Gebiete der Erde mit wärmerem
Klima ausgebreitet, eine „Bevölkerungsexplosion“, welche parallel zur stark wachsenden
weltweiten Rinderzucht erfolgt ist.
Diese explosive Vermehrung der Population führte bei diesen Tieren zum Phänomen der
„Akzeleration“: diese lässt die Kuhreiher schon viel früher geschlechtsreif werden – schon im
Alter von 1 Jahr im Gegensatz zu allen anderen Reiherarten. Sie hinken aber in ihrem
Sozialverhalten allen anderen Reihern deutlich nach und zeigen auch als einzige Art das
Phänomen der zuvor beschriebenen Wohlstandsverwahrlosung unter den obengenannten
Bedingungen.
Eine solche Akzeleration, das heißt ein immer früheres Auftreten der Pubertät und damit ein
Auseinanderdriften zwischen körperlicher und seelisch-geistiger Reife, ist auch beim heutigen
Menschen zu beobachten. Auch hier in Zusammenhang mit einer enormen Bevölkerungsexplosion und getriggert von einer Jurisdiktion, die aus populistischen Gründen das Alter der Volljährigkeit und des aktiven Wahlrechts längst in die Jugendjahre vorverlegt hat.
Doch unabhängig von der gesetzlichen Volljährigkeit und dem Wahlalter ist auch der schon mit
11-14 Jahren in die Pubertät kommende Mensch erst mit Mitte Zwanzig sozial und seelisch
wirklich ausgereift. In der westlichen Industriegesellschaft ist die Bevölkerungsexplosion durch
unsere wohlstandsbedingte Lebensweise nun wieder rückläufig, doch ist nun eine weitere Folge der Akzeleration, die wachsende Kinder- und Jugendkriminalität und damit die Frage nach einer Vorverlegung der Strafmündigkeit heute ein höchst aktuelles + kontroversielles Thema.
Unsere Bevölkerung wächst nicht mehr, weil bei uns Nachwuchs vielfach Einschränkung der
persönlichen Freiheit und wirtschaftlichen Nachteil bedeutet. Das führt zusätzlich zu den immer gravierender werdenden Problemen der Überalterung unserer Gesellschaft, für die es im Tierreichallerdings keine Entsprechung gibt.
Ich möchte noch einmal betonen, dass die Kuhreiher in dieser künstlichen Kolonie nicht einfach Verhaltensweisen des Menschen annehmen. Veränderte Verhaltensweisen, wie hier eben die der“Wohlstands-Verwahrlosung“ sind immer wieder bei einer Spezies mit einer fehlenden Motivationsquelle – in diesem Fall die der Nahrungsbeschaffung – zu beobachten, hier auch noch getriggert durch die zuvor erwähnte Akzeleration. Beides hier gezeigt an den Beispielen Mensch und Kuhreiher.

Das führt mich noch kurz zu der Frage: Was macht eigentlich ein Tier so den ganzen Tag lang?
Die alltäglichen einfachen artspezifischen Instinkt-bewegungen stehen häufig mehreren „großen“ Trieben zur Verfügung.
Vor allem die Bewegungsweisen der Ortsveränderung wie Laufen, Schwimmen Fliegen, etc., aber auch andere, wie Picken, Nagen, Graben usw. stehen im Dienst der „vier großen
Motivationsquellen“ nämlich:
Nahrungserwerb, Fortpflanzung, Flucht und Aggression.
Gerät nun dieses Gefüge der Motivationen durcheinander, kann das auf das gesamte Verhalten der Spezies enorme Auswirkungen haben, wie soeben bei den Kuhreihern gezeigt wurde, denen ja die Notwendigkeit des Nahrungserwerbes in der Voliere genommen wurde.
Einengung des natürlichen Lebensraumes oder Gefangenschaft sind die heute wesentlichsten
Ursachen für Veränderungen im tierischen Verhaltensmuster. Und auch hier ist die Analogie zu
uns Menschen evident. Nimmt man einem Tier jegliche Möglichkeit zur freien Bewegung und zur Flucht, kann sich seine Aggressivität und Kampfbereitschaft ins schier unermessliche steigern.
Auch bei hoher Populationsdichte einer Spezies nehmen deren Aggressionspotential und deren
Aggressivität gegen die eigene Spezies stark zu. Das ist aus zahlreichen Tierexperimenten bekannt und natürlich auch bei jeder größeren Menschenansammlung nachzuvollziehen.
Man denke nur an die eigene Laune im verstopften Straßenverkehr, die Stimmung im engen
Wartezimmer eines Amtes oder das besondere Flair eines überfüllten Aufzuges, besonders, wenn man es eilig hat und sich dann noch in jedem Stockwerk immer wieder Menschen dazugesellen.
Im Zusammenhang mit überbordender Aggressivität zueinander wird immer wieder von
„tierischem“ Verhalten der Menschen gesprochen, dem das edle und stets hilfreiche
„menschliche“ gegenübergestellt wird.
Dabei gibt es im Tierreich mit ganz wenigen Ausnahmen keine absichtliche Tötung von
Artgenossen und schon gar keine koordinierte Kriegsführung mit Massentötung.
Homo homini lupus est – der römische Dichter Plautus hat wohl recht damit, dass der Mensch des Menschen Wolf ist – nur dass dem Wolf dabei wirklich Unrecht getan wird!
Es gäbe nämlich auf der Welt längst keine Wölfe mehr, würden nicht verlässliche Mechanismen
im Verhalten von Wölfen und auch allen anderen Lebewesen, die dank natürlicher am Körper
gewachsener Waffen auch Artgenossen töten könnten, dieses Töten verhindern. Solche
Hemmungsmechanismen – wie sie genannt werden – hat der Mensch, ein von Natur aus
harmloser, waffenloser Allesfresser, praktisch keine.
Das war in seiner Evolution auch nicht notwendig, der Mensch war ein kluges Fluchttier, das
kaum in die Lage kam, Beute – im wahrsten Sinn des Wortes – eigenhändig umzubringen.
Inzwischen sind wir Menschen – dank unseres Erfindungsreichtums – bis an die Zähne bewaffnet und können auch auf große Distanzen töten, ohne dabei unmittelbar mit den Folgen

dieses Handelns konfrontiert zu werden. Müssten wir heute noch Tiere mit Händen und Zähnen töten, um Fleisch essen zu können, gäbe es unter uns wohl ausschließlich Vegetarier.
Dem anderen Menschen aber überhaupt sein Menschsein abzusprechen, tut sein Übriges, auch die
letzten Hemmungen fallenzulassen und menschliche Artgenossen in Massen zu töten oder solches zumindest gutzuheißen! Seien diese nun bezeichnet als Feinde, als Untermenschen, Nazis (wie gerade in der Ukraine) oder Ungläubige. Der vermeintliche gute Zweck dahinter heiligt in jedem Krieg jedes Mittel. So etwas gibt es bei den Viechern weit und breit nicht!
Ich fasse zusammen: Grundlage all unseres Verhaltens sind genetisch festgelegte Muster,
frühkindliche Prägungen, Koppelungen und Assoziationen, sowie Instinkte, Triebe, die
funktionale Erziehung und daraus abgeleitete Motivationen.
Überlagert werden diese einfachen – und natürlich auch im Tierreich oder vornehmlich dort zu
beobachtenden Verhaltensweisen von erlerntem Verhalten durch intentionale Erziehung,
Bildung und Vorbildwirkung durch andere Menschen, kurzum allen Mechanismen, die uns
schließlich als einen zivilisierten, kultivierten Menschen ausmachen.
Erlerntes Verhalten gibt es auch im Tierreich, doch möchte ich darauf aus zeitlichen Gründen jetzt nicht mehr näher eingehen.
Wichtig ist es, dass wir uns jener Verhaltensweisen, die so oft tierisch genannt – auch Teil unserer menschlichen Identität sind, stets bewusst sind, sie als Teil unserer Identität akzeptieren und uns nicht dafür schämen oder sie als minderwertig erachten. Es ist eben keinesfalls so, dass all unser Verhalten von unserem Verstand geleitet wird. Aber auch das Tierische in uns ist naturgegeben und es ist prinzipiell ein gutes Tier.
Gerade im Erkennen unserer tierischen Verhaltens-Grundlagen und im Beherrschen all der
niedrigen Triebe und Reaktionsmuster, die uns innewohnen und die immer wieder an die
Oberfläche drängen, liegt der Schlüssel zum höchsten Ziel, der Selbstveredelung des Menschen.
Und wo sonst – wenn nicht hier – kann dieses Ziel gesucht und gefunden werden.
I


Kettenspruch:
Gesagt ist nicht immer gehört
Gehört ist nicht immer verstanden
Verstanden ist nicht immer einverstanden
Konrad Lorenz

Schlussworte (optional): zum erlernten Verhalten im Tierreich möchte ich zum Abschluss noch
ein Beispiel anführen:
Habt Ihr gewusst, dass die Raben-Krähen zu den intelligentesten Tieren der Welt zählen? Sie
stammen in ihrer Urform von den Paradiesvögeln in Neuguinea ab und haben sich – ähnlich wie
der Mensch – Kraft ihrer Intelligenz und Anpassungsfähigkeit auf der ganzen Welt verbreitet.
Weltweit gibt es heute 125 verschiedene Krähenarten.
Es würde den Rahmen meiner Schlussworte sprengen, ginge ich nun noch genauer auf die
Intelligenz und Lernfähigkeit dieser Tiere ein. Daher nur ein Detail daraus: eine der
Hauptnahrungsquellen der Krähen im Winter in der Großstadt sind Walnüsse, die sie selbst im
Herbst gesammelt und versteckt haben.
Die Krähen finden – das wurde wissenschaftlich durch den Münchner Naturwissenschaftler Prof. Reichholf untersucht – bis zu 95% dieser versteckten Nüsse auch nach Monaten problemlos wieder, Eichhörnchen finden nur max. 20%. Um die Nüsse zu knacken lassen Krähen sie aus der Höhe auf harten Boden, wie Asphalt, fallen.
In eng verbauten Großstädten wie z.B. Tokyo, wo es kaum freie Asphaltflächen gibt, geht das
etwas anders: die Krähen werfen die Nüsse auf die Straße, lassen die Autos darüberfahren,
beobachten dabei auch die Verkehrsampel und sammeln die durch die Autos geknackten Nüsse ein, wenn die Ampel „rot“ zeigt.
Dieses „Nüsse-durch Autos-öffnen-lassen-und-dabei-auf-die-Ampel-achten“ wird von den
Jungtieren genau beobachtet, nachgemacht und weiter perfektioniert. Das ist aber nur ein Beispiel unter vielen, dass uns deutlich zeigt, dass wir Menschen Intelligenz und Erfindungsreichtum nicht für uns alleine gepachtet haben.

Passage sous le bandeau


BS Sr:. Sonja vom 04.12.2023
L:. Georges Martin/Droit Humain

Vorweg möchte ich betonen, dass ich in meinem Baustück gendere, jedoch möge man mir verzeihen, wenn ich die eine oder andere Stelle übersehen habe…

Die Passage sous le bandeau oder – wie es in unserem Ritual des 1° heißt – die „Befragung unter der Augenbinde“ – wird in allen französischen und vermutlich auch den meisten anderen Logen weltweit praktiziert, im Droit Humain Österreich hingegen bleibt es den einzelnen Logen überlassen, ob sie die Suchenden dieser Befragung unterziehen oder nicht. Mein Baustück beruht einerseits auf Erfahrungsberichten von Brüdern aus verschiedenen Logen in Frankreich, andererseits auf zwei Passagen, an denen ich als Gast teilnehmen durfte.

Die Passage ist ein Abschnitt im Aufnahmeverfahren. Für unsere neuen Lehrlinge möchte ich es an dieser Stelle kurz wiederholen: Wie wir alle wissen, gibt es dabei mehrere Abschnitte: wird jemand der Loge als Kandidat*in für unseren Bund vorgeschlagen, so trifft sich der MvSt mit ihm/ihr für ein erstes Kennenlernen. Bei der nächsten 1°- Arbeit im Tempel berichtet er den Geschwistern von diesem Treffen , verliest den Lebenslauf und die Antworten auf dem Fragebogen, dann wird abgestimmt, ob das Aufnahmeverfahren weiter verfolgt werden soll oder nicht. Bei einer positiven Abstimmung tritt der MvSt die an 3 MM heran und bittet sie, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die Interviews durchzuführen. Diese werden dann im Tempel verlesen und es kommt zur ersten Ballotage.

Verläuft diese positiv, so wird das Ansuchen mit jenen der Suchenden für andere Logen auf der Homepage des Droit Humain Österreich veröffentlicht, so dass auch die Mitglieder anderer Logen Einspruch erheben können, falls sie der Meinung sind, der/die Kandidat*in gehöre nicht aufgenommen.

In unserer Loge findet keine Passage statt, daher erfolgt als nächstes die Einweihung . In anderen Logen wird noch vor der Einweihung die Befragung unter der Augenbinde durchgeführt.

Ziel dieser Befragung ist es herauszufinden, mit welchen Absichten der Kandidat an die Loge klopft und ob es sein/ihr aufrichtiger Wunsch ist, Freimaurer*in zu werden. Dabei wird der Authentizität sehr große Bedeutung zugemessen. Man will erkunden, ob der/die Profane sich gut in die Loge eingliedern und ob der/die Suchende wirklich als solche bezeichnet werden kann. Es geht also in keiner Weise um hochwissenschaftliche, komplexe Antworten, sondern um solche, die von die Aufrichtigkeit des Kandidaten/der Kandidatin zeugen.

Laut unserem Ritual soll sie dazu dienen – ich zitiere -, “dass jede Sr:. und jeder Br:. eine gerechte, überlegte und unvoreingenommene Stimme darüber abgeben kann, ob die/der Profane in die FM aufgenommen werden kann“ oder eben nicht.

Dabei ist die Rolle der Augenbinde nicht dieselbe wie während der Aufnahme: bei der Einweihung ist sie ein Symbol für die Finsternis, die den/die Suchende umgibt, bevor ihm/ihr das Licht gegeben wird. Gleichzeitig aber wird der Kandidat eines seiner Sinne, nämlich des Sehens beraubt, was wiederum die anderen Sinne schärft. Ich kann mich noch nach über 20 Jahren an einige Details bei meiner Aufnahme erinnern, als wäre es gestern gewesen: zum Beispiel das Gefühl des Bückens beim Betreten des Tempels, den festen Griff meiner Bürgin oder die Stimme meines damaligen MvSts.

Im Anschluss an die Befragung unter der Augenbinde erfolgt die zweite Ballotage, welche ebenfalls positiv ausgehen muss, damit der/die Suchende aufgenommen werden kann. Die Passage ist damit die letzte Hürde im Procedere der Aufnahme.

Im DH stellt der Redn:. die Fragen, in anderen Obödienzen kommen alle MM.: zu Wort. Die meisten L:. verfügen über eine Art Fragenkatalog, manche jedoch stellen die Fragen spontan,

Ich war an zwei Passagen einer anderen Obödienz anwesend. Im Droit Humain fällt die Durchführung der Passage unter die Logenautonomie. So wird zum Beispiel in der L:. Aurora die Befragung unter der Augenbinde praktiziert und SSr:. Karo hat uns vor ein paar Jahren über ihre Eindrücke berichtet. Obwohl sie selbst sich für die Passage aussprach, ist mir eine ihrer Aussagen in besonderer Erinnerung geblieben: „Nach der Passage hat man mich vor die Eingangstür geführt. Ich habe mich in meinem ganzen Leben nie so allein gefühlt wie damals im Stiegenhaus der Bräunerstraße.“

Alle drei Ereignisse – die beiden Passagen denen ich beiwohnen durfte sowie der Eindruck unserer Sr:. Karo hatten eine nachhaltige Wirkung auf mich.

Die Passage ist der einzige Moment, in dem ein Profaner den Tempel während einer freimaurerischen Arbeit betreten darf. Die Augenbinde hat dabei mehrere Funktionen:

Der/die Profane gibt sich in die Hand einer Gruppe von Menschen, die er/sie bis auf einen einzigen – nämlich den Bürgen – nicht kennt, die er nicht sieht und von denen er nicht weiß, was sie gerade tun. Er/sie weiß auch nicht, wie viele Personen im Raum sind: zehn, zwanzig oder gar 50 oder 100? Dies alles ist ein großer Vertrauensvorschuss von seiner/ihrer Seite.

Ohne Augenlicht schärfen sich die anderen Sinne. Unser Geist ist offen und gleichzeitig konzentriert.

Die Außenwelt wird anders wahrgenommen: durch Stimmen, Worte, und Geräusche, die man nicht deuten kann.

Außerdem soll der/die Kandidat*in nicht durch Gegenstände oder Bilder im Tempel abgelenkt werden, sondern sich voll und ganz auf die Befragung konzentrieren.

Durch die verbundenen Augen wird aber auch die Deckung der anwesenden Geschwister gewahrt, denn es steht ja noch nicht fest, ob man überhaupt aufgenommen wird.

Das Ziel dieser Befragung ist es also zu erkennen, ob der/die Profane für diesen neuen Lebensabschnitt bereit ist, ob genug Vertrauen vorhanden ist, sich auf eine Gruppe einzulassen, die aus fremden Menschen besteht, die man nicht einmal sehen kann; ob der/die Profane so weit ist, scheinbar willkürliche Fragen über sich ergehen zu lassen und dem Pfad der Wahrheit zu folgen.

Bei den Fragen selbst gibt es kein richtig oder falsch, sondern es geht darum, dass der/die Befragte aufrichtig antwortet und authentisch bleibt. Es geht darum, den/die Suchende in einer außergewöhnlichen Situation besser kennen zu lernen. Dabei ist es nicht so wichtig, was jemand denkt, sondern wonach er/sie auf der Suche ist. Weltanschauliche, politische oder gar religiöse Vorstelllungen haben bei der Befragung nichts verloren. Hingegen geht es um die Bereitschaft, sich persönlich weiterzuentwickeln, um zum Wohle der Menschheit etwas beizutragen. Da man sich der Anspannung des/der Kandidat*in bewusst ist werden eher einfache Fragen gestellt, auf die man sich einfache Antworten und keine wissenschaftlichen Abhandlungen erwartet. Fragen, die zu sehr ins Private gehen sind nicht erlaubt. Ebenso wenig darf es Diskussionen zu den einzelnen Antworten geben. Auch Fragen, die schon während der Interviews gestellt wurden, sollen nicht im Rahmen der Passage wiederholt werden.

Auf youtube findet man eine vollständige Passage, allerdings in französischer Sprache1. Der Suchende wird vom Zeremonienmeister und einem Geleiter an der Hand in den Tempel geführt und setzt sich auf einen für ihn vorbereiteten Stuhl zwischen die Säulen. Der MvSt versichert ihm, dass seine Antworten den Raum nicht verlassen werden. Der Kandidat beginnt mit einer kurzen persönliche Vorstellung: verheiratet oder geschieden, wie viele Kinder, auch die derzeitige berufliche Tätigkeit wird genannt. Erst dann beginnt die eigentliche Befragung, wobei verschiedene Geschwister je eine Frage stellen – vorbereitet oder spontan, auch das ist von Loge zu Loge verschieden. Der Ton beim Stellen der Fragen soll neutral, aber doch irgendwie distanziert bleiben, da es sich ja um eine Art Prüfung handelt. Nach jeder Antwort bedankt sich der/die Fragende mit einem kurzen „Merci, Monsieur“ um zu verdeutlichen, dass nun die nächste Frage folgt.

Die Arbeit im Tempel weicht leicht von den herkömmlichen Arbeiten ab, da der MvSt das Wort direkt an jene SSr und BBr gibt, welche die Befragung durchführen. Ausnahmsweise wird nicht über den ersten oder zweiten Aufseher um die Erteilung des Wortes angesucht, sondern es wird vom MvSt durch Handzeichen vergeben. Durch diese Abänderung des Rituals herrscht eine andere, etwas spontanere Atmosphäre. Die Fragen werden von verschiedenen Personen und aus verschiedenen Richtungen gestellt, was die Befragung lebhafter gestaltet, als wenn nur eine Person zu dem Befragten spricht.

Nun möchte ich ein paar konkrete Fragen, die ich aus französischen Berichten oder Videos entnommen habe, zitieren:

  • Ist Ihre Gattin mit Ihrem Ansuchen einverstanden?
  • Was sind Ihre wichtigsten Werte?
  • Was bedeutet für sie Toleranz?
  • Nennen Sie uns Ihre größte Stärke?
  • Was ist Ihre größte Schwäche?
  • Auf welchen persönlichen Erfolg sind Sie in Ihrem Leben am meisten stolz?
  • Was glauben/hoffen Sie in der Freimaurerei zu finden?
  • Vorhin haben Sie gesagt, dass Sie die Freundschaft suchen. Was bedeutet für Sie Freundschaft?
  • Was glauben Sie der Freimaurerei geben zu können?
  • Denken Sie, dass Sie ein freier Mensch sind?
  • Können Sie uns ein Buch, einen Film oder ein Kunstwerk nennen, das Sie nachhaltig beeinflusst hat?

In manchen Logen ist es üblich, den/die Kandidat*in vor der Passage in die Schwarze Kammer zu geleiten – ohne dem bei einer Einweihung vorhandenen Gegenstände – und ihm schriftlich drei Fragen zur Beantwortung zu geben, und zwar zu seiner Heimat, seiner Familie und seiner Person. Die Antworten werden dann sofort im Tempel vorgelesen, während der/die Profane noch in der Schwarzen Kammer verweilt und sich geistig auf die Passage vorbereitet.

Unser Ritual sieht folgenden Ablauf vor:

Zuerst wartet der/die Profane vor der Eingangstür im 2. Stock der Bräunerstraße. Von innen klopft der GE an die Eingangstür, um dem Geleiter zu signalisieren, dem Profanen die Augenbinde anzulegen. Geführt vom GE begleitet der Geleiter den Profanen zur Tempelpforte. Dort klopft der GE einmal an und es beginnt der Dialog, der jenem der Aufnahme sehr ähnlich ist (S 37). Der/die Suchende muss versprechen, über das Erlebte zu schweigen, auch wenn die Aufnahme nicht befürwortet wird. Anschließend stellt der Redner die vorbereiteten Fragen. Am Ende bedankt sich der MvSt beim Suchenden und dieser wird vom Begleiter und unter der Führung des GE hinaus geleitet. Vor der Eingangstür wird dem Profanen vom Geleiter die Binde abgenommen und er wird verabschiedet. Erst wenn der Geleiter und der GE wieder im Tempel sind wird vom MvSt ein Text über die Aufnahme in die FM verlesen, dann fragt er, ob jemand das Wort bezüglich des Antrags des Kandiaten wünscht und erst wenn die Kolonnen schweigen erfolgt die Ballottage.

Alsdann verliest der Redner den dieser zweiten Ballotage entsprechenden Artikel des Generalreglements und schlägt vor, abzustimmen. Der Schriftführer hält die Anzahl der stimmberechtigten fest und erst dann werden die schwarzen und weißen Kugeln vom GE an die anwesenden MM verteilt. Nach der Ballotage werden die Kugeln ausgezählt die Gegenprobe gemacht und das Resultat vom Redner bekannt gegeben. Der MvSt verständigt am nächsten Tag den Profanen über das Ergebnis der Abstimmung.

Aus den französischen Berichten geht hervor, dass es eine einmalige Erfahrung ist, dass die Befragten das während der Passage Erlebte durchaus positiv sehen – denn wann hat man schon die Gelegenheit, ganz mit sich selbst zu sein, sich einer Gruppe von Menschen anzuvertrauen, die man nicht kennt und über die man nichts weiß? In den verschiedenen Foren habe ich aber auch einige – wenn auch wenige – gefunden, die sich traumatisiert oder unter Druck gesetzt fühlten.

Selbstverständlich hängt es auch von der Stimmung innerhalb der Gruppe ab. In einer Loge, in der Harmonie herrscht und auf Augenhöhe kommuniziert wird, wird es kaum Probleme geben. In einer hierarchisch sehr strikt arbeitenden Loge hingegen könnte es sein, dass sich die Passage weniger als eine Befragung denn als ein Verhör anmutet, was jedoch im Widerspruch zur Idee steht.

In einem französischen Freimaurerforum habe ich folgenden Absatz gefunden:

Einen besonderen Punkt möchte ich hervorheben: Man glaubt oft, dass die Augenbinde dazu dient, den Suchenden in eine Position der Unterordnung oder sogar der Demütigung zu versetzen. Darum geht es sich überhaupt nicht. Die Augenbinde wurde von mir als ein Moment erlebt, wo ich im Angesicht mit mir selbst, meinen Widersprüchen und meinen eigenen Fragen war. Man findet sich mit verbundenen Augen wieder und es werden einem Fragen gestellt. Die Person, die diese oder jene Frage stellt, sieht man nicht, man kennt sie nicht einmal. Und dennoch, oder gerade deshalb, versucht man möglichst ehrlich zu antworten.

Passend zum heutigen Thema möchte ich die folgende Stelle aus dem Kleinen Prinzen zitieren:

  • »Lebe wohl«, sagte der Fuchs. »Hier ist mein Geheimnis. Es ist sehr einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.«
  • »Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar«, wiederholte der kleine Prinz, um es sich einzuprägen.

Das Wort


Baustück im 3°
DARF NUR VON MEISTERN GELESEN WERDEN !!!
i.·.O.·.z.·.Wien, 5. Oktober 6023
Sr.·. Andrea Maria Dusl, L.·. Euklid, Past Master Loge Euklid Addenda vom 10. Juli 6016



Wir sprechen heute über das Wort. Das Wort. Das Wort im endgültigen Grad
der Freimaurerei, dem Meistergrad. Jeder von uns hat dieses Wort zumindest
einmal gehört, manche von uns haben es auch hörbar gemacht, also
weitergegeben. Was wissen wir über das Wort, wie lautet es, was bedeutet es
und woher kommt es? Die Sache ist nicht ganz einfach. Und dann vielleicht
doch.
Wann und wo werden wir zum ersten mal mit dem Meisterwort konfrontiert?
Da wir bei der Rezeption ein Passwort für den Lehrlingsgrad bekommen und
bei der Beförderung ein solches für den zweiten Grad, lässt sich auch vor der
Erhebung ohne große Erfindungsgabe schließen, es müsse auch ein solches
für den dritten Grad geben. Wir werden also schon als junge Maurer auf das
zu gebende Meister-Wort vorbereitet. Was wir nicht wissen, aber viszeral
ahnen: Auf den Meisterschurzen vieler blauer Logen prangen die Buchstaben
“M” und “B”, die definitiv nicht für Jachin und Boas und auch nicht für
Tubalkain oder Shibboleth, die Passworte der ersten beiden Grade stehen
können. Auf Befragung hüllen sich Meister in Schweigen. Hinter M und B
muss also ein Geheimnis liegen. Das wohl bei der Erhebung enthüllt wird.
Mit diesem Vorwissen oder zumindest dieser Ahnung gehen wir in die
Erhebung.
Wie wird das Meisterwort in der Erhebung enthüllt?
Schrittweise. Mit einer eindrücklichen Dramaturgie. Sehen wir uns dazu das
uns bekannte Schröder-Beigel-Ritual an: Es fasst in der Hiramslegende, die
ja insgesamt davon handelt, dass Urmeister Hiram das Meisterwort nicht
weitergeben will (oder vielleicht: Nicht weitergeben kann?) und deswegen
auch getötet wird, die bereits bekannten Passworte zusammen. Da mit
Hirams Tod, so der Plot, das überkommene Meisterwort verloren war, habe
König Salomon das erste Wort, das bei der Hebung des Leichnams
gesprochen werden sollte, zum neuen Meisterwort bestimmt. Dies ist die
erste Nennung des Kommenden. Und gleichzeitig der oft vergessene Hinweis,
dass das Meisterwort nicht das ursprüngliche ist, sondern ein neues. Ein
Ersatz.
Gehen wir im Ritualtext weiter zu jener Passage, wo der Kandidat, die
Kandidatin in ihrer, seiner Rolle als toter Hiram bereits liegt, aber schon
entdeckt ist:
Schwester oder Bruder Redner referiert aus der Hiramslegende: “Da trat der
erste Meister an den Leichnam Hirams und fasste seine Hand im
Lehrlingsgriff.” Dies stellt Schwester oder Bruder Zweiter Aufseher nach und
sagt dabei: “Die Haut löst sich vom Fleische! Ich vermag ihn nicht zu heben!”
Da tritt der zweite Meister (in Form des Ersten Aufsehers herzu und
versucht, den Leichnam im Gesellengriff zu heben. Er sagt, nach
vergeblichem “Erheben”: “Auch ich vermag ihn nicht zu heben, das Fleisch
löst sich vom Bein.“
Das Ritual kulminiert in seinen Höhepunkt: „Da hebt der dritte Meister
(verkörpert vom Meister vom Stuhl) seine Hände zum großen Not- und
Hilfszeichen” und verkündet die Konklusio aus den beiden vorangegangenen,
aber vergeblichen Versuchen: “So will ich Hiram heben durch die Fünf
Punkte der Meisterschaft: Hand in Hand, Fuß an Fuß, Knie an Knie, Brust an
Brust, die Linke über den Nacken. Mit dieser Abfolge an Bewegungsmustern
wird der/die Liegende ganz im Wortsinne „erhoben“.
Indem sich Erhebender Meister und Erhobene nun körperlich ganz nahe
sind, flüstert der Meister vom Stuhl dem jungen Meister das Meisterwort
deutlich ins rechte Ohr: M..b…. Der Zusatz, so wird er ausdrücklich im Ritual
genannt, wird ins linke Ohr geflüstert: E. l. i. S. Mit der Erhebungsformel gilt
der Kandidat, die Kandidatin als erhoben. Und ist dies auch in einem
tatsächlichen Sinn. Er/sie ist damit Meister.
Was bedeuten nun diese, uns einmalig bekanntgegebenen Worte?
Wieder gibt uns fürs erste das Ritual Auskunft. In jener Passage der
Belehrung, die ein Prüfungsverfahren mit einer Reihe von Fragen nachstellt,
fragt der Vorbereitende Meister den Eintretenden Meister: “Gib mir das Wort
und seine Bedeutung!” Der Eintretende Meister (und damit jeder solcherart
befragte Meister) antwortet nun: “Das Wort kann nur in der Stellung der 5
Punkte der Meisterschaft weitergegeben werden. Es werden ihm mehrere
Bedeutungen zugeschrieben: “Die Haut löst sich vom Fleisch”, “Er lebt im
Sohn” oder auch “Ich bin ein Kind des Meisters”.
In anderen Ritualen, etwa dem Schottischen, sind die korrespondierenden
Passagen bekanntlich etwas ausführlicher gestaltet, die Unterweisung selbst
gibt keine Erklärung über die Bedeutung des Wortes. In der
Erhebungspassage selbst liest man im Schottischen Ritual (Referenz ist hier
jenes der Loge Phoibos Appollon des GOÖ) den Doppelbegriff “M.h.B.n. M..
B….”
Gibt es also mehrere Worte? Mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen?
Befragen wir die masonische Literatur.
Der berühmte Hochgradfreimaurer und Autor Schottischer Rituale Albert
Pike will im hebräischen Wort MVABAVN das Original des Meisterwortes
erkannt haben und meint ‚Moab On‘ mit ‚Emanation männlicher Energie’
übersetzen zu können. Ein gewisser Peter Bull, Herausgeber der
maurerischen Seite ‘Masoncode’ deutet das Wort mit Hilfe der Gematrie, der
kryptischen Numerologie der Kabbala und verweist darauf, dass das
hebräische Wort den Wert 756 habe und damit den gleichen wie die Passage
mit der Heilung des Gelähmten im Tempel aus der Apostelgeschichte 3,6:
Εγειραι και περιπατει (Egeirai kai peripatei) – ‚erhebe dich und gehe’. Der
Umstand, dass die Erhebung durch den Löwengriff erfolgt, wird
gemantrisch-kabbalistisch mit der Zahl 365 erklärt, der Zahl der Tage im
Sonnenjahr. Dazu soll passen, so der Autor, dass das AVN in MAVB-AVN der
hebräische Name von Heliopolis, der Stadt der Sonne sei. Nicht zuletzt, so
dieser Deutungsversuch, sei der Löwe ein solares Tier und emblematisch für
die männliche Energie der Sonne.
Bleiben wir noch kurz bei kabbalistischen Interpretationen. So soll die
englische Version des Meisterworts, ‚Mah Hah Bone‘ (oder ‘Mahaboneh’) den
Wert 153 haben. Dies soll insofern eine signifikante Zahl sein, als sie in der
Zahl der Fische gefunden werden könne, die den Jünger im
Nachauferstehungszeit bei ihrem Fischzug am See Genezareth (in Johannes
21,11) ins Netz gehen. Die Zahl 153 gilt, so die masonisch-kabbalistische
Gematrie weiter, seit Jahrhunderten als Zahl der ‘Auferstehung zum ewigen
Leben’ und gleichzeitig als jene von Maria Magdalena.
Dieser kleine Ausflug in kabbalistische Pareidolien, in kritischer Betrachtung
womöglich nicht mehr als das Erkennen von Strukturen und Bedeutungen in
Zufälligem, zeigt uns eines sehr deutlich: Das Meisterwort – besser gesagt das
Ersatzwort für das Meisterwort – hat keine einheitliche Bedeutung, sondern
vielfältige. In der Etymologie ist das ein bekanntes Phänomen. Entlehnte
Wörter beginnen ein Eigenleben zu führen. Wörter verlieren ihren
ursprünglichen Sinn, neuer wird ihnen eingeschrieben. Oft sogar ähnlicher.
Sehen wir uns ein paar andere dieser Bedeutungen und Deutungen an.
In der angelsächsischen masonischen Literatur wird Mac, der erste Teil des
Wortes gerne in der Bedeutung ”smitten”, soviel wie “befallen”, “gequält”,
“geschlagen”, “(nieder)geschmissen” gedeutet und vom hebräischen Verb mit
dieser Bedeutung, “macha” gelesen. Andere sehen hier das hebräische “mak”,
verrottet, und meinen darin zu lesen “er” sei “verrottet”. Dem schlösse sich
also die in der Hiramslegende nacherzählte Erfahrung an, einen bereits
Verwesenden anzugreifen, und dabei ganz deutliche Begegnung mit der
Vergänglichkeit zu machen. Meister Eins und Meister Zwei vermögen den
toten, bereits verwesenden Meister nicht zu ergreifen. Nur der Dritte Meister
vermag dies, mit Hilfe einer speziellen Technik: Dem Löwengriff und den 5
erwähnten, sukzessive applizierten Punkten der Meisterschaft: Erst Hand in
Hand, dann Fuß an Fuß, Knie an Knie, Brust an Brust, und zuletzt, um das
Umfallen zu verhindern, die Linke über den Nacken. Wir bringen also mit
den 5 Punkten der Meisterschaft einen Toten zum Stehen.
Das Meisterwort in der Bedeutung “Die Haut löst sich vom Fleische” ist das
erste Wort, das beim Auffinden gesprochen wurde, und wurde genau so, wie
von König Salomon in der Hiramslegende bestimmt, zum neuen Meisterwort.
Dieses wird nun dem Untoten in einem magischen Vorgang eingeflüstert. Der
so erhobene Meister ist also nicht nur er selbst, sondern auch der erhobene
Hiram. Und bleibt dies in einem magischen Sinn auch.
Sehen wir uns andere Deutungen an.
Ohne Bezug auf das Hebräische kommt die Deutung aus, die Macbenac als
“er lebt im Sohn” übersetzt. Aber welcher Sohn ist gemeint? Und warum ist
dies ein geheimes Passwort im Meister-Grad der Maurerei? In der Bedeutung
“er lebt im Sohn” und vor dem Hintergrund des englischen Bürgerkriegs der
Vierzigerjahre des 17. Jahrhunderts ist das Wort ein Erkennungszeichen des
schottischen Königs-Hauses Stuart, das die Freimaurerei als politisches
Instrument verstand, ihre Exilmonarchie zu restaurieren. Mit der Phrase
“Sohn der Witwe” war Jakob II. (englisch James II.) gemeint, Sohn von
Henrietta Maria, Tochter Heinrichs des IV. von Frankreich und Witwe Karls
des I. (englisch Charles des I.). Statt des alten Meisterwortes, das bisher
verwendet worden sein soll, so masonische Forscher, soll “macbenac”, aus
dem Gälischen kommend, verwendet worden sein. Im Verständnis der
Stuart-Treuen war die Konnotation mit dem Gälischen, der alten Sprache der
Highlands fast so etwas Heiliges wie die Verwendung der heilige Sprache
Hebräisch. Auf gälisch ist ‘Mac’ bekanntlicherweise der Sohn und ‘benach’
gesegnet, vom aktiven Verb “oeannaichy”, segnen”. Macbenac ist also im
Gälischen der “Gesegnete Sohn”. Mit diesem Wort bedachten die Stuart-
Freimaurer ihr Idol, den englischen Kronprätendenten, den Sohn von Karl I.
Der Mythos Charles wird Meister Hiram eingeschrieben, der als sein Sohn
Karl wiederaufersteht.
Mac, Sohn ist also ein gälisches Wort. Ist es nicht, zumindest nicht, was seine
ursprünglichen Herkunft betrifft. Das Wort und seine Verwandten hat keinen
indoeuropäischen Ursprung. Dies versucht der Etymologe Theo Vennemann,
emeritierter Professor der Universität München nachzuweisen. Das Gotische,
so Vennemann, kennt die Wörter mag-aths (Mädchen) und magus (Bub,
Junge), es findet sich in vielen Westgermanischen Sprachen, und in seiner
weiblichen Form auch in unserem Wörtern Magd und Maid.
Das vorgermanische +magapiz ‚Mädchen‘ und +maguz ‚Junge‘ haben eine
Wurzel in +maC-AmäC- das im Germanischen als +mag-Amaw-Ameg-
erscheint. Ein solches Suffix existierte nicht im Indo-Europäischen, es ist
aber den semitischen Sprachen gemein. Es kommt, so Vennemann auch im
Alten Ägypten vor. Vennemann erklärt das mit einer Entlehnung der
Wortgruppe ins Prä-Germanische aus einer Atlantischen Sprache, also der
prähistorischen Kolonialsprachen Nordwesteuropas, verwandt mit den
semitischen Sprachen Nordafrikas und des Mittleren Ostens. (Atlantisch
bezieht sich sprachwissenschaftlich auf den Atlantik, nicht jedoch auf das
mythentechnisch belastete „Atlantis“)
Nach Vennemann ist die gesamte Wortgruppe, die sich um +maguz ‚Junge‘
and +magapiz ‚Mädchen‘ gruppiert, ein atlantisch-semitischer
Lehnwortkomplex. Und mehr noch, sie gibt Hinweise auf eine matrilineare
Gesellschaft. Ist das der andere, ältere Ursprung des Sohns der Witwe?
Wer war diese Völker und woher kam ihre Sprache? Atlantische Semitiden,
oder kurz Atlantiker, ist ein Begriff aus der historisch vergleichenden
Sprachwissenschaft. Nach Theo Vennemann sind die Atlantiker Sprecher von
afroasiatischen (vormals hamito-semitisch genannte) Sprachen, die ab etwa
5.000 v. Chr. von Nordafrika aus die europäische Atlantikküste von der See
her besiedelten. Sie seien, so Vennemann, die Träger der Megalithkultur
gewesen. Ihre weiteste Ausdehnung erreicht diese Kultur und damit ihre
semitische Sprache – gemäß Vennemanns Theorie – etwa um die Mitte des 3.
Jahrtausends v. u. Z. in Südschweden und an der Weichselmündung. Die
Kolonisierung findet über einen langen Zeitraum von 5000 Jahren statt,
sodass mit verschiedenen Einwanderungswellen gerechnet werden muss.
Zwei dieser Wellen lassen sich bisher für den Zeitraum vor der Zeitenwende
herausarbeiten:
Eine frühe Phase, beginnend und endend in der Steinzeit. Sie wird von
Sprechern einer „hamitischen“ – in heutiger Benennung: proto-berberischen
– Sprache getragen. Diese erobern die Britischen Inseln vollständig und
bringen neue kulturelle Errungenschaften wie etwa die Seefahrt, den
Ackerbau, die Viehzucht und die Obstkultur aus dem Mittelmeerraum mit.
Die Sprache der Inseln wird afroasiatisch. Dort und in küstennahen Gebieten
des Kontinents verbreiten die frühen Atlantiker die Megalithkultur.
Eine spätere Phase beginnt etwa um 500 v. u. Z. mit der Expedition des
karthagischen Seefahrers Himilkon. Diese Phase endet abrupt mit dem Ende
des zweiten Punischen Krieg 201 v. u. Z., in dessen Folge Karthago alle
westlichen Kolonien an Rom verliert.
Mac, der Sohn, ist also auch in dieser Konsequenz ein afroasiatisches Wort.
Könnte es sein, dass die auf den britischen Inseln entwickelte Freimaurerei
sehr viel ältere und ursprüngliche semitische Wurzeln hat, und in letzter
Konsequenz aus dem alten Ägypten stammt?
Wie auch immer diese Frage beantwortet werden kann, Albert Pike gibt seine
Vermutungen preis, wie das ursprüngliche Meisterwort gelautet haben
könnte: AVN, der Name der ägyptischen Stadt, die die Griechen Heliopolis
nannten, mit der Bedeutung “Robustheit, Stärke”. Etwas mehr masonischen
Bezug hat die Vermutung, dass AMVN das ursprüngliche Wort sei,
kombiniere es doch das maskuline AVN mit dem maternalen AM, um eine
Göttlichkeit mit sexueller Polarität in Balance zu schaffen. Amun, (auch
Amon, Amoun, Ammon, Amen) ist die primäre Gottheit der alten Ägypter,
eine Wind- und Fruchtbarkeits-Deität, von den Griechen mit Zeus, von den
Römern mit Jupiter identifiziert.
AMVN ist zufälliger/unzufälligerweise auch das bibelhebräische Wort für
Architekt oder Baumeister. In Kombination also das, was wir (wenn wir das
tun) mit dem Grossen Baumeister aller Welten bezeichnen. Die sexuelle
Polarität wäre in masonischen Verhältnissen mit der Praxis dargestellt, mit
der wir Winkelmass und Zirkel vereinigen, das männliche und das weibliche
Prinzip, wie es als eben dieses Zeichen in den Symbolen von Shiva und Shakti
vorliegt.
In dieser Betrachtung muss jene Deutung grosses Gewicht bekommen, die
Mahabone/Macbenac vom ägyptischen “Ma’at” herleitet. Der Begriff
bezeichnet ein Prinzip und entstand zeitgleich mit der Entwicklung des
ägyptischen Staatssystems. Als Verb bezieht sich der Begriff einerseits auf die
Bedeutung „lenken“, „richten“, „Dingen eine Richtung geben“, andererseits
auf „darbringen“ sowie „opfern“. Aus diesen Bedeutungen ergeben sich
Übersetzungen, die mit der Thematik des „Richtungssinns“ in Verbindung
stehen, wobei darunter die „richtige Richtung unter Einschluss der Wahrheit“
zu verstehen sein dürfte. In späterer Zeit wurde die Ma’at als Göttin
personifiziert, dargestellt als Frau mit einer Straußenfeder auf dem Kopf und
dem Anch in der Hand. Dergestalt symbolisiert sie die moralische
Weltordnung, aber auch das gemeinsame Glück von Staat und Bevölkerung,
ein Prinzip der Ordnung also, wie wir sie als freimaurerischen Begriff der
“Ordnung” kennen.
Dem gesellt sich auch der Begriff der “beiden Ma’at“ hinzu, eine
Gleichzeitigkeit von innerer und äußere Ordnung bezeichnend. Der Ma’at
wurde in späterer Zeit eine Schwester namens Isfet als Gegenpol zugeordnet,
die für das Chaos steht. Obwohl Isfet gefürchtet wird, weil sie Leid und
Verwüstung mit sich bringt, wird ihre eigentliche Existenz jedoch nicht in
Frage gestellt, müssen doch beide Aspekte, das Positive und das Negative,
vorhanden sein, damit ein Gleichgewicht bestehen kann. Dies erinnert sehr
stark an das maurerische Prinzip des musivischen Pflasters.
Sollte Ma’at das tatsächliche Meisterwort sein, kann es Nichteingeweihten
(wie in der Hiramslegende) nicht abverlangt werden, stellt es doch das
Prinzip der Ordnung dar und ist als Worthülse wertlos. Es ist ein Programm
und keine Programmzeile.
Im Lichte dieser Zusammenhänge ist es also völlig egal, wie wir unser
Passwort aussprechen, deuten oder verstehen. Es wird in richtiger
Anwendung immer von seiner tatsächlichen Bedeutung transzendiert:
Der Ordnung.
Dieses Wort hören wir sehr oft, meine Schwestern Meister, meine Brüder
Meister. Dieses Wort leben wir in unserer Arbeit: Ma’at, die Ordnung.
Hier schloss das ursprüngliche Baustück, das ich am 30. November 6016 in
meiner Loge Euklid gehalten habe.
Erst vor kurzem habe ich eine Deutung des Wortes M..B…. gefunden, die mir
für den Meistergrad, jenen Grad also, dem jene angehören, die den Hammer
führen, am besten zutrifft.
Ich hole ganz kurz aus.
Wir alle kennen aus der jüdisch/christlichen Religionsgeschichte, und den
betreffenden Schriften die Figur des Juda Makkabäus (oder Judas
Makkabäus, auch Machabeus oder Makkabäus, hebräisch: יהודההמכבי
Yehudah HaMakabi genannt). Er war ein jüdischer Priester (Kohen) und ein
Sohn des Priesters Mattathias und führte den Makkabäeraufstand gegen das
Seleukidenreich an (167-160 v. Chr.). Der jüdische Feiertag Chanukka
(„Einweihung“) erinnert an die Wiederherstellung des jüdischen
Gottesdienstes im Zweiten Tempel in Jerusalem im Jahr 164 v. Chr.,
nachdem Juda Makkabi alle Statuen, die griechische Götter und Göttinnen
darstellten, entfernt und den Tempel gereinigt hatte.
Juda war der dritte Sohn von Mattathias des Hasmonäers, eines jüdischen
Priesters aus dem Dorf Modi’in. Im Jahr 167 v. Chr. begann Mattathias
zusammen mit seinen Söhnen Juda, Eleasar, Simon, Johannes und Jonathan
einen Aufstand gegen den seleukidischen Herrscher Antiochus IV.
Epiphanes, der seit 169/8 v. Chr. Dekrete erlassen hatte, die jüdische
religiöse Praktiken verboten. Nach dem Tod von Mattathias im Jahr 166 v.
Chr. übernahm Juda gemäß der Verfügung seines Vaters auf dem Sterbebett
die Leitung des Aufstands. Das erste Buch der Makkabäer lobt Judas
Tapferkeit und militärisches Talent, was darauf hindeutet, dass diese
Eigenschaften Juda zu einer natürlichen Wahl für den neuen Befehlshaber
machten.
Herkunft des Namens
Nach jüdischem Volksglauben ist der Name Makkabäer eine Abkürzung des
Verses „Mi kamokha ba’elim Adonai“, „Wer ist unter den Göttern wie du, o
Adonai?“, dem Schlachtruf der Makkabäer zur Motivation ihrer Truppen.
(Exodus 15:11). Einige Gelehrte behaupten, der Name sei eine Kurzform des
hebräischen maqgab-Yahu (von nagab, „markieren, bezeichnen“) und
bedeute „der von Jahwe Bezeichnete“. Obwohl der Nachname Makkabäer
ursprünglich nur für Juda galt (seine Brüder hatten andere Nachnamen),
wurde er später zur Bezeichnung für alle Hasmonäer, die während des
Makkabäeraufstands kämpften.
In den frühen Tagen des Aufstandes erhielt der jüdischer Priester Juda,
Yehudah (nennen wir ihn vielleicht sogar Meister Yehudah) den Beinamen
„Makkabäer“ Yehudah. Wir wissen nicht, ob dieser Nachname als
Griechischer, Hebräischer oder Aramäischer zu verstehen ist. Für diesen
Nachnamen wurden mehrere Erklärungen vorgeschlagen. Eine davon besagt,
dass der Name vom aramäischen maggaba („makebet“ im modernen
Hebräisch) abgeleitet ist, was nichts anderes als „Hammer“ bedeutet.
Hier schließt sich also der Kreis der Bedeutungserörterungen. M..B…., als
Einweihungsformel ins Ohr geflüstert ist also nichts anderes als das Wort
„maggaba“. Der Hammer. Das Autoritätszeichen der Meister der Königlichen
Kunst.
Danke, ich habe gesprochen.


Literatur:
Loge Euklid, GOÖ: Ritual zur Erhebung.
Loge Phoibos Apollon, GOÖ: Ritual zur Erhebung.
Ritual zur Erhebung
Vennemann, Theo: „Germania Semitica: Pre-Gmc. +-at- in E maiden, G Magd/Mädchen, Goth. magaths“.
Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 56, 1-16. München, 2002.
O.N.: What is the meaning of Mahabone in freemasonry?, in: https://www.reference.com/world-view/meaning-mahabone-
freemasonry-6767c1b77d840fe3#
O.N.: MAC, in: http://www.phoenixmasonry.org/mackeys_encyclopedia/m.htm
Maat – Meyers Konversationslexikon, 1890
O.N.: Maat, in: https://de.wikipedia.org/wiki/Maat_(ägyptische_Mythologie)
Herkunft des Namens „Der Hammer“ https://en.wikipedia.org/wiki/Judas_Maccabeus

FMei in anderen Ländern – Blick über unsere Grenzen

Liebe Geschwister, lasst uns heute eine masonische Reise in andere Länder und andere
freimaurerische Traditionen unternehmen:
Bei jeder Rezeption hören wir es (zit.): „Die Freimaurerei besteht in ihrer gegenwärtigen
Form seit Jahrhunderten, aber der freimaurerische Gedanke ist uralt. Er ist nicht gebunden an
Form, Zeit und Ort und wurzelt tief in der Seele des Menschen. Wenn sich auch im Laufe der
Zeit hier und dort äußere Verschiedenheiten herausgebildet haben, die wesentlichen inneren
Grundsätze sind immer und überall dieselben geblieben…“
Wir alle gehören dem Maurerbund an, egal wer jetzt wen offiziell als solchen anerkennen
mag und wer nicht. Die Rituale bei uns in der RSG unterscheiden sich nur unwesentlich von
den Ritualen Eurer Loge und das liegt nicht zuletzt auch daran, dass wir bis in die 1950-er
Jahre ja eine gemeinsame frm. Geschichte hatten. Wir alle sind Glieder einer Kette, die sich
um den ganzen Erdball schlingt. Doch der Blick über die Grenzen des Vertrauten, jener
Freimaurerei, in die wir einst hineingeboren wurden, die wir teils bis in die tiefsten Fasern
unseres Wesens verinnerlicht haben, kann auch eine ganz andere, fremdartige masonische
Welt offenbaren, in der lediglich Symbole, zumindest ein paar davon, vertraut erscheinen.
Freimaurerei in anderen Ländern kann sich von unserer gewohnten frm. Arbeitsweise oft
sehr stark unterscheiden.
Das kann verunsichern, aber auch neugierig machen. Nähern wir uns nun so oft gehörten
und vielleicht nicht immer genau verstandenen Begriffen, wie „Emulationsritual“, Arbeit
nach Schröder, der Andreasmaurerei oder auch dem „französisch-schottisches Ritual“. Um
die Eigenheiten und Verschiedenheiten der frm. Ritualistik verstehen zu lernen, um das
englische Emulationsritual von unserem Ritual nach Schröder, dieses wiederum vom frz.-
schottischen Ritual zu unterscheiden und damit auch unser eigenes Ritual besser
einschätzen zu können, müssen wir in groben Sprüngen die Historie der spekulativen
Freimaurerei von ihren offiziellen Anfängen im Jahre 1717 in London bis in die Gegenwart
Revue passieren lassen:
Die Logenversammlungen der angenommenen Maurer fanden im England des frühen
18.Jhds. in den Hinterzimmern von Wirtshäusern statt und noch lange nicht in eigenen
Tempelräumen. Eine Loge wurde dort errichtet, man sagte „gezeichnet“ – to draw the lodge.
Gezeichnet wurde wirklich, meist mit Kreide auf den Boden. Zuerst ein Viereck in der Mitte
des Raumes, in das danach ganz primitiv einzelne Symbole eingefügt wurden. Zum Ende der
Arbeit wurde alles wieder fein säuberlich gelöscht.
Auch heute noch wird die Loge in England und vielen anderen nach dem Englischen Ritual
arbeitenden Ländern zu Anfang erst errichtet. Doch anstelle von Zeichnungen auf dem
Boden werden heute im Zuge der Eröffnung der Loge sog. Tracing boards aufgestellt. Das
sind Tafeln mit den Symbolen des jeweiligen Grades. Woher kennen wir das Tracing-board,
zu Deutsch das Zeichen- oder Reißbrett? Es ist auch bei uns bekannt als das dritte
unbewegliche Kleinod der Loge, neben dem glatten und dem rauen Stein. Bei uns ist dieses 3. Kleinod im ersten Grad versinnbildlicht im Tapis. Den Tapis gibt es in den englischen Logen
nicht, dafür eben das Tracing board. Und dieses wird vor dem Pult des 2.A aufgestellt. Die
Pulte der hammerführenden Beamten stehen dabei nicht so im Tempel wie bei uns. Der
MvSt. sitzt auch in England im Osten, der 1.A ihm gegenüber im W, der 2. A im Süden. Der
Sekretär, der in England eigentlich das zentrale Element und damit wichtigste Glied in der
maurerischen Kette ist, sitzt dem 2.A gegenüber im N (Anlage 1).
Der Tempelraum selbst ist im Gegensatz zu unserem Tempel im Englischen freimaurerischen
System vor Eröffnung der Loge einfach nur ein profaner Raum. Die Brüder treten ohne
irgendeine Ordnung ein und setzen sich auf frei gewählte Plätze. Dann ruft der ZM zur
Ordnung und geleitet den MvSt., die Aufseher und die sog. Deacons, das sind die
Laufburschen der Aufseher, prozessionsartig zu deren fixen Plätzen im Tempel.
Äußere und innere Türwache überprüfen nun durch Klopfzeichen die Deckung nach außen,
dann überprüfen die beiden A die Deckung nach innen, indem sie auf Aufforderung ihre
Deacons die Kolonnen abschreiten und die Brr. das Zeichen geben lassen.
Danach wird gemeinsam jenes Lied gesungen, das wir vorhin zur Einstimmung auf mein
Baustück gehört haben. Dieses Lied ist eigentlich ein gesungenes Gebet, gerichtet an den
„Architect Dinive“ den „göttlichen Architekten“, bei uns bekannt als das Symbol des GBaW.
Dieser ist ein zentrales maurerisches Symbol, der oberste Meister, zu dem zu Anfang und am
Ende der Arbeit Gebete gesungen werden. Das ist ein großer Unterschied zur Maurerei in
unseren Breiten, da wir das Symbol des GBAW keinesfalls anbeten, sondern beim Öffnen
und Schließen der Loge lediglich erwähnen. Erst durch die Eröffnung der Loge und das
Aufstellen des Tracing boards wird der Raum in England zum „heiligen Raum“, dem
Freimaurertempel.
Traditionell werden – wie ein paar von Euch schon gehört haben – in England alle Rituale auf
Punkt und Beistrich genau, auswendig gesprochen. Die Ritualtexte sind dabei umfangreich
und lang, einzelne Passagen bis zu 20 Minuten ohne Unterbrechung und durch teils uralte
Phrasen und altenglische Ausdrücke höchst komplex. Diese Texte sind nicht im Geringsten
vergleichbar mit den wenigen Sätzen, die uns in unseren Ritualen abverlangt und dennoch
meist heruntergelesen werden. Die englischen Ritualtexte beinhalten stets eine ausführliche
rituelle Instruktion über die Aufgaben der Freimaurerei im Allgemeinen, sowie über die
Funktion eines jeden Beamten der Logenarbeit und die dem Grad entsprechenden Symbole.
Dies geschieht in Wechselrede zwischen dem MvSt. und den Aufsehern.

Die Ritualtexte sind unverändert mehrere hundert Jahre alt und in entsprechend barockem
altem Englisch gehalten.
Mit dem Auswendigsprechen dieser langen Rituale folgt man in der Englischen FM der
historischen, noch aus der Zeit der Werkmaurer stammenden Tradition der strikt
mündlichen Überlieferung der Passwörter und aller Rituale. Stets und ausschließlich from
mouth to ear – vom Mund zum Ohr. Das war mühevoll, dafür aber sicher. Und zudem nicht
unpraktisch, konnten doch viele Freimaurer, besonders aus den britischen Kolonien bis in die
Mitte des vergangenen Jahrhunderts nicht lesen und schreiben. Die Rituale wurden stets
vom Immediate Past Master an den Whorshipfull Master, den MvSt weitergegeben.
Der Vorgänger des aktuellen MvSt. sitzt deswegen auch heute noch immer im Osten gleich
neben dem Stuhlmeister, um diesem im Notfall soufflieren zu können. Einsager zu brauchen,
wird aber als besondere Schande empfunden und kommt daher nur sehr selten vor.
Die erste offizielle Niederschrift des englischen Emulationsrituals datiert erst aus den 1970er
Jahren. In Lodges of trainee, eigenen Übungsarbeiten kann ein werdender MvSt. noch vor
seiner Einsetzung sein Ritualkönnen üben, ernsthaft unterstützt, korrigiert und kontrolliert
von älteren erfahrenen Pastmastern. Im Rahmen einer Logenreise habe ich selbst einer
solchen Übungsloge beigewohnt und mir dabei gedacht, dass ich dort ganz sicher niemals
MvSt. geworden wäre.
Die englische Freimaurerei kennt im Gegensatz zu uns keine Baustücke. In der Arbeit selbst
wird eine sog. Agenda abgearbeitet, d.h. organisatorisches und auch karitatives besprochen
bzw. Initiationen oder Lohnerhöhungen vorgenommen. Bei jeder Graderteilung ist eine
ebenfalls auswendig und frei gesprochene Instruktion Teil der Arbeit. Doch nicht in unserem
Sinn, also vom jeweiligen VM selbst verfasst, sondern ebenfalls nach uralten Vorlagen über
die Jahrhunderte überliefert stets das gleiche.
Wie wirkt nun die FM im englischen System auf die dortigen Brüder, so ganz ohne Baustücke
mit Diskussion, so ganz auf das Gestrige fixiert? Mir wurde gesagt, dass durch das stete
Wiederholen bei jeder Arbeit die Inhalte des im Ritual gesagten mehr und mehr in das
Unbewusstsein dringen und so das Handeln des FM positiv beeinflussen sollen. Für Maurer
unserer Breiten ist das alles kaum vorstellbar. Funktionieren dürfte es aber dennoch, denn
die Anzahl der Logen und auch jene der Freimaurer ist im englischsprachigen Kulturkreis
unvergleichlich größer, als in unseren Breiten. Obwohl die Mitgliederzahlen – im Gegensatz
zu jenen bei uns – heutzutage stetig zurückgehen.
Logenarbeiten finden in England selten mehr als einmal im Monat, in manchen Logen auch
nur alle 2-3 Monate statt. Das höchste der Gefühle für dortige Maurer sind dabei die Lodges
of Emuation, die sog. Emulationsarbeiten.
Bei diesen Emulationsarbeiten werden an einem Abend alle Grade bearbeitet. Es beginnt
ganz gewöhnlich mit Eröffnung der Loge im ersten Grad. Nun werden die Entered
apprendices, die Lehrlinge in den Tempelvorraum geschickt, und die Loge in den II. °
umgewandelt. Dann werden auch die Fellows of the Craft, die Gesellen hinausgeleitet und
danach in den III. Grad umgewandelt. Bei Vereidigung des neuen MvSt. werden danach nun
auch die übrigen Master Masons, die gewöhnlichen Meister, vor die Türe geschickt. Lediglich die Pastmaster Masons, alle ehemaligen Stuhlmeister, die stets an einem eigenen Past-
Master – Schurz erkennbar sind, verbleiben im Tempel. Sie wandeln die Meisterloge in den Pastmaster-Degree um, holen danach den werdenden Stuhlmeister in den Tempel, vereidigen und instruieren ihn. Wobei jeder Bruder einer Loge einmal Stuhlmeister wird, und das relativ früh – weil da das Hirn noch fit genug ist für das viele auswendig lernen – und Stuhlmeister ist man in England immer nur für ein Jahr. Das Emulations-Ritual steigt nach dem Pastmaster-Degree wieder schrittweise hinab bis in den ersten Grad. Die ganze Zeit dazwischen warten all jene, die den Grad nicht mitbearbeiten dürfen, also Brüder Lehrlinge, Gesellen und ggf. auch die anderen Meister geduldig und schweigend – beaufsichtigt von der äußeren Türwache – im Vorraum des Tempels. Die Rituale sind alle sehr ausführlich und lange, das Ganze kann damit einige Stunden dauern.
Diese Tradition und die Ritualistik der Emulationslogen sind in Großbritannien und vielen
ehemaligen britischen Kolonien und zum Teil auch den USA seit dem Jahre 1816, also seit
mehr als 200 Jahren praktisch unverändert. Damals wurde das Ritual der „Lodge of
Improvement“ nach der Wiedervereinigung der „Ancients“ und der „Moderns“ zur „United
Grand Lodge of England – UGLE“ festgelegt und – damals eben nicht – niedergeschrieben.
Fassen wir zusammen: die Loge wird im englischen System erst errichtet, die Aufseher sitzen
anders als bei uns, alles wird auswendig gesprochen. Gearbeitet wird auf- und absteigend in
allen Graden, es gibt kein Baustück, die Arbeiten dauern sehr lange. Ach ja, an der WT nach
der Arbeit gibt es keine Diskussion, weil es ja kein Baustück gibt.
Dafür gibt es jede Menge Toasts, vom König, über den Großmeister, den Regional-GM, den
Distrikts-GM bis hinunter zum eigenen Stuhlmeister, oft gespickt mit teils scherzhaften
Einlagen und jeder Menge Whisky …..
Am Tag nach einer solchen Arbeit war mir schnell klar, warum diese so selten stattfinden,
man würde es öfters nicht lange überleben.
Im Gegensatz zu England ist die Entwicklung der FM in Kontinentaleuropa ungleich
vielfältiger verlaufen. Die FMei hat sich ab Mitte der 1720er Jahre sprunghaft auf den
Britischen Inseln und in der Folge auch auf dem Europäischen Festland ausgebreitet. Doch
mit der Einheit war es in der spekulativen FMei sehr bald vorbei: dafür sorgten primär
heftige innerenglische Auseinandersetzungen über die Zulassung und Intensität religiöser
Inhalte in der FMei.

Sie führten in England im Jahr 1756 sogar zur Gründung einer Gegen-Großloge, der stark
religionsaffinen „Ancients“ (= sog. Altmaurer), religiösen Fundamentalisten als Gegenpol zu
den „Moderns“ (= Neumaurer) genannten der 1717 gegründeten GL von London.
Besonders die von diesen Ancients ausgehenden heroisierenden und idealisierenden
Theorien zur Entstehung der FMei, alles natürlich wilde Spekulationen und Phantasien,
führen in Kontinental-Europa, und hier besonders den deutschsprachigen Ländern zu
mannigfaltigen und teils paradoxen Strömungen und Entwicklungen unterschiedlichster
einander heftig anfeindender freimaurerischen 3-Grad und Hochgradsysteme mit teils
höchst obskuren Auswüchsen. So sind in den Deutschen Ländern neben der „Strikten
Observanz“ hier als Beispiele die „Asiatischen Brüder“, die „Afrikanischen Bauherren“, Graf
Caligostros „Ägyptische GL“, der Illuminatenorden oder auch die Goldmacher zu nennen.
Nach diesen fast 30-jährigen Wirren innerhalb der FMei in Deutschland setzten sich im Jahre
1782 beim sog. Wilhelmsbader Kongress letztlich die Reformer um Friedrich Ludwig
Schröder gegen die Brüder der „Strikten Observanz“ durch und schufen ein wohl
strukturiertes und auf die Grundsätze des alten englischen 3-Grad Systems zurückgeführtes
Ritual, das sog. „Schrödersche Ritual“.
Auf diesem basiert auch weitgehend unser heutiges Ritual in der GLvÖ und auch das Eure,
das – zwar um einiges abgespeckt – ja unserem fast gleich ist. Und denkt bitte kurz in diesem
Kontext an G.E. Lessing und seine Kritik an den Zuständen der damaligen zeitgenössischen
FMei in seinem berühmten Werk „Ernst + Falk“! Lessing hat wenige Tage nach seiner
Aufnahme wieder gedeckt und ist tragischer Weise ziemlich genau ein Jahr vor diesem
Wilhelmsbader Reformkongress verstorben.
Die religiöse Bindung war bei Schröder – so wie auch ursprünglich in der Konstitution von
Anderson festgelegt – nicht mehr streng christlich. Der Glaube an ein „Supreme Being“ – also
den Großen Baumeister war zwar weiterhin obligat, der GBaW wurde bei Schröder aber
nicht mehr angebetet. Die Bibel liegt zwar als eines der 3 großen Lichter auf dem Altar,
aufgeschlagen beim Johannes-Evangelium. Sie dient aber lediglich als Symbol alten
überlieferten Wissens und nicht mehr als religiöses Werkzeug. Unser gegenwärtiges 3-Grad
Ritual basiert weitgehend auf Schröder. Es wurde Ende des 19. Jhds. von Br. Johannes Beigl
modifiziert, darauf komme ich gleich zu sprechen. Doch stellt sich zuvor die Frage: Wie sind
die Baustücke in unsere Maurerei gekommen?
Ein wichtiger Zeitgenosse Schröders war der Wiener Freimaurer Ignaz von Bohrn. Er war in
den 1770-er Jahren ein bedeutender Mineraloge in Wien, Aufklärer und Freimaurer und ab
1782 MvSt. der Wiener L. “Zur Wahren Eintracht“. Eigentlich wollte Ignaz von Bohrn in Wien
eine freie Akademie der Wissenschaften gründen. Doch dies wurde von Kaiserin Maria
Theresia, die in Österreich keine unzensurierten Wissenschaften zulassen wollte, nicht
erlaubt.
Quasi als Ersatz begründete Bohrn im Freiraum der damaligen Maurerei Übungslogen, in
denen wissenschaftliche Vorträge als „Baustücke“ gehalten wurden. Diese Struktur der frm.
Arbeit (= Ritual + Baustück) fand vielfach in Europa Nachahmung und ist bei uns – im
Gegensatz zu englischen Freimaurerlogen – bis heute ein wesentlicher Teil der frm. Arbeit im
Tempel. Die Baustücke haben damit auch das in unseren Breiten heute so wichtige Element
der Individualität in die FM eingebracht, ohne die unsere Kette wahrscheinlich genauso
schrumpfen würde, wie dies heute im so traditionell orientierten englischen Kulturkreis der
Fall ist.
Im Windschatten der französischen Revolution wurde im Jahr 1795 die Freimaurerei in
Österreich durch Kaiser Franz II/I verboten und konnte erst nach dem Ausgleich mit Ungarn
1867 in den sogenannten „Grenzlogen“ wieder auferstehen. Als erste rein deutschsprachige
Loge wurde 1871 in Neudörfl/ Leitha – damals ungarischer Reichsteil der Monarchie – die
Loge Humanitas gegründet und diese ist damit die eigentliche Mutterloge der neueren
österreichischen FMei.
Die L. Humanitas und ihre zahlreichen Tochter – und Enkellogen – dazu gehört unter anderem
auch meine im Jahr 1907 gegründete Loge Kosmos – arbeiteten vorerst nach dem klassischen
Schröder ́schen Ritual. Doch dieses wurde durch Einfluss der Symbolischen Großloge von
Ungarn, unter deren Schutz die Grenzlogen damals arbeiteten, sowie des christlichen
Freimaurerordens zunehmend mit religiöser Symbolik überfrachtet. Auch der nach dem
französisch-schottischem Ritual arbeitende Großorient von Ungarn hat christliche, aber auch
französische Spuren in die damalige Ritualistik der Grenzlogen eingebracht, wie
beispielsweise bis heute den „Schrecklichen Bruder“ in der Dunklen Kammer und das „kleine
Licht“ bei unserer Rezeption.
Ab dem Jahr 1874 wurde das österreichische Grenzlogen-Ritual im sog. Ritualstreit (synonym
auch Atheismus-Streit) unter Federführung des Br. Hermann Beigel (ZUK) wieder zahlreicher
christlich-religiöser Inhalte, wie Gebeten, Niederknien etc., die sich zwischendurch
„eingeschlichen hatten“, entledigt. Dies vor allem deswegen, da sich die damals mehrheitlich
jüdischen Brüder der Kette nicht mit christlich-geprägten Ritualteilen identifizieren konnten
und wollten. Wie die damaligen Brüder der Grenz-Logen danach genau gearbeitet haben, ist
leider nicht bekannt, aus dieser Zeit sind keine Rituale überliefert. Daher lässt sich auch nicht
rekonstruieren, wann genau bei uns die obligate Abfrage von Zeichen, Griff und Wort beim
Betreten des Tempels, die es auf Grund französischer Einflüsse einst gegeben hat, aus
unsrem heutigen Ritual verschwunden ist oder sich die Sitzpositionen einiger Beamter im
Tempel geändert haben. Die nach dem 1. Weltkrieg gegründete „Großloge von Wien“
arbeitete schon sehr ähnlich, wie wir es heute tun. Nur „Siezten“ einander die Brüder damals
noch.
Es folgten später noch Justierungen wie das Weglassen der körperlichen Strafandrohung bei
Nichterfüllung frm. Pflichten im Gelöbnis oder die Änderung der Stellung des GBaW im
Ritual: so sagen wir heute beim Eröffnen der Loge: „in Ehrfurcht vor dem GBaW“ an Stelle
von: „im Namen des GBaW“, was einen großen Unterschied ausmacht, wenn man es
genauer betrachtet. All diese Modifikationen haben der Großloge im Jahr 1952 auch
beträchtliche Schwierigkeiten bei der Wiederanerkennung durch die UGLE bereitet.
Im Gegensatz zur Eurer Obödienz arbeiten in der GLvÖ alle Logen einheitlich nach denselben
Ritualen. Die vom Großmeister festgelegten Rituale sind für alle unsere Logen verbindlich.
Änderungen der Rituale finden heute nur sehr selten statt. Vorschläge dazu aus den
Kolonnen werden von einer Ritual-Kommission der Großloge bearbeitet, im Falle einer
positiven Empfehlung der Konstitution gemäß vom GM genehmigt und dann gilt das
veränderte Ritual ab sofort für alle unsere derzeit 78 Logen, die unter dem Schutz unserer
Großloge arbeiten.
Zusammenfassend arbeiten wir heute in der GLvÖ nach einem mehrfach modifizierten, sehr
abgespeckten Schröder-Beigel Ritual, das sich im Vergleich zu anderen von der UGLE
anerkannten Logen durch ein international gerade noch toleriertes hohes Maß an
Humanismus und Laizismus auszeichnet. Keinerlei Gebete, kein Niederknien beim Gelöbnis,
aber natürlich die Bibel als Symbol bei den 3 großen Lichtern, wie bei allen anerkannten
Obedienzen. „in Ehrfurcht“ anstelle von „im Namen des GBaW“ habe ich schon erwähnt.
Wie auch bei Euch ist unser Tempel ist immer ein ritueller Raum, wenn der Tapis vollständig
ausgelegt ist. Die Einrichtung des Tempels mit der Anordnung der Säulen „B“ und „J“, die
Position der Kleinen Lichter um den Tapis und auch die Sitzordnung der Aufseher entspricht
sowohl bei Euch als auch bei uns nicht mehr der ursprünglichen Form wie im Emulationsritus
und auch bei Schröder.
Hier bei Euch befindet sich die Säule „J“ im SW mit dem 2.A davor und die Säule „B“ im NW
mit dem 1.A davor. Jeder Aufseher ist für die Kolonne vis-a-vis zuständig, hat so seine
Kolonne besser im Blick.
Das war auch in GL vor dem 2. Weltkrieg in etwa so, heute steht bei uns die Säule „B“ vor
der Südkolonne mit dem 1.A davor und die Säule „J“ vor der Nordkolonne mit dem 2.A
davor. So wie hier gibt es dazu auch bei uns schlüssige Erklärungen dafür, warum das so sein
muss. Schaut man sich in anderen Obödienzen um, werden fast alle mathematisch
möglichen Varianten verwendet. Für Vielbesucher erfordert das ein wenig mehr an
Konzentration beim Eintritt und verfestigt einem das Gefühl, dass auch in der Maurerei
letztlich alle Wege nach Rom führen.
Lasst mich zum Schluss in der Geschichte nun nochmals zurück in die frühen Zeiten der
kontinentaleuropäischen Maurerei springen. Ebenfalls kontrovers entwickeln sich wegen der

strittigen Frage nach Religion und dem GBaW die FMei auch in Schweden und in Frankreich.
Da es im Norden keinen Reformator a ́ la Schröder gegeben hat, dürfen auch heute in den
nordischen – schwedisch geprägten – Ländern der Andreas-Maurerei nur Christen unserem
Weltenbund beitreten!
In Frankreich wurde die FMei frühzeitig von den Idealen der Aufklärung und schließlich auch
von den Idealen der französischen Revolution geprägt. Der Grand Orient de France (GOF)
wurde 1773 gegründet, wiederum aufgelöst und unter Napoleon schließlich
wiederbegründet. Im Zuge der napoleonischen Feldzüge wurde die französische Spielart der
FM besonders im südlichen und östlichen Europa bis nach Russland weit verbreitet [Krieg +
Frieden – Tolstoi].
Die 1871 – also knapp 100 Jahre später – in Folge des Deutsch-französischen Kriegs
gegründete 3. Republik brachte Frankreich die strikte Trennung von Kirche und Staat, die bis
heute zum französischen Selbstverständnis gehört. In diesem Fahrwasser der Trennung von
Kirche und Staat strich der Grand Orient de France im Rahmen eines Reform-Konvents 1877
den GBaW aus dem Ritual und verbannte auch die Bibel aus dem Tempel.
Dies führte zum Abbruch der wechselseitigen Anerkennung zwischen der UGLE (UK) und
dem GOF (F), ein Bruch, der bis heute andauert. Seit damals, seit 145 Jahren schwelt die
Frage nach Regularität und Anerkennung durch die UGLE über der Freimaurerei auf der
ganzen Welt.
Wie arbeiten also nun die französischen Brüder? Wirklich erleben dürfen wir Brüder der GL
es derzeit kaum, da nicht nur der GOF, sondern auch die anderen französischen Großlogen –
„Grand Lodge de France“ und zuletzt auch die „Grand Lodge National de France“ – von der
UGLE und damit auch von uns nicht anerkannt sind. Doch in der RSG haben wir eine unter
dem Schutz der GLvÖ französisch arbeitende Loge, die „Aux trois canons“ – ATC, die eine
Form des frz.-schottische Rituals – den Rité Ecossais Ancien et Accepté (REAA) bearbeitet,
dessen geläufigste Form ich Euch nun kurz vorstellen möchte:
Das frz.-schottische Ritual heißt so, weil es sich einerseits vom englischen System
unterscheidet und andererseits auch um seine Nähe und Abkunft von den schottischen
Hochgraden anzudeuten. Von diesem frz.-schottischen Ritual, das in den frz. Obedienzen
weit verbreitetet in verschiedenen Varianten bearbeitet wird, ist lediglich der viel seltener
Rité Ecossais Rectifié, der eine der Templermaurerei nahestehende Geschichte hat, zu
differenzieren und den lasse ich hier aus.
Im klassischen frz.-schottischen Ritual versammeln sich die Maurer im Vorraum des Tempels,
bekleiden sich maurerisch und betreten den T einzeln, um bei der Inneren Torwache auf
Zeichen, Griff und Wort geprüft zu werden. Der Tempel ist vorerst ein profaner Raum, in
dem die L. erst rituell errichtet wird. Man geht daher ohne Zeichen auf den Platz, der aber
stets vom ZM gewiesen wird. Erst danach betreten die Beamten in aufsteigender Wichtigkeit
bis hin zum MvSt. den Tempel. Die Loge wird eröffnet, wobei Großexperte (in etwa unser
VM) und ZM die kleinen Lichter entzünden und den Tapis entrollen. Anstelle der Bibel findet
sich bei den drei großen Lichtern ein leeres Buch. Gemeinsam wird nun das Zeichen gegeben
und die Batterie geklatscht, dazu gemeinsam ausgerufen: „Liberté – Egalité – Fraternité“.
Baustücke werden nicht überall gehalten, auch reine Verwaltungs-Arbeiten sind möglich.
Zum Schluss wird neben dem Sack der Witwe auch ein Sack der Vorschläge herumgereicht.
Der Tempel wird nach Schließen der Arbeit durch Einrollen des Tapis wieder profanisiert. Der
MvSt. verlässt allen anderen voran als erstes den Raum.
Im Vorraum versammeln sich alle nochmals, legen gemeinsam die Maurerische Bekleidung
ab und begeben sich danach in den Speisesaal, wo es – wenn es ein Baustück gegeben hat –
eine Diskussion darüber gibt und erst danach das gemeinsamen Mahl.
Um den Erfordernissen der UGLE gerecht zu werden, hat unsere ATC die Bibel bei den 3
großen Lichtern aufliegen. Die Position der Säulen „B“ und „J“ ist ident wie bei uns und nicht
– wie dies in der klassischen französischen Maurerei der Fall ist – umgekehrt. Der 1.A sitzt
allerdings im NW vor der Säule „J“, der 2.A im SW vor der Säule „B“, um – wie bei Euch –
seine Kolonne besser im Blick zu haben. Wie schon gesagt – variatio delectat!
Liebe Geschwister, ich habe mich bemüht, Euch nun drei unterschiedliche FM Ritualsysteme
näher zu bringen, eine übergroße Vielzahl an weiteren Varianten habe ich ausgelassen, teils,
weil mir dazu keine Unterlagen zugänglich sind und auch, um meine Zeichnung nicht noch
mehr zu überfrachten.
Was soll man nun tun, wenn man eine Loge besucht, in der anders, als man es von der
eigenen Bauhütte gewohnt ist, gearbeitet wird? Vorerst zur Sicherheit sich selbst wieder
Zeichen, Wort, Griff und auch das passende Passwort in Erinnerung rufen. Eventuell einen
der Gastgeber nach Besonderheiten im dortigen Ritual fragen. Aber vor allem: authentisch
bleiben!
Es kann vorkommen, dass Gäste uns fremden rituellen Handlungen ihrer eigenen Obedienz
folgen, weil sie es nicht anders kennen und wissen. Ich denke da an einen englischen Bruder
aus Oxford, der unlängst bei uns in meiner Loge zu Besuch war. Er ist ohne Zeichen
eingetreten und gegen die Richtung im Tempel gegangen. Nach dem heute gehörten ist es
verständlich, warum er das so gemacht hat. Aber was immer man auch falsch machen kann,
geschwisterliche Liebe und Toleranz werden darüber hinwegsehen. Daher machen wir uns
keine Sorgen.
Jeder Besuch anderer Obedienzen und das Erleben anderer Rituale bringen jeden von uns in
seiner maurerischen Entwicklung weiter. Und die stete Weiterentwicklung ist schließlich das,
was uns als Maurer ausmacht!

Anlage 1: typical Layout of an English Lodge

Anlage 2: Tempelordnung im alten Schröder-Ritual

Anlage 3: Blick in den Westen – alle gängigen Varianten der
Positionen der Säulen und der Aufseher im Tempel

SW Obödienz NW

Säule B 1.A GLvÖ Säule J 2.A
Säule B 2.A ATC (schottisch/GLvÖ) Säule J 1.A
Säule J 1.A Humanitas, Hermetica
DH alt/schottisch

Säule B 2.A

Säule J 2.A LGL, DH neu,
GOÖ/Schröder

Säule B 1.A

Der Lehrbrief (StefanS., Andreas B.,Markus J., Claudia B.)

Gemeinschaftsbaustück Andreas B., Claudia E.-B., Markus J. und Stefan S.

  Einleitung   STEFANAls Lehrlinge haben wir maurerisches Wissen erlangt und wurden zum Gesellen befördert. Als Gesellen wurden wir in die Welt ausgesandt um unser Wissen anzuwenden, uns bei anderen Meistern und Logen umzusehen. Damals wurde uns der Lehrbrief aus dem Buch „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ von Johann Wolfgang von Goethe als Leitlinie mit auf den Weg gegeben.   Als Grundlage für die Struktur und den Aufbau dieser Arbeit diente der Lehrbrief, in dem die Erkenntnisse auf dem Lebensweg von Wilhelm Meister, von der bürgerlichen Gesellschaft über die Theatergesellschaft und die Adelsgesellschaft bis zur Turmgesellschaft, zusammengefasst werden.   Wir 4 Gesellen haben gemeinsam unter Verwendung maurerischer Denkansätze –erworben auf Reisen in unserer Gesellenzeit – den aus SIEBEN Absätzen bestehenden Lehrbrief, in seiner Bedeutung hinterfragt und – angereichert mit unseren ganz persönlichen Lebenserfahrungen – interpretiert.   Lasst uns unsere Reise beginnen als Reise von Gedanken zwischen Gefühlen, Realität, Fremdbestimmung, Egoismus, Erkenntnis, Selbstbestimmung, Erfüllung und Gemeinsamkeit.:  
   ALLE GG setzen sich  
  MUSIK    2  Sonata No. 21 in C Major. Op. 53 „Waldstein“ I. Allegro con brio – Ludwig van Beethoven  
       
LICHT BLAUSTEFAN steht auf 
  STEFANDie Kunst ist lang, das Leben kurz,  das Urteil schwierig, die Gelegenheit flüchtig. 
   ANDREAS steht auf
   ANDREASDie Kunst überdauert die Zeit, der Mensch jedoch nicht. Aber der Mensch setzt durch die Kunst Zeichen, die sein Dasein und sein Wirken dokumentieren und benützt die Kunst auch zum Nachweis der Wertevorstellungen seiner Zeit. Die subjektive Sicht zum objektiv richtigen Urteil zu machen, erfordert Zeit zu überlegen. Zeit die man oft nicht hat. Manchmal hilft das Bauchgefühl bei flüchtigen Gelegenheiten die richtige Entscheidung zu treffen, manchmal trifft man aber auch die falsche Entscheidung. Dennoch muss man Handeln, denn sonst besteht das Leben aus einer Aneinanderreihung nicht genützter Chancen.
     STEFANHandeln ist leicht, Denken schwer;  nach dem Gedanken handeln unbequem. Aller Anfang ist heiter, die Schwelle ist der Platz der Erwartung.
   ANDREASDenken vor der Handlung widerspricht oft den eigenen Wünschen, ist daher unangenehm, aber Wünsche und Gefühle verleiten gerne zu „unbedachten“ Handlungen. Verantwortungsvolles Handeln und das ist die Schwelle zum reifen Menschen, setzt Disziplin, Konsequenz und planendes Denken voraus.
     STEFANDer Knabe staunt, der Eindruck bestimmt ihn,  er lernt spielend, der Ernst überrascht ihn.
   ANDREASDer Knabe beobachtet begeistert die schöne Welt und glaubt alles.   Vorbilder, Ideale und emotionales Lernen beeinflussen das Leben, formen das jugendliche Denken, erlauben Fehler, die im Chaos unserer Pubertät ihren Höhepunkt finden und viele „verbrannte Finger“ hinterlassen. Der Ernst überraschte uns, als das rationale Denken plötzlich zur Übernahme von Verantwortung führte.
     STEFANDie Nachahmung ist uns angeboren,  das Nachzuahmende wird nicht leicht erkannt.  Selten wird das Treffliche gefunden, seltner geschätzt.
   ANDREASNachahmung ist ein überlebensnotwendiges Naturgesetz – ansonsten würde jede Generation das Rad neu erfinden müssen:  Es ist aber mühsam nicht Nachahmungswürdiges wie Sippenhaftung und Blutrache trotz Tradition zu erkennen und sich auch davon zu distanzieren. Von den Alten vermittelte Werte sind nicht unbedingt nachahmungswürdig aber auch nicht unbedingt wertlos und zu verachten. Man muss neben „Beobachten und Nachahmen“ auch Denken gelernt haben, um kritisch hinterfragen zu können und an der richtigen Moral und Ethik Orientierung zu finden. Unterschiede in Bildung und Aufklärung bedingen unterschiedliche Wertvorstellungen, woraus Spannungen zwischen den Kulturen entstehen. Nur so viel Bildung aus und in allen Kulturkreisen wie irgend möglich, kann diese Spannungen und Kriege verhindern. Gerade wir als Freimaurer haben die Verantwortung für Bildung weltweit zu sorgen, wenn wir unsere Maxime ernst nehmen und eine wertvolle Gemeinschaft sein wollen.
   ANDREAS und STEFAN setzen sich
  MUSIK    #  3Summer (L‘Estate) Op.8 No.2 G Minor: Presto (Tempo Imettuoso d‘Estate) – Antonio Vivaldi
PAUSEPAUSEPAUSE
LICHT GRÜNSTEFAN steht auf 
   STEFANHöhe reizt uns, nicht die Stufen;  den Gipfel im Auge wandeln wir gerne auf der Ebene.  
   MARKUS steht auf
   MARKUSDie Erkenntnis, die höhere Sicht der Dinge, neue Blickwinkel, die Suche nach der Wahrheit und der Wille, sich selbst zu verändern. Der Weg dorthin erscheint mühsam. Wir sind gerne bequem, wollen nicht eigenständig denken und handeln, auch jede Veränderung erscheint schwierig. Das Ziel muss so wichtig sein, dass wir die Stufen in Kauf nehmen und zu zielorientiertem Handeln bereit sind.   Im Wandeln auf der Ebene, also ohne persönliche Veränderung, werden wir niemals die andere, höhere Sicht der Dinge erreichen können.
     STEFAN Nur ein Teil der Kunst kann gelehrt werden,  der Künstler braucht sie ganz.   
   MARKUSHier sehen wir einerseits die bildenden und darstellenden Künste und anderseits die königliche Kunst der Freimaurerei. In beiden Fällen kann nur ein Teil von außen vermittelt werden. Der andere Teil kommt aus der Begabung, geschieht intuitiv und ist inhärent oder muss durch eigene Wahrnehmung (schau in dich, schau um dich) und eigenes Handeln erlernt werden.  Der wahre Meister braucht beide Teile.  
     STEFANWer sie halb kennt, ist immer irre und redet viel;  wer sie ganz besitzt, mag nur tun und redet selten oder spät.  
   MARKUSNichtwissen und Dummheit mit irren Reden und langem Geschwafel zu vertuschen sind eine große Gefahr. Da müssen wir achtsam sein! Jene, die am wenigsten wissen, sind oft die, die alles zu wissen glauben oder vorgeben, aber keine Selbstreflexion üben. Das sehen wir täglich in allen Bereichen des profanen Lebens. Hier geht es aber auch um die Geheimnisse des Bundes der Freimaurer. Der wahre Künstler und Meister zeichnet sich durch sein Handeln (…draußen durch die Tat…) aus, nimmt sich zurück und spricht wohl überlegt. Allerdings gibt es auch Situationen in denen wir zum Schwert greifen und uns lautstark dagegenstellen müssen. SOFORT – zu spät wäre auch falsch.  
     STEFANJene haben keine Geheimnisse und keine Kraft,  ihre Lehre ist wie gebackenes Brot,  schmackhaft und sättigend für einen Tag.  
   MARKUSGeschwätz redet über vieles, Wahres, Falsches, Unwichtiges, selten Gewichtiges. Geschwätz gefällt, ist unterhaltsam, leicht verdaulich und rasch vergessen. Dazu fallen uns auch die vielen egoistischen, nicht vorausdenkenden Menschen (Blender, Gaukler, Politiker?) ein, die auf kurzfristigen Erfolg aus sind und das große Ganze nicht in ihrer Gedanken- und Lebenswelt berücksichtigen, die Honig ums Maul schmieren und die Menschen abfüllen und kaufen. Nach dem Rausch kommt aber das böse Erwachen! Die Geheimnisse und das Nicht-Offensichtliche gilt es zu verstehen und immer wieder neu zu sehen, um davon zu zehren und neue Energie zu schöpfen; diese Herausforderung soll andauern und uns immer wieder aufs Neue beschäftigen und uns neue Sichtweisen erlauben.  
     STEFANAber Mehl kann man nicht säen,  und die Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden.  
   MARKUSWenn Gedanken inhaltslos werden, wirken sie nicht mehr befruchtend, wenn Güter verprasst werden, kann man daraus keine Gebäude mehr errichten ::::  Ein Heller und ein Batzen die waren beide mein, der Heller ward zu Wasser, der Batzen ward zu Wein…
 Alles versoffen, das Haus verspielt und alles Porzellan zerschlagen…   Grundrechte, Menschrechte, Würde und Freiheit mussten schwer erkämpft werden und müssen uneingeschränkt immer gelten!   Entscheidungsgrundlagen dürfen nicht verschleiert werden. Dies erfordert wahrhaftige Kommunikation von Fakten und objektive und unabhängige Medien.   Unser aller Eigenheiten, unsere unterschiedlichen Profile, unsere Steine sind wichtig und befruchtend für die Gemeinschaft!  
   MARKUS und STEFAN setzen sich
 MUSIK #  4Libertango – Astor Piazzolla  
PAUSEPAUSEPAUSE
LICHT ROTSTEFAN steht auf  
    STEFANWorte sind gut, sie sind aber nicht das Beste.  Das Beste wird nicht deutlich durch Worte.   
   CLAUDIA steht auf 
   CLAUDIASondern das Beste entsteht durch Tun! Den Worten müssen auch Taten folgen. Das Gesprochene oder Geschriebene alleine gibt möglicherweise kein getreues oder vollständiges Bild, es bietet Raum für Miss-Interpretation oder im schlimmsten Fall kann es manipulieren. „Das Beste“ wurde oft und unterschiedlich definiert, je nach Zeitalter, Gesellschaftsnormen und Religion. Das Beste für uns Freimaurergesellen ist Liebe, Respekt, Achtung, Bescheidenheit, Gerechtigkeit, Weisheit, Toleranz und Mäßigung …  
     STEFANDer Geist, aus dem wir handeln, ist das Höchste.  Die Handlung wird nur vom Geiste begriffen und wieder dargestellt.  
    CLAUDIAGrundsätzliche Einstellungen, Moral und Ethik leiten uns; diese und die Beweggründe für unser Handeln erlauben uns erst eine Beurteilung unseres Tuns und damit die Reflexion am Gebäude der Menschlichkeit. Überstürztes Handeln und das sogenannte „Bauchgefühl“ sind wohl wichtig um rasch entscheiden zu können (Angriff-Flucht – Starre), aber erst Taten, die nach reiflicher Überlegung, im Geiste unserer Freimaurer- Grundsätze ausgeführt werden, zählen zum Besten.  
     STEFANNiemand weiß, was er tut, wenn er recht handelt; aber des Unrechten sind wir uns immer bewusst.  
   CLAUDIAFalsch wird immer leichter erkannt als Richtig. In der Gleichheit tritt das Abnorme stärker hervor. Unser Tun soll und ist durch Moral und Ethik und durch Werte geprägt; diese haben wir individuell durch Prägung oder Imitation verinnerlicht und folgen diesem Code unbewusst. Für ein Abweichen von diesem rechten Weg sind somit eine bewusste Handlung oder bewusste Gedanken erforderlich, die dann unser gutes Gewissen meist beschäftigen.    Jedoch: Unrechtes Handeln ist keineswegs immer jedem bewusst, hier irrt Goethe!!     Die Wissenschaft konnte nachweisen, dass eine fehlende Struktur in der Amygdala, einem Teil des Gehirnes, die Fähigkeit unrechte Handlungen zu erkennen unmöglich machen kann!!  – bevorzugt zu finden bei sehr erfolgreichen Leuten, da dieser „Hirnschaden“ ihnen die Möglichkeit gibt „über Leichen zu gehen“ um ihre Ziele zu erreichen, ohne es zu registrieren und ohne ihr Unrecht zu erkennen. Die Frage: „Können wir aus unserer Haut heraus?“, muss für uns Freimaurer beantwortet werden mit „Ja, wir müssen, indem wir an uns arbeiten, reflektieren und uns immer vor Augen halten rechtes und unrechtes Handeln zu erkennen!“   Das Richtige, Rechte und Gute wird immer vorausgesetzt und selten beachtet. Lasst es uns anerkennen!  
     STEFAN  Wer bloß mit Zeichen wirkt, ist ein Pedant,  ein Heuchler oder ein Pfuscher.   
  CLAUDIA  Der Pedant klammert sich an Konventionen, der Heuchler übernimmt vermeintlich die Meinungen der Anderen und der Pfuscher sucht den schnellen Weg; alle drei machen sich keine eigenen Gedanken und sind Mitläufer. Wir Gesellen haben erfahren, dass auch Meister sich verirren können und sich hinter Zeichen und Ritualen verstecken. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass uns die Zeichen und Rituale auch das Zusammenleben vereinfachen können (Manieren, Gebote,…)? Zeichen können Ausdruck von Respekt sein und die Zusammengehörigkeit in einer Gruppe fördern.  
     STEFANEs sind ihrer viel, und es wird ihnen wohl zusammen.  Ihr Geschwätz hält den Schüler zurück,  und ihre beharrliche Mittelmäßigkeit ängstigt die Besten.  
  CLAUDIAGemeinsam gegrölt, geraubt, gemordet, verbirgt die Verantwortung für die Tat des Einzelnen. Wie bewahren wir uns unsere Tugenden, wie folgen wir unserer Pflicht? Pochen wir nicht nur auf unser emotionsgetriebenes Recht handeln zu dürfen, haben wir verlernt zu denken? Denn nur darauf hinzuweisen, wie es sein sollte, ohne selbst für die Ideale tätig zu sein ist Angeberei und wertloses Verhalten.   Gegen viele Dumme und deren überschwängliche Reden ist es schwierig der Richtigkeit seiner eigenen Gedanken sicher zu bleiben. Die Schüler, WIR, erkennen instinktiv das inhaltslose Geschwätz, weil dieses von Lehrern vorgetragen, völlig verunsichert. Das macht uns Angst!   Ja, wir Menschen sind verschieden und gerade die Besten – wer immer das auch ist? hoffentlich die Weisen – dürfen sich nicht ängstigen, sondern müssen behutsam lenken.  
   CLAUDIA und STEFAN setzen sich
  MUSIK    5  Lacrimosa – Wolfgang Amadeus Mozart  
PAUSEPAUSEPAUSE
   

Nur Lichterhimmel über TapisSTEFAN steht auf  
    STEFAN Nichts ist wie es scheint, und alles scheint wie es ist oder sein soll. Nur der Betrachter vermag zu entscheiden, wo auf dem Weg von Schein zu Sein er sich befindet.   Erkenne dich selbst, schaue in dich und um dich. Wir erkennen uns dank des Spiegels vor dem wir agieren, doch was wir verkörpern ist begrenzt, denn wenn der Vorhang fällt, hört der Schauspieler auf zu spielen und kehrt ins wirkliche Leben zurück. Die Schauspieler sind im wirklichen Leben genauso zu finden wie im Theater.   Schauspiel steht somit auch für Selbstbetrug und oft nur für die Begierde zu gefallen. Und diesen Betrug an sich selbst und an den Mitmenschen, gilt es zu erfahren. Dieser Weg muss selbst gegangen werden.   Authentizität – also die Echtheit im Sinne unserer Ursprünglichkeit ist gefragt, nicht die Kunst der Verblendung und Täuschung. Erkenne dich selbst, nimm dich wahr ohne dich zu verurteilen. Schaue um dich, siehe und erkenne andere und lasse ihnen ihre Position und ihren Raum.   Wir als Mitglieder im Bund sind uns auch nicht immer einig über den weiteren Weg, sind doch auch wir noch nicht am Ziel angekommen. Die Kunst ist bereits bekannt und deswegen müssen wir mit Besonnenheit und Vernunft agieren.   Ethik kann man traditionell als Form des guten Handelns definieren. Dabei gründet die Vorstellung vom Guten in einem dem Menschen angemessenen Verhalten. Der ethische Gehalt wird über die Rituale tradiert und so hat sich das freimaurerische Ritual über 3 Jahrhunderte nahezu unverändert gehalten und nach allerlei Reformversuchen wieder durchgesetzt, was darauf schließen lässt, dass diese Art der ethischen Einübung zwischenmenschlicher Umgangsqualitäten zu einer Lebenshaltung führen kann, die dem gesellschaftlichen Wandel standhalten kann.[1]   Doch wie im profanen Leben so auch hier im Tempel, der Mitte unserer Loge, werden Meinungsverschiedenheiten, Ansichten, Beweggründe mitunter sehr hitzig und mit Emotionen vorgebracht. Dies zeigt, dass Menschen fehlbar sind, irren können und erst durch Sprache und den Gebrauch von Symbolen einander erklären.     Die Distanzierung von sich selbst, der eignen Gleichstellung zu den Mitmenschen und das vernunftbetonte Handeln in einer Gemeinschaft sind die Ergebnisse dieses Bildungsweges, den jeder von uns gegangen ist.   Aktives Handeln und Arbeiten, sowie die Erkenntnis, dass ein Einzelnes kein Ganzes ist und auch nie sein kann, ist die Erleuchtung. Symbolisiert durch Steine, die jede und jeder für sich bearbeitet und glättet, damit sich diese als festes Fundament zusammenfinden um das Gebäude der Menschlichkeit zu tragen.   Der Platz an den wir unseren Stein setzen ist im harmonischen Gleichklang zu den anderen Steinen zu wählen und auch nur für den Moment passend. So ist das Symbol des Fundaments nicht als etwas Starres zu sehen, sondern auch als etwas Bewegliches, in dem die Steine, die Geschwister sich laufend weiterentwickeln und neu strukturieren, doch immer wieder neu zu etwas Starkem, Wertbeständigem zusammenfinden.   Wer dennoch, nach all dem Erfahrenen und Erlebten, dem Schicksal wieder Aufmerksamkeit schenkt, sei daran erinnert, dass das Verfehlen und das Irren als notwendige Ereignisse ewig bestehen bleiben und keiner davor gefeit ist ihnen nicht wieder zu erliegen. Wir bleiben ewig Lehrlinge und bedürfen einander um uns an den richtigen Weg zu erinnern.   Gemeinsam wollen wir am Gebäude der Menschlichkeit arbeiten, da wir den Wert des Gemeinsamen erkannt haben oder mit Goethes Worten gesprochen:   „Unglaublich ist es, was ein gebildeter Mensch für sich und andere tun kann, wenn er, ohne herrschen zu wollen, das Gemüt hat, Vormund von vielen zu sein, sie leitet, dasjenige zur rechten Zeit zu tun, was sie doch alle gerne tun möchten, und sie zu ihren Zwecken führt, die sie meist recht gut im Auge haben und nur die Wege dazu verfehlen.“  
  PAUSE   Licht verdunkelt sich  –>  SEHR DUNKEL bis FINSTER
LICHT FINSTERALLE GG stehen auf    
    ANDREAS  Des echten Künstlers Lehre schließt den Sinn auf;  
 MARKUS  denn wo die Worte fehlen, spricht die Tat.  
 
CLAUDIA
 
Der echte Schüler lernt aus dem Bekannten das Unbekannte entwickeln  
 STEFAN   und nähert sich dem Meister.  
LICHT  GANZ HELL  MUSIK
# 6
 Goethe: „Über allen Gipfeln ist Ruh ….“ They’ll Remember You – John Ottman  
ENDE  ENDE ENDE

[1] Vergleiche Klaus Hammacher- Freimauerei, Ideen und Werte

Weisheit im Leben

Wolfgang T.

Ich möchte heute über Weisheit im Leben und die Wege dorthin mit Hilfe der FMei sprechen:

„Weisheit gründe den Bau“ haben wir vorhin vom MvSt. beim Entzünden der 3 kleinen Lichter gehört. Und wir wissen: der MvSt ist nicht nur eine Person – in diesem Fall Br. Peter – der MvSt. der Loge ist auch ein zentrales Symbol in der FMei. Für uns symbolisiert er das Licht, das gleich der Sonne aus dem Osten heraus die Loge erleuchtet. Als Organisator und Planer fungiert der MvSt. quasi als Vertreter des GBAW in der Loge. Und diesem zentralen Symbol, dem MvSt. ist auch die Säule der Weisheit zugeordnet. Das lässt erkennen, welch hoher Stellenwert dem Begriff der Weisheit in der FMei zukommt.

Und dies von allem Anfang an: erinnern wir uns auch an die Aufforderung des MvSt. bei der Rezeption nach der ersten Reise: „Erkenne Dich selbst! – Unbeirrt durch den Lärm der Welt wandelt der Weise seinen Weg zu Wissen und Wahrheit, fest und kühn in den Stürmen des Lebens, hohe Ziele im Sinne. Aus Selbsterkenntnis erwachse auch Ihnen einst solche Weisheit!“

Es gehört somit zu den Aufgaben und Zielen des Freimaurers, durch Selbsterkenntnis Weisheit im Leben zu erlangen. Um sich selbst zu vervollkommnen und um dem eigenen Umfeld menschlich und geschwisterlich zu begegnen und derart als kleines Rädchen zum Fortschritt der Menschheit beizutragen.

Doch was bedeutet eigentlich Weisheit? Es gibt unzählige Definitionen und Konzepte dazu, die sich in der Regel in den Spannungsräumen zwischen Rationalität und Intuition, Wissen und Glauben sowie zwischen Erfahrung und Instinkt bewegen:

Übereinstimmung herrscht in der Ansicht, dass Weisheit von geistiger Beweglichkeit und Unabhängigkeit zeugt: Sie befähigt ihren Träger, systematisch Dinge zu denken („eine weise Erkenntnis“, „ein weiser Entschluss“, „ein weises Urteil“), zu sagen („ein weises Wort“, „ein weiser Rat“) oder zu tun („ein weises Verhalten“).

Irgendwie weiß ja jeder von uns, was in etwa mit Weisheit gemeint ist, auch wenn es sich so mannigfaltig definieren lässt. Nicht weise ist es jedenfalls, von sich zu behaupten, weise zu sein. Und beim Gegenteil von Weisheit, bei der Dummheit tut man sich mit dem Definieren auch viel leichter! Von Weisheit muss auch Wissen unterschieden werden. Wissen kann ich erwerben, weise muss ich werden. Wissen ist immer unbescheiden. Um Wissen zu wollen, muss ich auch unbescheiden sein, muss an die eigenen Grenzen stoßen und darüber hinaus. Weisheit hingegen ist bescheiden. Man kann sich nur bemühen, weise zu werden und diese Weisheit auch zu leben. So dürfte die Zielsetzung „Weisheit im Leben“ wohl auch gemeint sein. Werde weise und lebe danach.

Und wie wird man weise? Und inwiefern kann uns die Freimaurerei dabei eine wesentliche Hilfe sein? Liebe Geschwister, lasst mich nun einen möglichen Weg zu Weisheit an Hand von fünf Prinzipien mit Euch gehen. Diese wurden von der an der Universität Klagenfurt lehrenden Entwicklungspsychologin Judith Glück in ihrem Buch „Weisheit: Die 5 Prinzipien des gelingenden Lebens“ aufgestellt.

Das Buch und diese Prinzipien haben mich bei meinen Recherchen zu diesem Baustück besonders angesprochen, weil es eigentlich alles für mich in leicht verständlicher Form subsumiert, was ich auf meiner Suche nach den Parametern für den Weisheitsbegriff gefunden habe.

Ich möchte Euch diese 5 Prinzipien nun kurz vorstellen, um danach zu versuchen, unseren freimaurerischen Bezug dazu herauszuarbeiten:

Das erste Prinzip lautet: Offenheit

Weisheit kann sich nur dann entwickeln, wenn wir bereit sind, uns selbst kritisch gegenüberzustehen und auch zu verändern. Wenn wir neuen Erfahrungen nicht mit einer bereits vorgefassten Sichtweise begegnen, die wir gerne beibehalten, sondern wenn wir auch willens sind, uns überraschen, beeindrucken und auch verändern zu lassen.

Lässt sich Offenheit anderen Menschen gegenüber trainieren? Das geht: ich suche mir eine Person aus, die mir ziemlich fernsteht, beispielsweise ein Kollege im Beruf, der auf mich wenig sympathisch und abweisend wirkt, oder jemand aus der Verwandtschaft, zu dem ich – warum auch immer – keinen besonderen Zugang habe.

Versuche ich ganz gezielt, Interesse an diesem Menschen zu zeigen, kann vielleicht schon allein durch eine solche Interessensbekundung meinerseits eine ganz neue Art des Kontakts entstehen. Man versteht vielleicht auch das bisherige Verhalten des anderen besser. Oder es ändert sich auch nichts und man wird in seinem negativen Eindruck bestätigt. Auf jeden Fall hat man die Möglichkeit zugelassen, eine eigene vorgefasste Meinung von einem anderen Menschen durch eigene Offenheit zu verändern.

Das 2. Prinzip: Der gute Umgang mit Gefühlen

Gelingt es uns immer, so zu handeln, wie wir es eigentlich gerne würden? Unsere Emotionen immer im Griff zu haben? Man weiß, z.B., dass es sowohl für die Situation als auch für das eigene Wohlbefinden besser wäre, sich nicht über den unhöflichen Kellner    zu ärgern oder dem Teenager der Familie freundlich zu sagen, dass sich das schmutzige Geschirr nicht von alleine abräumt.

Ein Überschießen der Gefühle kann uns daran hindern, ruhig zu überlegen und klar zu denken. Abzuwägen, welche Kollateralschäden ungeregelte Gefühlsausbrüche haben können. Das gilt jetzt nicht nur für den Jähzorn, sondern natürlich auch für alle anderen Gefühls- Regungen. Und natürlich ganz besonders auch für all unsere Begierden! Gier nach Reichtum, nach Anerkennung und anderem!

Doch auch das andere Extrem, das Bestreben, die eigene Gefühlswelt zu stark zu lenken, zu unterdrücken oder zu ignorieren ist keine Lösung und hat höchstens schwere seelische Störungen zur Folge.

Der goldene Mittelweg, der geregelte Umgang mit der eigenen Gefühlswelt erfordert ständiges Bemühen, eigene Gefühle zwar zuzulassen aber diese, der jeweiligen Situation angepasst, zu dosieren. Man spricht in diesem Zusammenhang von hoher emotionaler Intelligenz, die den weisen Menschen ebenfalls auszeichnen sollte.

Das 3. Prinzip: Einfühlungsvermögen

Liebe Geschwister, wir alle haben von Natur aus eine gewisse Neigung, anders zu empfinden, wenn es um Menschen geht, die wir als anders oder als einer fremden Gruppe zugehörig sehen. Dieses Verhalten hat seine Wurzeln in unserer evolutionären Vergangenheit, wo es einen Überlebensvorteil gesichert hat, die eigene Gruppe zu bevorzugen und andere abzulehnen und zu bekämpfen, besonders bei knappen Ressourcen.

Auch heute wird die Ablehnung anderer Gruppen in unserer Gesellschaft besonders sichtbar, wenn diese uns real oder  vermeintlich etwas wegnehmen könnten. Damit sind jetzt nicht nur Migranten gemeint, sondern auch Angehörige anderer sozialer Gesellschaftsschichten, anderer Obödienzen oder des Nachbarortes – eben einfach Andere!

Und wie einfach ist es doch, in Stereotypen zu denken und zu leben! Schon im Voraus zu wissen, wie diese Anderen denken und handeln und wie sehr mich das von ihnen unterscheidet. Vorurteile zu pflegen und diese immer wieder freudig bestätigt zu wissen. Männer mit Hut fahren ja wirklich schlecht Auto, oder?

Solchen Stereotypen entgegengesetzt wirkt die Bewegung des Diversity Management. Sie trachtet jede Form von Diskriminierung zu verhindern und damit die Chancengleichheit für alle zu verbessern. Dabei steht keine bestimmte Minderheit im Fokus, sondern die Gesamtheit aller Mitmenschen mit ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Bei den Unterschieden sowohl die äußerlich wahrnehmbaren, wie Geschlecht, Ethnie, Alter und Behinderung, als auch subjektive Unterschiede wie sexuelle Orientierung, Religion und Lebensstil.

Als Schattenseite des Diversity Managements kann es bei Menschen mit starken Verlustängsten zu Verunsicherung, Neid, Orientierungs- losigkeit und dem Wunsch nach einer starken Führungspersönlichkeit kommen.

Der gesellschaftliche Diskurs zwischen den Extremen „mir-san-mir“ und „Gutmenschentum“ polarisiert unsere Gesellschaft heutzutage bei uns, aber auch weltweit. Wie so oft liegt auch hier der Weisheit letzter Schluss in der Mitte und zeichnet sich durch wohlüberlegten Zugang, durch Empathie und Mitgefühl jedem anderen – stets als Individuum betrachtet – aus.

Prinzip Nr. 4: Kritisches Reflektieren

Menschen neigen dazu, auch bei komplizierten Sachverhalten einfachen Erklärungen Glauben zu schenken, das erspart das Denken! So dominieren heute vielfach einfache Lösungen für komplexe Probleme unser Leben. Die Werbung verspricht uns permanent einfache Lösungen, auch in der Politik werden durch Simplifikationen und Verallgemeinerungen Wahlen gewonnen.

Ein kluger Mensch erlebt seine Umgebung aufmerksamer, kritischer und bemüht sich um einen möglichst großen und umfassenden Wissenshorizont. Vermeintlich einfache Problemlösungen machen den kritisch denkenden Menschen eher skeptisch. Bei Konflikten bedenkt er die Komplexität der Hintergründe, weiß, dass es Beteiligte mit unterschiedlichen Perspektiven und Bedürfnissen geben kann, und dass bei einer allzu einfachen Lösung manche – oft genug Schwächere – auf der Strecke bleiben können.

Schon die Bereitschaft, in alle Richtungen gesprächsoffen zu sein und sich in andere Sichtweisen hineinzuversetzen, kann eine Konfliktsituation so weit beruhigen, dass eine Lösung möglich wird. Diese Weitsicht zeichnet ebenfalls den weisen Menschen aus.

Nun haben wir also schon 4 Prinzipien auf dem Wege zur Weisheit gehört, die ich kurz wiederholen möchte: Offenheit, einen guten Umgang mit der eigenen Gefühlswelt, Einfühlungsvermögen anderen gegenüber und kritisches Reflektieren.

Und nun noch das 5. Prinzip: Die Überwindung der Kontrollillusionen

Was bedeutet das?

Liebe Geschwister, ich bin mit meinem Dasein zufrieden, ich halte mich – bei aller Bescheidenheit – für ziemlich intelligent und sehe mich mit meinen Ansichten meist im Recht.  Und ich bin auch felsenfest davon überzeugt, mein Leben völlig unter Kontrolle zu haben. Und genau das ist eine Illusion – eine echte Kontrollillusion.

Wir Menschen glauben gerne, auch Geschehnisse kontrollieren zu können, die nachweislich absolut nicht beeinflussbar sind. Unsere Gehirne haben sich evolutionsbedingt so entwickelt, dass sie beständig Sinn in allem entdecken möchten und so permanent nach Kausalitäten fahnden.

Und daher glaubt man gerne, alle Dinge müssten stets aus einem bestimmten Grund passieren, den man auch beeinflussen kann. So schätzen Menschen ihre Gewinnchancen beim Lotto viel höher ein, weil sie selbst die Zahlen ausgewählt haben.

Ich kann dafür sorgen, dass es nicht regnet – indem ich den Regenschirm mitnehme! Ich klopfe auf Holz, um etwas nicht zu „verschreien“. Doch eigentlich nährt solches Denken höchstens Aberglauben und Glauben an übernatürliche Phänomene.

Gerade in Zeiten der Unsicherheit und Krisen neigen wir besonders dazu, an übernatürliche Heilsversprechen zu glauben, auch unter Stress schicken wir gerne ein Stoßgebet zum Himmel.

Psychologisch betrachtet handelt es sich bei jedem Aberglauben oder Glauben an übernatürliche Dinge um klassische Kontrollillusionen, die man als kritischer und weiser Mensch selbst erkennen und hinterfragen sollte. Vieles im Leben passiert, ohne dass man es voraussehen könnte. Das soll nicht verunsichern, sondern uns dazu bringen, Geschehenes anzunehmen und uns bemühen, damit entsprechend umzugehen.

 Soweit die 5 Prinzipien nach Prof. Glück auf dem Weg zu Weisheit im Leben. Durch das Zusammenspiel dieser Prinzipien entsteht mit der Zeit eine kontrollierte, distanzierte und reflektierende Haltung allen Dingen im Leben gegenüber, die es uns ermöglicht, quasi von einer Metaebene heraus zu denken, zu sprechen und zu handeln und damit weiser zu werden.

Darüber können wir gerne noch später weiter diskutieren. Doch schauen wir uns zuvor noch kurz an, wie uns die Freimaurerei bei der Persönlichkeitsreifung in Richtung Weisheit helfen kann:

Beginnen wir beim ersten Prinzip:

Offenheit, Selbsterkenntnis und Selbstkritik gehören zu den ersten Dingen, die wir uns als Neophyten und junge Freimaurer-Lehrlinge zu eigen machen müssen. Schon wenige Wochen nach der Aufnahme wird uns als Baustück eine Selbstzeichnung abverlangt. Soweit ich weiß, heißt das bei Euch ein „ich über mich“. Dieses Baustück soll sich auf die eigene Person mit all ihren Eigenheiten und die persönlichen Motive, zum Bund kommen zu wollen, fokussieren.

Man konnte bereits nach wenigen Arbeiten als Lehrling erkennen, wie ernsthaft und tiefsinnig unsere Baustücke und Diskussionen sein können und weiß damit auch die Höhe der Hürde einzuschätzen, die es hier zu überwinden gilt. Nur die wenigsten haben sich vor der Selbstzeichnung überhaupt und wenn – dann sicherlich nicht in diesem Ausmaß und dieser Tiefe – jemals mit der eigenen Person auseinandergesetzt!

Die Integration in die eigene Loge, das Kennenlernen und das Zugehen auf die anderen oft so unterschiedlichen Geschwister stellen ein ideales Übungsfeld zur Vertiefung der eigenen Offenheit dar. Und es fällt natürlich leichter und geschieht viel eher, als ein gesuchtes Gesprächsexperiment mit einer fernstehenden Person, wie Eingangs als Übung zur eigenen Offenheit beschrieben.

Das 2. und das 3. Prinzip, das Beherrschen der eigenen Gefühlswelt und die Empathie für Andere würde ich natürlich vor allem den inhaltlichen Schwerpunkten eines späteren Grades zuordnen wollen.

Doch bemühen wir uns in allen freimaurerischen Graden um einen besonderen Umgang miteinander, einen geschwisterlichen Umgang, getragen von gegenseitigem Respekt und von Empathie.

Dieser besondere Umgang leitet sich schon aus den alten Pflichten ab und wird schon seit Jahrhunderten unter den Freimaurern gepflegt. Als junge Maurer lernen wir ihn kennen und schätzen. Und im besten Falle, diesen respektvollen Umgang auch in der profanen Welt zu leben.

Liebe Geschwister, wo lässt sich das 4. Prinzip, das „kritische Reflektieren“ besser erlernen und beständig üben, als im Tempel? Aktuelle Themen aus den unterschiedlichsten Bereichen, esoterisch oder profan, vertieft dargelegt in einem Baustück, danach im geschwisterlichen Kreis diskutieren zu können – egal ob aktiv oder passiv – das erweitert den eigenen Horizont, lässt eigene, vielleicht eher enge Sichtweisen in Frage stellen und kann sehr inspirierend wirken. Die freimaurerische Arbeit bereichert die eigene Persönlichkeit im Sinne der Selbstveredelung. Wir müssen das nur zulassen.

Abschließend nochmals zum 5. Prinzip auf dem Weg zur Weisheit, der Überwindung der „Kontrollillusionen“: Ich schicke gleich einmal voraus, dass ich selbst mit diesem Begriff vorerst nichts Konkretes anzufangen wusste. Ich habe bisher meine Kontrollillusionen mehr oder weniger selbstkritisch gelebt und bis jetzt eigentlich gar nicht hinterfragt. So gesehen kann alleine das Verfassen eines Baustückes einen Freimaurer Wissen und Weisheit näherbringen!

Doch gleich einmal ein Beispiel einer klassischen freimaurerischen Kontrollillusion: Ich kenne in der profanen Welt einen möglichen Suchenden, vertiefe diesen Eindruck in Gesprächen mit diesem und komme schließlich zu dem Schluss, dass dieser Mensch gut in die Freimaurerei und besonders in meine Loge passt – und erliege damit gleich einmal einer ordentlichen Kontrollillusion.

Einer Kontrollillusion einer anderen Person und auch meiner Loge gegenüber. Denn im Voraus wissen kann ich es nicht, ob und wie sich mein Kandidat in die Freimaurerei und in die Loge einfügen wird und genauso wenig, ob ihn die anderen Mitglieder akzeptieren werden.

Deswegen gibt es unser Auswahlverfahren mit den 3 Gesprächen, den Berichten dazu und der Ballotage, einer geheimen Abstimmung mit einem extrem starken Minderheitenvotum der 3 schwarzen Kugeln.

Die Teilnahme am Logenleben gibt uns weiteres die Möglichkeit, an Erfahrungen und Schicksalen Anderer teilzuhaben. Quasi aus nächster Nähe zu beobachten und mitzuerleben, wie andere mit erwarteten Herausforderungen des Lebens oder auch unerwarteten Schicksalsschlägen umgehen. Und daraus auch selbst zu lernen.

Dazu ein Beispiel: auch bei beruflich ganz weit obenstehenden Geschwistern hilft die Maurerei, im frm. Leben einfach Mensch und Gleicher unter Gleichen zu bleiben. Das kann einen Pensionsschock, den vermeintlich tiefen Fall aus scheinbaren beruflichen Höhen verhindern oder zumindest nachhaltig bremsen. In meiner Loge konnte ich das schon mehrfach erleben.

Noch drastischer zeigt sich das bei unerwarteten Schicksalsschlägen, wie schweren Erkrankungen. Leider müssen wir auch solche Situationen in unserer Gemeinschaft auch immer wieder erleben, doch lässt einen die Stärke, mit der Betroffene diesen Fährnissen entgegengehen, immer wieder Mut und Hoffnung schöpfen!

Liebe Geschwister, nach etwas mehr als 30 Jahren in unserem Bund frage ich mich heute, ob ich mit Hilfe der Freimaurerei, meiner Brüder, meiner Geschwister und durch meine eigene Arbeit am rauen Stein Wissen und Weisheit im Leben erwerben konnte?

Die Frage ist natürlich falsch gestellt, „erwerben“ konnte ich nämlich nichts! Beständig nach Wissen und Weisheit streben konnte und kann ich und das einzige, was ich in all den Jahren wirklich gelernt habe, ist, immer und konsequent ein Suchender, ein Arbeiter am rauen Stein zu sein, und das hoffentlich bis zu meinem Lebensende!

Dafür, dass ich diese Möglichkeit in unserer maurerischen Welt gefunden habe und auch mit Euch gemeinsam leben darf, möchte ich Euch allen meinen herzlichsten Dank aussprechen!

Was ist ein winkelgerechtes Leben?

Br.: GERHARD S.

Wie einige von euch wissen, gehöre ich im profanen Leben seit mehr als 30 Jahren dem Berufsstand der Notare an, bin also ein „Öffentlicher Notar“ – in Österreich so etwas wie ein Mittelding zwischen Gerichtsbarkeit und Vollziehung, was nicht unwesentlich ist für das Thema des heutigen Abends.

So nebenbei bekleide ich ein paar Ehrenämter, wie etwa – seit fast 12 Jahren – einen der drei Vorstände der Stiftung des Wiener Volkstheaters, des ehemals größten Sprechtheaters im deutschsprachigen Raum. Auch dieses wird in meinem Baustück eine entscheidende Rolle spielen.

Aber jetzt zu unserem heutigen Thema:

Es ist die Geschichte von Franz und Walter. Zwei profane historische Persönlichkeiten, die sich nie begegneten und wohl nichts gemeinsam hatten – außer dass sie zur selben Zeit lebten.

Wir begeben uns daher in die Vergangenheit, es ist die Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert – Fin de Siècle – ein Abschied.

Franz und Walter lebten eine zeitlang in derselben Epoche. Walter war allerdings älter als Franz und er überlebte ihn auch um 22 Jahre. Es hätte aber auch anders sein können.

Walter ist Deutscher, geboren 1886 in der Nähe von Danzig als Sohn eines Apothekers, gutbürgerliches Familienleben, zunächst studiert er in München Chemie, bricht jedoch das Studium ab und beschließt, fortan eine künstlerische Karriere einzuschlagen. Er wird Schauspieler.

1908 steht er im niederschlesischen Schweidnitz zum ersten Mal auf der Bühne. Weitere Engagements bringen ihn nach Zittau, Detmold und Breslau. Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges folgt er dem Ruf des Schauspielhauses in Dresden und mimt dort den „jugendlichen Charakterliebhaber“.

Franz kommt erst 1907 zur Welt, in einer ländlichen Umgebung in Oberösterreich, als lediges Kind einer Bauernmagd wird er von der Großmutter aufgezogen. Die Schusterswitwe Elisabeth Huber hatte 13 Kinder vom Ertrag einer Kleinlandwirtschaft zu ernähren. Das Umfeld von Franz ist geprägt von barocker Frömmigkeit. Die ärmlichen Verhältnisse verhindern eine höhere Bildung. Er besucht die einklassige Volksschule seines Heimatortes, wo ein einziger Lehrer 7 Jahrgänge mit bis zu 60 Kindern in einem Raum unterrichtete.

In einem späteren Mundartgedicht erinnert sich Franz an die Benachteiligung in der Schule aufgrund seiner Armut:

„Dass i a armer Bua bloß

des is ma kemma in mein Sinn.

Hab glernt so guat und brav

habns mir die Dreier zuwidraht.“

Zwei Menschen also, die verschiedener nicht sein konnten. Und so verschieden sie waren, so verschieden verhielten sie sich in ihrem Leben. Mit unterschiedlichem Ansatz und unterschiedlichem Ausgang.

Doch zunächst wechseln wir die Zeit. Es herrscht so etwas wie Aufbruchstimmung. Wir sind in den 20er-Jahren.

Walter ist also Schauspieler. In Dresden spielt er in Jedermann, Die Räuber, Kabale und Liebe. Beeindruckt vom Wirken Max Reinhardts übernimmt er immer öfter die Regiearbeit und verblüfft so manche Kollegen mit seiner „diktatorischen Art“. Der Deutsche Gewerkschaftsbund wirft ihm sogar „asoziales Verhalten“ vor und nennt ihn einen Despoten.

Er heiratet eine Sopranistin der Dresdner Hofoper. Als begnadete Wagner-Interpretin in der Gesellschaft bereits bestens integriert, freundet sich das Ehepaar in Bayreuth mit Siegfried und Winifred Wagner an. 1924 wird Walter Generalintendant des Fürstlichen Hoftheaters in Gera und inszeniert dort zahlreiche Klassiker, aber auch Zeitgenossen, wie Brecht und Zuckmayer.

Im Jahrbuch des Theaters in Gera beschreibt Walter seine Vorstellungen von einem Ensemble:

„Ensemble heißt für mich die sorgfältige Zusammenstellung verschiedenartigster Begabungen und körperlicher Erscheinungen, die, in richtiger Abstimmung zueinander, sich zu einer brennend interessierten Gemeinschaft, zu einer Einheit steigern lassen“.

Nationale Ideologien sind für ihn kein Thema.

Wie ging es mit Franz weiter?

Er verdingt sich als Knecht und Bergarbeiter. Seine Situation verändert sich schlagartig, als seine Mutter einen Landwirt heiratet. Franz wird von seinem nunmehrigen Stiefvater adoptiert. Dieser hat ein Zeitungsabonnement und besitzt viele Bücher. Franz beginnt zu lesen, denn (Zitat) „ein Mensch, der nichts liest, wird sich nie so recht selbst auf die Füße stellen können, er wird sehr oft nur zum Spielball der Meinung anderer“. Von seinem Lohn als Arbeiter am Erzberg kauft er sich ein Motorrad. Das erste im Ort. Franz ist jetzt wer.

Zudem stirbt bald danach der Stiefvater und Franz erbt seinen Hof. Er wird selbst Bauer und das Schicksal wiederholt sich: Eine seiner Mägde bekommt ein Kind von ihm. Franz kümmert sich sehr um das Mädchen, das – so wie einst er – von der Großmutter aufgezogen wird. Geheiratet wird aber nicht. Denn Franz will eigentlich ins Kloster. Auch eine junge Frau aus dem Nachbarort will Novizin werden. Ihr Name ist Franziska. Bevor die beiden ihren Entschluss in die Tat umsetzen, lernen einander Franz und Franziska kennen – und lieben. Es wird geheiratet. Die Hochzeitsreise geht nach Rom. Beide sind tief im Glauben verwurzelt.

Franz besucht fortan regelmäßig die Gottesdienste, liest intensiv die Bibel und andere religiöse Literatur, besonders Heiligenbeschreibungen. Eines Nachts träumt er von einem Zug, in den immer mehr Menschen einsteigen und im Hintergrund eine Stimme, die sagt: „Dieser Zug fährt in die Hölle!“

Franz und Walter sind in der dunklen Zeit angekommen.

Walter ist inzwischen Generalintendant der Städtischen Bühnen und des Schauspielhauses in Düsseldorf. Er engagiert Schauspieler wie Will Quadflieg, Karl Paryla und Leon Askin, sowie den ukrainisch-jüdischen Dirigenten Jascha Horenstein und Leopold Lindberg, ebenfalls jüdischer Abstammung. Walter fördert die Avantgarde, spielt sog. „moderne Opern“ von Hindemith, Strawinsky, Weill und Krenek und verpflichtet die jüdische Choreographin Ruth Loeser in sein Haus.

„Verjudung des Deutschen Theaters“ wird ihm vorgeworfen. Fortan sollen Wagner, Mozart und Richard Strauss gespielt werden. Walter fügt sich dem Diktat nur zögerlich. Die Gauleitung der Düsseldorfer NSDAP verlangt nach einem deutschen Spielplan.

Bereits im April 1933 stellt der Theaterausschuss der Stadt Düsseldorf an den Oberbürgermeister den schriftlichen Antrag, den Dienstvertrag des Generalintendanten zu kündigen und ihn sofort vom Dienst zu suspendieren. Als Begründung wird angeführt, dass er erklärt habe, ohne Juden künstlerisch nicht arbeiten zu können. Weiters habe er in der Karwoche die „Fledermaus“ mit „Niggertanz“ und die jüdische Revue-Operette „Im Weißen Rössl“ gespielt.

„Deutsche Künstler sind den Juden voranzustellen!“

„Wir wollen den deutschen Künstler, der sich als Diener und Gestalter deutschen Kulturgutes fühlt!“

„Wir sind es leid, beste deutsche Kunst in einer jüdischen Manier verborgen zu sehen!“

Das sind nur einige der Vorwürfe, denen Walter ausgesetzt ist. Doch er beweist Mut und verfasst eine 9-seitige Verteidigungsschrift, die er an die Gauleitung übermittelt. Der Kernsatz hieraus ist wohl der folgende:

„Gerade in den reproduzierenden Künsten gibt es zahlreiche Juden, die mit aufrichtiger Liebe und Bewunderung dem deutschen Wesen zugetan sind und die sich in den Dienst deutscher Kunstwerke stellen. Gerade der Fremde kann unser Wesen in manchem besser erkennen als wir selbst.“

Doch die Zeiten sind kompromisslos. Auch für Franz.

Für ihn kam die dunkle Zeit zwar erst 5 Jahre später, aber dann gleich mit voller Wucht.

Franz soll Bürgermeister seines Heimatortes werden. Er lehnt ab. Bei der Volksabstimmung über den „Anschluss“ Österreichs an Deutschland gibt er als einziger eine NEIN-Stimme ab. Sie wird von der Wahlbehörde unterschlagen. Franz zieht sich aus dem öffentlichen Leben zurück. Als er zum Wehrdienst eingezogen wird, leistet er zwar den Fahneneid auf Hitler, aber eher aus der Überzeugung „dass es eine Sünde sei, den Befehlen des Staates nicht zu gehorchen“. Um Aufschub seiner Einberufung hat er bei der Ortsparteileitung nicht angesucht, denn (Zitat) „zum Spielball der politischen Leiter dürfen wir uns nicht herablassen. Ich glaube, wir werden noch öfters einen festen Willen brauchen“. Er kann dennoch zunächst zurück auf seinen Hof und zur Familie. Mit Franziska hat er inzwischen drei Töchter.

Er wird Mesner in seiner Pfarrkirche und feiert täglich die Heilige Messe mit. Weil die Nazis die Kirche verfolgen und wegen ihres Euthanasieprogramms sowie durch intensives Studium der Bibeltexte fasst er den Entschluss, nicht wieder zum Militär einzurücken.

Familie, Freunde, der Pfarrer – alle versuchen, ihn zur Umkehr zu bewegen. Seine Frau Franziska hält letztendlich zu ihm – trotz der zu erwartenden Konsequenzen für sie und die Kinder. Dies wurde ihr später heftig vorgeworfen. Doch sie rechtfertigte sich damit, „dass der Franz ja dann gar niemanden gehabt hätte, der zu ihm hält“.

Er erinnert sich an seinen Traum vom Zug in die Hölle: „Ich möchte eben jedem zurufen, der sich in diesem Zug befindet: Springet aus, ehe dieser Zug in seine Endstation einfährt, wenn es dabei auch das Leben kostet!“

Am 1. März 1943 erklärt Franz vor der Militärbehörde, den Wehrdienst zu verweigern. Er wird verhaftet, zuerst in Linz eingesperrt und dann nach Berlin verfrachtet, wo man ihm vor dem Reichskriegsgericht den Prozess macht. Am 6. Juli 1943 wird Franz wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tod verurteilt und am 9. August 1943 in Brandenburg hingerichtet.

In einem seiner Briefe aus der Haft schrieb er: „Besser die Hände gefesselt als der Wille“.

Und Walter?

Er beugt sich dem Diktat und entlässt seine jüdischen Ensemblemitglieder. Ja er bewirbt sich sogar um die Mitgliedschaft in der NSDAP, die ihm aber wegen seiner „liberalistisch-marxistischen Gesinnung“ verwehrt wird. Der NS-„Hofpoet“ Hanns Johst ist ein alter Freund. Für ihn inszeniert Walter das – laut Völkischem Beobachter – „erste Drama der deutschen Revolution“, das Propagandastück „Schlageter“, welches in der Folge an über 100 deutschen Bühnen aufgeführt wird. Bei der Premiere in Düsseldorf ist sogar Goebbels anwesend – und beeindruckt.

Der Vertrag in Düsseldorf wird aber nicht mehr verlängert. Zu groß und unüberbrückbar ist die ideologische Distanz zu den ortsansässigen Kulturpolitikern. Walter fährt nach Berlin – zu Goebbels. Er findet Unterstützung beim Propagandaminister, doch nach Düsseldorf kann er trotz Fürsprache nicht mehr zurück.

Es scheint, als wäre die Karriere von Walter vorbei.

Am sogenannten „Deutschen Volkstheater“ in Wien versucht gerade der bisherige Direktor Rolf Jahn sich in einem überschießenden Ausbruch von Opportunismus bei den neuen Machthabern beliebt zu machen. In Windeseile gestaltet er das traditionsreiche Haus in einen KdF (Kraft durch Freude) Freizeittempel um.

Doch diese „Schleimereien“ sind selbst den Nazis zuviel. Sie besetzen das Volkstheater neu.

Mit Walter.

Offensichtlich hat Goebbels die Hand im Spiel. Und Walter setzt einen bewundernswerten Schachzug: Er verschafft sich ein ruhiges Klima im Haus, engagiert Größen wie O.W.Fischer, Curd Jürgens, Gerd Fröbe, Paul Hubschmid, Judith Holzmeister und Inge Konradi.

Er schafft es, mit seinem Spielplan linientreues Propagandatheater mit kritischer Opposition so zu verknüpfen, dass es den Machthabern gar nicht sonderlich auffällt.

Das Volkstheater wird ein Ort stillen Widerstands und ein Hort für Verfolgte.

Eines seiner Ensemblemitglieder ist die Schauspielerin Dorothea Neff. Walter kennt sie aus seiner Zeit in Gera und holt sie nach Wien. Sie versteckt in ihrer Wohnung vier Jahre lang ihre jüdische Freundin Lili Wolff. Walter weiß dies und deckt Neff. Bis zum Kriegsende.

Am 1. September 1944 wird das Deutsche Volkstheater kriegsbedingt geschlossen. Walter bemüht sich bis zuletzt erfolgreich, die von der Partei geplante Entfernung „nichtarischer“ Künstler aus den Annalen und der Galerie des Hauses zu verhindern.

Ja und er selbst versteckt in seiner Wohnung 6 Monate lang seinen Dresdner Freund, den Architekten Fritz Naumann, der von der Gestapo wegen „defätistischer Reden“ gesucht wird.

Walter wird nach dem Krieg Intendant des Nürnberger Theaters, jedoch wegen seiner Nahebeziehung zur NSDAP kurze Zeit später wieder entlassen. Im Jahr 1949 wird er allerdings entlastet und ihm bescheinigt, dass er in der sog. „Judenfrage“ eine „mutige Haltung“ eingenommen hat.

Zwischendurch als Theaterdirektor in Braunschweig kehrt er schließlich 1951 in „sein“ Düsseldorf zurück.

Er stirbt 1965.

Geliebte Schwestern und Brüder.

Den einen habt ihr ja wohl erkannt. In der katholischen Kirche ist er heute ein Seliger und dereinst vielleicht ein Heiliger.

Franz Jägerstätter

Der andere ist heute völlig unbekannt. Und er wird auch nie ein Heiliger werden. Doch sein Portrait hängt in der Galerie der Intendanten des Wiener Volkstheaters vorbehaltlos neben allen anderen – und das zu Recht.

Sein Name: Walter Bruno Iltz.

Warum vergleiche ich diese beiden Menschen?

Jägerstätter hat seine Überzeugung gelebt. Ohne Wenn und Aber und ohne Rücksicht auf seine engsten Mitmenschen, seine Frau, seine Kinder. Er hat – so mag man meinen – einen exakten rechten Winkel beschritten.

Was hat es ihm gebracht?

Genugtuung für ihn selbst, seiner Überzeugung bis zum Tod treu geblieben zu sein? Er möge ein Mahner sein, aber kann sein Leben für uns auch ein Vorbild sein?

Ich habe früher Franz Jägerstätter in seinem Verhalten nicht verstanden, ja sogar das eine oder andere Mal verachtet, weil er seine Familie, seine kleinen Kinder im Stich gelassen hat. Beim genaueren Studium seines Lebens habe ich jedoch erkannt, dass er gar nicht anders hätte handeln können. Er wäre am Bruch seiner Überzeugung im Leben gescheitert.

Auch Iltz hat seine Überzeugung gelebt. Aber anders, eben vielleicht nicht gerade rechtwinkelig. Seine Gratwanderung zwischen regimekritischer Opposition einerseits und Linientreue andererseits hat zumindest einigen Menschen Vorteile gebracht und diese vor Verfolgung und möglicherweise Tod bewahrt. Kann er für uns ein Vorbild sein?

Gibt es überhaupt ein einzig wahres, vorbildhaftes und winkelgerechtes Leben?

Ich denke mir oft in meinem Beruf, ob ich es zustande bringen könnte, gegen meine Überzeugung verordnete staatliche Vorschriften zu vollziehen. Mein beruflicher Eid verpflichtet mich dazu. Und haben wir als Freimaurer nicht alle bei unserer Aufnahme gelobt, „die Landesgesetze zu beachten“? Wie sollen wir mit „ungerechten“ Gesetzen umgehen?

In meiner Zeit als Rechtspraktikant in den 80er-Jahren verbrachte ich drei Monate am damals noch existierenden Jugendgerichtshof in der Rüdengasse.

Mein Ausbildungsrichter Dr. Ott – er ist bereits verstorben – sagte einmal zu mir:

„Ich liebe meinen Beruf und würde ihn um nichts auf der Welt aufgeben. Außer, wenn in Österreich wieder die Todesstrafe eingeführt wird.“

Ich habe über diese Einstellung lange nachgedacht und überlegt, ob es nicht erst recht wichtig wäre, in solch einer Situation „an den Hebeln der Macht“ zu bleiben, um vielleicht den einen oder anderen Unglücklichen vor der Todesstrafe zu bewahren. Einen gewissen Spielraum in der Urteilsfällung gibt es immer.

Andererseits müsste ich zwischendurch bei eindeutiger Schuldfrage dann doch wieder gegen meine Gesinnung Todesurteile fällen, was mein Gewissen wohl nicht zulassen würde. So gesehen hatte Dr. Ott vermutlich Recht.

Im Zusammenhang mit diesem Gewissenskonflikt gibt es sogar ein konkretes Beispiel – zufälligerweise in Verbindung mit dem Fall Jägerstätter:

Der Vorsitzende des Senats im Reichskriegsgericht, welcher das Todesurteil gegen Franz Jägerstätter gefällt hat, Gerichtsrat Werner Lueben, der bereits für mehr als 100 Todesurteile mitverantwortlich war, entzog sich am 28. Juli 1944 einem weiteren offensichtlichen Unrechts-Urteil durch Selbstmord. Er hätte an diesem Tag auf Druck von Himmler drei katholische Priester zum Tod verurteilen sollen. Im Laufe des Verfahrens hatte Lueben versucht, die Beweiskraft der Gestapo-Protokolle in Zweifel zu ziehen und den Prozess wenigstens anhand der damaligen Rechtsvorschriften durchzuführen.

Die Hinrichtung der drei Priester konnte er trotzdem nicht verhindern. Sie verzögerte sich lediglich um ein paar Monate.

Gerade in der heutigen Zeit der Umbrüche, globalen Katastrophen, Migrationen,  des Terrors und der Weltwirtschaftskrisen denken wir vermehrt an die Szenarien autoritärer Machtverhältnisse. Und von dieser Möglichkeit bleibt im Ernstfall unser Land sicher nicht verschont.

Was tun mit unserem Gelöbnis, „die Landesgesetze zu beachten“?

Sollen wir wie Franz der Überzeugung wegen unsere Existenz und Handlungsfähigkeit verlieren oder wie Walter das Unrecht zum Vorteil benützen – auch unter der Gefahr, damit das Unrecht zu fördern?

Jägerstätter schreibt in einem Brief an sein Patenkind: „Wir haben schon in der Schule gelernt, dass der Mensch einen Verstand und einen freien Willen hat und besonders auf unseren freien Willen kommt es an, ob wir ewig glücklich oder ewig unglücklich werden wollen“.

Ich denke, dass jeder Mensch seine Überzeugungen und Ideale so leben soll, wie es ihm seine Fähigkeiten und sein Gewissen erlauben.

Da kann der rechte Winkel dann vielleicht auch einmal stumpf sein.

Hauptsache ist: MENSCHLICH MUSS ER SEIN!

Die Bürgschaft

BS von Br. Richard Mach, GOÖ, 2011

Schon als Kind mochte ich diese „großen“ Balladen, (von denen wir alle zumindest wissen, dass es sie gibt); ich musste sie damals zwar abschreiben, um meine Handschrift zu verbessern, doch faszinierten mich diese langen Gedichte seltsamen Inhalts und so lernte ich sie während des Abschreibens auch gleich auswendig…

Was ich als Kind auswendig konnte, hatte allerdings Lücken bekommen, und so begann ich einfach so, zum Spaß, wieder Vers um Vers zu repetieren, und als Erwachsener, als Freimaurer, sah ich die Ballade plötzlich in einem neuen Licht …

Die Bürgschaft

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Damon, den Dolch im Gewande: Ihn schlugen die Häscher in Bande,

„Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!“

Entgegnet ihm finster der Wüterich.

„Die Stadt vom Tyrannen befreien!“

„Das sollst du am Kreuze bereuen.“

Damon, oder eine Gruppe hinter ihm – wir wissen es nicht – stellt die herrschende Regierung mehr als in Frage, und die Lösung lautet: Königs-Mord.

Heiligt der Zweck die Mittel?

Auch wenn wir davon ausgehen, dass der Tyrann ein grausamer selbstsüchtiger Machthaber ist – und wer hätte nicht schon dann und wann daran gedacht, ein Attentat emotional nicht doch vielleicht rechtens finden zu können, wie etwa bei Khomeini, Ceaucescu, Milosevics Saddam Hussein, Bush, Putin, Berlusconi…? , so wissen wir doch dass ein Mord ethisch nicht vertretbar ist …

Wer sind die Guten, wer die Bösen? Wer entscheidet, was der richtige Weg ist? Und wer schützt sich vor wem? Wer rechtfertigt sein Verhalten, seine Aufrüstung, seine Schutzanzüge nicht mit dem Verhalten, der Aufrüstung, den chemischen Kampfstoffen der anderen?

Und wir selbst in unserem kleinen Umkreis? Wir reagieren ja auch nur auf unser Gegenüber     So wie dieser wiederum auf sein Gegenüber – auf uns selbst – und es gibt so viele richtige Wirklichkeiten … und jeder hat recht. Nur das Recht, über einen anderen zu urteilen und diesen dann infolge dessen zu sanktionieren, das Recht hat niemand. So wie z.B. die Amerikaner die orientalische Lebensart und deren Weltbild nicht verstehen, so können auch wir mit anderen Menschen und deren Art zu leben und zu denken nur bedingt übereinstimmen. Dabei stimmt unsere Sprache, unser kulturelles und soziales Umfeld und vieles mehr überein; aber wir kennen selten die Hintergründe und Umstände warum jemand anderer so ist, so denkt, sich so benimmt.

Hier helfen Neugier, Toleranz und Vertrauen. Wir wissen ja: … DIE EIGENE MEINUNG NICHT FÜR DIE EINZIG

WAHRE ZU HALTEN… und uns immer wieder daran zu erinnern. Das ist manchmal schwierig und da „Recht haben“ „überleben können“ bedeutet, im Kleinen wie im Grossen, und jeder überleben will, haben wir hier eine wichtige Aufgabe: den Mut zu entwickeln, gegen den Ur-Instinkt auch in der Sicht des anderen einmal im Unrecht sein zu können …Denn bei einem persönlichen Konflikt, der ungeschickt zwischen 2 Parteien ausgetragen wird, gibt es immer 2 Opfer, aber auch 2 Agressoren und meistens auch 2 Verlierer…

„Ich bin“, spricht jener, „zu sterben bereit Und bitte nicht um mein Leben:

Doch willst du Gnade mir geben, Ich flehe dich um drei Tage Zeit,

Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit…

Viel tut sich in diesen Zeilen: Damon übernimmt Verantwortung für sein Tun – er steht zu dem Anschlag, denn er ist überzeugt, dass sein beabsichtigter (Königs)- Mord zum Wohle vieler anderer gewesen wäre…

Er akzeptiert die Konsequenz seines Handelns, ohne Ausrede, ohne Wahrheitskorrektur… Doch er hat noch eine unerledigte Verpflichtung: Er muss noch seine Schwester verheiraten…

.. .oder was auch immer – nicht so wichtig. Wichtig ist für mich dabei, dass es für ihn Verpflichtungen gibt, denen er sich auch angesichts dieser verschärften Umstände nicht entziehen will. Dabei würden wir sicher verstehen, wenn er sich ab diesem Moment aller Verpflichtungen entbunden hätte fühlen können – er wird hingerichtet werden, was zählt da sonst noch?

Warum will er das vorher noch erledigt wissen? Für mich unter anderem aus 2 Gründen: Aus Liebe zu seiner Schwester, und aus Pflichtbewusstsein.

…und dann knallt dieser Damon dem Tyrannen rotzig den Satz hin:

Ich lasse den Freund dir als Bürgen, Ihn magst du, entrinn‘ ich, erwürgen.“

Na toll! Was macht der Wahnsinnige?

Reitet einen Freund ‘rein? Ist das mit dem Freund abgesprochen? Ist er womöglich bereit, ihn zu opfern? Wie kann er so handeln?

Er will sich die Zeit, die er für die Erfüllung seiner Pflicht benötigt, erkaufen, und bietet dafür dem Herrscher als Pfand ein anderes Leben an – das seines Freundes! Also ich würde mich bedanken, als Freund, wenn über mich so verfügt werden würde – und dafür muss es mir noch nicht mal ans Leben gehen. Oder es ist ein Trick, um einfach ab- hauen zu können, aber das würde er doch nicht…oder würde er doch…?

Das denkt sich auch der Tyrann:

Da lächelt der König mit arger List Und spricht nach kurzem Bedenken:

„Drei Tage will ich dir schenken; Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist,

Eh‘ du zurück mir gegeben bist, So muß er statt deiner erblassen, Doch dir ist die Strafe erlassen.“

Der König schließt von sich auf den anderen: Er geht davon aus, dass sich Damon aus dem Staub machen wird. Seine Grausamkeit besteht darin, dass er durch die eventuelle Exekution des (unschuldigen) Freundes Damon noch härter bestrafen kann. Denn er weiß, dass Damon seine

Schuld daran gegebenenfalls bis an sein Ende mit sich herumtragen wird. „Komm zurück und stirb oder fliehe und trage Schuld am Tod des Freundes“

– das ist der Deal, er überlässt Damon die selbstgewählte Verantwortung, den – wie er glaubt – Gewissenskonflikt, das Dilemma.

Und er kommt zum Freunde:

„Der König gebeut,

Daß ich am Kreuz mit dem Leben Bezahle das frevelnde Streben.

Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; So bleib du dem König zum Pfande,

Bis ich komme zu lösen die Bande.“

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund

Und liefert sich aus dem Tyrannen;

Jetzt erst teilt er seinem Freund die Ereignisse und seine Entscheidung mit, und dieser akzeptiert es, Pfand in diesem brisanten Abkommen zu sein – schweigend! Und die schweigende Umarmung symbolisiert Verständnis und Zustimmung, Mitgefühl, Liebe und Vertrauen.

Keine Fragen? Keine Diskussionen? Das Ge- dicht berichtet darüber nichts… Aber was lässt den Freund dieses Vabanque-Spiel mitspielen?

Ich vermute, der Freund war in Damons Ab- sicht, den Tyrannen zu töten, eingeweiht und die Nachricht von Gefangennahme und Verurteilung Damons kam nicht wirklich überraschend für Ihn. Er ist sicherlich auf eine gewisse Art Komplize. Und er weiss, wenn Damon einen solchen Handel eingeht, dass dieser alles tun wird, um sein Versprechen, wiederzukommen, einzulösen. Denn es gibt zwischen ihnen einen Ehrenkodex. Er weiss, dass Damon dies nicht tun würde, ohne einen für ihn triftigen Grund, und in Ihrem Verhältnis zueinander existiert aufgrund des Kodex unbedingtes Vertrauen, er VERTRAUT seinem Freund, er vertraut ihm sein Leben an.

Auch wir Freimaurer haben Kodizes. Ich will hier gar nicht die halben alten und vieles aus den neuen Pflichten abschreiben, aber auf sie verweisen. Und ich möchte gerne anregen, dass wir sie uns immer wieder ansehen, um uns zu erinnern… Und auch zu prüfen, ob wir selbst uns danach verhalten. (DENN ES GIBT EINEN RICHTER, DEM NICHTS VERBORGEN BLEIBT… ) Damon muss seinerseits dem Tyrannen vertrauen, dass dieser nicht schon vor Ablauf der Frist den Freund hinrichten lässt. Nur der Tyrann braucht niemandem zu vertrauen – das hat er schon so eingefädelt. Herzlos wäre er zufrieden wenn irgend jemand stürbe. Aber das Spiel, in dem er hofft, die Schlechtigkeit der Menschen einmal mehr bewiesen zu finden, macht ihm natürlich noch viel mehr Spass – eine nette Abwechslung im Einerlei des tyrannischen Alltags.

Und dann geht alles sehr schnell:

Der andere ziehet von dannen.

Und ehe das dritte Morgenrot scheint,

Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,

Eilt heim mit sorgender Seele, Damit er die Frist nicht verfehle.

Damon hatte keinen Moment den Gedanken, nicht mehr zurückzukehren – was ja zu vermuten war, nachdem er sogar Angesichts seines bevor- stehenden Todes die Pflicht seiner Schwester gegenüber wahrzunehmen sehr ernst genommen hat.

Doch auf seiner Rückreise treten Schwierigkei- ten auf – hier jetzt der Mittelteil zusammengefasst:

Kaum ist er auf dem Weg, …

„…da gießet unendlicher Regen herab…“

…den weit über seine Ufer angeschwollenen reissenden, tosenden Strom überwindet er angst- voll/mutig und mit Gottes Hilfe. Die Zeit verrinnt und auf seiner weiteren Wanderung besteht er, mit der Kraft der Verzweiflung, den Kampf gegen eine Bande von Wegelagerern.

Und drei, mit gewaltigen Streichen Erlegt er, die andern entweichen.

Erschöpft und durstig ist er danach der sen- genden Sonne ausgeliefert, findet jedoch zum Glück eine Quelle, sich zu laben:

Und freudig bückt er sich nieder

Und erfrischet die brennenden Glieder.

Drei mal könnte er in Versuchung geraten, die Schwierigkeiten zum Anlass zu nehmen, aufzugeben. Drei Prüfungen, hatte also unser Protagonist zu überwinden: jede für sich Grund genug, sich um das eigene Überleben zu kümmern, und nicht mehr zurückzukehren an den Ort, wo ihn nach der Erfüllung seiner Pflicht der Tod erwartet. Weil er den Strom, die Räuber, die Erschöpfung als Hindernisse hatte, das hätte es begründet, aufzugeben.

„Weil“ ist ein vielstrapaziertes Wort: So begin- nen Ausreden. Und das war für Damon nicht akzeptabel. Er setzte alles daran, die Probleme auf seiner Reise zu lösen, und versteckte sich nicht hinter „Weil’s“.

Oft können wir nicht zur Logenarbeit kommen, oder auf ein Seminar fahren, weil… Geht mir genauso. Ich arbeite viel und kämpfe mit 2 Händen und einem Kopf um mein berufliches Überleben. Wie viele von uns. Doch wenn ich in mich hineinhöre, dann spüre ich, ob mir diese „Weils“ gerade recht kommen, oder ob ich es bedaure, verhindert zu sein. Ich bin bemüht, mit Klienten und Kunden meine Termine so zu legen, dass ich erst als letzte Möglichkeiten die Termine unserer R.A. anderweitig vergebe. Ja, das geht nicht immer, vieles kommt unverhofft und manches über Nacht und alles ist wichtig…

Aber ist es wirklich jedes einzelne Mal, wo wir ausfallen, so unmöglich, es doch zu schaffen? Lasst uns um Lösungen bemüht sein, statt Gründe zu haben, warum wir wieder einmal nicht an der Arbeit teilnehmen können!

Langsam geht die Sonne unter, Damon nähert sich endlich der Stadt – und scheint zu spät zukommen. Und der im Gedicht als „redlich“ bezeichnete Hüter des Hauses, der ihm entgegeneilt – als eine weitere Instanz des Gewissens – sogar er empfiehlt ihm:

„Zurück! du rettest den Freund nicht mehr, So rette das eigene Leben!

Den Tod erleidet er eben.

Von Stunde zu Stunde gewartet‘ er Mit hoffender Seele der Wiederkehr, Ihm konnte den mutigen Glauben

Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.“

Damit würde Damon auch von dieser Seite her Absolution zuteil, wenn er aufgeben würde, doch er kämpft weiter darum, den Vertrag zu erfüllen, ja, sogar falls der Freund schon hingerichtet worden ist.

…Er schlachte der Opfer zweie Und glaube an Liebe und Treue!“

Während der für seine Zuversicht verhöhnte Freund auf Damons Wiederkehr hofft, – sicher hatte er grauenhafte Angst, doch grundsätzlich glaubte er an seinen Freund, sonst hätte er sich nicht auf all dies eingelassen, dringt Damon zum mit Schaulustigen überfüllten Richtplatz vor:

Am Seile schon zieht man den Freund empor…

Uff! Gerade noch rechtzeitig.

„Rechtzeitig“ ist ein gutes Wort: Es bedeutet zur rechten Zeit etwas zu tun oder am vereinbarten Ort zu sein. „Rechtzeitig“ ist das Wort des 24-zölligen Maßstabs:

UM SICH DIE ZEIT MIT WEISHEIT EINZUTEILEN

Man bedenke: Unpünktlichkeit hätte dem Freund das Leben gekostet. Hier und heute ist es nicht so extrem; heute kostet Unpünktlichkeit nur die Zeit der anderen. Aber das ist ja nicht so schlimm, oder?

… und wie er auf seiner Ersten Reise den Strom bezwingt, so

… zertrennt er gewaltig den dichten Chor:

„Mich, Henker“, ruft er, „erwürget! Da bin ich, für den er gebürget!“

Nein – das ist Fiktion. Kein Mensch ist so konse- quent und würde, egal ob sinnvoll oder sinnlos, zum Preise seines Lebens in dieser Situation sei- nen Idealen treu bleiben…

Obwohl … behaupten nicht auch wir, dass wir uns „…LIEBER DIE KEHLE DURCHSCHNEIDEN LIESSEN, ALS DIE GEHEIMNISSE ZU VERRATEN, DIE UNS ANVERTRAUT WURDEN…“

Was beinhaltet dieses Versprechen?

Einander zu schützen! Für einander das Beste zu wollen. Die Gemeinschaft über das Ego zu stel- len. Einander „schweigend als treue Freunde zu umarmen …“. Mit jedem einzelnen Male, wo wir ins Zeichen gehen, geloben wir das aufs neue. Mit diesem Zeichen sind wir Bürgen unserer Gemeinschaft.

Abgesehen von unseren Paten hatte jeder von uns 3 + 1 Bürgen:

AUS DEM REZEPTIONSRITUAL:

MVST: WER BÜRGT FÜR SIE ?

VM:    ICH SELBST IM EIGENEN NAMEN SOWIE

IM NAMEN VON DREI MEISTERN DER LOGE

Hier übernehmen die 3 Interviewer die Bürg- schaft sowie der Vorbereitende Meister, der den Suchenden in die Loge führt. Es ist eine Aufgabe für andere zu bürgen, es ist Verantwortung.

Wie verstehen wir diese Verantwortung? Der Bürge garantiert der Loge, dass der Suchende wirklich ein freier Mensch von gutem Ruf und ein wahrhaft Suchender ist.

Und was wenn nicht? Wenn der eingebrachte neue Bruder falsch eingeschätzt wurde. Wie geht es dann denen, die für ihn gebürgt haben? Und was geschieht mit ihnen? Ans Kreuz genagelt werden sie nicht…

Für wen wir bürgen, das wirft auch auf uns ein bestimmtes Licht; es erzählt auch über unseren Charakter und unsere eigene Meisterschaft etwas. Und wenn Brüder nicht mehr in die Loge kommen, oder die Loge verlassen – wie fühlen sich deren einstige Bürgen?

Ging vielleicht irgend etwas zu schnell? War vielleicht zu wenig Zeit zum Kennenlernen? Wollten wir vielleicht gerne aus bestimmten Gründen einen Suchenden als Bruder gewinnen? Vorsicht, bezüglich der eigenen Motive!

Für manchen meiner Brüder bürge ich der Loge gegenüber. Ich habe behauptet, und mich dabei auf Informationen und meine Intuition und auf meine Erfahrung verlassen, – „Dieser hier ist ein freier Mensch von guten Sitten“ – und meine Loge vertraut meinem Urteil, das ich nicht leichtfertig abgebe. Ich weiss, dass dieser neue Bruder, wie auch jeder andere, bestrebt sein wird, das in ihn gesetzte Vertrauen zu bestätigen. Das schmälert aber nicht meine eigene Verantwortung. Noch ist das für mich mehr als eine symbolische Geste. Ich werde auch künftig nicht vorschnell handeln und urteilen. Denn es braucht nun einmal eine gewisse Zeit, um jemanden kennenzulernen, ein Stück seiner Seele zu sehen und ein wenig mehr zu erkennen, als die geschönte Oberfläche, die wir einander lieber zeigen, besonders in den Momenten, in denen wir exponiert sind.

Die Patenschaft geht für mich über die Bürg- schaft noch hinaus: Als Pate bürge ich der Loge gegenüber und auch meinem „Patenkind“ gegenü- ber für die Rechtschaffenheit meiner Loge. Ich bürge als Meistermaurer dafür, ihn bis zur Meisterschaft zu begleiten. Zur Verantwortung kommt noch dazu, Beistand, Anlaufstelle für Fragen und Probleme zu sein, maurerisches Vorbild zu sein. All das erfordert Vertrauen von allen Seiten..

Und dieses Vertrauen gibt es bei Damon und seinem Freund: Damon hat sich also durch die Menge gedrängt und bietet sein Leben an, um den Freund auszulösen. Alle sind überwältigt und berührt und so werden beide vor den König gebracht:

Dieser

…blicket sie lange verwundert an. Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen, Ihr habt das Herz mir bezwungen;

Und die Treue,

sie ist doch kein leerer Wahn –

So nehmet auch mich zum Genossen an: Ich sei, gewährt mir die Bitte,

In eurem Bunde der Dritte!“

Das hat ihn einfach umgehauen! Und ein Idiot dürfte er nicht gewesen sein, unser Tyrann, denn er erkennt sehr schnell, welche Kraft in dem gegenseitigen Vertrauen der Freunde liegt. Er konnte dieses Vertrauen auch mit seinem grausamen Spiel nicht zerstören:

(Des rühme der blut’ge Tyrann sich nicht, Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht, …)

Es wird ihm klar, dass er diese Nähe und Zugehörigkeit noch nie erlebt hat, und an TREUE BIS ÜBER DAS nicht geglaubt hat – dass diese Loyalität in seiner Wirklichkeit nicht existiert hat, und doch kein leerer Wahn zu sein scheint!

Und dieser verhärtete Mann beweist seinerseits grossen menschlichen Mut: er bittet um die Aufnahme in diesen Bund! Er erklärt sich damit bereit, die Sitten und Gebräuche dieser Gemeinschaft zu akzeptieren und danach zu leben.

Er hatte den Mut umzudenken, zu erkennen, einzusehen. Er hatte die Weisheit, nicht recht ha- ben zu müssen und die Größe, das zuzugeben…

Das wünsche ich mir, dieses Vertrauen unter den Menschen, dass wir einander nicht misstrauen oder Grund zu Misstrauen geben… Vertrauen erreicht das Herz und macht den Menschen wieder offener und lässt uns sicher fühlen.

Misstrauen beginnt bei einem selbst, denn oft projizieren wir etwas aus den Niederungen unseres eigenen Charakters auf den Anderen und nehmen Negatives an und vorweg.

Wenn ich schon so ein Schltzohr bin, was muss ich dann erst vom Anderen annehmen…?

BONMOT „SCHLITZOHR“: Wer stiehlt, verliert seine Ehrbarkeit und den Ohrring. Früher wurde er dem Gesellen ausgerissen, der dann auf ewig als

„Schlitzohr“ gekennzeichnet war.

Ich denke, Misstrauen ist Angst. Angst, „gelinkt“, über den Tisch gezogen, benachteiligt zu werden. Als der Blöde dazustehen…

Ja, dann fehlt dort das (sich) Selbst-Vertrauen! Sich Selbst-Vertrauen verringert das eigene

Misstrauen und ermöglicht einem inneren Frieden.

Wenn man aufhört, zu vertrauen, kann man zwar nicht mehr so enttäuscht werden – dafür enttäuscht man andere… Es geht nicht darum, blindes Vertrauen zu haben, sondern klaren Blickes willens zu sein, zu vertrauen. Und einander nicht zu missinterpretieren.:

„Wenn wir etwas gesagt oder getan haben, das man auf zwei Arten interpretieren kann; und eine Art davon macht dich traurig oder böse, dann meinten wir wahrscheinlich die andere.“

Soll heissen: „Gib der positiven Interpretation eine Chance, trau’ mir eher das Gute als das Schlechte zu!“

EPILOG

Dieses Gedicht ist für mich in vielerlei Hinsicht von maurerischen Tugenden durchdrungen:

Es ist eine Geschichte über Vertrauen, Menschenliebe, Zuverlässigkeit, Pflichtgefühl, Treue, Loyalität, Liebe, Läuterung, Umdenken, Verzeihen und vielem mehr. Und Selbstveredlung. Klingt fast schon wie ein Hollywoodfilm – ja, Patriotismus (…die Stadt vom Tyrannen befreien…) ist auch drinnen…

Alles übersteigert, damit man’s auch kapiert. Soll aber nicht als Ausrede dienen, in so eine Situation sowieso nicht kommen zu können: es gibt viele kleine Attentate, so manchen kleinen„Mord“… und auch viele kleine Kriege, unter Freunden, unter Geschwistern…

Ich kann die Kriege der Welt nicht beenden, das ist zu gross für mich, für jeden von uns, oft so- gar zu gross für die Beteiligten. Was aber für keinen von uns zu gross ist, das ist unsere eigene Einstellung, unsere eigene Achtsamkeit – im Kleinen, im Persönlichen, im Zwischenmenschlichen – unsere Bereitschaft, unsere eigenen Kriege zu be- enden, denn es ist kein Frieden möglich, ohne die Bereitschaft zu vertrauen.

                                  Vertrauen ist einer der Schlüssel zum Frieden als Zustand des Seins!

DIE BÜRGSCHAFT · FRIEDRICH SCHILLER

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Damon, den Dolch im Gewande: Ihn schlugen die Häscher in Bande,

„Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!“ Entgegnet ihm finster der Wüterich.

„Die Stadt vom Tyrannen befreien!“

„Das sollst du am Kreuze bereuen.“

„Ich bin“, spricht jener, „zu sterben bereit Und bitte nicht um mein Leben:

Doch willst du Gnade mir geben, Ich flehe dich um drei Tage Zeit,

Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; Ich lasse den Freund dir als Bürgen,

Ihn magst du, entrinn‘ ich, erwürgen.“

Da lächelt der König mit arger List Und spricht nach kurzem Bedenken:

„Drei Tage will ich dir schenken;

Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist, Eh‘ du zurück mir gegeben bist,

So muß er statt deiner erblassen, Doch dir ist die Strafe erlassen.“

Und er kommt zum Freunde:

„Der König gebeut,

Daß ich am Kreuz mit dem Leben Bezahle das frevelnde Streben.

Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; So bleib du dem König zum Pfande,

Bis ich komme zu lösen die Bande.“

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund Und liefert sich aus dem Tyrannen;

Der andere ziehet von dannen.

Und ehe das dritte Morgenrot scheint,

Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,

Eilt heim mit sorgender Seele, Damit er die Frist nicht verfehle.

Da gießt unendlicher Regen herab, Von den Bergen stürzen die Quellen, Und die Bäche, die Ströme schwellen.

Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab, Da reißet die Brücke der Strudel herab,

Und donnernd sprengen die Wogen Dem Gewölbes krachenden Bogen.

Und trostlos irrt er an Ufers Rand: Wie weit er auch spähet und blicket

Und die Stimme, die rufende, schicket.

Da stößet kein Nachen vom sichern Strand,

Der ihn setze an das gewünschte Land, Kein Schiffer lenket die Fähre,

Und der wilde Strom wird zum Meere.

Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht, Die Hände zum Zeus erhoben:

„O hemme des Stromes Toben!

Es eilen die Stunden, im Mittag steht Die Sonne, und wenn sie niedergeht Und ich kann die Stadt nicht erreichen, So muß der Freund mir erbleichen.“

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut, Und Welle auf Welle zerrinet,

Und Stunde an Stunde ertrinnet.

Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut Und wirft sich hinein in die brausende Flut Und teilt mit gewaltigen Armen

Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

Und gewinnt das Ufer und eilet fort Und danket dem rettenden Gotte; Da stürzet die raubende Rotte

Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,

Den Pfad ihm sperrend, und schnaubert Mord Und hemmet des Wanderers Eile

Mit drohend geschwungener Keule.

„Was wollt ihr?“ ruft er vor Schrecken bleich,

„Ich habe nichts als mein Leben, Das muß ich dem Könige geben!“

Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:

„Um des Freundes willen erbarmet euch!“ Und drei mit gewaltigen Streichen

Erlegt er, die andern entweichen.

Und die Sonne versendet glühenden Brand, Und von der unendlichen Mühe

Ermattet sinken die Kniee.

„O hast du mich gnädig aus Räubershand,

Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land, Und soll hier verschmachtend verderben,

Und der Freund mir, der liebende, sterben!“

Und horch! da sprudelt es silberhell, Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen, Und stille hält er, zu lauschen;

Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell, Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell, Und freudig bückt er sich nieder

Und erfrischet die brennenden Glieder.

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün Und malt auf den glänzenden Matten

Der Bäume gigantische Schatten;

Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn, Will eilenden Laufes vorüber fliehn,

Da hört er die Worte sie sagen:

„Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.“

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß, Ihn jagen der Sorge Qualen;

Da schimmern in Abendrots Strahlen Von ferne die Zinnen von Syrakus, Und entgegen kommt ihm Philostratus, Des Hauses redlicher Hüter,

Der erkennet entsetzt den Gebieter:

„Zurück! du rettest den Freund nicht mehr, So rette das eigene Leben!

Den Tod erleidet er eben.

Von Stunde zu Stunde gewartet‘ er Mit hoffender Seele der Wiederkehr, Ihm konnte den mutigen Glauben

Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.“

„Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht, Ein Retter, willkommen erscheinen,

So soll mich der Tod ihm vereinen.

Des rühme der blut’ge Tyrann sich nicht, Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,

Er schlachte der Opfer zweie Und glaube an Liebe und Treue!“

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor, Und sieht das Kreuz schon erhöhet,

Das die Menge gaffend umstehet;

Am Seile schon zieht man den Freund empor, Da zertrennt er gewaltig den dichter Chor:

„Mich, Henker“, ruft er, „erwürget! Da bin ich, für den er gebürget!“

Und Erstaunen ergreifet das Volk umher, In den Armen liegen sich beide

Und weinen vor Schmerzen und Freude. Da sieht man kein Augen tränenleer,

Und zum Könige bringt man die Wundermär‘; Der fühlt ein menschliches Rühren,

Läßt schnell vor den Thron sie führen,

Und blicket sie lange verwundert an. Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen, Ihr habt das Herz mir bezwungen;

Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn – So nehmet auch mich zum Genossen an:

Ich sei, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der Dritte!“