Die eine Rose
Die eine Rose überwältigt alles,
Die aufgeblüht ist aus dem Traum.
Sie rettet uns vom Grund des Falles.
Schafft um uns einen reinen Raum,
In dem nur wir sind und die Rose.
Und das Gesetz, das sie erweckt.
Und Tage kommen, reuelose.
Vom Licht der Rose angesteckt.
Eva Strittmatter
Der Valentinstag ist nun eine Woche her und ich kann Euch versichern, dass mein Baustück keine Nachwirkung eines liebestrunkenen Einfalls ist.
Die Rose wird seit der griechischen Antike als
„Königin der Blumen“ bezeichnet und hat seit jeher die Fantasie und die
Sehnsucht der Menschen beflügelt.
Dieses Symbol zu erläutern und seine Bedeutung für
mich zu beleuchten, ist heute meine Aufgabe. Zu Eva Strittmatter gibt es eine historisch-geografische
Verbindung. Sie lebte wie ich in der DDR. Vielleicht sind der gemeinsamen Geschichte
und Landschaft auch eine gemeinsame Melancholie geschuldet.
Die Rose ist bei ihr die Kraft, die alles überwältigt.
Ja, sogar eine heilsbringende, rettende Wirkung schreibt sie ihr zu. Sie
schafft einen neuen Raum, damit vielleicht neue Perspektiven. Sie kann als eine
Verbindung zwischen den Menschen, aber auch als Einigkeit mit sich selbst
verstanden werden. Das Gesetz, das sie erweckt, ist die Schöpfung. Sie bewirkt, dass die von fünf Kelchblättern umschlossene
Knospe zur Blüte strebt. Und die Tage, die kommen, wenn die Rose in ihrer
vollen Blütenpracht erstrahlt, werden ohne Zweifel und Reue sein, kurz gesagt –
vollkommen.
In der Freimaurerei ist die Rose Symbol der Schönheit,
der Verschwiegenheit und der Sehnsucht des Menschen nach einem neuen höheren
Leben.[1]
Schon in alten Initiationsriten wurde der Rose eine
mystische Kraft zugeschrieben, die einen verwandeln kann.[2]
Wie die physische Rose, die dem Licht entgegen wächst, ist auch die menschliche
Entwicklung ein Streben nach Erkenntnis und Entfaltung. Auch
wenn die physische Rose vergänglich ist, das Symbol ist unvergänglich. Deshalb ist es auch nicht entscheidend, was wir mit
der einen Rose gemacht haben, die uns bei der Rezeption gegeben wurde. Es geht
nur um das Wesen der Rose wie es für uns vielleicht darum geht, wesentlich zu
werden.[3]
Wesentlich zu werden, bedeutet: Der Mahnung an den
Lehrling zu folgen – in sich zu schauen – das eigene Wesen zu schauen –
die eigene Wesenhaftigkeit zu erkennen.
Im 2° findet dies vielleicht die Fortsetzung im – um
sich zu schauen – vielleicht meint dies ein Wachstum von der Knospe zur
Blüte – in achtsamer Verbundenheit mit dem, was einem umgibt.
Und das – Schaue über Dich – bedeutet
vielleicht, der eigenen Bestimmung gewahr zu werden – und ihr zu folgen.
Die Bestimmung der Rose ist das Erblühen.
Die Bestimmung der Rose ist auch das Verblühen.
Zumindest diese zweite Bestimmung teilen wir mit der
Rose.
Die erste Bestimmung – das Erblühen – möge uns
gelingen.
In der Freimaurerei spielt die Rose eine besondere
Rolle. Die Rose begleitet uns von der Aufnahme bis wir in den ewigen Osten
abberufen werden. Die rote Rose im Besonderen fordert uns auf, sittlich Gutes
zu erkennen und auch in die Tat umzusetzen.[4] Die
Rose steht für die Liebe selbst sowie für die Sehnsucht nach wahrer und
gelebter Humanität und der Suche danach.
Die Suche ist überhaupt ein zentrales Element des freimaurerischen
Selbstverständnisses, wobei Ziel und Inhalt der Suche durch die Freimaurerei
nicht vorgegeben werden, sondern dem Einzelnen überlassen bleiben.[5]
Die Suche ist Teil der Arbeit am rauen Stein und steht für
Persönlichkeitsentwicklung mit offenem Ziel.[6] Im
Mittelpunkt der spirituellen Dimension stehen Suche, Wege, Zugangsweisen und
Hilfsmittel, aber nicht Endprodukte der Persönlichkeitsentwicklung.[7]
Die Arbeit an sich selbst ist offen, sowohl was Mittel als auch das Ziel
betrifft. Diese Spannung auszuhalten und dennoch weiterzuarbeiten erfordert ein
„Fundamentales Trotzdem“: zu suchen, obwohl die Existenz und Erreichbarkeit
eines Zieles unsicher sind.[8]
Gotthold Ephraim Lessing, der 1771 in die Hamburger
Loge „Zu den drei Rosen“ rezipiert, befördert und gleichzeitig zum Meister
erhoben wurde, hat in seinem Werk „Ernst und Falk – Gespräche für Freimaurer“ sein
Ziel deutlich genannt. Er lässt Falk schon im ersten Gespräch sagen: „Die wahren
Taten der Freimäurer zielen dahin, um größten Teils alles, was man gemeiniglich
gute Taten zu nennen pflegt, entbehrlich zu machen.“.[9]
Unsere Arbeit am rauen Stein wird, wenn wir Erfolg
haben, zu einer Gesellschaft führen, in der diese Arbeit nicht mehr notwendig
sein wird. Dann ist das Gebäude der Menschlichkeit, an dem zu arbeiten wir uns
auferlegt haben, vollendet. Dieses Ziel ist freilich Utopie. Wir sind aber zur
Tat aufgerufen. Überall dort, wo unser Lebensweg uns hinführt, sollen wir uns
für das Wahre und Gute einsetzen.[10] Das
Wahre und das Richtige sind winkelrecht und damit, wenn auch unerreichbare
Utopie, Maßstab für unser Handeln.
Für Goethe, einem weiteren Säulenheiligen der
Freimaurerei, ist vielmehr der Weg das Ziel. Bei Goethe geht es um das Streben
nach einem tätigen Leben schlechthin. Wir alle haben faustisch-strebsame Züge
würde ich meinen, sonst wären wir nicht hier. Faust übersetzt die Worte der
heiligen Schrift mit: „Im Anfang war die Tat“[11]
und lebt diese Maxime bis zur grausamen End-gültigkeit. Fausts Streben bringt
viel Leid hervor. Er lässt Gretchen im Stich, wird zum Mörder von Philemon und
Baucis und zum profitgierigen Kapitalisten.
Aber – es gibt Hoffnung. „Ein guter Mensch in seinem
dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewusst.“[12],
sagt der Herr zu Mephisto. Das ist ein ermutigender Gedanke.
Der Schlüssel zur Erlösung ist bei Goethe das tätige
Streben. Derjenige kann Gottes Gnade erlangen, der immer strebend sich bemüht[13]. Faust
wird letztlich trotz all seiner Verfehlungen gerettet. Wenngleich also die
menschlichen Taten auch nach moralischen und sittlichen Maßstäben verwerflich
sind, so kann der Mensch doch gerettet werden, wenn er Suchender bleibt. Sein
Suchen ist ein Streben nach dem Guten und Wahren, und damit nach göttlichen
Pfaden.
Die Suche ist sowohl nach innen als auch nach außen
gerichtet. Die Auseinandersetzung mit der Welt, Naturphilosophie und Ethik
markiert die äußere Suche.[14] Die
Selbstsuche und die Selbsterkenntnis ist die zweite Seite dieses Strebens.[15]
Bereits Heraklit, ein vorsokratischer Philosoph, der um 500 v. Chr. lebte,
wandte sich seinem Selbst als Quelle der Erkenntnis zu und als Weg, der auf der
Suche einzuschlagen ist.[16]
Die Inschrift des Apollontempels von Delphi, die an seine Suche mahnt, kommt
uns da irgendwie vertraut vor: Γνῶθι σεαυτόν (Gnothi seauton), das heißt: „Erkenne dich
selbst!“.[17]
Die Suche nach Wahrheit als vornehmste Pflicht der
Freimaurerei wurzelt in einem sehr philosophischen und weniger religiösen
Verständnis von Freimaurerei.[18]
Nicht nur außerhalb uns wollen wir die Wahrheit suchen, sondern in uns und wahr
werden – gegen uns selbst.[19]
Hier nun setzen wir Lehrlinge den Spitzhammer vor allem an, um alles Unebene
des Charakters, alles Ungerade und Verhockte in unserem Wesen mit harten
Schlägen wegzusprengen, damit der göttliche Kern, der in jeder Menschenseele
verborgen ist, zu Tage trete.[20]
C.S. Lewis, der Autor der Narnia-Geschichten, soll
gesagt haben: „Wir sind wie Blöcke aus Stein, denen der Bildhauer mühsam
menschliche Form gibt. Die Schläge seines Meißels, die uns so sehr schmerzen,
sind es, was uns vollkommen macht.“[21].
Und so ist die Bearbeitung des rauen Steins die Suche nach der Form und ihrem
Sinn.
Meine eigene Suche führte mich vom Naturerlebnis über
die Literatur zur Religion. Was war all diesen Suchen gemeinsam? Ich wollte
verstehen und das heißt für mich, mit dem Herzen zu begreifen: Zusammenhänge
erkennen, meine Rolle in dieser Welt verstehen und welche Verantwortung ich
trage; die Suche nach Erkenntnis, warum Menschen so sind, wie sie sind und was
ich damit zu tun habe. Und im Versuch, nicht nur kognitiv zu verstehen, sondern
auch mit dem Herzen zu begreifen, begegnete ich den Gefühlen, von denen die
Rose spricht, wie Sehnsucht und Liebe. Und es gibt so vieles, was ich noch
nicht verstanden habe: Bestimmung, Begrenzung, Tod.
Und es gibt diese Begegnungen, die Veränderungen aus–lösen,
deren Kraft nicht beherrscht werden kann, deren Wirkungen erst lange nachher
überblickt, und selbst dann nicht in ihrer Gesamtheit erfasst werden können.
Kann man – einem Wunsch, der einem Samenkorn gleich in
einen gesetzt wurde, das Wachsen verbieten? Kann man verhindern, dass der Samen
zum Lichte drängt, aus der Erde hervorbricht und zu einer Knospe heranreift? Ich
empfand den Zustand als Suchende und Neophytin so.
Das Symbol meiner Suche ist diese Rose. Sie ist
unendlich zart und wächst doch, unaufhaltsam der Sonne entgegen. Schiller hat
geschrieben: „Suchst du das Höchste, das
Größte? Die Pflanze kann es dich lehren. […] Alles in ihrem Haushalte
entspricht den Forderungen der Zweckmäßigkeit, überall waltet die größte
Ordnung und Gesetzlichkeit, obgleich immer fort Neues schaffend, bewahrt sie
sich stets den Charakter eines harmonischen Ganzen. […] Der wilde Sturm der
Leidenschaften ist ihr fremd, in edler Selbstgenügsamkeit ist ihr Streben nur
darauf gerichtet, ihrer Bestimmung gerecht zu werden. […] Wohl – dem Menschen,
wenn auch er von dem geistigen Thaue des Himmels befruchtet, über die
Gebundenheit der irdischen Scholle sich erhebt entgegen dem belebenden Lichte,
das von oben kommt; wohl ihm, wenn von demselben erleuchtet und verklärt seine
Unternehmungen blühen und die Früchte seiner Thaten reifen! Wohl ihm, wenn er
von der Pflanze lernt, seine Freiheit unter eine höhere Ordnung zu beugen, wenn
nicht Eigennutz, Habsucht und andere wilde Leidenschaften die Triebfedern
seiner Handlungen bilden, wenn er den göttlichen Mahnruf erkennt, über die
Grenzen des eigenen Bedürfnisses hinaus zum Wohle seiner Mitgeschöpfe zu wirken
und Saaten zu streuen, an deren Früchten auch kommende Geschlechter Labung
finden! Ja gewiss, der Mensch, der dies Geheimnis seiner Bestimmung der Pflanze
abgelernt hat und mit voller Willenskraft anstrebt, was diese unbewusst und
willenlos leistet, hat das Höchste, das Größte erreicht, denn sein Leben ist ja
dann nur der Spiegel der ewigen Weltordnung, die auch in der kleinsten Pflanze
klar genug sich darstellt.“[22]
Die Rose ist auch Symbol der Liebe. Sie trägt unsere
geschwisterliche Verbundenheit. Die von Gigga überreichten Ansteckröschen
zeigen mir unsere Verbundenheit zueinander. Ich trage sie auch als Zeichen
meiner Zuneigung zu Euch.
Für mich steht das Symbol der Rose aber nicht nur für
die Verbundenheit zu den Geschwistern meiner Loge, sondern für eine umfassende
Verbundenheit mit allen Freimaurern.
In alter Maurertradition gab man diese Rose –
ursprünglich ein weiteres Paar weißer Handschuhe, dem Menschen, der dem Herzen
am nächsten steht. Diese Tradition soll eine Verbundenheit der Loge mit der
Familie des jungen Bruders oder der jungen Schwester ausdrücken. Die Kette wird
schließlich auch dadurch gestärkt, dass die Familie des Neophyten hinter dessen
Entscheidung steht, diese neue Bindung einzugehen. Dahinter steht aber auch der
Gedanke, dass der oder die Nächste – wenn einem selbst etwas zustößt, die Rose
in die Loge bringen kann – und es möge ihm oder ihr geholfen werden.[23]
Und indem wir die Rose dem Menschen geben, der unserem
Herzen am nächsten steht, binden wir diese Person in unseren erweiterten
„Geschwisterbund“ mit ein. Und in Wirklichkeit ist die Geschwisterkette ja
nicht endlich. Schiller beschwört in seiner Ode „An die Freude“: „Alle Menschen
werden Brüder“ und drückt damit ebenfalls ein unerreichbares Ideal aus:
Nämlich, dass sich alle Menschen ihrer Verbindung mit anderen Menschen, mit der
Schöpfung und der Zeitgeschichte bewusst sind. Wir gehören eben alle gemeinsam zusammen.
Wir beschwören Tag für Tag die Ideale der Toleranz,
Geschwisterlichkeit und des gesitteten Respekts voreinander – diese Haltung
möge auch umfassend in den eigenen Kolonnen wirken.
Die geschwisterliche Liebe bedeutet für mich: Wir sind
alle um eine vorurteilsfreie Begegnung hier in diesem Tempel außerhalb von Zeit
und Raum bemüht. Ist dieses Bemühen und jeder noch so kleine Fortschritt nicht
viel mehr wert als jedes hehre Ziel, dass unerreichbar in der Ferne leuchtet? Dem
Bild der inneren Rose entsprechend, geht es für mich darum, am eigenen rauen
Stein zu arbeiten und nicht an dem des Bruders oder der Schwester. Das ist jeweils
seine oder ihre Aufgabe.
Im Gebäude der Menschlichkeit sind wir alle zusammen
wichtige Bausteine. Wenn wir in der Kette zusammenstehen und unsere Herzen
einander entgegenschlagen, spüre ich nichts Trennendes. Egal aus welcher Loge
und egal aus welcher Obödienz der Bruder oder die Schwester kommt, gemeinsam zu
arbeiten, also zu suchen, verbindet.
Ich verbinde mit der Rose die Hoffnung, dass die Suche
nach Gemeinsamkeiten – auch mit den Geschwistern anderer Obödienzen – ein lohnenswertes Ziel ist.
Die
Rose ist in ihrer Blütenfülle, Schönheit und ihrem Duft Bild der Lebenskraft
und der Lebensfreude, wie in ihrem raschen Verblühen Bild der Vergänglichkeit
und des Todes.
Bei
der Rose ist immer die Spannung zwischen den harten Dornen des Stieles und der
Zartheit der Blütenblätter zu berücksichtigen. Dies kann uns daran erinnern,
dass der Weg zur Entfaltung der inneren Rose des Selbst – und des höheren
Bewusstseins ein dornenreichen, schmerzhafter Prozess sein kann.[24] Vielleicht führt die
Suche nach Glück und Zufriedenheit den Menschen in die Irre. Im Leben geht es vielleicht nicht darum, glücklich zu
sein, sondern Reife zu erlangen, auch wenn das eben heißt, durch schmerzvolle
und entbehrungsreiche Zeiten zu gehen.
Die Schönheit bildet mit Weisheit und Stärke die drei
Säulen, auf denen der symbolische Bau der Freimaurerei ruht.[25]
Die Schönheit ziert den Bau, den die Weisheit leitet und die Stärke ausführt. Die
Säule der Schönheit stellt auch den 2. Aufseher dar. Dieser überwacht die
Arbeit der Nordkolonne. Sie wird erhellt von der Säule der Schönheit. Die
Schönheit ist damit auch dem Lehrlingsgrad zugeordnet.[26]
Die Rose steht für Schönheit, Güte und Geschwisterliebe[27] –
und damit für ein umfassendes Gefühl der Harmonie. Harmonie, die sich auch in
der Architektur wiederfinden lässt:
Mit einer Rose aus Erz und Stein krönten die Bauleute
des Mittelalters den Bau zum Zeichen der Vollkommenheit.[28] In
der christlichen Kunst werden durchbrochene Verzierungen an Fenstern und Bögen
Rosetten genannt. Das deutet aber nur auf den ersten Blick auf eine
Verwandtschaft mit der Rose hin. Die ältesten Rosetten, die sich schon beim
Rundbogenstil vorfinden, sind drei- oder vierteilig (sog Drei- oder Vierpass), während die Rose immer und
überall typisch fünfteilig ist.[29]
Unser Bijou ziert ein Vierpass, keine Rose. Es basiert
auf dem Bauhüttenzeichen der Dombauhütte zu St. Stephan. Die Bauhütten des
Mittelalters entwickelten eigene Konstruktionsschlüssel, die für die Geometrie
selbst, aber auch für die Erkennungszeichen der Steinmetze verwendet wurden.[30]
Dieses Logensiegel findet sich in einigen Bijoux der
Logen innerhalb der Liberalen Großloge sowie im Siegel des Großorient von
Österreich. Auch das Logo unserer Loge steht um 45° gedreht und leicht
abgeändert in dieser grafisch-geschichtlichen Verbundenheit.
Die Rose selbst findet sich in österreichischen Logen
namensgebend:
Drei Rosen im Droit Humain, Wien, Lichteinbringung 2012
Zu den 3 Rosen in der Großloge von Österreich, Wien, Lichteinbringung 1969
Zu den sieben Rosen in der Großloge Humanitas Austria, schlafend seit Winter-Johannis 6017
Und in geografischer Nähe: Mozart zu den drei Rosen im Orient zu München in der Humanitas Deutschland
Verbindet
man im Grundriss der Rose den Mittelpunkt eines jeden Kelchblattes durch eine
Linie mit dem übernächsten, entsteht ein fünfzackiger Stern, das Pentagramm oder der Drudenfuß,
Symbol und Siegelfigur des Geheimnisvollen.[31]
Die
fünf Kelchblätter der Rose – sind wie Finger einer Hand – oder eben wie ein
Kelch. Von den Kabbalisten wird die Rose auch als Kelch des Segens verstanden,
der nach dem Mahl gereicht wird. Nach dem Mahl ist ein Verweis auf das Ende
aller Tage. Zu jener Zeit wird der Kelch des Segens gefüllt sein mit Liebe,
Befreiung, Rettung, Bestimmung und Umkehr, das sind die fünf Tore der Erlösung.[32]
Mögen die fünf
Finger der Freimaurerhand bereits vor dem letzten Mahl helfend ausgestreckt
sein – geschwisterlich gegenüber den Geschwistern – und menschlich gegenüber
allen Menschen.
Bereits
im Altertum wurde die Rose bei Gelagen über der Tafel aufgehängt als Zeichen
dafür, dass das „sub rosa“ Gesprochene nicht weiter gesagt werden soll.
Eine gemalte Rose an der Decke von mittelalterlichen Ratsstuben gilt, ebenso
wie eine Rose über Beichtstühlen, als Hinweis auf Diskretion.
Nach einer Sage soll Cupido dem
Harpocrates, dem Gott der Verschwiegenheit, Rosen gesandt und ihn darum gebeten
haben, die Liebeshändel seiner Mutter Venus geheim zu halten; Harpocrates kam dieser
Bitte nach. Harpocrates war ursprünglich ein Kind des ägyptischen Gottes Horus.
Man erkennt diese Gottheit daran, dass sie den Zeigefinger der rechten Hand an
die Lippen führt. Im Alten Ägypten bedeutete dieses Zeichen die Hieroglyphe für
„Kind“; die Griechen interpretierten die Geste aber als
„pssst“, als Aufforderung zum Schweigen.[33]
Sub Rosa gibt uns die Sicherheit, dass das, was wir im
Tempel sagen und erleben, unter uns bleibt. Das schafft ein Klima des
Vertrauens. Die vertraute Atmosphäre ermöglicht es, sich zu öffnen und sich
durch die Impulse der anderen leichter selbst zu reflektieren.[34]
In einer Zeit, wo viel Persönliches öffentlich preisgegeben wird, bildet der
Tempel eine zeitlose Antithese.
Dass wir unser Ritual und das Geschehnis im Tempel
nicht mit Außenstehenden teilen, schützt uns auch vor Fehlinterpretationen und
Erklärungsnot. Denn vieles kann eben nur erlebt werden. Und das subjektive
Erlebnis kann auch oftmals nicht erklärt werden, weil es individuell
unterschiedlich aufgenommen wird, weil das, was mit uns im Tempel passiert, bei
jedem andere Wirkungen hat. Und da bemühe ich jetzt den bekannten Spruch:
Freimaurerei hat keine Geheimnisse. Das Geheimnis liegt nur im jeweiligen
Erleben des Einzelnen. „Das wahre Geheimnis ist der Mensch“, hat es in der
Freimaurer-Ausstellung von 2017 geheißen. Und das bringt mich wieder zurück zur
Verschwiegenheit. Vielleicht zielt Sub Rosa somit auch auf das nur Erlebbare in
der Freimaurerei hin. Vielleicht ist das Unaussprechliche das, was nur mit dem
Herzen gesehen und verstanden werden kann. Mit dem Herzen sehen, heißt auch,
klar und bewusst zu sehen.[35]
Ich möchte mit einem schönen Satz aus „Der kleine
Prinz“ schließen: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für
die Augen unsichtbar.“[36]
Ich habe gesprochen.
Die Frucht der
Rose ist die Hagebutte.
Die Frucht der
Sehnsucht – ist vielleicht die Erfüllung.
Die Frucht der
geschwisterlichen Liebe – ist die Verbundenheit.
Die Frucht der
Verschwiegenheit – ist das Vertrauen.
Und die Frucht der Schönheit weist vielleicht auf
Künftiges – auf uns Nachfolgendes – und auf die Vergänglichkeit und damit auf
das Gewahrsam sein des Lebendigen in der Zeit und im Raum – auf das Leben
selbst.
Die Frucht der Freimaurerei ist das Gebäude der Menschlichkeit, an dem zu bauen wir der Geschwisterkette treu verbunden bereit sind.
[1] Lennhoff/Posner/Binder, Internationales Freimaurer Lexikon2 (2015) 715; Dosch, Deutsches Freimaurerlexikon2
(2011) 274; Sichrovsky (Hrsg), „Als
ich König war und Maurer“ (2016) 602.
[2] Lennhoff/Posner/Binder, Freimaurer Lexikon2 715.
[3] D. K., Der kleine Prinz und der Bezug zur
Freimaurerei? https://freimaurer-wiki.de/index.php/Traktat:_Der_kleine_Prinz
(Stand 25.10.2010).
[4] D. K., Der
kleine Prinz und der Bezug zur Freimaurerei? https://freimaurer-wiki.de/index.php/Traktat:_Der_kleine_Prinz (Stand 25.10.2010).
[5] Gowin,
Freimaurerei und Persönlichkeitsentwicklung2 (2014) 128.
[6] Gowin,
Freimaurerei und Persönlichkeitsentwicklung2 129.
[7] Gowin,
Freimaurerei und Persönlichkeitsentwicklung2 22.
[8] Gowin,
Freimaurerei und Persönlichkeitsentwicklung2 23.
[9] Lessing,
Gespräche für Freimaurer. Ernst und Falk (1970) 456.
[10] Imhof,
Kleine Werklehre der Freimaurerei – Das Buch des Lehrlings6 (2016)
101.
[11] Goethe,
Faust I (1808) Studierzimmer.
[12] Goethe,
Faust I (1808) Prolog im Himmel.
[13] Goethe, Faust II (1832) Bergschluchten
[14] Gowin,
Freimaurerei und Persönlichkeitsentwicklung2 129.
[15] Gowin,
Freimaurerei und Persönlichkeitsentwicklung2 129.
[16] Gowin,
Freimaurerei und Persönlichkeitsentwicklung2 147.
[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Gnothi_seauton
(Stand 09.11.2019).
[18] Imhof,
Kleine Werklehre der Freimaurerei – Das Buch des Lehrlings6 100.
[19] Imhof,
Kleine Werklehre der Freimaurerei – Das Buch des Lehrlings6 101.
[20] Imhof,
Kleine Werklehre der Freimaurerei – Das Buch des Lehrlings6 101.
[21] Attenborough, Shadowlands – Ein Geschenk
des Augenblicks (1993).
[22] Königliche botanische Gesellschaft in
Regensburg, Flora – Botanische Zeitung, 1818/1, 661 (661 f) (abrufbar unter
https://www.biodiversitylibrary.org/item/956#page/673/mode/1up Stand
11.02.2020).
[23] Kraus
(Hrsg), Die Freimaurer (2011) 78.
[24] https://symbolonline.de/index.php?title=Rose
(Stand 14.01.2016).
[25] Lennhoff/Posner/Binder, Freimaurer Lexikon2 751.
[26] Sichrovsky,
„Als ich König war und Maurer“ 603.
[27] Lennhoff/Posner/Binder, Freimaurer Lexikon2 751.
[28] Lennhoff/Posner/Binder, Freimaurer Lexikon2 715; Dosch, Deutsches Freimaurerlexikon2 274.
[29] Schleiden, Die Rose: Geschichte und Symbolik
in ethnographischer und kulturhistorischer Beziehung (1873) 109 (abrufbar unter
https://www.biodiversitylibrary.org/item/52830#page/127/mode/1up Stand 10.02.2020).
[30] Br.·. Wilhelm, Der Vierpass, Das
Informationsblatt des Großorient von Österreich, Nummer 3, 1.
[31] https://symbolonline.de/index.php?title=Rose
(Stand 14.01.2016).
[32] Grippo, Gleichnis von der Rose –
Interpretation zum Sohar: I. fol. 1a2 (2012) 14.
[33] F.V., Unter der Rose https://freimaurer-wiki.de/index.php/Traktat:_%22Unter_der_Rose%22
(Stand 24.03.2014).
[34] Semler in Die Freimaurer: Die Wahrheit
hinter dem Geheimbund (2017).
[35] D. K., Der kleine Prinz und der Bezug zur
Freimaurerei? https://freimaurer-wiki.de/index.php/Traktat:_Der_kleine_Prinz
(Stand 25.10.2010).
[36] Saint-Exupéry, Der kleine Prinz58 (2002) 72.