Ernesto S. / LOGOS 14.12.6023
Wie kommt ein junger Meister zu so einem, eher außergewöhnlichen, exotischen Thema für
ein Baustück?
Nun, die Idee dazu entstand am Nachmittag vor meiner Erhebung, als mich unsere Sr∴ Erna
durch die Kaisergruft geführt hat und ich ihr eine alte Geschichte erzählte. Die Geschichte
hatte mir ein katholischer Pfarrer vor fast 40 Jahren erzählt, und ebendieser Pfarrer hat
später meine Frau und mich getraut. Kürzlich habe ich unseren Hochzeitsfilm angesehen
und habe geschmunzelt, als Pfarrer Holzer über ein kleines Hoppala meines Bruders am
Altar lachen musste. Übrigens war unsere Sr∴ Erna bei meiner Hochzeit dabei und hat eine
Fürbitte für uns gelesen.
Die Geschichte handelte von Papst Pius IX. und thematisierte die unbefleckte Empfängnis
Mariens, und der Zufall will es, dass gerade vor 6 Tagen das kirchliche Fest der
unbefleckten Empfängnis Mariens am 8. Dezember gefeiert wurde und wir hier genau in 6
Tagen ein Ritual im Rahmen unserer diesjährigen Winterjohannis feiern, welches in seiner –
damals, im Jahr 1874- revolutionären Motivation, Wirkungen der Handlungen von Papst Pius
IX. enthält.
Eine kleine Zahlenspielerei für die Freunde von Zahlen, wie ich eben einer bin.
Der Titel des Baustücks umfasst drei Themen:
– die FM, die zu Zeiten des italienischen Risorgimento im 19. JH
eine bedeutende Rolle spielte;
– Dogma, eine verbindliche, normative Glaubensaussage, von denen wir
in der FM sagen, dass wir keine haben und daher adogmatisch sind;
– und Papst Pius IX., dessen Einfluss auf unser modernes abendländisches
Leben – wie ich im Zuge der Recherchen für dieses BS bemerkt habe –
größer war als der vieler seiner Vorgänger und Nachfolger auf dem Papstthron, und
dessen Wirkung bis heute spürbar ist.
Alle gewählten Musikstücke haben einen zeitlichen oder sachlichen Bezug zum Leben
dieses Papstes – bspw. ihre Uraufführung an bedeutenden Jahren in seinem Leben (das
erste Salieri-Stück aus dem Jahr 1792, dem Geburtsjahr Pius IX., oder der Radetzky-Marsch
aus 1848, dem Jahr, an welchem er vor den Revolutionären Republikanern aus Rom
flüchten musste oder beim Auszug ein Auszug aus dem Nabucco-Gefangenenchor Verdis,
dem höchsten Werk des Risorgimento, d.h. der sog. Wiederauferstehung Italiens).
Papst Pius IX., geboren als Graf Giovanni Maria Mastai-Ferretti, war von 1846 bis 1878 das
Oberhaupt der katholischen Kirche und ist damit der am Längsten amtierende Papst der
Geschichte, abgesehen von Petrus, welcher nach der Legende 37 Jahre gedient hat und
den Stuhl Petri überhaupt begründet hat. Pius‘ Pontifikat war nicht nur von politischen
Herausforderungen wie der italienischen Einigungsbewegung des 19. Jahrhunderts geprägt,
sondern auch von bedeutenden theologischen Entwicklungen. Dazu gehörte die
Verkündigung von Dogmen, die einen nachhaltigen Einfluss auf die katholische Lehre und
so auf die mehrheitlich katholischen Länder hatten. Er hatte jedoch viel Kontakt, Konflikt und
auch Wirkung mit und auf die FM.
Die Wurzeln des Risorgimento lassen sich auf die zersplitterte politische Landschaft Italiens
im frühen 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Die italienische Halbinsel war durch die Existenz
zahlreicher unabhängiger Staaten gekennzeichnet, von denen jeder seinen eigenen
Herrscher und sein eigenes Verwaltungssystem hatte, viele davon abhängig von äußeren
Mächten wie Österreich oder Frankreich. Der Wiener Kongress von 1815, der die Landkarte
Europas nach den Napoleonischen Kriegen neugestaltete, hielt den Status quo der
italienischen Uneinigkeit aufrecht und säte den Samen für steigende Unzufriedenheit und
Bestrebungen nach nationaler Einheit.
Das Erbe der Antike prägte das historische -wenn man so will, erste- Italien (daher eben Ri-
sorgimento = Wiederauferstehung).
Das Römische Reich, mit seinem Zentrum in Rom, erstreckte sich über weite Teile Europas,
Nordafrikas und des Nahen Ostens. Rom, als kulturelles, politisches und wirtschaftliches
Zentrum, prägte die Region nachhaltig. Die römische Rechtsprechung, Architektur und Kunst
schufen ein Erbe, das bis heute im modernen Italien maßgeblich ist.
Mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches im 5. Jahrhundert begann in Italien eine
Phase fragmentierter Herrschaft. Stadtstaaten wie Venedig und Padua sowie der
Kirchenstaat erblühten in der Renaissance, einer Epoche kultureller Blüte, die von
herausragenden Künstlern wie Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarotti geprägt
wurde. Die Vielfalt der italienischen Stadtstaaten spiegelte auch die Herausforderungen
wider, die das Land in dieser Zeit durch politische Machtspiele und externe Bedrohungen
erlebte.
Ab dem 8. JH gab es den Kirchenstaat, ein Staatenverbund auf der Apennin-Halbinsel, der ab
728 bzw. 756 bis 1870 von Rom und Latium aus größere Teile Mittelitaliens bis hin
zur Adria umfasste. Es gehörten zeitweise die von neapolitanischem Gebiet umschlossenen
Enklaven Benevent und Pontecorvo dazu, und seit dem zeitweiligen, von Frankreich
erzwungenen Papsttum in Avignon im 14. Jahrhundert gehörten bis zur Französischen
Revolution auch die Grafschaft Avignon und das Comtat Venaissin dazu.
Der Papst war Staatsoberhaupt und Regierungschef einer absoluten Wahlmonarchie, mit
über 3 Millionen Einwohnern im Jahr 1853.
Der Kirchenstaat war dynamisch und unterlag ständigen Veränderungen, so dass seine
genaue Ausdehnung aufgrund sich ändernder politischer Gegebenheiten, Konflikte und
territorialer Verluste sehr häufig wechselte.
Mit der Einnahme Roms wurde der letzte Papstkönig der Regionen Romagna (1859),
Umbrien, Marken (1860) und 1870 Latium und Rom selbst enteignet, mit dem Durchbruch
der Porta Pia am 20. September.
Dies bedeutete das Ende des über 1.000 Jahre währenden Kirchenstaates und den Verlust
der weltlichen Macht, und Papst Pius IX. erklärte sich zum „Gefangenen des Vatikans“, was
er bis zu seinem Tod 1878 blieb.
Der Weg zur politischen Einigung Italiens begann im 19. Jahrhundert mit Schlüsselfiguren
wie Giuseppe Garibaldi und Camillo Benso, Graf von Cavour, die eine entscheidende Rolle
bei der praktischen Umsetzung der italienischen Einigung spielten.
Garibaldi, der charismatische militärische Führer der „Rothemden“, Freimaurer und späterer
Großmeister des Großorients von Italien, leitete bspw. 1860 die „Expedition der Tausend“,
die Süditalien und Sizilien befreite. Dieser kühne militärische Feldzug zielte auf die Befreiung
des Königreichs beider Sizilien ab, doch seine Folgen wirkten weit über Süditalien hinaus.
Als Garibaldis Truppen nach Norden marschierten, wurde der Kirchenstaat zu einem
Brennpunkt der Auseinandersetzungen.
Cavour hingegen war als Premierminister von Piemont-Sardinien der Architekt der
politischen Einigung, indem er diplomatische Verwicklungen geschickt umschiffte, um
Allianzen zu schmieden und Abkommen auszuhandeln, die zur Gründung des Königreichs
Italien im Jahr 1861 beitrugen. Er war mit seinem König Viktor Emmanuel II. bereit, den
Pius IX. und den Franzosen alles zu geben, was sie im Gegenzug für die notwendige militärische Intervention
wollten. Infolgedessen erhielt Frankreich 1860 Nizza und Savoyen.
Die italienischen Patrioten erkannten, dass der Papst für sie ein Feind war und niemals der
Führer eines geeinten Italiens sein konnte. Sie erkannten auch, dass der Republikanismus
zu dieser Zeit eine zu schwache Kraft war. Die Einigung musste sich auf eine starke
Monarchie stützen, was in der Praxis bedeutete, dass man sich auf Piemont (das Königreich
Sardinien) unter König Viktor Emanuel II aus dem Hause Savoyen stützen musste.
Italien hatte jedoch zunächst nicht die vollständige Kontrolle über das Territorium erlangt,
insbesondere eben nicht über die Stadt Rom. So wurde Rom wohl 1861 zur Hauptstadt
erklärt, jedoch bis 1870 nur auf dem Papier; tatsächlich blieb Turin bis 1865 Hauptstadt und
dann Florenz bis 1870.
Zwanzig Jahre lang war -realiter- Napoleon III. und nicht der Papst der wahre Herrscher von
Rom gewesen, wo er gelebt und viele Freunde und Verwandte hatte. Ohne ihn wäre die
weltliche Macht des Papstums nach der Revolution von 1848 nie wiederhergestellt worden
und hätte, als sie wiederhergestellt war, auch nicht überdauert.
Das intellektuelle Klima der Zeit des Risorgimento, geprägt von den Idealen der Aufklärung
und von nationalistischem Eifer, bildete den ideologischen Hintergrund für die neuen
politischen Strukturen.
Intellektuelle wie Giuseppe Mazzini strebten eine geeinte italienische Republik an und
stellten sich eine Nation vor, die frei von fremder Herrschaft sein sollte. Mazzinis Ideen
waren jedoch nur eine Strömung in einer breiteren Bewegung, die verschiedene Visionen
des zukünftigen italienischen Staates umfasste, die vom Republikanismus bis zur
konstitutionellen Monarchie reichten.
Garibaldi beispielsweise zeigte die Flexibilität der Italiener im Streben nach Freiheit und
Einheit indem er seine republikanischen Bestrebungen 1861 fallen ließ und dann für die
Monarchie eintrat. Letztlich hat sich die konstitutionelle Monarchie unter Vittorio Emmanulle
II durchgesetzt und der Vatikan blieb dem Papst als letzter Rückzugsort, nachdem er 1861
den größten Teil des Kirchenstaates verlor und dann 1870 Latium und Rom.
Das Streben nach nationaler Identität förderte bei den Italienern das Gefühl einer
gemeinsamen Geschichte und eines gemeinsamen Erbes. Sprache, Literatur und Kunst
spielten eine wichtige Rolle bei der Herausbildung eines kollektiven Bewusstseins und
trugen zur Entstehung einer einheitlichen italienischen Identität bei, die über regionale
Unterschiede hinausging, wobei 1861 nur 1% der Bevölkerung in ihren Familien den
toskanischen Dialekt sprachen, der bis zum heutigen Italienisch wurde; heute sollen es
übrigens nur etwas über 50% sein.
Papst Pius IX. begann 1846 sein Pontifikat als eine Figur, die von vielen als Reformer
angesehen wurde, und erhielt in liberalen und katholisch-patriotischen Kreisen früh
Unterstützung für seine Bemühungen, den Kirchenstaat zu modernisieren. Unter seinen
ersten Amtshandlungen war die Verkündung einer Amnestie für politische Gefangene und
die Zustimmung zu einigen Reformen im Kirchenstaat. In dieser Phase erlangte er den Ruf
eines liberalen, patriotischen und reformorientierten Papstes.
Mit dem Aufkommen des italienischen Nationalismus geriet der Papst jedoch in Konflikt mit
den Bestrebungen der italienischen Nationalisten und den von Persönlichkeiten wie
Giuseppe Garibaldi und Giuseppe Mazzini angeführten Kräften der Einigung.
Ein wichtiger Aspekt der Spannungen zwischen Papst Pius IX. und dem Risorgimento war
die historische Rolle des Papsttums als weltliche Macht in Italien. Die politische Autorität des
Papstes, verkörpert durch den Kirchenstaat, kollidierte mit den Bestrebungen der
italienischen Nationalisten, die einen geeinten, weltlichen italienischen Staat errichten
wollten. Die Vorstellung, dass der Papst sowohl ein geistliches als auch ein weltliches
Oberhaupt sei, wurde in der sich verändernden politischen Landschaft unhaltbar.
Die Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit auf dem Ersten Vatikanischen Konzil im Jahr
1870 war ein weiterer entscheidender Moment im Pontifikat von Pius IX.
Das Dogma, das besagt, dass der Papst unfehlbar ist, wenn er sich ex cathedra zu Fragen
des Glaubens und der Moral äußert, löste heftige theologische und politische Debatten aus,
auch in der Freimaurerei.
Kritiker in der Kirche argumentierten, dass diese Erklärung zu viel Autorität im Papsttum
konzentriere und möglicherweise den gemeinschaftlichen Charakter der
Entscheidungsfindung innerhalb der Kirche untergrabe. Befürworter hingegen sahen darin
eine notwendige Klarstellung der Rolle des Papstes bei der Wahrung der Reinheit der Lehre.
Eine der bemerkenswertesten Verkündigungen während des Pontifikats von Papst Pius IX.
war die Definition der Unbefleckten Empfängnis im Jahr 1854. Dieses Dogma besagt, dass
die Jungfrau Maria ohne Erbsünde gezeugt wurde. Die Verkündung dieser Doktrin wurde
sowohl mit Beifall als auch mit Skepsis aufgenommen. Einerseits festigte es die Rolle Marias
in der katholischen Theologie, indem es ihre Reinheit und Einzigartigkeit hervorhob.
Andererseits stellten Kritiker die theologische Notwendigkeit einer solchen Erklärung und die
Abkehr von langjährigen Traditionen in Frage.
Die Verkündigung dieser Dogmen durch Papst Pius IX. war kein isolierter Akt, sondern stand
in engem Zusammenhang mit dem historischen Kontext der damaligen Zeit. Das 19.
Jahrhundert war von bedeutenden gesellschaftlichen und intellektuellen Veränderungen
geprägt, darunter der Aufstieg des Säkularismus und die Infragestellung der traditionellen
religiösen Autorität. Als Reaktion darauf versuchte Pius IX., die lehrmäßigen Grundlagen des
Katholizismus zu stärken und die Autorität des Papsttums in Glaubensfragen zu festigen.
Pius IX., wurde als Giovanni Maria Mastai Ferretti im Jahr 1792 in Senigallia (im
Kirchenstaat in der Region Marken im Kirchenstaat) als neuntes Kind einer adeligen Familie
geboren, und wollte früh in die Garde des Papstes gehen. Er wurde nicht aufgenommen, da
er laufend epileptische Anfälle hatte, die Folge einer Schädelverletzung in Kindheitstagen
waren. So wurde er Priester, nachdem er aber schon einmal eine junge Dame vor dem Altar
stehen ließ, die seinen Eltern aufgrund ihrer niederen Herkunft mißfiel.
Als junger Priester hatte er Gelegenheit für Papst Pius VII zu arbeiten und die Legende
besagt, daß Pius VII ihn durch ein Wunder von der Epilepsie befreite.
1824 wurde er nach Chile geschickt, als Teil der ersten apostolischen Mission im
nachrevolutionären Südamerika. Die Mission war auch in Montevideo und in Buenos Aires
und in den Vereinigten Provinzen am Río de la Plata auf ihrem Weg Richtung Chile.
Recherchen zu dieser Reise führten zu Zeitungsartikeln in Italien und Chile aus 1865, in
denen Sitzungsprotokolle von FM-Logen in Uruguay, Argentinien und Chile zitiert werden,
wo angeführt wird, dass Mastai Ferreti Logen in Südamerika als italienischer FM-Bruder
besuchte und ein sehr progressiver und intellektueller Mann wäre. Schon damals gab es
aber Fake News und es ist nicht wirklich festzustellen, was dies nun wahr oder unwahr ist.
Pius IX. galt als gebildeter Mann, und nach seiner Wahl 1846 verkündete er eine Amnestie
für politische Gefangene, befreite die Presse von der Zensur und führte die Consulta ein,
eine beratende Kammer mit Volksvertretung,
die eine stärkere Beteiligung der Bürger an der Regierung des Kirchenstaates förderte.
Außerdem hob er das alte jüdische Ghetto in Rom auf.
Für seine Liberalisierungsbestrebungen musste er sich mit der römischen Kurie selbst
auseinandersetzen, so dass er in zwei Jahren nicht weniger als sieben Staatssekretäre
hatte.
Im Februar 1848 kam Papst Pius IX. den Republikanern entgegen und gewährte dem
Kirchenstaat eine Verfassung, was angesichts der historischen Konservativität des
Papsttums sowohl unerwartet als auch überraschend war.
Die anfänglichen Sympathien für den italienischen Liberalismus trübten sich jedoch, als sich
im April 1848 herausstellte, dass sich Angriffe und Unruhen gegen das Papsttum sowie
traditionell katholische Nationen entwickelten.
Kurz darauf wurde in Paris die Zweite Französische Republik ausgerufen und die
Unterstützung Frankreichs schwand. Pius IX. distanzierte sich dann von den radikaleren
Fraktionen der italienischen Patrioten und zog sich nach der Ermordung seines Ministers
Pellegrino Rossi nach Gaeta im Königreich der beiden Sizilien zurück; er musste, als Mönch
verkleidet, aus Rom flüchten.
1849 wurde in Rom die Römische Republik ausgerufen, die insb. von Garibaldi und Mazzini
angeführt wurde. In dieser Zeit wurden zahlreiche Kirchen geplündert, und viele italienische
Kunstwerke konfisziert, da die britischen Financiers, die Geld für die Einnahme Roms
bereitgestellt hatten, bezahlt werden mussten.
Durch das Eingreifen französischer Truppen des neuen Präsidenten Louis Napoleon
Bonaparte -der spätere Kaiser Napoleon III.- wurde die Römische Republik besiegt, und der
Papst kehrte 1850 nach Rom zurück. Um die radikalen Republikaner zufrieden zu stellen,
bat Louis Napoleon den Papst, im Kirchenstaat liberale Reformen und den Code Napoleon
einzuführen.
Von diesem Zeitpunkt an verfolgte Pius IX. eine Politik der Unnachgiebigkeit gegenüber
weltlichen Machtansprüchen und wurde zum entschiedensten Gegner des antiklerikalen
Flügels der Freimaurerei. Die Enzyklika „Quanta cura“ von 1864 verurteilte liberale und
illuministische Konzepte, indem sie eine Liste verbotener Lehren, den sogenannten
„Syllabus“, präsentierte.
Pius IX. veröffentlichte etwa 124 antifreimaurerische Dokumente, darunter 11 Enzykliken, 61
kurze Briefe, 33 Reden und Ansprachen sowie Dokumente verschiedener kirchlicher Ämter.
Pius IX. sah alle Übel, welche die Kirche und die Gesellschaft plagten, im Atheismus und
Szientismus des 17. Jahrhunderts begründet, die von der Freimaurerei propagiert und von
der Französischen Revolution glorifiziert wurden. Schon mit der Enzyklika „Qui pluribus“ aus
1849 kritisierte er eine „ruchlose Vereinigung“ von Menschen, die die Sitten verderben und
den Glauben an Gott und Christus durch Naturalismus und Rationalismus bekämpfen.
Ebenfalls thematisierte sie den damals so verstandenen vermeintlichen Konflikt zwischen
Wissenschaft und Glauben.
Die italienische Freimaurerei rief 1870 ein „Freimaurerisches Antikonzil“ aus, und führte ab
dann einen erbitterten Kampf gegen Pius. Sie feiert am 20. September ihr eigenes
jährliches Fest zum Gedenken an den Sieg über die Kirche mit der oben erwähnten
Einnahme der Porta Pia, dem Ende der weltlichen Macht der Päpste.
Selbst nach dem Tod Pius IX. im Jahr 1878 ging der Kampf mit ihm weiter: Im Juli 1881
wurde Pius‘ Sarg vom Vatikan zum Friedhof von Verano gebracht. Es gab dagegen eine
heftige Demonstration mit Steinwürfen, Verwünschungen, Gotteslästerungen gegen den
Trauerzug, in deren Höhepunkt, als der Leichenzug über die Sant’Angelo-Brücke ging, unter
dem Ruf „Tod dem Papst, Tod den Priestern!“ einige Personen den Leichnam von Pius IX. in
den Tiber werfen wollten; der Angriff wurde abgewehrt. Papst Pius IX. wurde im Jahr 2000
seliggesprochen, jedoch nach sehr vielen Jahren der Diskussionen und mit einigem
Widerstand, u.a. von Israel.
1849 hatte in Frankreich der Großmeister des Großen Orients, Prinz Lucien Murat -ein
Cousin von Napoleon III, der selbst Carbonaro und wahrscheinlich FM war- den „Glauben an
Gott und die Unsterblichkeit der Seele“ als ersten Artikel in die Verfassung des Großen
Orients von Frankreich aufnehmen lassen, der zuvor nicht enthalten war, und ließ dem
Großmeister sieben Jahre lang eine quasimonarchische Macht verleihen.
Murat war, anders als die Mehrheit des Ordensrates des Großorients von Frankreich, gegen
die italienische Einheit und für die weltliche Macht des Papstes.
Das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes hat allerdings nach 1870 besonders starke
Reaktionen in der FM ausgelöst und es gab große Konflikte um das Thema der Religion. Im
Jahr 1875 gab es einen Kompromissversuch (Kongress der Obersten Bundesräte im
Lausanner Tempel) mit der Verwendung des Ausdrucks „Schöpferprinzip“ (der weniger
deistisch klang als „höchstes Wesen“), aber letztendlich reichte dies dem Grand Orient von
Frankreich nicht aus.
1877 hat der Großorient von Frankreich nach Belgien, Ungarn und verschiedenen
südamerikanischen Ländern, den ersten Artikel aus ihrer Verfassung gestrichen, der den
Glauben an Gott und die Unsterblichkeit der Seele vorschrieb.
Der Bruch zwischen den Franzosen und den Angelsachsen wurde damit besiegelt.
xxx
Die Geschichte kennenzulernen und sie zu verstehen ist schwierig, da jeder einzelne seine
Interessen hat, sie nach diesen Interessen erläutert und sie durchsetzen will.
Ohne Kenntnis und Verständnis der Geschichte kann man die Gegenwart nicht verstehen.
Und ohne Kenntnis und Verständnis der Gegenwart, und ohne Mut, wird man nicht in der
Lage sein, die Zukunft zu meistern.
Toleranz ist eines unserer Hauptprinzipien und wir sollen sie laufend üben.
Missverstandene Toleranz, bspw. gegenüber Intoleranten, ist jedoch Torheit.