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Der Lehrbetrieb mittelalterlicher Bauhütten

Gast-Baustück Monika K./NPfl. vom 12. September 6024


Ich werde mich im Folgenden vor allem auf das Gebiet des Heiligen Römischen
Reichs Deutscher Nation beziehen das sich seit der Krönung Ottos I. 962 als
„Nachfolgestaat“ des römischen Reiches bildete. Dessen Krone wurde nach der
Wahl Rudolfs von Habsburg (1273–1291) 1438 mit Ausnahme der Amtszeiten des
Kurfürsten und Herzog von Bayern, Karls VII. (1742–1745), und des Gemahls Maria
Theresias und Großherzog der Toskana, Franz‘ I. Stephan (1745–1765), bis zu dem
von Napoleon erzwungene Ende 1806 von den Habsburgern getragen. Zur Zeit
seiner größten Ausdehnung um 1200 umfasste das Reichsgebiet die heutigen
Benelux-Staaten mit Ausnahme von Teilen Flanderns, weiters Deutschland, die
Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Tschechien, Slowenien und Norditalien außer
Venedig, sowie weite Teile im Osten Frankreichs und das westliche Drittel Polens.
Dieses Gebiet war bautechnisch in vier Haupthütten unterteilt. Die Straßburger Hütte
war verantwortlich für Kurpfalz, Franken, Hessen, Thüringen, Meißen, Sachsen,
Schwaben, Süddeutschland, die Kölner Hütte für Nordwestdeutschland, die Wiener
Hütte für Österreich, Steiermark, Kärnten, Ungarn und die Berner bzw. ab 1615 die
Züricher Hütte für die Schweiz.
Zur Organisation
Mit dem Aufkommen des Dombauwesens der Gotik im 13. Jahrhundert spielten
Steinmetzordnungen eine wesentliche und einmalige Rolle. Mit der Entwicklung des
Bauwesens im 12. Jahrhundert und der Entstehung zahlreicher Städte, entwickelten
sich weitere Anforderungen an die Baukonstruktion und deren Organisation. Die
damit verbundenen Regelwerke wurden zuerst nur mündliche überliefert und erst
gegen Ende des 14. Jahrhunderts verschriftlicht. In diesen Ordnungen waren nicht
nur berufliche Abläufe, sondern auch eine eigene Gerichtsbarkeit, eigene Regeln
über ihre Gebräuche, Zusammenkünfte und Zusammenschlüsse festgelegt. Es
waren Ordnungen, die nicht nur die beruflichen Abläufe, sondern auch die Beziehung
der Beteiligten, der Meister, Gesellen und Lehrlinge untereinander bestimmten.
Im Laufe des 13. Jahrhunderts kamen in Mitteleuropa die ersten Bauhütten auf.
Diese entwickelten eine spezifische und arbeitsteilige Organisationsstruktur, die den
hohen technischen und handwerklichen Anforderungen des gotischen Dombaus
nachkommen bzw. entsprechen sollte. Ein entscheidenden Schritt für die
Herausbildung des Bauhüttenwesen war die 1275 vom Straßburger Dombaumeister
Erwin von Steinbach (1244–1318) einberufene erste Versammlung der
wesentlichsten deutschen, französischen, italienischen und englischen Bauhütten.
Steinbachs Ziel war die vorhandenen Regeln zu vereinheitlichen. Gleichzeitig wurde
die Münsterbauhütte von Straßburg zur obersten Haupthütte und als letzte Instanz
anerkannt. Daneben gab es Haupthütten in Köln, Bern (später Zürich) und Wien.
Man nimmt an, dass in diesem Zusammenhang der römisch-deutsche König Rudolf I.
die Bauhütten mit der freien Gerichtsbarkeit belehnt hat.
Folie 3
Eine erste Verschriftlichung der Zunftregeln und die Entstehung der Steinmetzzunft
findet sich in England im Regius- oder Halliwell-Manuskript von 1390 in der British
Library und im Matthew Cooke-Manuskript des 15. Jahrhundert im British
Museums. In diesem Zeitraum wurde der Begriff Freemason erstmals erwähnte, der
wahrscheinlich von dem in der Grafschaft Kent verwendeten freestones, einem
weichen Stein, abgeleitet und diejenigen Steinbildhauer die diesen Stein
verwendeten als freestone-masons im Unterschied zu den roughstone-masons, die
für die gröberen Arbeiten zuständig waren.
1445 trafen, wiederum in Straßburg, die vier Vertreter der Haupthütten (Straßburg,
Köln, Wien, Bern) zusammen, konnten jedoch keinen Konsens finden. Erst auf
weiteren Tagungen in Speyer, Straßburg und abschließend in Speyer im April 1449,
erreichte man eine Einigkeit aller Bauhütten des damaligen Deutschen Reiches und
der Schweiz, die als Straßburger Steinmetzordnung anerkannt ist.
Folie 4
Zehn Jahre später am 25. April 1459 wurde in Regensburg für das Römischen Reich
eine überregionale Steinmetzbruderschaft von 19 der bedeutendsten Werkmeister
und 21 Gesellen beschlossen und durch einen Schutzbrief des römischen Königs
und späteren Kaisers Maximilian I. beglaubigt. Von den 91 Artikeln der Ordnung
betrafen lediglich 38 das Bauhandwerk, während 53 die Bruderschaft regelten. Ein
wichtiger Bestandteil war die gegenseitige Unterstützung, wie etwa im Krankheits-
oder Todesfall. Die Regel enthielt auch die oberste Gerichtsbarkeit die den
personellen Aufbau einer Hütte und die Ausbildung des Nachwuchses regelte, sich
mit Arbeits- und Lohnfragen, dem Gesellen- und Meisterrecht sowie dem Streikverbot
auseinandersetzte. Bei Streitigkeiten der Hütten untereinander war die Straßburger
Hütte die letzte Instanz. Dabei wurden bis zu privatesten Details geregelt, wie
Teilnahme an bestimmten Gottesdiensten, strenge Strafen für Glücksspiel oder
Ehebruch.
Fol. 5
Wie schon bei den Zünften und Gilden war die Weitergabe von Hüttengebräuchen an
Außenstehende verboten. Dabei ging es vor allem um den Schutz des technischen
Wissens der Baukunst. Deshalb mussten sich die Gesellen beim Eintritt in eine
fremde Hütte durch Gruß und Griff identifizieren. Während des Regensburger
Treffens wurden auch zahlreiche Baurisse ausgetauscht wie zum Beispiel die
Zeichnung des Orgelfußes aus der Bauhütte von Ulm, die sich heute in Wien
befindet.
Zum Begriff der Bauhütten und deren Struktur
Folie 6
Die Struktur der Bauhütten lehnte sich an die der Zünfte oder Gilden an: Lehrlinge,
Gesellen und Meister. Dazu kamen an der Spitze ein Werkmeister der magister
operis et fabrica, welcher für den Bau, das Werkzeug, die Anfertigung von
Schablonen für den Steinschnitt, die Auswahl der Baumaterialien, die Kontrolle des
gelieferten Steinmaterials und der Werkstücke und der Verwaltung des Baues
verantwortlich war. Neben einem Taglohn, der ident mit dem von Taglöhnern war,
erhielt er einen Teil seines Jahresgehalts vier Mal zur Zeit der „Fronfasten“, das
waren jeweils am Mittwoch, Freitag und Samstag vor Ostern, vor Pfingsten, während
der dritten Woche im September, sowie der dritten Adventswoche. Dazu kam meist
freie Logis und Naturalien. Der Werkmeister musste eine Steinmetzausbildung,
Arbeitserfahrung und Fürsprachen von zwei bewährten Meistern nachweisen. (Ich
erinnere an unsere Interviews).
In der ersten Hälfte des 15. Jh. gab es noch keine einheitliche Architektenausbildung
für Stein-, Backstein- und Fachwerkbauten und keine überregionalen Standards. Erst
im dritten Viertel des 15. Jh. kam es in der Wien Dombauhütte, als Nachfolgerin der
Prager Hütte, zu einer zunehmenden Professionalisierung und Systematisierung der
Architektenausbildung die sich nun aus dem bisherigen Hüttenverband zu lösen
beginnt. Ende des 15. Jh. war der Werkmeister nur mehr mit Planungsaufgaben
beschäftigt, arbeite aber nicht mehr als Steinmetz am Bau. Deshalb bestand keine
Notwendigkeit mehr an praktischen Kenntnissen. Dies ermöglichte die Anstellung
eines Theoretikers als Bauplaner und Entwerfers. Dadurch überwiegte bald die
Bedeutung des baukünstlerischen Konzepts. Dies erforderte eine umfassende
Kenntnis des Bauwesens bzw. Grundkenntnisse in allen am Bau beteiligten
Handwerksdisziplinen.
Folie 7
Als Stellvertreter stand dem Werkmeister ein Parlier zur Seite. Dieser konnte
entweder ein Steinmetzmeister oder auch ein sogenannter Meisterknecht, das ist ein
sich in Ausbildung befindender Geselle, sein. Der Parlier hatte eine Vorbildfunktion
für die Gesellen (1. Aufseher). Seine Symbole waren der „Richtscheit“ und das
Winkelmaß.
Die Struktur der Lehre an den Bauhütten folgt denen der Zünfte mit der Abfolge:
Lehrling, Geselle und Meister.
Lehrlinge
Folie 8
Steinmetzlehrlinge, auch Hüttendiener genannt, mussten mindestens 14 Jahre alt,
getauft und Kinder von verheirateten Eltern sein. Die Lehrzeit betrug sechs Jahre, ab
der Hüttentagung von Straßburg 1564 fünf Jahre. Sollte der Steinmetzlehrling bereits
eine abgeschlossene Maurerlehre haben, verkürzte sich die Lehrzeit auf drei Jahre.
Die Lehre der Maurerlehrlinge dauerte drei und die der Zimmerer zwei Jahre. Im
ersten Lehrjahr erhielten sie 6 Pfennige, im zweiten und dritten 8 Pfennige. Bei
Aufnahme des Lehrlings war eine Bürgschaft von 20 Gulden zu hinterlegen die nach
Abschluss der Lehre samt einer Vergütung von weiteren 10 Gulden zurückgezahlt
wurden. Für 20 Gulden erhielt man 1.000 Liter Bier oder 1.818,2 Kilo Brot.1 Bei
Abbruch der Lehre verblieb dieser Betrag in der Hütte. Die Ausbildung der Lehrlinge
erfolgte meist durch die Gesellen, wobei die Lehrinhalte von der jeweiligen Bauhütte
definiert wurden.
Folie 9
1 https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Kaufkraftrechner.
Auskunft über die Ausbildung und die Aufgaben geben uns Skizzenbücher, wie
dasjenige Villard de Honnecourts um 1220/30, Folie 10 das Bellifortis Konrad
Myesers um 1405, das Basler Skizzenbuch Anfang 15. Jh., oder das Wiener
Skizzenbuch aus der ersten Hälfte des 15. Jh., welches Vorbild für das
Werkmeisterbuch Lorenz Lechlers war, dasjenige Hans Böblingers aus Esslingen
von 1453, das Konstanzer Hüttenbuch von 1563, Folie 11 das Skizzenbuch Hans
Hammers aus Basel von 1476–1482 und das Frankfurter Steinmetzbuch von

  1. In dieser Zeit waren die Bauhütten bereits hochspezialisiert und beschäftigten
    neben Steinmetzen, Zimmermänner, Schmiede, Maurer, Ziegler, Steinbrecher,
    Sattler, Wagner, Seiler, Fuhrleute und Hilfskräfte.
    Gesellen
    Folie 12
    Mit der Ledigsprechung (nach dem Frühneuhochdeutschem Wörterbuch bedeutet
    dies ungebunden, losgelöst, befreit) wurde der Lehrling zum Gesellen, erhielt sein
    Steinmetzzeichen und wurde in die Steinmetzbruderschaft aufgenommen.
    Es wurde ihm das geheime Zureiseritual – der Gruß und der Griff – beigebracht, mit
    dem er sich auf allen Hütten als zur Bauhütte zugehörig ausweisen konnte. Es war
    ihm nun freigestellt, ob er in der bisherigen Hütte um Arbeit, die Förderung genannt
    wurde, ansucht, ob er ausscheiden, auf Wanderschaft gehen oder als Kunstdiener
    weiterlernen will. Wenn sie in ihrer Hütte blieben, lebten unverheiratete Gesellen
    meist im Meisterhaushalt und wurden dort auch versorgt.
    Folie 13
    Die Wandergesellen blieben, mit Ausnahme im Winter, meist nur ein bis zwei Woche
    in den von ihnen besuchte Hütten, wobei sie sich mit ihrem Namen, dem vorherigen
    Aufenthaltsort, der Anzahl an Lehrjahren und Zeichen und Griff ausweisen mussten.
    Zudem wurde von ihnen verlangt mitzuteilen, ob sie etwas Nachteiliges über einen
    anderen Gesellen am Ort wissen. Konnte ein Geselle nicht aufgenommen werden
    erhielt er ein Handgeld. Eine Reise von Ulm bis Wien dauerte nach den
    Rechnungsbüchern beider Dombauhütten an die zwei Jahre. Für künftige Parliere
    war die ein bis zweijährige Wanderschaft, eine zweijährige Dienstverpflichtung als
    Kunstdiener und eine weitere, spezialisierte Ausbildung bei einem Werkmeister
    verpflichtend.
    Die Gesellen der Stammbelegschaft waren meist verheiratet, hatten einen eigenen
    Wohnsitz und Familie und öfters auch das Bürgerrecht der jeweiligen Stadt. Ihre
    Aufgabe bestand in der Anfertigung von Aufrissen, Stein-, Laub- oder
    Bildhauerwerke, Wendeltreppen oder Gewölbe, die sie selbst wählen konnten.
    Meister
    Folie 14
    Meisterprüfungen gab es lange Zeit keine. Dies wurden verschieden gehandhabt, so
    fanden in Regensburg 1488 keine statt, hingegen gab es in Konstanz 1563 schon
    genaue Vorschriften dazu. Auch Meister reisten, um Informationen insbesondere
    über bautechnische Probleme oder Innovationen von anderen Hütten zu erhalten.
    Dadurch kam es zu einem regen Austausch der Bauhütten. War ein Bau vollendet
    wurden dessen Baurisse anderen noch bestehenden Baustellen zur Verfügung
    gestellt. Deshalb besaß die Wiener Dombauhütte Pläne bedeutender gotischer
    Bauten, wie z. B. des Veits Dom in Prag. Man darf nicht vergessen, dass
    Großbaustellen, wie auch der Stephandom, teilweise über 200 Jahre dauerten.
    Es gab aber auch Werkmeister ohne Handwerksausbildung, bei denen waren die
    Voraussetzung zur Einstellung Gutachten und Empfehlungsschreiben. Der
    berühmtesten Dilettant war Albrecht Dürer der 1525 seine „Unterweisung der
    Messung mit dem Zirkel und Richtscheit“ und 1527 sein Buch über „etlicher
    Unterricht zur Befestigung der Städte, Schlösser und Flecken“ herausgab. Dürer war
    ein ausgesprochener Gegner des zünftischen Lehrbetriebs und ein Verfechter einer
    akademischen Ausbildung.
    Zur Wiener Dombauhütte
    Fol. 15
    Die weltweit größte Sammlung von gotischen Baurissen stellt die ehemalige
    Plansammlung der Wiener Dombauhütte dar, die sich nach einer Odyssee heute im
    Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien befindet. Neben
    großen Schauplänen, Turmrissen, umfasst diese Sammlung Darstellung
    geometrischer und entwurfstechnischer Grundprobleme, die für die theoretische wie
    praktische Ausbildung von Steinmetzen und Architekten im ausgehenden Mittelalter
    von Bedeutung waren.
    Fol. 16
    In zeitlicher Hinsicht umfasst das Material die Spanne von Mitte 14. bis Mitte 16.
    Jahrhundert, also eine wesentliche Epoche, die für die Ausbildung des modernen
    Architektenberufes und seiner Befreiung aus dem mittelalterlichen Hüttenverband
    ausschlaggebend war. Im 18. Jahrhundert kam es zum Niedergang der
    Dombauhütten: 1707 untersagte Kaiser Josef I. ihnen ihre eigene Gerichtsbarkeit
    und sein Nachfolger, Kaiser Karl VI., verbot sie 1731 endgültig. Nur die Wiener
    Dombauhütte durfte ihren Namen bis heute weiterführen. Doch zu dieser Zeit waren
    die meisten gotischen Dome, Kirchen und andere Bauwerke schon längst vollendet,
    mit Ausnahme derjenigen von Köln oder Mailand die erst im 19. Jahrhundert beendet
    wurden.
    Gleichzeitig mit dem Ende der Bauhütten kam es zur Blüte der Freimaurerei. Am 24.
    Juni 1717 schlossen sich in London vier Logen zur ersten Großloge von England,
    zusammen. In der Habsburger Monarchie wurde 1735/1740 die Loge Zu den drei
    gekrönten Sternen und Redlichkeit in Prag gegründet. Wien folgte am 17. September
    1742 mit der erste blauen Loge Aux trois canons, unter dem Protektorat der
    Breslauer Loge Zu den drei Totengerippen.
    Fol. 17
    Ab Ende des 18. Jahrhundert begann ein Gothic Revival das in der Neogotik des
  2. Jahrhunderts zu einer letzten Blüte kam. So gab es in der Wiener Akademie ab
    1848 einen eigenen Lehrstuhl für gotische Baukunst, den ab 1859 der
    Dombaumeisters Friedrich von Schmidt (1825–1891) innehatte. Hier zum
    Abschluss noch sein Wappen anlässlich der Erhebung in den Freiherrnstand 1886
    welches zentral seine Steinmetzzeichen zeigt.
    Ich habe gesprochen.
    Literatur
    Anne-Christine Brehm: Netzwerk Gotik. Das Ulmer Münster im Zentrum von
    Architektur und Bautechniktransfer, Ulm 2020.
    Johann Josef Böker: Der Wiener Stephansdom – Architektur als Sinnbild für das
    Haus Österreich, Salzburg, 2007
    Johann Josef Böker: Architektur der Gotik/Gothic Architecture. Bestandskatalog der
    weltgrößten Sammlung an gotischen Baurissen des Kupferstichkabinetts der
    Akademie der bildenden Künste Wien, Salzburg 2005

Mensch und Tier – in Dir + mir

Wolfgang Trubel



Meine heutige Zeichnung dient in erster Linie der frm. Selbsterkenntnis, auch der
Selbstbeherrschung und Selbstveredelung, weil ja nur zu beherrschen und zu veredeln ist, was
man auch selbst kennt. Aber es kommt bei diesem Thema auch ein autobiografisches Element
hinzu.
Als junger Mensch bin ich nämlich vor einer Berufswahl gestanden: „Graugans oder
Äskulapnatter?“ Ohne ein klärendes Gespräch mit dem in den letzten Jahren zwar wegen seiner
historischen NS-Belastung nicht unumstrittenen, dennoch welt-berühmten Forscher +
Nobelpreisträger Konrad Lorenz, mit dem ich angeheirateter Weise verwandt bin, wäre ich
vielleicht Verhaltensforscher geworden und nicht Arzt!
Aber inspiriert durch Lorenz, in dessen Umfeld ich zu Schulzeiten erste Kontakte zur
Wissenschaft geknüpft habe, hat mich eine Frage schon damals begeistert und sie interessiert mich bis heute: was und wie viel von unserem menschlichen Verhalten findet sich auch in der Tierwelt wieder und welches Erbe tragen wir von unseren tierischen Vorfahren in Bezug auf unser tägliches Denken und Handeln noch heute in uns?
Ich möchte Euch nun auf eine kleine Reise zur Selbsterkenntnis in das Gebiet der vergleichenden Verhaltensbiologie mitnehmen, schauen wir uns an, was für Tiere wir Menschen so sind:
Denken wir dazu am Anfang einmal an die biblische Schöpfungsgeschichte. Da heißt es:
(Zit.)… Gott schuf die Menschen nach seinem Bilde, Er segnete sie und sprach zu ihnen: «Seid
fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und die Vögel des Himmels, über das Vieh und alle Tiere, die sich auf der Erde regen. » Und es geschah also.
Der Mensch hat sich über Jahrtausende gerne als Mittelpunkt der Welt gesehen und definiert, als etwas das nicht zur übrigen Natur gehört, sondern ihr als etwas wesensmäßig Höheres, quasi als des Schöpfers Ebenbild, gegenübersteht.
Zwar hat der bedingungslose Glaube an diese gottgegebene Überlegenheit des Menschen in
unserer aufgeklärten Kultur- und Wertegemeinschaft schon deutliche Sprünge bekommen, doch haftet dem Tierischen auch heute noch in der Sprache und Einstellung vieler das Primitive, Minderwertige und Unkontrollierbare an, von dem wir Menschen uns Kraft unseres Geistes, unserer Zivilisation und unserer Kultur doch gerne allzu deutlich unterscheiden. Eigentlich wirklich eine ausgesprochene Schweinerei!
Darwins Abstammungstheorie wurde bereits im Jahre 1858, also vor >165 Jahren publiziert.
Diese, wie auch alle weiteren Erkenntnisse der Naturwissenschaften, die uns Menschen zwar als
hochentwickelte Wesen, aber dennoch als Abkömmlinge aus dem Tierreich sehen und sich

damit in Gegensatz zu praktisch allen religiösen Überlieferungen stellen, haben bis in unsere Tage sehr viel Intoleranz und Widerspruch hervorgerufen.
Das schließt auch unsere modernen aufgeklärten Gesellschaften mit ein, dürfen doch Darwins
Lehren beispielsweise bis heute in vielen US-amerikanischen Schulen, wie z.B. in Utah immer
noch nicht unterrichtet werden! In der Türkei droht den Lehrern für die Vermittlung von Darwins Lehre seit Jahren gar eine schwere Kerkerstrafe, von Ländern, in denen die Scharia gilt, ganz zu schweigen! Unsere gemeinsamen tierischen Vorfahren und unser tierisches Erbe werden also heute immer noch vielfach in Abrede gestellt oder zumindest gründlich verdrängt.
Konrad Lorenz nennt dafür mehrere Gründe:
• Da ist einmal die frappante Ähnlichkeit unseres nächsten Verwandten aus dem Tierreich,
dem Schimpansen, der auf so manchen von uns wie eine schlechte menschliche Karikatur
wirkt und mit dem wir wirklich nicht allzu nahe verwandt sein wollen!
• Die Vorstellung, dass wir Menschen unserer hohen Intelligenz zum Trotz auch von
tierischen Instinkten und Trieben abhängig sein sollen, erscheint erniedrigend und kann
auch Angst machen.
• Und drittens gerät damit unsere idealistisch-philosophisch zweigeteilte Welt – hier die
wert-indifferente Welt der äußeren Dinge – dort die hohe Welt der inneren
Gesetzmäßigkeit des menschlichen Denkens – ziemlich durcheinander.
Zur Frage der Ähnlichkeit mancher Menschen mit Tieren möchte ich nichts sagen. Was immer es da zu sagen gäbe, es wäre nicht wissenschaftlich, subjektiv und im Einzelfall sicherlich
beleidigend. Auch die Philosophie möchte ich heute nicht strapazieren.
Das menschliche Verhalten – welches der homo sapiens ja kraft seines Geistes angeblich so gut
unter Kontrolle hat – ist es, auf das ich näher eingehen möchte. Und vor allem auf das „Tierische“ daran.
Jedes Lebewesen – so auch der Mensch – hat bestimmte genetisch festgelegte, also angeborene
Verhaltensweisen. Teilweise sind dies Reflexbewegungen, wie der Greif – Reflex des Säuglings.
In unserer Evolution haben nur jene Säuglinge überleben und sich später weiter fortpflanzen
können, die sich reflektorisch an ihrer Mutter anklammern und so mit ihr gemeinsam vor Gefahren flüchten konnten.
Auch unsere Mimik wie das Lachen, Weinen etc. als Reaktion auf äußere Reize ist dem Menschen angeboren. Und überall erkennen und begrüßen Menschen einander durch ein unbewusstes kurzes Heben der Augenbrauen, Anheben des Kopfes und Nicken, gleichzeitig breitet sich meist ein Lächeln auf dem Gesicht aus.
Wenn allerdings einer unserer „ganz nahen Verwandten“, der Schimpanse, uns „anlächelt“, d.h.
die Zähne bleckt, ist Gefahr im Verzug, denn bei diesem Tier bedeutet das Zähne-Blecken ein
Angriffssignal.

Prägung durch erstes Erlebtes ist der nächste Schritt in der Entwicklung unseres Verhaltens. Ein
Baby kann schon im Alter von wenigen Wochen seine Mutter am Geruch, dem Klang ihrer
Stimme und an ihren Konturen erkennen und reagiert freudig darauf, es „fremdelt“ hingegen bei ihm unbekannten Menschen.
Lorenz hat diese frühkindliche Prägung erstmals bei seinen Graugänsen beschrieben, bei denen die erste Prägung unmittelbar nach dem Schlüpfen erfolgt. Die frischgeschlüpften Küken watscheln demjenigen Objekt nach, das sie als erstes in ihrem neuen Leben in Bewegung sehen. Das ist üblicherweise die Graugansmutter und im speziellen Fall war es eben der Forscher Lorenz selbst.
Kleinkinder äußern ihre körperlichen und seelischen Bedürfnisse in der Folge immer gezielter und entwickeln ihr Verhalten, welches dann schon zunehmend erlernte Komponenten aufweist, reflektorisch in Bezug auf ihre Umgebung. Sie lernen also, zu assoziieren.
Auf einen bestimmten auslösenden Reiz hin wird mit einem bestimmten Verhalten geantwortet.
Anfangs geschieht dies ganz unbewusst. Tierexperimentell ist hier an das Beispiel des Pawlow‘
schen Hundes zu erinnern, der das Läuten einer Glocke mit dem nahenden Fressen assoziiert und zu speicheln beginnt.
Die Koppelung zweier aufeinanderfolgender Geschehnisse hat zur Folge, dass der Organismus,
sowie das erste Ereignis eingetreten ist, das zweite „erwartet“. Das Kleinkind verspürt mit Beginn des Essenzubereitens (Klappern von Kochgeschirr in der Küche etc.) seinen Hunger wie der Pawlow’sche Hund und fordert teils sehr heftig eine baldige Fütterung.
Im Tierreich zählen zu diesem reflektorischen Verhalten die meisten Instinkthandlungen, die
stets durch sog. Schlüsselreize auslösbar sind. Aber auch wir erwachsenen Menschen sind
natürlich überhaupt nicht frei von solchen Verhaltensmustern – man denke zum Beispiel an das
Imponier- und Balzverhalten einer Männer- oder Frauenrunde, wenn eine junge attraktive Frau
oder ein fescher junger Mann dazukommen.
Aber zurück zur Entwicklung unseres Verhaltens: die zuvor genannten Assoziationen werden mit zunehmendem Alter bewusster erlebt, das Kind lernt, durch bestimmtes Verhalten von ihm
gewünschte Reaktionen der Umwelt auch gezielt auszulösen (= assoziatives Verhalten).
Über-protektive Eltern, die schon auf den kleinsten Muckser des Kindes reagieren oder überhaupt ihr Verhalten zu sehr an den Bedürfnissen des Kindes orientieren – was unter sonst vernünftigen Menschen besonders jüngerer Generationen erstaunlich verbreitet ist – können so in kürzester Zeit vom eigenen Kleinkind regelrecht versklavt und tyrannisiert werden.
Wie von Niko Tinbergen und Konrad Lorenz experimentell gezeigt werden konnte, ist das soziale Verhalten, aber auch unsere Denk -und Wahrnehmungsweisen auch sehr stark durch
stammesgeschichtliche bzw. traditionelle Überlieferungen beeinflusst.
Im Tierreich lernen die Jungen viele Verhaltensweisen von ihren Eltern und geben sie wiederum an ihre Jungen weiter, wir nennen das auch die „funktionale Erziehung“.

Geschieht dies nicht, so wurden Versuchstiere frühzeitig von ihren Eltern getrennt und wuchsen mit neutralen Tierattrappen oder einem Spiegel auf – so kann sich das nicht-funktional aufgezogene Tier in seiner Umwelt überhaupt nicht zurechtfinden und vor allem mit seinen unter normalen Umständen aufgewachsenen Artgenossen überhaupt nicht kommunizieren.
Beim Menschen zeigten sich Auswirkungen der Abkehr von Traditionen und von spezifischem
Rollenverhalten und auch das Experimentieren mit neuen Erziehungs-Methoden auf das Verhalten künftiger Generationen bereits heutzutage in unserer von Beliebigkeit charakterisierten Sozietät, in der inzwischen praktisch alles – sogar bis hin zum eigenen Geschlecht – disponibel und wandelbar geworden ist.
Mangelnde funktionale Erziehung führt bei der jüngeren Generation zunehmend zur Isolation, zu Verunsicherung, Zukunftsängsten und auch zur Flucht aus der Realität in virtuelle Scheinwelten (X, Facebook, Tictoc etc.). Konsequenz daraus ist die fortschreitende Veränderung unserer Sozialstrukturen vom Gemeinsamen hin zur übersteigerten Egomanie des Einzelnen. Doch werden diese negativen Entwicklungen der Jugend von vielen Angehörigen der Elterngeneration bewusst in Kauf genommen.
Sich jungen Menschen und deren Problemen zuzuwenden, kann sehr mühsam und zeitaufwändig sein. Die Arbeitswelt nimmt den Eltern oft die dafür nötige Energie. Fokussierung auf den Broterwerb wird aber als Preis für höheren Lebensstandard, Sicherheit und Wohlstand gesehen.
Veränderungen im Sozialverhalten einer Spezies durch Wohlstand, Sorglosigkeit und
unzureichender funktionaler Erziehung können sich auch im Tierreich offenbaren. Hierzu ein
Bericht über das soziale Leben der Kuhreiher im Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende
Verhaltens- biologie der ÖAW auf dem Wiener Wilhelminenberg. Dort wurde unter anderem eine Kuhreiher-Kolonie begründet, um das Verhalten dieser Vögel in freier Natur besser studieren zu können. Hören wir dazu nun kurz den Bericht des Forschers Otto König:
(Zit.) Die vorerst kleine Kolonie entwickelte sich anfangs recht gut. Jedoch schon bald sollten wir Überraschungen erleben.
Die Jungen verließen nicht mehr ihre Eltern, ließen sich weiterhin füttern, statt selbständig zu
werden; ja sie gründeten selbst im Alter von einem Jahr keinen eigenen Hausstand, sondern
brüteten kollektiv – gemeinsam mit den Eltern. So standen nun drei, bisweilen auch fünf Vögel an einem Horst und benahmen sich genauso, als wären sie nur ein Ehepaar.
Keiner war auf den anderen eifersüchtig, keiner versuchte, eine Paarung mit einem anderen Vogel zu verhindern; ja es schien sogar, als verliefe durch die Vielfalt der Stimmungen der
verschiedenen Vögel alles viel intensiver. Es wurde mehr gegrüßt, mehr gebalzt, und das Kommen und Gehen nur während der großen Ruhepause mittags und in der Nacht unterbrochen.
Mehr Weibchen produzieren mehr Eier. Statt der normalen Vierergelege gab es sechs oder acht
Eier in den Horsten. Allerdings wollten nun auch mehr Vögel das Gelege unter ihre Fittiche
nehmen. Es wurde viel häufiger abgelöst und oft brüteten zwei Kuhreiher übereinander, manchmal schob sich noch ein dritter daneben. Selbstverständlich wurden in der Folge die Eier
öfters gerollt, und bei dem ganzen Getue fiel auch öfters mal eines auf den Boden.
Auf diese Weise verringerte sich die Zahl der Eier zusehends. Auch die Jungen hatten es beim
Schlüpfen, infolge der allgemeinen Unruhe, viel schwerer. Denn zu viele „Eltern“ kümmerten sich zu sehr um die Eier, jeder wollte unbedingt etwas betreuen. Da auch jeder Altreiher füttern
wollte, bekamen die Kinder zu viel Nahrung, waren ständig satt, bettelten nicht und hockten nur gelangweilt in den Nestern herum.
In der Freiheit sehen einander die Vogelpaare infolge der vielfachen Arbeit, die es dort zu leisten
gilt, wie Futterfang, Nestausbesserung, Jungenfütterung, Suchen neuer Nahrungsquellen, meist nur kurzfristig.
Einer der beiden Partner wacht etwa zwei bis drei Stunden am Horst bei den Jungen. Kommt der Gatte von der Nahrungsbeschaffung zurück, sind die Kinder bereits hungrig, betteln eifrig, und der bisher wachehaltende Vogel ist froh, nun selbst um Futter fliegen zu können.
Man begrüßt einander, krault ein wenig im Gefieder und wechselt die Arbeitsfunktion. Der
Ankömmling füttert die Kinder, ordnet am Nest und bleibt zur Wache, während nun seine
Partnerin davonfliegt. Zwei oder drei Stunden später kommt auch sie zurück und löst nun
ihrerseits ab.
Im Gehege aber hat man das Futter dauernd vor dem Schnabel, verliert den Partner nie aus dem Auge und wird seine auf die freie Wildbahn abgestimmte Energie nicht mehr los. Auch die Kinder kommen niemals in Notsituationen, lernen nicht die Schwierigkeiten und die Schliche der Futterbeschaffung, sondern machen nur die einzige, ihr weiteres Leben gestaltende Erfahrung, dass man im Fall von Hunger nur die Eltern anzubetteln braucht.
So kommt es, dass hier noch erwachsene, flügge Vögel vor den vollen Futterschüsseln sitzen und mit Flügelgepaddel und lautem Geckern von den Eltern Nahrung fordern.
Wir hatten unseren Kuhreihern, vom Brutplatz angefangen über Nistmaterial, Trink- und
Badewasser bis zur vitaminmäßig restlos ausgeklügelten Nahrung, alles gegeben, was sie
brauchten. Es gab keine Probleme mehr, keine Feinde und keine Bedrohungen. Sie lebten in einer „Sozialvoliere“ bester Konstruktion und hatten nichts zu tun. Es war eine Wohlstandskolonie mit kompletter Wohlstandsverwahrlosung entstanden.
Der Vergleich zum Menschen unserer Breiten drängt sich auf, vor allem der zum jungen
Menschen. Die zunehmende Tendenz, auf das wirtschaftliche „flügge werden“ zu verzichten und die Früchte elterlichen Wohlstands solange wie nur möglich zu genießen, anstatt unter gewissen Entbehrungen selbst welchen zu begründen, hat sich in unserer Gesellschaft weit verbreitet, wir nennen es auch das „Hotel Mama“.

Natürlich trifft diese jungen Leute nicht alleine die Schuld an einer solchen Lebenseinstellung,
sondern vor allem deren Eltern, die ihre Kinder zu lange und zu intensiv wirtschaftlich
verwöhnen.
Aber noch einmal zurück zum Kuhreiher, dem Otto König sehr ausführliche Untersuchungen
gewidmet hat. Dieser zeigt noch eine weitere interessante Ähnlichkeit zum Menschen. Wie schon der Name „Kuhreiher“ sagt, handelt es sich um eine Reiherart, die immer im Gefolge großer Weidetiere angetroffen wird und sich vornehmlich von den Insekten ernährt, die diese großen Tiere umschwirren. Bei uns gibt es sie nicht freilebend, da es ihnen derzeit hier noch zu kalt ist.
Kuhreiher haben sich aber von Afrika aus, praktisch auf alle Gebiete der Erde mit wärmerem
Klima ausgebreitet, eine „Bevölkerungsexplosion“, welche parallel zur stark wachsenden
weltweiten Rinderzucht erfolgt ist.
Diese explosive Vermehrung der Population führte bei diesen Tieren zum Phänomen der
„Akzeleration“: diese lässt die Kuhreiher schon viel früher geschlechtsreif werden – schon im
Alter von 1 Jahr im Gegensatz zu allen anderen Reiherarten. Sie hinken aber in ihrem
Sozialverhalten allen anderen Reihern deutlich nach und zeigen auch als einzige Art das
Phänomen der zuvor beschriebenen Wohlstandsverwahrlosung unter den obengenannten
Bedingungen.
Eine solche Akzeleration, das heißt ein immer früheres Auftreten der Pubertät und damit ein
Auseinanderdriften zwischen körperlicher und seelisch-geistiger Reife, ist auch beim heutigen
Menschen zu beobachten. Auch hier in Zusammenhang mit einer enormen Bevölkerungsexplosion und getriggert von einer Jurisdiktion, die aus populistischen Gründen das Alter der Volljährigkeit und des aktiven Wahlrechts längst in die Jugendjahre vorverlegt hat.
Doch unabhängig von der gesetzlichen Volljährigkeit und dem Wahlalter ist auch der schon mit
11-14 Jahren in die Pubertät kommende Mensch erst mit Mitte Zwanzig sozial und seelisch
wirklich ausgereift. In der westlichen Industriegesellschaft ist die Bevölkerungsexplosion durch
unsere wohlstandsbedingte Lebensweise nun wieder rückläufig, doch ist nun eine weitere Folge der Akzeleration, die wachsende Kinder- und Jugendkriminalität und damit die Frage nach einer Vorverlegung der Strafmündigkeit heute ein höchst aktuelles + kontroversielles Thema.
Unsere Bevölkerung wächst nicht mehr, weil bei uns Nachwuchs vielfach Einschränkung der
persönlichen Freiheit und wirtschaftlichen Nachteil bedeutet. Das führt zusätzlich zu den immer gravierender werdenden Problemen der Überalterung unserer Gesellschaft, für die es im Tierreichallerdings keine Entsprechung gibt.
Ich möchte noch einmal betonen, dass die Kuhreiher in dieser künstlichen Kolonie nicht einfach Verhaltensweisen des Menschen annehmen. Veränderte Verhaltensweisen, wie hier eben die der“Wohlstands-Verwahrlosung“ sind immer wieder bei einer Spezies mit einer fehlenden Motivationsquelle – in diesem Fall die der Nahrungsbeschaffung – zu beobachten, hier auch noch getriggert durch die zuvor erwähnte Akzeleration. Beides hier gezeigt an den Beispielen Mensch und Kuhreiher.

Das führt mich noch kurz zu der Frage: Was macht eigentlich ein Tier so den ganzen Tag lang?
Die alltäglichen einfachen artspezifischen Instinkt-bewegungen stehen häufig mehreren „großen“ Trieben zur Verfügung.
Vor allem die Bewegungsweisen der Ortsveränderung wie Laufen, Schwimmen Fliegen, etc., aber auch andere, wie Picken, Nagen, Graben usw. stehen im Dienst der „vier großen
Motivationsquellen“ nämlich:
Nahrungserwerb, Fortpflanzung, Flucht und Aggression.
Gerät nun dieses Gefüge der Motivationen durcheinander, kann das auf das gesamte Verhalten der Spezies enorme Auswirkungen haben, wie soeben bei den Kuhreihern gezeigt wurde, denen ja die Notwendigkeit des Nahrungserwerbes in der Voliere genommen wurde.
Einengung des natürlichen Lebensraumes oder Gefangenschaft sind die heute wesentlichsten
Ursachen für Veränderungen im tierischen Verhaltensmuster. Und auch hier ist die Analogie zu
uns Menschen evident. Nimmt man einem Tier jegliche Möglichkeit zur freien Bewegung und zur Flucht, kann sich seine Aggressivität und Kampfbereitschaft ins schier unermessliche steigern.
Auch bei hoher Populationsdichte einer Spezies nehmen deren Aggressionspotential und deren
Aggressivität gegen die eigene Spezies stark zu. Das ist aus zahlreichen Tierexperimenten bekannt und natürlich auch bei jeder größeren Menschenansammlung nachzuvollziehen.
Man denke nur an die eigene Laune im verstopften Straßenverkehr, die Stimmung im engen
Wartezimmer eines Amtes oder das besondere Flair eines überfüllten Aufzuges, besonders, wenn man es eilig hat und sich dann noch in jedem Stockwerk immer wieder Menschen dazugesellen.
Im Zusammenhang mit überbordender Aggressivität zueinander wird immer wieder von
„tierischem“ Verhalten der Menschen gesprochen, dem das edle und stets hilfreiche
„menschliche“ gegenübergestellt wird.
Dabei gibt es im Tierreich mit ganz wenigen Ausnahmen keine absichtliche Tötung von
Artgenossen und schon gar keine koordinierte Kriegsführung mit Massentötung.
Homo homini lupus est – der römische Dichter Plautus hat wohl recht damit, dass der Mensch des Menschen Wolf ist – nur dass dem Wolf dabei wirklich Unrecht getan wird!
Es gäbe nämlich auf der Welt längst keine Wölfe mehr, würden nicht verlässliche Mechanismen
im Verhalten von Wölfen und auch allen anderen Lebewesen, die dank natürlicher am Körper
gewachsener Waffen auch Artgenossen töten könnten, dieses Töten verhindern. Solche
Hemmungsmechanismen – wie sie genannt werden – hat der Mensch, ein von Natur aus
harmloser, waffenloser Allesfresser, praktisch keine.
Das war in seiner Evolution auch nicht notwendig, der Mensch war ein kluges Fluchttier, das
kaum in die Lage kam, Beute – im wahrsten Sinn des Wortes – eigenhändig umzubringen.
Inzwischen sind wir Menschen – dank unseres Erfindungsreichtums – bis an die Zähne bewaffnet und können auch auf große Distanzen töten, ohne dabei unmittelbar mit den Folgen

dieses Handelns konfrontiert zu werden. Müssten wir heute noch Tiere mit Händen und Zähnen töten, um Fleisch essen zu können, gäbe es unter uns wohl ausschließlich Vegetarier.
Dem anderen Menschen aber überhaupt sein Menschsein abzusprechen, tut sein Übriges, auch die
letzten Hemmungen fallenzulassen und menschliche Artgenossen in Massen zu töten oder solches zumindest gutzuheißen! Seien diese nun bezeichnet als Feinde, als Untermenschen, Nazis (wie gerade in der Ukraine) oder Ungläubige. Der vermeintliche gute Zweck dahinter heiligt in jedem Krieg jedes Mittel. So etwas gibt es bei den Viechern weit und breit nicht!
Ich fasse zusammen: Grundlage all unseres Verhaltens sind genetisch festgelegte Muster,
frühkindliche Prägungen, Koppelungen und Assoziationen, sowie Instinkte, Triebe, die
funktionale Erziehung und daraus abgeleitete Motivationen.
Überlagert werden diese einfachen – und natürlich auch im Tierreich oder vornehmlich dort zu
beobachtenden Verhaltensweisen von erlerntem Verhalten durch intentionale Erziehung,
Bildung und Vorbildwirkung durch andere Menschen, kurzum allen Mechanismen, die uns
schließlich als einen zivilisierten, kultivierten Menschen ausmachen.
Erlerntes Verhalten gibt es auch im Tierreich, doch möchte ich darauf aus zeitlichen Gründen jetzt nicht mehr näher eingehen.
Wichtig ist es, dass wir uns jener Verhaltensweisen, die so oft tierisch genannt – auch Teil unserer menschlichen Identität sind, stets bewusst sind, sie als Teil unserer Identität akzeptieren und uns nicht dafür schämen oder sie als minderwertig erachten. Es ist eben keinesfalls so, dass all unser Verhalten von unserem Verstand geleitet wird. Aber auch das Tierische in uns ist naturgegeben und es ist prinzipiell ein gutes Tier.
Gerade im Erkennen unserer tierischen Verhaltens-Grundlagen und im Beherrschen all der
niedrigen Triebe und Reaktionsmuster, die uns innewohnen und die immer wieder an die
Oberfläche drängen, liegt der Schlüssel zum höchsten Ziel, der Selbstveredelung des Menschen.
Und wo sonst – wenn nicht hier – kann dieses Ziel gesucht und gefunden werden.
I


Kettenspruch:
Gesagt ist nicht immer gehört
Gehört ist nicht immer verstanden
Verstanden ist nicht immer einverstanden
Konrad Lorenz

Schlussworte (optional): zum erlernten Verhalten im Tierreich möchte ich zum Abschluss noch
ein Beispiel anführen:
Habt Ihr gewusst, dass die Raben-Krähen zu den intelligentesten Tieren der Welt zählen? Sie
stammen in ihrer Urform von den Paradiesvögeln in Neuguinea ab und haben sich – ähnlich wie
der Mensch – Kraft ihrer Intelligenz und Anpassungsfähigkeit auf der ganzen Welt verbreitet.
Weltweit gibt es heute 125 verschiedene Krähenarten.
Es würde den Rahmen meiner Schlussworte sprengen, ginge ich nun noch genauer auf die
Intelligenz und Lernfähigkeit dieser Tiere ein. Daher nur ein Detail daraus: eine der
Hauptnahrungsquellen der Krähen im Winter in der Großstadt sind Walnüsse, die sie selbst im
Herbst gesammelt und versteckt haben.
Die Krähen finden – das wurde wissenschaftlich durch den Münchner Naturwissenschaftler Prof. Reichholf untersucht – bis zu 95% dieser versteckten Nüsse auch nach Monaten problemlos wieder, Eichhörnchen finden nur max. 20%. Um die Nüsse zu knacken lassen Krähen sie aus der Höhe auf harten Boden, wie Asphalt, fallen.
In eng verbauten Großstädten wie z.B. Tokyo, wo es kaum freie Asphaltflächen gibt, geht das
etwas anders: die Krähen werfen die Nüsse auf die Straße, lassen die Autos darüberfahren,
beobachten dabei auch die Verkehrsampel und sammeln die durch die Autos geknackten Nüsse ein, wenn die Ampel „rot“ zeigt.
Dieses „Nüsse-durch Autos-öffnen-lassen-und-dabei-auf-die-Ampel-achten“ wird von den
Jungtieren genau beobachtet, nachgemacht und weiter perfektioniert. Das ist aber nur ein Beispiel unter vielen, dass uns deutlich zeigt, dass wir Menschen Intelligenz und Erfindungsreichtum nicht für uns alleine gepachtet haben.

Zwischen Ritterromantik und Freimaurerei

Die Wildensteiner Ritterschaft zur blauen Erde

Am 4. Oktober 1812 begaben sich auf der Burg Seebenstein, ca. 20 km. südwestlich von Wiener Neustadt, bemerkenswerte Dinge. Männer und Frauen gesetzteren Alters trafen sich zu einer Festlichkeit, die als „Wildensteiner Bankett“ in die Literatur eingegangen ist. Einige kurze Zitate aus einer zeitgenössischen Beschreibung vermitteln uns einen Einblick in das Geschehen:

Diesen höchst erfreulichen Tag kündigten der Donner der Pöllerschüsse mit aufgehender Sonne an. Nachdem bei einem altdeutschen Morgen-Imbiss unter dem Donner der Pöller und Schmettern der Trompeten und Pauken zu dreimalen auf die Gesundheit Seiner kaiserl. königl. Majestät die Pokale geleert wurden, sammelten sich gegen 9 Uhr die Ritter und Knappen, auch Frauen, in verschiedenen altdeutschen Kleidern und Rüstungen in dem untern dritten Vorhof der Veste.

Nach dem Umtrunk und in guter Stimmung begab sich die Gesellschaft in den inneren Bereich der Burg, besichtigte die Innenhöfe und historischen Räumlichkeiten und traf sich anschließend in der dreieckigen Kapelle zu einer Messe. Bevor das Festmahl beginnen konnte, wurden die Ehrengäste begrüßt:

Gerade vor dem Mittags-Imbiss ertönte die Trompete, und der Wachtweibel meldete dem Oberritter die Ankunft des hochedlen Burgherrn und Ritters Hanns auf Rauchenstein mit seiner edlen Burgfrau, und Hanns der Stixensteiner erscheinen in voller so selten als schönen Rüstung von Fuß bis Kopf, von Eisenblech versilbert, gepanzert und geharnischt mit Helm, Schild und Schwert, dann einer weiß und roth seidenen Binde, worüber sich Alles freudig wunderte.

Nun konnte das eigentliche Fest beginnen.

Die in Form eines Hufeisens aufgestellte Tafel war durchaus nach altem Gebrauch mit blauen Tischtüchern gedeckt und die hohen Gäste, wie auch die Ritter und Frauen, mit japanischem Geschirr, altmodischen Silberlöffeln, Messern und Gabeln, diese letzteren meistens von Hirschgeweihen selten oder künstlich geschnitzt, bedient.

Während dem Auf- und Abtragen der Speisen wurden von den ritterlichen Minnesängern unserer Gesellschaft bald deutsche, bald italienische Solo und Quadros, auch mitunter Wildensteiner Lieder abgesungen, wobei die seltene vollkommene Stille bei einer so zahlreichen Tafel gewiss der größte Beweis des ganzen Vergnügens war.

Die Feierlichkeit dauerte den ganzen Tag über, bis zu später Stunde eine weitere Stärkung gereicht wurde:

Der Nacht-Imbiß, der mit gleicher Formalität, Einigkeit und Freude unter abwechselnder Musik, Gesang und Scherz genossen wurde, dauerte bis Mitternacht, da sich dann die Frauen und Dirnen in ihre Schlafkammern, die Männer aber in ihre gemeinschaftliche Casematten zur Ruhe begaben.

Ein ausgelassenes Fest mit Kostümierung auf einer historischen Burg ist an und für sich nichts Besonderes. Derartiges gab es in früherer Zeit ebenso wie heute. Versehen mit dem Terminus Reenactment erheben derzeit manche dieser Veranstaltungen sogar einen wissenschaftlichen Anspruch.

Kann es sein, dass hinter dem Treffen der Ritter und ihrer Gefolgschaft mehr steckte als die Lust an gemeinsamen Gelagen in einer romantischen Burg? Um das herauszufinden wollen wir zunächst einen Blick auf die Vita des Hauptakteurs werfen. Der Gründer der „Wildensteiner Ritterschaft zur Blauen Erde“, so der klingende Name der Vereinigung, war Anton David Steiger, der 1755 in Pötsching geboren wurde. Steiger war zunächst als Verwalter in mehreren Gutsbetrieben tätig und erhielt schließlich mit Unterstützung von Fürst Joseph Franz Palffy die Möglichkeit, an der Bergbauakademie in Schemitz zu studieren. Diese, in der heutigen Slowakei liegende Akademie war eine noch sehr junge Institution, die hochqualifizierte Fachkräfte für den Bergbau ausbildete. In Schemitz wurde Steiger mit Ignaz von Born bekannt, der ebenfalls Mineraloge und einer der einflussreichsten Wiener Freimaurer war. Von Born führte Steiger in die Freimaurerei ein und machte ihn nach dessen Rückkehr nach Wien mit Kaiser Joseph II. bekannt. Steiger erhielt in der Folge mehrere Anstellungen im südlichen Niederösterreich und ab 1792 war er Ökonomieverwalter und Zahlmeister – heute würde man sagen kaufmännischer Geschäftsführer – der Maria Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt. Diese Tätigkeit ließ ihm genügend Zeit, nebenher seinen durchaus erfolgreichen privaten Geschäften und Interessen nachzugehen.

Obwohl Steiger in beruflicher Hinsicht technisch und naturwissenschaftlich orientiert war, dürfte er ein sehr romantisches Naturell besessen haben. Er pachtete nämlich ab 1788 die Burg Seebenstein, die damals seit einem halben Jahrhundert unbewohnt und baufällig war. Gemeinsam mit dem Besitzer, Joseph Graf von Pergen, der früher ebenfalls dem Bund angehört hatte, finanzierte er die Renovierung ganz im Stil einer mittelalterlichen Burg. Da zu einer Burg auch Ritter gehören, gründete Steiger 1790 die Wildensteiner Ritterschaft zur blauen Erde. Wie kam es zu diesem Namen? Im 12. Jahrhundert gehörte die Burg dem Geschlecht der Wildensteiner. Durch den Bezug auf die frühen Vorbesitzer versuchte Steiger, die Wurzeln seiner Ritterschaft im Mittelalter zu verankern.

Komplexer ist die Erklärung des Begriffs der „blauen Erde“, der mehrere Deutungen zulässt. Blau ist die Farbe der Romantik, die „blaue Blume“ ist ein immer wiederkehrender literarischer Topos. Blau ist aber auch das sehr seltene Mineral Lazulit (auch Lapis Lazuli genannt), das bis dahin nur in Asien gewonnen wurde. Steiger hatte erstmals ein kleines Vorkommen in der Steiermark entdeckt. Blau ist jedoch auch – und jetzt sind wir wieder beim eigentlichen Thema angelangt – die Farbe der Johannismaurerei.

Wie bekannt, war in Österreich die Maurerei ab 1785 stark eingeschränkt und unter Kaiser Franz II. sogar streng verboten worden. Anders war die Situation in Deutschland, wo sie nicht nur erlaubt war, sondern von manchen Landesfürsten aktiv gefördert wurde. Da eine gedruckte Liste der Namen von 255 „Rittern“ vorliegt, lässt sich nachweisen, dass viele Wildensteiner zuvor Wiener Logen angehört hatten, oder in Logen außerhalb der Monarchie arbeiteten.

Heute mag uns die Kostümierung als Ritter als ein rückwärtsgewandtes Freizeitvergnügen erscheinen. Betrachtet man jedoch die Außenwirkung dieser Gemeinschaft, so gerät man ins Staunen. Ehrenritter waren unter anderen Herzog Karl August von Weimar, Prinz Wilhelm, der spätere König von Preußen und Leopold von Sachsen Coburg-Gotha, der spätere König von Belgien. Auch der österreichische Hochadel war prominent vertreten: ab 1813 hatte Erzherzog Johann, der Bruder von Kaiser Franz I., unter dem Decknamen „Hanns von Oesterreich, der Thernberger“ den Rang eines Hoch- und Großmeisters inne. Möglicherweise war die Ritterschaft für den Erzherzog ein Surrogat für die Freimaurerei, die ihm als Mitglied des Kaiserhauses verwehrt war. Mehrere Hinweise, die mit der Angelobung des Erzherzogs als deutscher Reichsverweser in Verbindung stehen, deuten darauf hin. So besuchte er 1848 in Frankfurt die Loge „Zur Einigkeit“ und soll dort gesagt haben: „Ich bin kein Maurer, denn wir dürfen nicht. Doch mein Großvater und meine Lehrer sind Freimaurer gewesen“. Der erwähnte Großvater war Franz Stephan von Lothringen. Sehr vertraut klingt für uns auch die Angelobungsformel, die der Erzherzog vor der deutschen Nationalversammlung sprach:

Ich gelobe in Ehrfurcht vor dem Allerhöchsten mein Amt auszuüben, wobei Weisheit mein Leisten, Stärke meine Devise und Schönheit und Harmonie aller Menschen mein Ziel ist.

Nach diesen Zeilen, die wie eine Paraphrase unseres Ritualtextes klingen, stellt sich nun die Frage, wie nahe zumindest ein Teil der Ritterschaft der Freimaurerei stand. Wie schon erwähnt, gehörten mehrere Mitglieder früher den inzwischen verbotenen Wiener Logen an. Die Nähe zur Freimaurerei wird besonders deutlich, wenn man die 1806 formulierten Statuten der Ritterschaft liest. Der Text erinnert über weite Strecken an unsere Alten Pflichten oder an ein Hausgesetz, bei dem der Begriff „Bruder“ durch „Ritter“ ersetzt wurde. Hier einige Beispiele. Bereits im §1 wird Johannes der Täufer als Schutzpatron der Ritter genannt. Bei der Versammlung haben der Oberritter und der Marschall einen Hammer zur Seite. Bei den Zusammenkünften durfte nicht über Religion oder die Landesregierung debattiert werden. Ein Knappe musste vor der Aufnahme von mehreren Rittern geprüft werden. Vor der Aufnahme wurden ihm die Augen mit einem blauen Tuch verbunden. Danach wurde der Kandidat in die Gerichtsstube der Burg geführt, wo die Aufnahmezeremonie stattfand. Nach mehreren prüfenden Fragen und einem Rundgang, bei dem er von jedem Ritter einen leichten Schlag auf die Schulter erhielt, sprach der Marschall: „Man lasse den angehenden Knappen niederknien auf sein linkes Knie und Licht werden.“ Abgesehen von diesen offensichtlichen Parallelen gab es auch in der Organisationsstruktur und bei gewissen Symbolen, wie dem Dreieck mit eingeschriebenem Auge, Anklänge an die Maurerei.

Nach außen hin agierten die Wildensteiner Ritter offen und transparent. Ein Fest mit zahlreichen Gästen, Böllerschüssen und schmetternden Trompeten wäre ohnehin kaum verborgen geblieben. Was möglicherweise im inneren Zirkel geschah entzieht sich unserer Kenntnis. Es gibt Hinweise, dass manche der Ritter mit den Jacobinern sympathisierten. So findet sich etwa ein verborgener Hinweis im Titel des oben genannten Buchs mit der Beschreibung des Ritterfests. Es ist datiert mit dem „4. Weinmonats Tag 1812“. Der Weinmonat, französisch Vendémiaire, entspricht dem Oktober im französischen Revolutionskalender. Besonders pikant ist, dass bei diesem Fest der Namenstag von Kaiser Franz I. gefeiert wurde.

Apropos Kaiser Franz: zunächst war der Kaiser den Wildensteinern durchaus wohl gesonnen. 1811 beehrte er die Ritterschaft sogar mit einem Besuch auf der Burg Seebenstein. Aus Gründen, die wir heute nicht mehr nachvollziehen können, wandelte sich seine Einstellung und 1823 folgte das Aus. Er ordnete dem Regierungspräsidenten Augustin Reichmann an, ein entsprechendes Schreiben an Anton Steiger zu richten. Dieses soll hier zitiert werden, um zu zeigen, zu welch blumigen Sprachellipsen die Spitze der Verwaltung in der österreichischen Monarchie fähig war:

Ich wende mich mit dieser Bemerkung an Sie, Herr Zahlmeister, als den Vorsteher der Gesellschaft, indem ich nicht zweifle, daß sie und die sämmtlichen Gesellschaftsglieder hierin einen Beweis meines Vertrauens und meiner Achtung, zugleich aber auch einen hinlänglichen Beweggrund finden werden, die Gesellschaft unverzüglich gänzlich aufzulösen und ihre Versammlungen für immer einzustellen.

Ich berge Ihnen auch nicht, daß die Gesellschaft hierdurch einem ausdrücklichen Allerhöchsten Befehl entgegen kommen werde und ich ersuche Sie, mir ehestens anzuzeigen, wie und in welcher Art und Weise sie demselben nachgekommen ist, indem ich von höherem Ort angewiesen bin, hierüber zu berichten.

Zwar hatte Anton Steiger unter dem Decknamen „Hainz am Stein der Wilde“ die Ritterschaft gegründet, er war aber nicht deren Vorsteher. Der eigentliche Adressat wäre deren Hoch- und Großmeister Erzherzog Johann gewesen. Aber vermutlich war es dem Kaiser doch zu peinlich, seinem Bruder die Liquidierung einer Gesellschaft anzuordnen, die unter dessen Leitung stand.

Selbst die Nachgeschichte der Ritterschaft liefert uns ein Indiz für die Nähe zur Maurerei. Nach der Auflösung wurden die Akten der Wildensteiner, eine Siegelsammlung und mehrere Erinnerungsstücke an die Grenzloge „Verschwiegenheit“ in Bratislava übergeben und dort in einem Freimaurermuseum ausgestellt.

Die Beschäftigung mit der Wildensteiner Ritterschaft hat bei mir eine Reihe von Fragen ausgelöst, die ich gerne gemeinsam mit euch diskutieren möchte. Handelte sich bei den Rittern auf der Burg Seebenstein wirklich nur um eine Handvoll retro-orientierter Sonderlinge, die sich mit ihren Rüstungen und Schwertern auf eine Zeitreise in die Vergangenheit begaben? Waren die Ess- und Trinkgelage mit Trompeten, Trommeln und kostümierten Minnesängern wirklich der Endzweck oder etwa nur eine Fassade, hinter der sich mehr verbarg? Handelte es sich etwa um einen Kern von eingefleischten Freimaurern, die eine ahnungslose „Ritterschaft“ als Tarnung um sich scharte?

Diese Fragen sind legitim, auch wenn die vorhandenen Quellen nichts zu ihrer Beantwortung beitragen. Wir können das Fragespiel allerdings auch weiterspinnen und überlegen, was von unserer Tätigkeit als Freimaurer in der Zukunft sichtbar bleiben wird. Nehmen wir einmal an, dass unsere abgelegten Schriftstücke und Akten die Zeitläufe überstehen und dass sich Historiker in 200 Jahren aus irgendwelchen Gründen für die Geschichte der Loge Logos interessieren. Wird er oder sie den Eindruck gewinnen, dass wir erfolgreich am Gebäude der Menschlichkeit gearbeitet haben und dass wir die Flamme, die unsere masonischen Vorfahren vor mehr als 300 Jahren entzündet haben, auch im 21. Jahrhundert zum Leuchten gebracht haben? Oder wird die Analyse unserer fiktiven Forscher*in etwa so klingen:

Auf Grund der vorliegenden Dokumente mussten wir den Eindruck gewinnen, dass die Loge nach Überwindung der Pandemie in den frühen 2020er Jahren eine krisenhafte Situation durchlief. Die schwindende Mitgliederzahl (siehe Tabelle 1) sowie die starke Fluktuation in den Führungspositionen deuten darauf hin. Im Aktenbestand fanden sich zahlreiche Schriftstücke, wie Protokolle oder Entwürfe für Organisationsstrukturen, was den Schluss nahelegt, dass die Geschwister der Loge das Geheimnis der Freimaurerei vor allem in der Arbeit an strukturellen Fragen zu finden glaubten.

Der Lehrbrief (StefanS., Andreas B.,Markus J., Claudia B.)

Gemeinschaftsbaustück Andreas B., Claudia E.-B., Markus J. und Stefan S.

  Einleitung   STEFANAls Lehrlinge haben wir maurerisches Wissen erlangt und wurden zum Gesellen befördert. Als Gesellen wurden wir in die Welt ausgesandt um unser Wissen anzuwenden, uns bei anderen Meistern und Logen umzusehen. Damals wurde uns der Lehrbrief aus dem Buch „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ von Johann Wolfgang von Goethe als Leitlinie mit auf den Weg gegeben.   Als Grundlage für die Struktur und den Aufbau dieser Arbeit diente der Lehrbrief, in dem die Erkenntnisse auf dem Lebensweg von Wilhelm Meister, von der bürgerlichen Gesellschaft über die Theatergesellschaft und die Adelsgesellschaft bis zur Turmgesellschaft, zusammengefasst werden.   Wir 4 Gesellen haben gemeinsam unter Verwendung maurerischer Denkansätze –erworben auf Reisen in unserer Gesellenzeit – den aus SIEBEN Absätzen bestehenden Lehrbrief, in seiner Bedeutung hinterfragt und – angereichert mit unseren ganz persönlichen Lebenserfahrungen – interpretiert.   Lasst uns unsere Reise beginnen als Reise von Gedanken zwischen Gefühlen, Realität, Fremdbestimmung, Egoismus, Erkenntnis, Selbstbestimmung, Erfüllung und Gemeinsamkeit.:  
   ALLE GG setzen sich  
  MUSIK    2  Sonata No. 21 in C Major. Op. 53 „Waldstein“ I. Allegro con brio – Ludwig van Beethoven  
       
LICHT BLAUSTEFAN steht auf 
  STEFANDie Kunst ist lang, das Leben kurz,  das Urteil schwierig, die Gelegenheit flüchtig. 
   ANDREAS steht auf
   ANDREASDie Kunst überdauert die Zeit, der Mensch jedoch nicht. Aber der Mensch setzt durch die Kunst Zeichen, die sein Dasein und sein Wirken dokumentieren und benützt die Kunst auch zum Nachweis der Wertevorstellungen seiner Zeit. Die subjektive Sicht zum objektiv richtigen Urteil zu machen, erfordert Zeit zu überlegen. Zeit die man oft nicht hat. Manchmal hilft das Bauchgefühl bei flüchtigen Gelegenheiten die richtige Entscheidung zu treffen, manchmal trifft man aber auch die falsche Entscheidung. Dennoch muss man Handeln, denn sonst besteht das Leben aus einer Aneinanderreihung nicht genützter Chancen.
     STEFANHandeln ist leicht, Denken schwer;  nach dem Gedanken handeln unbequem. Aller Anfang ist heiter, die Schwelle ist der Platz der Erwartung.
   ANDREASDenken vor der Handlung widerspricht oft den eigenen Wünschen, ist daher unangenehm, aber Wünsche und Gefühle verleiten gerne zu „unbedachten“ Handlungen. Verantwortungsvolles Handeln und das ist die Schwelle zum reifen Menschen, setzt Disziplin, Konsequenz und planendes Denken voraus.
     STEFANDer Knabe staunt, der Eindruck bestimmt ihn,  er lernt spielend, der Ernst überrascht ihn.
   ANDREASDer Knabe beobachtet begeistert die schöne Welt und glaubt alles.   Vorbilder, Ideale und emotionales Lernen beeinflussen das Leben, formen das jugendliche Denken, erlauben Fehler, die im Chaos unserer Pubertät ihren Höhepunkt finden und viele „verbrannte Finger“ hinterlassen. Der Ernst überraschte uns, als das rationale Denken plötzlich zur Übernahme von Verantwortung führte.
     STEFANDie Nachahmung ist uns angeboren,  das Nachzuahmende wird nicht leicht erkannt.  Selten wird das Treffliche gefunden, seltner geschätzt.
   ANDREASNachahmung ist ein überlebensnotwendiges Naturgesetz – ansonsten würde jede Generation das Rad neu erfinden müssen:  Es ist aber mühsam nicht Nachahmungswürdiges wie Sippenhaftung und Blutrache trotz Tradition zu erkennen und sich auch davon zu distanzieren. Von den Alten vermittelte Werte sind nicht unbedingt nachahmungswürdig aber auch nicht unbedingt wertlos und zu verachten. Man muss neben „Beobachten und Nachahmen“ auch Denken gelernt haben, um kritisch hinterfragen zu können und an der richtigen Moral und Ethik Orientierung zu finden. Unterschiede in Bildung und Aufklärung bedingen unterschiedliche Wertvorstellungen, woraus Spannungen zwischen den Kulturen entstehen. Nur so viel Bildung aus und in allen Kulturkreisen wie irgend möglich, kann diese Spannungen und Kriege verhindern. Gerade wir als Freimaurer haben die Verantwortung für Bildung weltweit zu sorgen, wenn wir unsere Maxime ernst nehmen und eine wertvolle Gemeinschaft sein wollen.
   ANDREAS und STEFAN setzen sich
  MUSIK    #  3Summer (L‘Estate) Op.8 No.2 G Minor: Presto (Tempo Imettuoso d‘Estate) – Antonio Vivaldi
PAUSEPAUSEPAUSE
LICHT GRÜNSTEFAN steht auf 
   STEFANHöhe reizt uns, nicht die Stufen;  den Gipfel im Auge wandeln wir gerne auf der Ebene.  
   MARKUS steht auf
   MARKUSDie Erkenntnis, die höhere Sicht der Dinge, neue Blickwinkel, die Suche nach der Wahrheit und der Wille, sich selbst zu verändern. Der Weg dorthin erscheint mühsam. Wir sind gerne bequem, wollen nicht eigenständig denken und handeln, auch jede Veränderung erscheint schwierig. Das Ziel muss so wichtig sein, dass wir die Stufen in Kauf nehmen und zu zielorientiertem Handeln bereit sind.   Im Wandeln auf der Ebene, also ohne persönliche Veränderung, werden wir niemals die andere, höhere Sicht der Dinge erreichen können.
     STEFAN Nur ein Teil der Kunst kann gelehrt werden,  der Künstler braucht sie ganz.   
   MARKUSHier sehen wir einerseits die bildenden und darstellenden Künste und anderseits die königliche Kunst der Freimaurerei. In beiden Fällen kann nur ein Teil von außen vermittelt werden. Der andere Teil kommt aus der Begabung, geschieht intuitiv und ist inhärent oder muss durch eigene Wahrnehmung (schau in dich, schau um dich) und eigenes Handeln erlernt werden.  Der wahre Meister braucht beide Teile.  
     STEFANWer sie halb kennt, ist immer irre und redet viel;  wer sie ganz besitzt, mag nur tun und redet selten oder spät.  
   MARKUSNichtwissen und Dummheit mit irren Reden und langem Geschwafel zu vertuschen sind eine große Gefahr. Da müssen wir achtsam sein! Jene, die am wenigsten wissen, sind oft die, die alles zu wissen glauben oder vorgeben, aber keine Selbstreflexion üben. Das sehen wir täglich in allen Bereichen des profanen Lebens. Hier geht es aber auch um die Geheimnisse des Bundes der Freimaurer. Der wahre Künstler und Meister zeichnet sich durch sein Handeln (…draußen durch die Tat…) aus, nimmt sich zurück und spricht wohl überlegt. Allerdings gibt es auch Situationen in denen wir zum Schwert greifen und uns lautstark dagegenstellen müssen. SOFORT – zu spät wäre auch falsch.  
     STEFANJene haben keine Geheimnisse und keine Kraft,  ihre Lehre ist wie gebackenes Brot,  schmackhaft und sättigend für einen Tag.  
   MARKUSGeschwätz redet über vieles, Wahres, Falsches, Unwichtiges, selten Gewichtiges. Geschwätz gefällt, ist unterhaltsam, leicht verdaulich und rasch vergessen. Dazu fallen uns auch die vielen egoistischen, nicht vorausdenkenden Menschen (Blender, Gaukler, Politiker?) ein, die auf kurzfristigen Erfolg aus sind und das große Ganze nicht in ihrer Gedanken- und Lebenswelt berücksichtigen, die Honig ums Maul schmieren und die Menschen abfüllen und kaufen. Nach dem Rausch kommt aber das böse Erwachen! Die Geheimnisse und das Nicht-Offensichtliche gilt es zu verstehen und immer wieder neu zu sehen, um davon zu zehren und neue Energie zu schöpfen; diese Herausforderung soll andauern und uns immer wieder aufs Neue beschäftigen und uns neue Sichtweisen erlauben.  
     STEFANAber Mehl kann man nicht säen,  und die Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden.  
   MARKUSWenn Gedanken inhaltslos werden, wirken sie nicht mehr befruchtend, wenn Güter verprasst werden, kann man daraus keine Gebäude mehr errichten ::::  Ein Heller und ein Batzen die waren beide mein, der Heller ward zu Wasser, der Batzen ward zu Wein…
 Alles versoffen, das Haus verspielt und alles Porzellan zerschlagen…   Grundrechte, Menschrechte, Würde und Freiheit mussten schwer erkämpft werden und müssen uneingeschränkt immer gelten!   Entscheidungsgrundlagen dürfen nicht verschleiert werden. Dies erfordert wahrhaftige Kommunikation von Fakten und objektive und unabhängige Medien.   Unser aller Eigenheiten, unsere unterschiedlichen Profile, unsere Steine sind wichtig und befruchtend für die Gemeinschaft!  
   MARKUS und STEFAN setzen sich
 MUSIK #  4Libertango – Astor Piazzolla  
PAUSEPAUSEPAUSE
LICHT ROTSTEFAN steht auf  
    STEFANWorte sind gut, sie sind aber nicht das Beste.  Das Beste wird nicht deutlich durch Worte.   
   CLAUDIA steht auf 
   CLAUDIASondern das Beste entsteht durch Tun! Den Worten müssen auch Taten folgen. Das Gesprochene oder Geschriebene alleine gibt möglicherweise kein getreues oder vollständiges Bild, es bietet Raum für Miss-Interpretation oder im schlimmsten Fall kann es manipulieren. „Das Beste“ wurde oft und unterschiedlich definiert, je nach Zeitalter, Gesellschaftsnormen und Religion. Das Beste für uns Freimaurergesellen ist Liebe, Respekt, Achtung, Bescheidenheit, Gerechtigkeit, Weisheit, Toleranz und Mäßigung …  
     STEFANDer Geist, aus dem wir handeln, ist das Höchste.  Die Handlung wird nur vom Geiste begriffen und wieder dargestellt.  
    CLAUDIAGrundsätzliche Einstellungen, Moral und Ethik leiten uns; diese und die Beweggründe für unser Handeln erlauben uns erst eine Beurteilung unseres Tuns und damit die Reflexion am Gebäude der Menschlichkeit. Überstürztes Handeln und das sogenannte „Bauchgefühl“ sind wohl wichtig um rasch entscheiden zu können (Angriff-Flucht – Starre), aber erst Taten, die nach reiflicher Überlegung, im Geiste unserer Freimaurer- Grundsätze ausgeführt werden, zählen zum Besten.  
     STEFANNiemand weiß, was er tut, wenn er recht handelt; aber des Unrechten sind wir uns immer bewusst.  
   CLAUDIAFalsch wird immer leichter erkannt als Richtig. In der Gleichheit tritt das Abnorme stärker hervor. Unser Tun soll und ist durch Moral und Ethik und durch Werte geprägt; diese haben wir individuell durch Prägung oder Imitation verinnerlicht und folgen diesem Code unbewusst. Für ein Abweichen von diesem rechten Weg sind somit eine bewusste Handlung oder bewusste Gedanken erforderlich, die dann unser gutes Gewissen meist beschäftigen.    Jedoch: Unrechtes Handeln ist keineswegs immer jedem bewusst, hier irrt Goethe!!     Die Wissenschaft konnte nachweisen, dass eine fehlende Struktur in der Amygdala, einem Teil des Gehirnes, die Fähigkeit unrechte Handlungen zu erkennen unmöglich machen kann!!  – bevorzugt zu finden bei sehr erfolgreichen Leuten, da dieser „Hirnschaden“ ihnen die Möglichkeit gibt „über Leichen zu gehen“ um ihre Ziele zu erreichen, ohne es zu registrieren und ohne ihr Unrecht zu erkennen. Die Frage: „Können wir aus unserer Haut heraus?“, muss für uns Freimaurer beantwortet werden mit „Ja, wir müssen, indem wir an uns arbeiten, reflektieren und uns immer vor Augen halten rechtes und unrechtes Handeln zu erkennen!“   Das Richtige, Rechte und Gute wird immer vorausgesetzt und selten beachtet. Lasst es uns anerkennen!  
     STEFAN  Wer bloß mit Zeichen wirkt, ist ein Pedant,  ein Heuchler oder ein Pfuscher.   
  CLAUDIA  Der Pedant klammert sich an Konventionen, der Heuchler übernimmt vermeintlich die Meinungen der Anderen und der Pfuscher sucht den schnellen Weg; alle drei machen sich keine eigenen Gedanken und sind Mitläufer. Wir Gesellen haben erfahren, dass auch Meister sich verirren können und sich hinter Zeichen und Ritualen verstecken. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass uns die Zeichen und Rituale auch das Zusammenleben vereinfachen können (Manieren, Gebote,…)? Zeichen können Ausdruck von Respekt sein und die Zusammengehörigkeit in einer Gruppe fördern.  
     STEFANEs sind ihrer viel, und es wird ihnen wohl zusammen.  Ihr Geschwätz hält den Schüler zurück,  und ihre beharrliche Mittelmäßigkeit ängstigt die Besten.  
  CLAUDIAGemeinsam gegrölt, geraubt, gemordet, verbirgt die Verantwortung für die Tat des Einzelnen. Wie bewahren wir uns unsere Tugenden, wie folgen wir unserer Pflicht? Pochen wir nicht nur auf unser emotionsgetriebenes Recht handeln zu dürfen, haben wir verlernt zu denken? Denn nur darauf hinzuweisen, wie es sein sollte, ohne selbst für die Ideale tätig zu sein ist Angeberei und wertloses Verhalten.   Gegen viele Dumme und deren überschwängliche Reden ist es schwierig der Richtigkeit seiner eigenen Gedanken sicher zu bleiben. Die Schüler, WIR, erkennen instinktiv das inhaltslose Geschwätz, weil dieses von Lehrern vorgetragen, völlig verunsichert. Das macht uns Angst!   Ja, wir Menschen sind verschieden und gerade die Besten – wer immer das auch ist? hoffentlich die Weisen – dürfen sich nicht ängstigen, sondern müssen behutsam lenken.  
   CLAUDIA und STEFAN setzen sich
  MUSIK    5  Lacrimosa – Wolfgang Amadeus Mozart  
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Nur Lichterhimmel über TapisSTEFAN steht auf  
    STEFAN Nichts ist wie es scheint, und alles scheint wie es ist oder sein soll. Nur der Betrachter vermag zu entscheiden, wo auf dem Weg von Schein zu Sein er sich befindet.   Erkenne dich selbst, schaue in dich und um dich. Wir erkennen uns dank des Spiegels vor dem wir agieren, doch was wir verkörpern ist begrenzt, denn wenn der Vorhang fällt, hört der Schauspieler auf zu spielen und kehrt ins wirkliche Leben zurück. Die Schauspieler sind im wirklichen Leben genauso zu finden wie im Theater.   Schauspiel steht somit auch für Selbstbetrug und oft nur für die Begierde zu gefallen. Und diesen Betrug an sich selbst und an den Mitmenschen, gilt es zu erfahren. Dieser Weg muss selbst gegangen werden.   Authentizität – also die Echtheit im Sinne unserer Ursprünglichkeit ist gefragt, nicht die Kunst der Verblendung und Täuschung. Erkenne dich selbst, nimm dich wahr ohne dich zu verurteilen. Schaue um dich, siehe und erkenne andere und lasse ihnen ihre Position und ihren Raum.   Wir als Mitglieder im Bund sind uns auch nicht immer einig über den weiteren Weg, sind doch auch wir noch nicht am Ziel angekommen. Die Kunst ist bereits bekannt und deswegen müssen wir mit Besonnenheit und Vernunft agieren.   Ethik kann man traditionell als Form des guten Handelns definieren. Dabei gründet die Vorstellung vom Guten in einem dem Menschen angemessenen Verhalten. Der ethische Gehalt wird über die Rituale tradiert und so hat sich das freimaurerische Ritual über 3 Jahrhunderte nahezu unverändert gehalten und nach allerlei Reformversuchen wieder durchgesetzt, was darauf schließen lässt, dass diese Art der ethischen Einübung zwischenmenschlicher Umgangsqualitäten zu einer Lebenshaltung führen kann, die dem gesellschaftlichen Wandel standhalten kann.[1]   Doch wie im profanen Leben so auch hier im Tempel, der Mitte unserer Loge, werden Meinungsverschiedenheiten, Ansichten, Beweggründe mitunter sehr hitzig und mit Emotionen vorgebracht. Dies zeigt, dass Menschen fehlbar sind, irren können und erst durch Sprache und den Gebrauch von Symbolen einander erklären.     Die Distanzierung von sich selbst, der eignen Gleichstellung zu den Mitmenschen und das vernunftbetonte Handeln in einer Gemeinschaft sind die Ergebnisse dieses Bildungsweges, den jeder von uns gegangen ist.   Aktives Handeln und Arbeiten, sowie die Erkenntnis, dass ein Einzelnes kein Ganzes ist und auch nie sein kann, ist die Erleuchtung. Symbolisiert durch Steine, die jede und jeder für sich bearbeitet und glättet, damit sich diese als festes Fundament zusammenfinden um das Gebäude der Menschlichkeit zu tragen.   Der Platz an den wir unseren Stein setzen ist im harmonischen Gleichklang zu den anderen Steinen zu wählen und auch nur für den Moment passend. So ist das Symbol des Fundaments nicht als etwas Starres zu sehen, sondern auch als etwas Bewegliches, in dem die Steine, die Geschwister sich laufend weiterentwickeln und neu strukturieren, doch immer wieder neu zu etwas Starkem, Wertbeständigem zusammenfinden.   Wer dennoch, nach all dem Erfahrenen und Erlebten, dem Schicksal wieder Aufmerksamkeit schenkt, sei daran erinnert, dass das Verfehlen und das Irren als notwendige Ereignisse ewig bestehen bleiben und keiner davor gefeit ist ihnen nicht wieder zu erliegen. Wir bleiben ewig Lehrlinge und bedürfen einander um uns an den richtigen Weg zu erinnern.   Gemeinsam wollen wir am Gebäude der Menschlichkeit arbeiten, da wir den Wert des Gemeinsamen erkannt haben oder mit Goethes Worten gesprochen:   „Unglaublich ist es, was ein gebildeter Mensch für sich und andere tun kann, wenn er, ohne herrschen zu wollen, das Gemüt hat, Vormund von vielen zu sein, sie leitet, dasjenige zur rechten Zeit zu tun, was sie doch alle gerne tun möchten, und sie zu ihren Zwecken führt, die sie meist recht gut im Auge haben und nur die Wege dazu verfehlen.“  
  PAUSE   Licht verdunkelt sich  –>  SEHR DUNKEL bis FINSTER
LICHT FINSTERALLE GG stehen auf    
    ANDREAS  Des echten Künstlers Lehre schließt den Sinn auf;  
 MARKUS  denn wo die Worte fehlen, spricht die Tat.  
 
CLAUDIA
 
Der echte Schüler lernt aus dem Bekannten das Unbekannte entwickeln  
 STEFAN   und nähert sich dem Meister.  
LICHT  GANZ HELL  MUSIK
# 6
 Goethe: „Über allen Gipfeln ist Ruh ….“ They’ll Remember You – John Ottman  
ENDE  ENDE ENDE

[1] Vergleiche Klaus Hammacher- Freimauerei, Ideen und Werte