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Zwischen Ritterromantik und Freimaurerei

Die Wildensteiner Ritterschaft zur blauen Erde

Am 4. Oktober 1812 begaben sich auf der Burg Seebenstein, ca. 20 km. südwestlich von Wiener Neustadt, bemerkenswerte Dinge. Männer und Frauen gesetzteren Alters trafen sich zu einer Festlichkeit, die als „Wildensteiner Bankett“ in die Literatur eingegangen ist. Einige kurze Zitate aus einer zeitgenössischen Beschreibung vermitteln uns einen Einblick in das Geschehen:

Diesen höchst erfreulichen Tag kündigten der Donner der Pöllerschüsse mit aufgehender Sonne an. Nachdem bei einem altdeutschen Morgen-Imbiss unter dem Donner der Pöller und Schmettern der Trompeten und Pauken zu dreimalen auf die Gesundheit Seiner kaiserl. königl. Majestät die Pokale geleert wurden, sammelten sich gegen 9 Uhr die Ritter und Knappen, auch Frauen, in verschiedenen altdeutschen Kleidern und Rüstungen in dem untern dritten Vorhof der Veste.

Nach dem Umtrunk und in guter Stimmung begab sich die Gesellschaft in den inneren Bereich der Burg, besichtigte die Innenhöfe und historischen Räumlichkeiten und traf sich anschließend in der dreieckigen Kapelle zu einer Messe. Bevor das Festmahl beginnen konnte, wurden die Ehrengäste begrüßt:

Gerade vor dem Mittags-Imbiss ertönte die Trompete, und der Wachtweibel meldete dem Oberritter die Ankunft des hochedlen Burgherrn und Ritters Hanns auf Rauchenstein mit seiner edlen Burgfrau, und Hanns der Stixensteiner erscheinen in voller so selten als schönen Rüstung von Fuß bis Kopf, von Eisenblech versilbert, gepanzert und geharnischt mit Helm, Schild und Schwert, dann einer weiß und roth seidenen Binde, worüber sich Alles freudig wunderte.

Nun konnte das eigentliche Fest beginnen.

Die in Form eines Hufeisens aufgestellte Tafel war durchaus nach altem Gebrauch mit blauen Tischtüchern gedeckt und die hohen Gäste, wie auch die Ritter und Frauen, mit japanischem Geschirr, altmodischen Silberlöffeln, Messern und Gabeln, diese letzteren meistens von Hirschgeweihen selten oder künstlich geschnitzt, bedient.

Während dem Auf- und Abtragen der Speisen wurden von den ritterlichen Minnesängern unserer Gesellschaft bald deutsche, bald italienische Solo und Quadros, auch mitunter Wildensteiner Lieder abgesungen, wobei die seltene vollkommene Stille bei einer so zahlreichen Tafel gewiss der größte Beweis des ganzen Vergnügens war.

Die Feierlichkeit dauerte den ganzen Tag über, bis zu später Stunde eine weitere Stärkung gereicht wurde:

Der Nacht-Imbiß, der mit gleicher Formalität, Einigkeit und Freude unter abwechselnder Musik, Gesang und Scherz genossen wurde, dauerte bis Mitternacht, da sich dann die Frauen und Dirnen in ihre Schlafkammern, die Männer aber in ihre gemeinschaftliche Casematten zur Ruhe begaben.

Ein ausgelassenes Fest mit Kostümierung auf einer historischen Burg ist an und für sich nichts Besonderes. Derartiges gab es in früherer Zeit ebenso wie heute. Versehen mit dem Terminus Reenactment erheben derzeit manche dieser Veranstaltungen sogar einen wissenschaftlichen Anspruch.

Kann es sein, dass hinter dem Treffen der Ritter und ihrer Gefolgschaft mehr steckte als die Lust an gemeinsamen Gelagen in einer romantischen Burg? Um das herauszufinden wollen wir zunächst einen Blick auf die Vita des Hauptakteurs werfen. Der Gründer der „Wildensteiner Ritterschaft zur Blauen Erde“, so der klingende Name der Vereinigung, war Anton David Steiger, der 1755 in Pötsching geboren wurde. Steiger war zunächst als Verwalter in mehreren Gutsbetrieben tätig und erhielt schließlich mit Unterstützung von Fürst Joseph Franz Palffy die Möglichkeit, an der Bergbauakademie in Schemitz zu studieren. Diese, in der heutigen Slowakei liegende Akademie war eine noch sehr junge Institution, die hochqualifizierte Fachkräfte für den Bergbau ausbildete. In Schemitz wurde Steiger mit Ignaz von Born bekannt, der ebenfalls Mineraloge und einer der einflussreichsten Wiener Freimaurer war. Von Born führte Steiger in die Freimaurerei ein und machte ihn nach dessen Rückkehr nach Wien mit Kaiser Joseph II. bekannt. Steiger erhielt in der Folge mehrere Anstellungen im südlichen Niederösterreich und ab 1792 war er Ökonomieverwalter und Zahlmeister – heute würde man sagen kaufmännischer Geschäftsführer – der Maria Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt. Diese Tätigkeit ließ ihm genügend Zeit, nebenher seinen durchaus erfolgreichen privaten Geschäften und Interessen nachzugehen.

Obwohl Steiger in beruflicher Hinsicht technisch und naturwissenschaftlich orientiert war, dürfte er ein sehr romantisches Naturell besessen haben. Er pachtete nämlich ab 1788 die Burg Seebenstein, die damals seit einem halben Jahrhundert unbewohnt und baufällig war. Gemeinsam mit dem Besitzer, Joseph Graf von Pergen, der früher ebenfalls dem Bund angehört hatte, finanzierte er die Renovierung ganz im Stil einer mittelalterlichen Burg. Da zu einer Burg auch Ritter gehören, gründete Steiger 1790 die Wildensteiner Ritterschaft zur blauen Erde. Wie kam es zu diesem Namen? Im 12. Jahrhundert gehörte die Burg dem Geschlecht der Wildensteiner. Durch den Bezug auf die frühen Vorbesitzer versuchte Steiger, die Wurzeln seiner Ritterschaft im Mittelalter zu verankern.

Komplexer ist die Erklärung des Begriffs der „blauen Erde“, der mehrere Deutungen zulässt. Blau ist die Farbe der Romantik, die „blaue Blume“ ist ein immer wiederkehrender literarischer Topos. Blau ist aber auch das sehr seltene Mineral Lazulit (auch Lapis Lazuli genannt), das bis dahin nur in Asien gewonnen wurde. Steiger hatte erstmals ein kleines Vorkommen in der Steiermark entdeckt. Blau ist jedoch auch – und jetzt sind wir wieder beim eigentlichen Thema angelangt – die Farbe der Johannismaurerei.

Wie bekannt, war in Österreich die Maurerei ab 1785 stark eingeschränkt und unter Kaiser Franz II. sogar streng verboten worden. Anders war die Situation in Deutschland, wo sie nicht nur erlaubt war, sondern von manchen Landesfürsten aktiv gefördert wurde. Da eine gedruckte Liste der Namen von 255 „Rittern“ vorliegt, lässt sich nachweisen, dass viele Wildensteiner zuvor Wiener Logen angehört hatten, oder in Logen außerhalb der Monarchie arbeiteten.

Heute mag uns die Kostümierung als Ritter als ein rückwärtsgewandtes Freizeitvergnügen erscheinen. Betrachtet man jedoch die Außenwirkung dieser Gemeinschaft, so gerät man ins Staunen. Ehrenritter waren unter anderen Herzog Karl August von Weimar, Prinz Wilhelm, der spätere König von Preußen und Leopold von Sachsen Coburg-Gotha, der spätere König von Belgien. Auch der österreichische Hochadel war prominent vertreten: ab 1813 hatte Erzherzog Johann, der Bruder von Kaiser Franz I., unter dem Decknamen „Hanns von Oesterreich, der Thernberger“ den Rang eines Hoch- und Großmeisters inne. Möglicherweise war die Ritterschaft für den Erzherzog ein Surrogat für die Freimaurerei, die ihm als Mitglied des Kaiserhauses verwehrt war. Mehrere Hinweise, die mit der Angelobung des Erzherzogs als deutscher Reichsverweser in Verbindung stehen, deuten darauf hin. So besuchte er 1848 in Frankfurt die Loge „Zur Einigkeit“ und soll dort gesagt haben: „Ich bin kein Maurer, denn wir dürfen nicht. Doch mein Großvater und meine Lehrer sind Freimaurer gewesen“. Der erwähnte Großvater war Franz Stephan von Lothringen. Sehr vertraut klingt für uns auch die Angelobungsformel, die der Erzherzog vor der deutschen Nationalversammlung sprach:

Ich gelobe in Ehrfurcht vor dem Allerhöchsten mein Amt auszuüben, wobei Weisheit mein Leisten, Stärke meine Devise und Schönheit und Harmonie aller Menschen mein Ziel ist.

Nach diesen Zeilen, die wie eine Paraphrase unseres Ritualtextes klingen, stellt sich nun die Frage, wie nahe zumindest ein Teil der Ritterschaft der Freimaurerei stand. Wie schon erwähnt, gehörten mehrere Mitglieder früher den inzwischen verbotenen Wiener Logen an. Die Nähe zur Freimaurerei wird besonders deutlich, wenn man die 1806 formulierten Statuten der Ritterschaft liest. Der Text erinnert über weite Strecken an unsere Alten Pflichten oder an ein Hausgesetz, bei dem der Begriff „Bruder“ durch „Ritter“ ersetzt wurde. Hier einige Beispiele. Bereits im §1 wird Johannes der Täufer als Schutzpatron der Ritter genannt. Bei der Versammlung haben der Oberritter und der Marschall einen Hammer zur Seite. Bei den Zusammenkünften durfte nicht über Religion oder die Landesregierung debattiert werden. Ein Knappe musste vor der Aufnahme von mehreren Rittern geprüft werden. Vor der Aufnahme wurden ihm die Augen mit einem blauen Tuch verbunden. Danach wurde der Kandidat in die Gerichtsstube der Burg geführt, wo die Aufnahmezeremonie stattfand. Nach mehreren prüfenden Fragen und einem Rundgang, bei dem er von jedem Ritter einen leichten Schlag auf die Schulter erhielt, sprach der Marschall: „Man lasse den angehenden Knappen niederknien auf sein linkes Knie und Licht werden.“ Abgesehen von diesen offensichtlichen Parallelen gab es auch in der Organisationsstruktur und bei gewissen Symbolen, wie dem Dreieck mit eingeschriebenem Auge, Anklänge an die Maurerei.

Nach außen hin agierten die Wildensteiner Ritter offen und transparent. Ein Fest mit zahlreichen Gästen, Böllerschüssen und schmetternden Trompeten wäre ohnehin kaum verborgen geblieben. Was möglicherweise im inneren Zirkel geschah entzieht sich unserer Kenntnis. Es gibt Hinweise, dass manche der Ritter mit den Jacobinern sympathisierten. So findet sich etwa ein verborgener Hinweis im Titel des oben genannten Buchs mit der Beschreibung des Ritterfests. Es ist datiert mit dem „4. Weinmonats Tag 1812“. Der Weinmonat, französisch Vendémiaire, entspricht dem Oktober im französischen Revolutionskalender. Besonders pikant ist, dass bei diesem Fest der Namenstag von Kaiser Franz I. gefeiert wurde.

Apropos Kaiser Franz: zunächst war der Kaiser den Wildensteinern durchaus wohl gesonnen. 1811 beehrte er die Ritterschaft sogar mit einem Besuch auf der Burg Seebenstein. Aus Gründen, die wir heute nicht mehr nachvollziehen können, wandelte sich seine Einstellung und 1823 folgte das Aus. Er ordnete dem Regierungspräsidenten Augustin Reichmann an, ein entsprechendes Schreiben an Anton Steiger zu richten. Dieses soll hier zitiert werden, um zu zeigen, zu welch blumigen Sprachellipsen die Spitze der Verwaltung in der österreichischen Monarchie fähig war:

Ich wende mich mit dieser Bemerkung an Sie, Herr Zahlmeister, als den Vorsteher der Gesellschaft, indem ich nicht zweifle, daß sie und die sämmtlichen Gesellschaftsglieder hierin einen Beweis meines Vertrauens und meiner Achtung, zugleich aber auch einen hinlänglichen Beweggrund finden werden, die Gesellschaft unverzüglich gänzlich aufzulösen und ihre Versammlungen für immer einzustellen.

Ich berge Ihnen auch nicht, daß die Gesellschaft hierdurch einem ausdrücklichen Allerhöchsten Befehl entgegen kommen werde und ich ersuche Sie, mir ehestens anzuzeigen, wie und in welcher Art und Weise sie demselben nachgekommen ist, indem ich von höherem Ort angewiesen bin, hierüber zu berichten.

Zwar hatte Anton Steiger unter dem Decknamen „Hainz am Stein der Wilde“ die Ritterschaft gegründet, er war aber nicht deren Vorsteher. Der eigentliche Adressat wäre deren Hoch- und Großmeister Erzherzog Johann gewesen. Aber vermutlich war es dem Kaiser doch zu peinlich, seinem Bruder die Liquidierung einer Gesellschaft anzuordnen, die unter dessen Leitung stand.

Selbst die Nachgeschichte der Ritterschaft liefert uns ein Indiz für die Nähe zur Maurerei. Nach der Auflösung wurden die Akten der Wildensteiner, eine Siegelsammlung und mehrere Erinnerungsstücke an die Grenzloge „Verschwiegenheit“ in Bratislava übergeben und dort in einem Freimaurermuseum ausgestellt.

Die Beschäftigung mit der Wildensteiner Ritterschaft hat bei mir eine Reihe von Fragen ausgelöst, die ich gerne gemeinsam mit euch diskutieren möchte. Handelte sich bei den Rittern auf der Burg Seebenstein wirklich nur um eine Handvoll retro-orientierter Sonderlinge, die sich mit ihren Rüstungen und Schwertern auf eine Zeitreise in die Vergangenheit begaben? Waren die Ess- und Trinkgelage mit Trompeten, Trommeln und kostümierten Minnesängern wirklich der Endzweck oder etwa nur eine Fassade, hinter der sich mehr verbarg? Handelte es sich etwa um einen Kern von eingefleischten Freimaurern, die eine ahnungslose „Ritterschaft“ als Tarnung um sich scharte?

Diese Fragen sind legitim, auch wenn die vorhandenen Quellen nichts zu ihrer Beantwortung beitragen. Wir können das Fragespiel allerdings auch weiterspinnen und überlegen, was von unserer Tätigkeit als Freimaurer in der Zukunft sichtbar bleiben wird. Nehmen wir einmal an, dass unsere abgelegten Schriftstücke und Akten die Zeitläufe überstehen und dass sich Historiker in 200 Jahren aus irgendwelchen Gründen für die Geschichte der Loge Logos interessieren. Wird er oder sie den Eindruck gewinnen, dass wir erfolgreich am Gebäude der Menschlichkeit gearbeitet haben und dass wir die Flamme, die unsere masonischen Vorfahren vor mehr als 300 Jahren entzündet haben, auch im 21. Jahrhundert zum Leuchten gebracht haben? Oder wird die Analyse unserer fiktiven Forscher*in etwa so klingen:

Auf Grund der vorliegenden Dokumente mussten wir den Eindruck gewinnen, dass die Loge nach Überwindung der Pandemie in den frühen 2020er Jahren eine krisenhafte Situation durchlief. Die schwindende Mitgliederzahl (siehe Tabelle 1) sowie die starke Fluktuation in den Führungspositionen deuten darauf hin. Im Aktenbestand fanden sich zahlreiche Schriftstücke, wie Protokolle oder Entwürfe für Organisationsstrukturen, was den Schluss nahelegt, dass die Geschwister der Loge das Geheimnis der Freimaurerei vor allem in der Arbeit an strukturellen Fragen zu finden glaubten.

Passage sous le bandeau


BS Sr:. Sonja vom 04.12.2023
L:. Georges Martin/Droit Humain

Vorweg möchte ich betonen, dass ich in meinem Baustück gendere, jedoch möge man mir verzeihen, wenn ich die eine oder andere Stelle übersehen habe…

Die Passage sous le bandeau oder – wie es in unserem Ritual des 1° heißt – die „Befragung unter der Augenbinde“ – wird in allen französischen und vermutlich auch den meisten anderen Logen weltweit praktiziert, im Droit Humain Österreich hingegen bleibt es den einzelnen Logen überlassen, ob sie die Suchenden dieser Befragung unterziehen oder nicht. Mein Baustück beruht einerseits auf Erfahrungsberichten von Brüdern aus verschiedenen Logen in Frankreich, andererseits auf zwei Passagen, an denen ich als Gast teilnehmen durfte.

Die Passage ist ein Abschnitt im Aufnahmeverfahren. Für unsere neuen Lehrlinge möchte ich es an dieser Stelle kurz wiederholen: Wie wir alle wissen, gibt es dabei mehrere Abschnitte: wird jemand der Loge als Kandidat*in für unseren Bund vorgeschlagen, so trifft sich der MvSt mit ihm/ihr für ein erstes Kennenlernen. Bei der nächsten 1°- Arbeit im Tempel berichtet er den Geschwistern von diesem Treffen , verliest den Lebenslauf und die Antworten auf dem Fragebogen, dann wird abgestimmt, ob das Aufnahmeverfahren weiter verfolgt werden soll oder nicht. Bei einer positiven Abstimmung tritt der MvSt die an 3 MM heran und bittet sie, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die Interviews durchzuführen. Diese werden dann im Tempel verlesen und es kommt zur ersten Ballotage.

Verläuft diese positiv, so wird das Ansuchen mit jenen der Suchenden für andere Logen auf der Homepage des Droit Humain Österreich veröffentlicht, so dass auch die Mitglieder anderer Logen Einspruch erheben können, falls sie der Meinung sind, der/die Kandidat*in gehöre nicht aufgenommen.

In unserer Loge findet keine Passage statt, daher erfolgt als nächstes die Einweihung . In anderen Logen wird noch vor der Einweihung die Befragung unter der Augenbinde durchgeführt.

Ziel dieser Befragung ist es herauszufinden, mit welchen Absichten der Kandidat an die Loge klopft und ob es sein/ihr aufrichtiger Wunsch ist, Freimaurer*in zu werden. Dabei wird der Authentizität sehr große Bedeutung zugemessen. Man will erkunden, ob der/die Profane sich gut in die Loge eingliedern und ob der/die Suchende wirklich als solche bezeichnet werden kann. Es geht also in keiner Weise um hochwissenschaftliche, komplexe Antworten, sondern um solche, die von die Aufrichtigkeit des Kandidaten/der Kandidatin zeugen.

Laut unserem Ritual soll sie dazu dienen – ich zitiere -, “dass jede Sr:. und jeder Br:. eine gerechte, überlegte und unvoreingenommene Stimme darüber abgeben kann, ob die/der Profane in die FM aufgenommen werden kann“ oder eben nicht.

Dabei ist die Rolle der Augenbinde nicht dieselbe wie während der Aufnahme: bei der Einweihung ist sie ein Symbol für die Finsternis, die den/die Suchende umgibt, bevor ihm/ihr das Licht gegeben wird. Gleichzeitig aber wird der Kandidat eines seiner Sinne, nämlich des Sehens beraubt, was wiederum die anderen Sinne schärft. Ich kann mich noch nach über 20 Jahren an einige Details bei meiner Aufnahme erinnern, als wäre es gestern gewesen: zum Beispiel das Gefühl des Bückens beim Betreten des Tempels, den festen Griff meiner Bürgin oder die Stimme meines damaligen MvSts.

Im Anschluss an die Befragung unter der Augenbinde erfolgt die zweite Ballotage, welche ebenfalls positiv ausgehen muss, damit der/die Suchende aufgenommen werden kann. Die Passage ist damit die letzte Hürde im Procedere der Aufnahme.

Im DH stellt der Redn:. die Fragen, in anderen Obödienzen kommen alle MM.: zu Wort. Die meisten L:. verfügen über eine Art Fragenkatalog, manche jedoch stellen die Fragen spontan,

Ich war an zwei Passagen einer anderen Obödienz anwesend. Im Droit Humain fällt die Durchführung der Passage unter die Logenautonomie. So wird zum Beispiel in der L:. Aurora die Befragung unter der Augenbinde praktiziert und SSr:. Karo hat uns vor ein paar Jahren über ihre Eindrücke berichtet. Obwohl sie selbst sich für die Passage aussprach, ist mir eine ihrer Aussagen in besonderer Erinnerung geblieben: „Nach der Passage hat man mich vor die Eingangstür geführt. Ich habe mich in meinem ganzen Leben nie so allein gefühlt wie damals im Stiegenhaus der Bräunerstraße.“

Alle drei Ereignisse – die beiden Passagen denen ich beiwohnen durfte sowie der Eindruck unserer Sr:. Karo hatten eine nachhaltige Wirkung auf mich.

Die Passage ist der einzige Moment, in dem ein Profaner den Tempel während einer freimaurerischen Arbeit betreten darf. Die Augenbinde hat dabei mehrere Funktionen:

Der/die Profane gibt sich in die Hand einer Gruppe von Menschen, die er/sie bis auf einen einzigen – nämlich den Bürgen – nicht kennt, die er nicht sieht und von denen er nicht weiß, was sie gerade tun. Er/sie weiß auch nicht, wie viele Personen im Raum sind: zehn, zwanzig oder gar 50 oder 100? Dies alles ist ein großer Vertrauensvorschuss von seiner/ihrer Seite.

Ohne Augenlicht schärfen sich die anderen Sinne. Unser Geist ist offen und gleichzeitig konzentriert.

Die Außenwelt wird anders wahrgenommen: durch Stimmen, Worte, und Geräusche, die man nicht deuten kann.

Außerdem soll der/die Kandidat*in nicht durch Gegenstände oder Bilder im Tempel abgelenkt werden, sondern sich voll und ganz auf die Befragung konzentrieren.

Durch die verbundenen Augen wird aber auch die Deckung der anwesenden Geschwister gewahrt, denn es steht ja noch nicht fest, ob man überhaupt aufgenommen wird.

Das Ziel dieser Befragung ist es also zu erkennen, ob der/die Profane für diesen neuen Lebensabschnitt bereit ist, ob genug Vertrauen vorhanden ist, sich auf eine Gruppe einzulassen, die aus fremden Menschen besteht, die man nicht einmal sehen kann; ob der/die Profane so weit ist, scheinbar willkürliche Fragen über sich ergehen zu lassen und dem Pfad der Wahrheit zu folgen.

Bei den Fragen selbst gibt es kein richtig oder falsch, sondern es geht darum, dass der/die Befragte aufrichtig antwortet und authentisch bleibt. Es geht darum, den/die Suchende in einer außergewöhnlichen Situation besser kennen zu lernen. Dabei ist es nicht so wichtig, was jemand denkt, sondern wonach er/sie auf der Suche ist. Weltanschauliche, politische oder gar religiöse Vorstelllungen haben bei der Befragung nichts verloren. Hingegen geht es um die Bereitschaft, sich persönlich weiterzuentwickeln, um zum Wohle der Menschheit etwas beizutragen. Da man sich der Anspannung des/der Kandidat*in bewusst ist werden eher einfache Fragen gestellt, auf die man sich einfache Antworten und keine wissenschaftlichen Abhandlungen erwartet. Fragen, die zu sehr ins Private gehen sind nicht erlaubt. Ebenso wenig darf es Diskussionen zu den einzelnen Antworten geben. Auch Fragen, die schon während der Interviews gestellt wurden, sollen nicht im Rahmen der Passage wiederholt werden.

Auf youtube findet man eine vollständige Passage, allerdings in französischer Sprache1. Der Suchende wird vom Zeremonienmeister und einem Geleiter an der Hand in den Tempel geführt und setzt sich auf einen für ihn vorbereiteten Stuhl zwischen die Säulen. Der MvSt versichert ihm, dass seine Antworten den Raum nicht verlassen werden. Der Kandidat beginnt mit einer kurzen persönliche Vorstellung: verheiratet oder geschieden, wie viele Kinder, auch die derzeitige berufliche Tätigkeit wird genannt. Erst dann beginnt die eigentliche Befragung, wobei verschiedene Geschwister je eine Frage stellen – vorbereitet oder spontan, auch das ist von Loge zu Loge verschieden. Der Ton beim Stellen der Fragen soll neutral, aber doch irgendwie distanziert bleiben, da es sich ja um eine Art Prüfung handelt. Nach jeder Antwort bedankt sich der/die Fragende mit einem kurzen „Merci, Monsieur“ um zu verdeutlichen, dass nun die nächste Frage folgt.

Die Arbeit im Tempel weicht leicht von den herkömmlichen Arbeiten ab, da der MvSt das Wort direkt an jene SSr und BBr gibt, welche die Befragung durchführen. Ausnahmsweise wird nicht über den ersten oder zweiten Aufseher um die Erteilung des Wortes angesucht, sondern es wird vom MvSt durch Handzeichen vergeben. Durch diese Abänderung des Rituals herrscht eine andere, etwas spontanere Atmosphäre. Die Fragen werden von verschiedenen Personen und aus verschiedenen Richtungen gestellt, was die Befragung lebhafter gestaltet, als wenn nur eine Person zu dem Befragten spricht.

Nun möchte ich ein paar konkrete Fragen, die ich aus französischen Berichten oder Videos entnommen habe, zitieren:

  • Ist Ihre Gattin mit Ihrem Ansuchen einverstanden?
  • Was sind Ihre wichtigsten Werte?
  • Was bedeutet für sie Toleranz?
  • Nennen Sie uns Ihre größte Stärke?
  • Was ist Ihre größte Schwäche?
  • Auf welchen persönlichen Erfolg sind Sie in Ihrem Leben am meisten stolz?
  • Was glauben/hoffen Sie in der Freimaurerei zu finden?
  • Vorhin haben Sie gesagt, dass Sie die Freundschaft suchen. Was bedeutet für Sie Freundschaft?
  • Was glauben Sie der Freimaurerei geben zu können?
  • Denken Sie, dass Sie ein freier Mensch sind?
  • Können Sie uns ein Buch, einen Film oder ein Kunstwerk nennen, das Sie nachhaltig beeinflusst hat?

In manchen Logen ist es üblich, den/die Kandidat*in vor der Passage in die Schwarze Kammer zu geleiten – ohne dem bei einer Einweihung vorhandenen Gegenstände – und ihm schriftlich drei Fragen zur Beantwortung zu geben, und zwar zu seiner Heimat, seiner Familie und seiner Person. Die Antworten werden dann sofort im Tempel vorgelesen, während der/die Profane noch in der Schwarzen Kammer verweilt und sich geistig auf die Passage vorbereitet.

Unser Ritual sieht folgenden Ablauf vor:

Zuerst wartet der/die Profane vor der Eingangstür im 2. Stock der Bräunerstraße. Von innen klopft der GE an die Eingangstür, um dem Geleiter zu signalisieren, dem Profanen die Augenbinde anzulegen. Geführt vom GE begleitet der Geleiter den Profanen zur Tempelpforte. Dort klopft der GE einmal an und es beginnt der Dialog, der jenem der Aufnahme sehr ähnlich ist (S 37). Der/die Suchende muss versprechen, über das Erlebte zu schweigen, auch wenn die Aufnahme nicht befürwortet wird. Anschließend stellt der Redner die vorbereiteten Fragen. Am Ende bedankt sich der MvSt beim Suchenden und dieser wird vom Begleiter und unter der Führung des GE hinaus geleitet. Vor der Eingangstür wird dem Profanen vom Geleiter die Binde abgenommen und er wird verabschiedet. Erst wenn der Geleiter und der GE wieder im Tempel sind wird vom MvSt ein Text über die Aufnahme in die FM verlesen, dann fragt er, ob jemand das Wort bezüglich des Antrags des Kandiaten wünscht und erst wenn die Kolonnen schweigen erfolgt die Ballottage.

Alsdann verliest der Redner den dieser zweiten Ballotage entsprechenden Artikel des Generalreglements und schlägt vor, abzustimmen. Der Schriftführer hält die Anzahl der stimmberechtigten fest und erst dann werden die schwarzen und weißen Kugeln vom GE an die anwesenden MM verteilt. Nach der Ballotage werden die Kugeln ausgezählt die Gegenprobe gemacht und das Resultat vom Redner bekannt gegeben. Der MvSt verständigt am nächsten Tag den Profanen über das Ergebnis der Abstimmung.

Aus den französischen Berichten geht hervor, dass es eine einmalige Erfahrung ist, dass die Befragten das während der Passage Erlebte durchaus positiv sehen – denn wann hat man schon die Gelegenheit, ganz mit sich selbst zu sein, sich einer Gruppe von Menschen anzuvertrauen, die man nicht kennt und über die man nichts weiß? In den verschiedenen Foren habe ich aber auch einige – wenn auch wenige – gefunden, die sich traumatisiert oder unter Druck gesetzt fühlten.

Selbstverständlich hängt es auch von der Stimmung innerhalb der Gruppe ab. In einer Loge, in der Harmonie herrscht und auf Augenhöhe kommuniziert wird, wird es kaum Probleme geben. In einer hierarchisch sehr strikt arbeitenden Loge hingegen könnte es sein, dass sich die Passage weniger als eine Befragung denn als ein Verhör anmutet, was jedoch im Widerspruch zur Idee steht.

In einem französischen Freimaurerforum habe ich folgenden Absatz gefunden:

Einen besonderen Punkt möchte ich hervorheben: Man glaubt oft, dass die Augenbinde dazu dient, den Suchenden in eine Position der Unterordnung oder sogar der Demütigung zu versetzen. Darum geht es sich überhaupt nicht. Die Augenbinde wurde von mir als ein Moment erlebt, wo ich im Angesicht mit mir selbst, meinen Widersprüchen und meinen eigenen Fragen war. Man findet sich mit verbundenen Augen wieder und es werden einem Fragen gestellt. Die Person, die diese oder jene Frage stellt, sieht man nicht, man kennt sie nicht einmal. Und dennoch, oder gerade deshalb, versucht man möglichst ehrlich zu antworten.

Passend zum heutigen Thema möchte ich die folgende Stelle aus dem Kleinen Prinzen zitieren:

  • »Lebe wohl«, sagte der Fuchs. »Hier ist mein Geheimnis. Es ist sehr einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.«
  • »Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar«, wiederholte der kleine Prinz, um es sich einzuprägen.

Werte-volle Bildung für Kinder

Sozio-emotionales Lernen

Ein Lösungsansatz für manche Probleme der heutigen Zeit?

Im Mai des vergangenen Jahres erzählte mir die Volksschul-Lehrerin Gabi O., dass in ihrer ersten Volksschulklasse ein Sechsjähriger zu ihr kam und ernst erklärte, dass er nunmehr verstehe, weshalb die Giraffe das Haupttier des Lernsystems Cloud9World (abgekürzt C9W) ist, „denn ohne Integrität kommt man im Leben nicht weiter!“

Wie lernt ein Sechsjähriger Integrität verstehen?  Und Integrität erklären?  Und Integrität anwenden?  Und dies in kurzer Zeit!

Nun – kindgerecht, anspruchsvoll, spielerisch.

Später zeige ich Euch konkret, wie!

Nämlich mit altersangepassten Tiergeschichten, wo Kinder unterschiedlicher Hautfarben und Kulturen, aus verschiedenen Weltteilen, mitten im Leben sind und werterelevante Situationen erleben, wunderschön illustriert, pädagogisch und didaktisch hervorragend umgesetzt.

Jeden Monat wird ein neues Thema bearbeitet. 

Das Thema wird einmal Wert genannt, ein andermal Charakter-Stärke oder auch Charakter-Eigenschaft.  Es handelt sich jedenfalls im Sinne Erich Fromms um „idealistische Werte“ bzw. um Kategorien des ethischen Handelns und sind Teil der Sozialisierung, die auch zur eigenen Reflektion führen sollen.

Zum Thema Werte

Es geht hier u.a. darum, dass die Identifikation mit begrenzten Merkmalen wie Geschlecht, Rasse, Religion und Nationalität – zumindest etwas – überwunden und ihre grundlegende Identität als Teil eines universellen Geistes gefördert wird.  Begrenzte Identifikationen führen ja zu Konflikten auf individueller und globaler Ebene; jeder Einzelne ist aber viel mehr, als die Summe dieser begrenzten Identifikationen.

Moralische und spirituelle Werte sind allen kulturellen und religiösen Traditionen in unterschiedlich starker Ausprägung gemeinsam, und die Symbole und Praktikenm, jene Rituale und Bräuche, welche die Lebensweisen differenzieren, unterscheiden eine Tradition von einer anderen und verleihen jeder ihre eigene Bedeutung.

Die Symbole und Praktiken sind wie die Schalen einer Frucht.  Die spirituellen Werte -das Streben nach Wahrheit und das Bewusstsein unserer Einheit mit dem Universum- sind das Fruchtfleisch.  Menschen jeder Tradition haben jedoch immer wieder das Fruchtfleisch weggeworfen und halten sich an der Schale fest!

Diese Unterscheidung zwischen Wert, Ritual und Symbol wurde ursprünglich in der Antike getroffen.  Beispielsweise bezieht sich im Sanskrit der Begriff Smriti auf jene Praktiken, die zeitlich und örtlich angemessen, also zeitgebunden sind.  Shruti hingegen bezieht sich auf jene Werte, die zeitlos sind.

In der richtigen Reihenfolge der Dinge ist das Zeitgebundene dem Zeitlosen oder Allgemeingültigen untergeordnet.  Das Zeitgebundene ist sehr hilfreich im Erfassen und Erlernen des Allgemeingültigen, in vielen Traditionen finden wir jedoch die Reihenfolge verkehrt.  Die Menschen neigen dazu, da es einfacher ist und weniger Reflektion bedarf, das Zeitgebundene (die Symbole und Praktiken, also jene Dinge, die ihnen eine individuelle Identität verleihen), mehr zu ehren als die zeitlosen Werte.  Dann blüht jedoch der Fanatismus und die Divergenzen müssen verteidigt werden.  Wir können dies heute an den Kriegen sehen, die im Namen der Religionen auf der ganzen Welt stattfinden.

Wenn man sich jedoch auf die Werte konzentrieren könnte, die größere Wahrheit darstellen, wäre ein großer Teil der Konflikte in der Welt gelöst.  Ein Großteil des Elends, das im Namen der Religionen auf die Welt gekommen ist, könnte vermieden und die gemeinsamen Werte wieder in größerem Umfang gelebt werden.  Und es ist nicht notwendig, Schuld und Angst einzusetzen, um diese Werte zu fördern; vielmehr ist das Gegenteil zielführend und sollte dem jungen Menschen früh vermittelt werden.

Nun können traditionelle den säkular-rationalen Werten und Überlebenswerte den Selbstausdruckswerten gegenübergestellt werden, wie dies bei den sogenannten Common Human Values getan wird.

Traditionelle Werte betonen die Bedeutung von Religion, Eltern-Kind-Bindungen, Respekt vor Autorität und traditionellen Familienwerten.  Menschen, die diese Werte annehmen, lehnen beispielsweise Scheidung, Abtreibung, Sterbehilfe und Selbstmord ab.  Diese Gesellschaften haben ein überhöhtes Maß an Nationalstolz und eine nationalistische Perspektive.

Weltlich-rationale Werte haben die entgegengesetzten Präferenzen zu den traditionellen Werten.  Diese Gesellschaften wiederum legen weniger Wert auf Religion, traditionelle Familienwerte und Autorität.  Scheidung, Abtreibung, Sterbehilfe und Selbstmord werden als relativ akzeptabel angesehen.

Überlebenswerte legen große Bedeutung auf wirtschaftliche und physische Sicherheit.  Sie sind verbunden mit einer relativ ethnozentrischen Einstellung und einem geringen Maß an Vertrauen und Toleranz.

Selbstausdruckswerte bedeuten Umweltschutz, wachsende Toleranz gegenüber Ausländern, Schwulen und Lesben sowie die Gleichstellung der Geschlechter und die wachsenden Anforderungen zur Teilnahme an Entscheidungsprozessen im wirtschaftlichen und politischen Leben.

Welche Werte bzw. Wertvorstellungen sind nun für das gegenständliche Bildungsprogramm für Kinder relevant und lassen sich in klarer, nicht beliebiger Form für viele und in vielen Kulturen einsetzen?  Welche sind gewählt worden, und nach welchen Kriterien ging man vor?

In der Literatur findet man halbwegs sinnvolle „Werteauflistungen“ mit einem Wert (der kategorische Imperativ Kants) oder auch 50 oder 60 Themen; in der Praxis weniger sinnvolle Listungen nennen bis zu 200 und mehr.  Dazu etwas später.

Zum Thema Bildung

Bildung, vom althochdeutschen ‚bildunga‘ (Vorstellungskraft) abgeleitet, ist definiert als das Maß für die Übereinstimmung des persönlichen Wissens und Weltbildes eines Menschen mit der Wirklichkeit.  Höhere Bildung bringt die Fähigkeit, Verständnis für Zusammenhänge zu entwickeln und wahre Erkenntnisse zu gewinnen.  Dies betrifft sowohl den Bildungsvorgang („sich bilden“, „gebildet werden“) als auch den Bildungszustand („gebildet sein“); der innerhalb einer Bevölkerung gemeinhin erwartbare Bildungsstand wird auch Allgemeinbildung genannt.

Bildung ist nicht der Schlüssel zum Erfolg, sondern, das Wissen, wie man Bildung einsetzen muss ist – das ist der Schlüssel zum Erfolg.  Ein wichtiger Teil davon ist die sozio-emotionale Komponente.

Der moderne, dynamische und ganzheitliche Bildungsbegriff steht für den lebensbegleitenden Entwicklungsprozess des Menschen zu der Persönlichkeit, die er sein kann, aber noch nicht ist.  Diesem Prozess sind allerdings durch persönliche Voraussetzungen bezüglich IntellektMotivationKonzentrationsfähigkeitGrundfertigkeiten, sowie durch zeitliche, räumliche und sozio-ökonomische Bedingungen, Sachzwänge, Verfügbarkeit von Lehrmitteln und/oder Lehrern, Grenzen gesetzt. 

Gesellschaftliche und soziale Veränderungen verursachen jedoch zunehmend Bildungslücken, die geschlossen werden müssen.  Diese Bildungslücken erfassen wir subjektiv in zunehmendem Maße, sie sind jedoch auch objektiv messbar, wenn z.B. festgestellt wird, dass ein größer werdender Anteil der Kinder beim Beenden der Schulpflicht nicht sinnerfassend lesen kann, oder aber die Ergebnisse der alle drei Jahre stattfindenden PISA-Studien im Lauf der Zeit tendenziell schlechter werden.

Leider werden die österreichischen PISA-Ergebnisse im Perioden-Vergleich tatsächlich laufend deutlich schlechter, auch im Vergleich zu vielen anderen Ländern, welche die PISA-Studien mitmachen.  Und dies, obwohl Österreich eines der teuersten Bildungssysteme der Welt unterhält (nur Qatar und Luxemburg sind beispielsweise noch teurer).

Auch für jene, die keine eigenen Kinder haben sind diese schlechter werdenden Ergebnisse der Grund- und Allgemeinbildung in unserer Gesellschaft bedrohlich und risikoreich.  Das Potential zur Verschlechterung der sozialen und wirtschaftlichen Lage steigt damit.

Unsere sich sehr rasch entwickelnde Gesellschaft und die Notwendigkeit, rascher als früher Neues zu lernen und sich intellektuell anzupassen, erfordert eine sich laufend ändernde Kombination von Fertigkeiten und Fähigkeiten, die ein stabiles sozio-emotionales Grundgerüst noch wichtiger werden lässt als eben früher.

Dieses sozio-emotionale Grundgerüst wird jedoch durch die gesellschaftlichen Veränderungen in Zusammenhang mit der Digitalisierung generell weiter erschüttert; die Corona-Krise trägt ihr Schlechtestes noch dazu.

Überforderte Eltern, vermeintliche kulturelle Inkompatibilitäten, Digitalisierung, Corona und weitere Erschwernisse spannen ein schon eher erstarrtes System weiter an und fordern rasch wirksame Veränderungen heraus.

Wie schafft man es jedoch nun, dass schon Kinder ihre Emotionen regulieren lernen und dann auch stärker ethisch handeln?  Diese sozio-emotionalen Fähigkeiten und Fertigkeiten wurden traditionell von der Familie bzw. auch von den Religionsgemeinschaften vermittelt, die jedoch in abnehmendem Maße Einfluss ausüben (können).

Kann man den jetzt schon in vielen Fällen schon vor Corona überforderten Lehrern weitere Aufgaben „aufhalsen“?  Eigentlich nicht!  Man tut es aber.

Eine mögliche Lösung ist aber sicherlich das Gegenteil, nämlich den Lehrern die Arbeit leichter zu machen oder sie ihnen überhaupt zu ermöglichen.

Wie kann eine Lösung aussehen?

Indem man Lehrern kindgerechte, altersangepasste Tools zur Verfügung stellt, die Kinder liebend nutzen und ihnen unmittelbar helfen – sozio-emotionales Lernen.

Bei den ganz kleinen Kindern helfen die Tools, ihre Emotionen zu erkennen und zu beherrschen.  Den Größeren zeigt man Denk- und Handlungsvarianten, die unmittelbar eingesetzt werden können und rasch zu einer Verbesserung der Selbsterkenntnis und des Verhaltens führen.

Bessere Selbsterkenntnis der Kinder und verbessertes Verhalten ermöglicht es den Lehrern, ihre Arbeit effizienter zu gestalten und erleichtert ihnen die Zielerreichung bei der Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten.  Wenn dies längerfristig und in größerem Umfang gemacht wird, verbessern sich u.a. auch die PISA-Ergebnisse.

Zum Sozio-emotionalen Lernen

SeL hilft eine Lücke in der Werte- und Emotionen-Bildung abdecken, welche die gesellschaftliche Entwicklung öffnet, da Eltern und private Gemeinschaften heute seltener in der Lage sind, notwendige Fertigkeiten und Fähigkeiten für ein gedeihliches Zusammenleben und für eine positive Gesellschaftsentwicklung zu vermitteln.

Die heutige Corona-Krise leistet leider sehr viel dazu, dass die schon bedenkliche Situation noch schlechter wird.  Es leiden heute praktisch alle Kinder unter den Einschränkungen des Schulbetriebes, aber besonders stark jene, deren sozio-ökonomische Situation vergleichsweise schlecht ist.

Einzigartig an SeL ist, dass die talentfördernden Programminhalte in Büchern und Begleitmaterialien zu freudiger, rascher und anhaltender Verbesserung der empathischen und kommunikativen Fähigkeiten der Kinder führen.  Es entsteht eine Positivspirale in der Schule, mit einem leicht und unmittelbar einsetzbaren, funktionalen, in allen Schularten und durch viele Schulstufen nutzbaren, nachhaltigen Lehrsystem für Lehrende, das nahezu selbsterklärend ist und Ziele erreichen hilft.

C9W ist ein Sozio-emotionales Lern-Tool für Lehrende und Kinder, das Bildungsziele für die ausgeglichene intellektuelle Entwicklung maßgeblich fördert und hervorragende Ergebnisse erbringt – seit 2018 wird es in sechs Schulen in Wien eingesetzt (seit 2010 in zehn Ländern Amerikas).

Welche Werte werden konkret bearbeitet?

Bei der Auswahl der Werte-Themen für das Programm ging man in einer ersten Runde sehr pragmatisch vor und beschloss eine Anzahl Tools, die, wenn in Elementarschulen angewendet, mehrjährige Programme ergeben könnten, um Kindern und Lehrenden sowohl Einzelthemen als auch Programmteile oder das gesamte Programm anbieten zu können; man begann mit 30 Themen, die -monatlich angewendet- ein Dreijahresprogramm ergeben.

Die theoretische Grundlage hat man beim Sozio-emotionalen, ethischen Lernen (SeL), gefunden, das u.a. der Dalai Lama als systematische Bildung mit grundlegenden ethischen Werten charakterisierte, basierend auf wissenschaftlicher Evidenz, gesundem Menschenverstand und geteilten Erfahrungen vieler Kulturen.

Der Delors-Bericht aus 1996 (zitiert in der UNESCO-Studie 2016 „Bildung überdenken“) besagt, dass die ethische und kulturelle Dimension der Bildung in systematischer Form erfolgen soll, um effektiv für die Gesellschaft zu wirken.

Darauf basierend, gemeinsam mit didaktisch ausgebildeten Pädagogen wurde ein System erarbeitet, das fünf Kernfähigkeiten kennt: 

  • Selbstwahrnehmung (self-awareness)
  • Selbststeuerung (self-management)
  • Soziale Wahrnehmung (social awareness)
  • Soziale Fähigkeiten (social skills)
  • Rücksichtsvolle Entscheidungen treffen (responsible decisionmaking)

Die 30 erstmals für das System gewählten Themen lassen sich den Kernfähigkeiten wie folgt zuordnen:

  • Selbstwahrnehmung:  Akzeptanz, Dankbarkeit, Fröhlichkeit, Humor, Individualität, Kreativität, Selbstvertrauen
  • Selbststeuerung:  Ausdauer, Entschlossenheit, Geduld, Mut, Selbstbeherrschung
  • Soziale Wahrnehmung:  Bescheidenheit, Freundlichkeit, Großzügigkeit, Mitgefühl, Respekt, Toleranz, Zusammenhalt
  • Soziale Fähigkeiten:  Ehrlichkeit, Engagement, Liebe, Liebenswürdigkeit, Vergebung, Zusammenarbeit
  • Rücksichtsvolle Entscheidungen treffen:  Gemeinsinn, Integrität, Loyalität, Verantwortung, Weisheit

Die im System verwendeten Materialien (Bücher, Themenkärtchen, Plakate, Pins, Stickers, Banners)  sind so gestaltet, dass es den Lehrern sehr leicht fällt, sie ohne spezielle Ausbildung oder Training unmittelbar einzusetzen.  Sie erzielen sehr schnell Ergebnisse, indem sich das Verhalten der Kinder verbessert, sie selbstmotiviert, ruhiger werden und miteinander und mit den Lehrern besser umgehen.

Märchen, Fabeln und Tiergeschichten mit Kindern haben im Lauf der Geschichte dazu gedient, alle möglichen Themen zu transportieren.  Hier wird diese altbewährte Methode wohl verfeinert verwendet, um einen Beitrag zur Verbesserung der sozio-emotionalen Verhältnisse in der Schule und im Leben der Kinder zu erbringen, was nachweislich – anhand von umfangreichen, langjährigen Studien – auch zu einer Verbesserung der intellektuellen Entwicklung der Kinder führt.

Traditionell lernen Kinder sozio-emotionales Verhalten im familiären Umfeld durch Vorbilder, Erzählungen, Geschichten, Märchen, Fabeln. Das Beispiel transportiert Emotionen und Werte.

Defizite im sozio-emotionalen und sozio-ökonomischen Umfeld werden besonders durch leicht fassbare, durchaus anspruchsvolle Lehrinhalte und Materialien ausgeglichen. Die verschiedenen Programme helfen Kindern und Jugendlichen, die essentiellen Werte und Fertigkeiten zu erlernen, die für ein selbstbestimmtes und chancenreiches Leben in Gemeinschaften Voraussetzung sind.

Im Kindergarten werden acht Emotionsthemen auf spielerische Weise mit farbenfrohen Büchern, Plakaten, Kärtchen, Plüschtieren etc. so bearbeitet, dass die Kinder ihre eigenen und die Emotionen anderer erkennen und damit umgehen lernen.  Verhaltensauffälligkeiten gehen zurück, sie werden ausgeglichener und integrieren sich besser in die Gruppe.

In der Vor-, Volks- und Mittelschule werden pro Monat über mehrere Schuljahre hinweg eines von 30 Werte-Themen in Büchern, Plakaten, Bannern, Filmen, Arbeitsblättern, ab zehn Jahren vorwiegend online, bearbeitet.  In den Geschichten repräsentiert ein Tier den jeweiligen Wert und bringt ihn mit Kindern unterschiedlicher Länder, Herkunft, Hautfarbe, etc. näher und zeigt Handlungsvarianten auf.  Die Texte sind altersadäquat anspruchsvoll in Wortschatz und Ausformulierung.  

Fünf Programme

  • CLIWI-Emotionen:  3-5 Jahre / Emotionsselbstregulierung – 8 Themen
  • Kernprogramm Elementarschule 4-10 Jahre / Kernkompetenzen – 2 Stufen, je 30 Themen
  • Fähigkeiten des 21. Jahrhunderts 4-10 Jahre / Erfolgskompetenzen – 2 Stufen, je 10 Themen
  • Verantwortungsvolle Staatsbürger 4-10 Jahre / Gemeinschaftswerte – 2 Stufen, je 10 Themen
  • Kernprogramm Mittelschule 9-14 Jahre / Kernkompetenzen – 30 Themen (vorw. online)

Fazit

Junge Menschen in unserer Gesellschaft sollen, unabhängig von Herkunft, Elternhaus, etc. gleiche Chancen erhalten, ihre sozialen, emotionalen und intellektuellen Talente zu entwickeln.  Sozio-ökonomisch und sonst bedingte Defizite und Nachteile können durch frühe Bildungsmaßnahmen ausgeglichen und ergänzt werden, damit in der Folge elementare und höhere Bildung erfolgreich werden – als Schlüssel zu Wohlstand und als Basis für ein sinnerfülltes Leben in der Gemeinschaft.

Am effektivsten wird Chancen-Fairness erreicht, wenn familiäre, gemeinschafts- und schul-gebundene Strukturen einander ergänzen bzw. wenn fehlende Strukturen kompensiert werden.

Motivierte, begeisternde Lehrende mit den entsprechenden Tools bewirken viel mehr als strukturelle Maßnahmen.

C9W leistet einen Beitrag zur Erreichung eines möglichst ausgewogenen Verhältnisses zwischen familiären, sozialen und beruflichen Schwerpunkten bei Kindern und Jugendlichen; das Erreichen sozio-emotionaler und intellektueller Ziele wird so stark gefördert.  Es gibt Verbesserungen in der emotionalen Stabilität und der Selbstregulierungsfähigkeit der Kinder, in den kommunikativen und verhaltensrelevanten Eigenschaften und letztlich auch eine Verbesserung der Konzentrations- und der intellektuellen Fähigkeiten.

Lehrende erhalten ein Bildungs-Ergänzungs-Tool, das sie -selbst ohne Schulung- sofort einsetzen können und das schnelle, nachweislich langanhaltende Ergebnisse zeitigt!

Das Kulturgut Buch findet zudem großen Anklang bei den oft sozio-ökonomisch benachteiligten Kindern; sie nehmen die Bücher mit nach Hause und die Familien werden in diesen Lernprozess miteinbezogen!

Ja, und wie kam ich denn überhaupt dazu?

Vor einigen Jahren war ich auf dem Weg nach Las Vegas zu einer FinTech-Messe und habe Schulfreunde aus Kolumbien in Miami besucht.  Eine liebe ‚alte‘ Schulkollegin aus der Highschool-Zeit hat mir von ihrem Schulprojekt erzählt, von ihrer Motivation und den Erfolgen damit.  Konzept, Unterlagen und ihre Erzählungen haben mich begeistert.

In meiner manchmal doch unbekümmerten Art habe ich sie gefragt, ob schon jemand in Europa mit dem System arbeite, woraufhin sie mir sagte, dass sie nur in beiden Amerikas tätig sei und ich gerne „Europa haben könnte“.

In der Zwischenzeit habe ich Europa ein bisschen nach hinten verschoben, obwohl ich eine 5-sprachige Homepage habe, und konzentriere mich vorläufig auf Österreich, eigentlich Wien.

Das ist schon schwer genug und geht sehr langsam.

Die Hofburg zu Wien – der profane Spaziergang

Foto Satellit

Im Vorjahr hatte ich über die geschichtliche Entwicklung der Wiener Hofburg erzählt, heute wollen wir gemeinsam einen kurzen Spaziergang durch die historische Anlage machen. Unser Treffpunkt ist die Augustinerbastei, einem Baurest der alten Stadtmauern rund um die Innenstadt, die Mitte des 19. Jahrhunderts abgetragen worden sind.

Foto Stadtmauern mit Brunnenfiguren

Zur Zeit Maria Theresias wurde hier oben das Palais Taroucca errichtet, dem späteren ständigen Wohnsitz von Marie-Christine und ihrem Ehemann Herzog Albert von Sachsen-Teschen.

Nach erheblichen Umbauten im Sinne Herzog Albrechts und dessen aufgeklärten Gedankengutes fand das Ehepaar des im klassizistischen Stil erweiterten Stadtpalais die passenden Möglichkeiten der Präsentation ihrer schon damals bedeutenden Sammlungen.

Foto Dürer Hase

In einem Servitut seines Testaments verfügte der  Herzog, dass seine grafischen Kunstsammlungen weder geteilt noch veräußert werden dürften;

Foto Erzherzog Albert

Der spätere Erbe, Erzherzog Albrecht, Enkel des Kaisers Leopold II. hier sehen wir ihn hoch zu Ross,  übernahm die Sammlung im Sinne seiner Gründer. Ihm selbst als ausgebildetem konservativen Militär fehlte jegliche künstlerische Neigung. Er begnügte sich damit, die Sammlungen  zu erhalten und gut verwalten zu lassen. Heute kennen wir sie als die Staatliche Sammlung Albertina.

Foto Reiterstandbild Erzherzog Carl

Weiter spazieren wir entlang der eleganten Gartenfassade mit dem beeindruckenden herzoglichen Wappen Sachsen-Teschen  oberhalb der Terrasse

Foto Palais Gartenseite

in Richtung der Wiener Hofburg bis zum Ende der „Cortina“ Mauer, wo  wir nach einem kurzen Blick auf die Nationalbibliothek und die bewegliche Kunstinstallation von Georg Rickey, die von Carl Djerassi  (Erfinder der Anti-Baby-Pille, wofür der Nobelpreis an ihn verliehen wurde) der Stadt Wien gestiftet worden ist.

Foto Mobile von Car Rickey, USA

Dort scharf  nach links auf die Albertina Rampe einbiegen und langsam hinunterschlendern. Normalerweise vollgeparkt, ermöglicht sie uns heute einen autofreien Blick auf die Wiener Staatsoper.

Foto Albertina-Rampe

Am Fuß angelangt, geht es nach rechts kurz in die Goethegasse – wer würde ihn nicht kennen?

Foto Goethe

durch das Hofgartentor hinein in den Burggarten.

Foto Hofgartentor

Im 17. Jahrhundert ließ der sehr kunstsinnige Kaiser Leopold I. auf der Cortina-Rampe ein gewaltiges hölzernes Opernhaus für 5000 Besucher errichten, ein Logentheater mit drei Galerien. Wegen der nahenden Türkengefahr  im Jahr 1683 wurde es allerdings abgetragen.

Heute steht an ungefähr derselben Stelle das elegante Palmenhaus, das jüngste der zahlreichen kaiserlichen Gewächshäuser in Wien.

Foto Jugendstil Palmenhaus

Weiter spazieren wir tiefer in den Garten hinein und stehen vor einem eher unscheinbaren Reiterstandbild, klein im Verhältnis der üblichen monumentalen Reiterdenkmäler in der Stadt. Es zeigt uns Kaiser Franz I. Stephan von Lothringen, den geliebten Ehemann Maria Theresias.

Foto Denkmal Kaiser Franz I. Stephan von Lothringen

Nach seinem so plötzlichen Tod in Innsbruck war es das allererste Reiterdenkmal dieser Art in ihrem Reich. Somit hatte sie ihr geliebtes „Mäusl“ immer im Blick.

Vorbei am berühmten Wolfgang Amadeus Mozart , dargestellt als wäre er soeben dabei, ein Musikstück zu Papier zu bringen. Alle kennen wir sein wohl berühmtestes Opernwerk „Die Zauberflöte“; heute noch, wie eh und je, gibt sie der Regie die verschiedensten Möglichkeiten der Interpretation in erstaunlich unterschiedlichen Sichtweisen … nicht aber für uns!

Foto Denkmal Bruder Mozart

Nachdem wir ihm unsere Reverenz erwiesen haben, wenden wir uns der Neuen Burg zu, gemächlich an der Schmalseite in Richtung Burgtor führt uns der Weg.

Das Gartentor,  das zur Ringstraße hinausführt, hat den Namen Babenberger Tor – ist uns das früher schon einmal aufgefallen?

Foto Schmalseite Neue Burg

Und haben wir jemals bemerkt, dass  an der Neuen Burg etliche verschiedene Reliefs im Gemäuer zu sehen sind? Allegorien, verschiedenes Kriegsgerät – alles als probates Mittel zur Darstellung der kaiserlichen Macht – das kommt uns sehr bekannt vor?!

Foto Medusa Medaillon

Vor uns sehen wir bereits das Burgtor, den verbliebenen Bauteil der ehemaligen Stadtbefestigungen rund um die kaiserliche Residenzstadt. Historisch sieht es aus, ist aber ein klassizistischer Neubau des frühen 19. Jahrhunderts als die napoleonischen Truppen 1809 im Auftrag ihres Kaisers Napoleon beim Abzug aus Wien große Teile sprengten. Wir werden das noch sehen.

Jetzt aber ein Blick auf die sehr interessante  Beleuchtung des Burgtores. Eindrucksvoll ist diese Lichtinstallation aus Anlass der jährlichen Feierlichkeiten zum Gedenken an den 8. Mai 1945. Das Konzert der Wiener Symphoniker zum „Fest der Freude“ ist Tradition geworden und zieht jährlich viele Menschen an.

Foto Burgtor Beleuchtung 8. Mai

Ja, der Heldenplatz … mächtig liegt er vor uns mit dem gewaltigen Bau der Neuen Burg. Heute ist sie Heimstätte verschiedener Institutionen wie zum Beispiel Sammlung der Historischen Musikinstrumente (SAM), Weltmuseum, Lesesaal der Nationalbibliothek und noch einiger mehr. Und sehr geschichtsträchtig ist der Balkon unter dem kaiserlichen Doppeladler.

Foto Neue Burg

Die Kriegsschäden sind längst beseitigt, nur alte Fotografien geben Zeugnis davon.

Dass vor 135 Jahren nicht nur das äußere Burgtor, sondern auch die Burgbastion vor dem Leopoldinischen Trakt verwüstete wurde, erzählt uns dieser alte Stich im Detail.

Foto Historische Ansicht

Durch diese brutalen Gewaltakte hat sich dann allerdings die Möglichkeit ergeben, die Durchgänge zur inneren Burg zu erweitern. In der Vergangenheit waren Pläne zu einer Stadterweiterung  immer wieder erwogen worden. Jetzt war der Zugang zum inneren Burghof erleichtert, und wir werden ihn gleich benützen. Sofort fällt uns das ungewöhnlich gefärbte Schweizer Tor auf.

Foto Schweizer Tor

Das  Mauerwerk passt so gar nicht in die in Wien übliche Gestaltung. Dieses dunkle Rot und das matte Schwarz … in Wien würde man sagen: das kommt mir spanisch vor! Und in diesem  Fall ist es vollkommen richtig.

Ferdinand, der jüngere Bruder von Kaiser Karl V., hatte seine Kindheit in Spanien verbracht, wuchs in der spanischen Tradition auf. Als er dann von seinem älteren Bruder Karl V. quasi nach Wien „versetzt“ worden war, brachte er etliche Einflüsse seiner alten Heimat mit. Er war der Auftraggeber für den Neubau eines prunkvolleren Eingangstores in seine Residenz. Nach der neuesten Mode, der Renaissance, sollte  der Zugang über den Burggraben errichtet werden und spanisches Flair und südländische Atmosphäre in die Stadt bringen.

Eklatanter Platzmangel in der Alten Burg machte später einen Neubau auf der anderen Seite des Turnierplatzes dringend erforderlich, heute als Amalienburg bekannt. Auch das ein Bau der Renaissance. Markanter Blickfang unter dem Dachtürmchen sind zweifelsohne die drei Uhren: eine astronomische Mondphasenuhr, eine Normal- und eine Sonnenuhr

Foto Amalienburg

Der eindrucksvollste Bau im inneren Burghof  allerdings ist der Reichskanzleitrakt, den wir alle sehr gut kennen.

Foto Reichskanzleitrakt

Es ist ein mächtiger Bau gekrönt von einer ebenso mächtigen Figurengruppe.

Mit seiner überdimensionierten Kaiserkrone, dem Familienwappen des Hauses Habsburg (noch ohne Lothringen),  umgeben von der Collane des Ordens vom  Goldenen Vlies und den fanfarenblasenden  Genien unterstreicht er den Machtanspruch Kaiser Karl VI. und seines  Wahlspruches: Constanter  continent  orbem  („Unabänderlich hält er die Welt zusammen“).

Weiter lenken wir unsere Schritte über den ehemaligen Turnierplatz, in der Mitte steht das Denkmal für Kaiser Franz II., I.  Auch er hatte ein Motto:“ Meine Liebe meinen Völkern“  – das klingt sehr eigenartig, war doch seine Regierungszeit geprägt von Polizeigewalten im Metternich‘schen System.  Also rasch vorbei an den kollosalen Herkulesfiguren des  Lorenzo Mattielli, ein flüchtiger Blick zum Wappen an der Alten  Burg lässt uns verblüfft innehalten. Kein Doppeladler?

Foto Wappen König von Ungarn

Dieses Familienwappen,  ursprünglich an der Gartenmauer der Alten Hofburg in der heutigen Reitschulgasse angebracht, wurde anlässlich der Errichtung der Winterreitschule hierher versetzt.  Zu dieser Zeit war Ferdinand NUR König, daher der Königsadler.

Weiter gehen wir an den monumentalen Herkulesfiguren des Lorenzo Mattielli vorbei, die die Durchgänge flankieren und  sind jetzt unter der Michaelerkuppel: ein kurzer Blick zur Gottfried-von-Einem-Stiege; der Komponist  hatte bis zu seinem Tod hier Wohnung genommen.

Foto Gottfried von Einem

Während des Hitlerregimes bot er Gefährdeten Unterschlupf in Maria Alm bei Ramsau, Feriendomizil der Familie.  Auch meiner Mutter und ihren beiden Kindern. Ich kann mich noch gut erinnern. Sein erstes bedeutendes Opernwerk  „Dantons Tod“, 1947 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt, ist Kontrapunkt zum Nationalsozialistischen Regime.

Sein schriftlicher  Nachlass ist  zu seinen  Lebzeiten den Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien übergeben worden. Gleich vis à vis ist das uns allen sehr bekannte Tor zu den Kaiser-Appartements  etc.  Heute gehen wir nicht hinein, sondern wir sind gleich am Michaelerplatz.

Foto Michaelerplatz

Ein sehr ungewöhnliches Bild, alles leer… Selbst wenn es das Griensteidl noch gäbe, heute könnten wir nicht hinein – alles ist geschlossen!

Foto Großes Michaelerhaus

Förmlich springt uns das Große Michaelerhaus in das Auge, denn hier hat der junge Joseph Haydn in einer schäbigen, feuchten Dachkammer einige Zeit hausen müssen, ehe seine Karriere einen steilen Aufstieg am Hof des Fürsten Esterhazy  genommen hat. Rechts und links von uns gibt es die beiden barocken Brunnen. Sie  stellen des Kaisers Macht zu Land und zu Wasser dar. Der Brunnen mit den Fischen und Seeungeheuern  ist besonders eindrucksvoll und passt genau ins Heute!

Foto Neptun-Brunnen

Covid19 ohhhhh, schreit Neptun entsetzt.

Schnell gehen wir weiter und da sind sie, die weißen Hengste, auch sie im Corona-Modus. Nicht auf den ersten Blick erkennbar. 

Foto Spanische Hofreitschule

Und weiter auf den Josefsplatz hinaus zum Pallavicini; da möchte ich Euch etwas höchst Ungewöhnliches zeigen, eine russische Inschrift am Palais.

Foto Sowjetische Informationstafel

Schwer zu entziffern.

Es ist ein  Kontrollzeichen der Sowjetunion  während der Zeit von 1945 – 1955; wenn die interalliierte Zone, der erste Bezirk, unter  deren Kommando stand, wurden sämtliche Gebiete streng überwacht und die Kontrollen an Hausfassaden vermerkt.

Wieder stehen wir auf einem der weitläufigen Plätze der Wiener Hofburg.

Foto Augustinertrakt Josefsplatz

Sehr viel kann er uns erzählen, wie zum Beispiel, dass hier auch das Naturalienkabinett des Kaisers Franz I. sich befunden hatte. Als dann die Wiener Bevölkerung sich gegen das Haus Habsburg 1848 erhoben hatte, es zu erheblichen Kämpfen gekommen war, brach in diesem Teil neben der Augustinerkirche Feuer aus und vernichtete einen Großteil der Artefakte, so auch den armen Bruder Angelo Soliman, den der Kaiser trotz heftiger Proteste, besonders seiner beiden Töchter, nach dessen Tod  hatte mumifizieren lassen  und als Ausstellungsobjekt der Sammlung einverleibt hatte.- Feuer kann auch eine reinigende Wirkung haben.

Foto Nationalbibliothek

Eine weitere nicht ganz unwesentliche Tafel finden wir in der Nähe des Einganges zur Österreichischen Nationalbibliothek: Es ist ein hebräisches Lobgedicht aus der jüdischen Gemeinde in Mantua  auf  Kaiser Josef II., der durch sein  Toleranzpatent 1781/82 völlige Religionsfreiheiten gewährt hatte.

Noch rasch ein kurzer Besuch in der Hofkirche Sankt Augustin zum Epitaph für Marie-Christine, einem eindrucksvollen Werk des Venezianers Antonio Canova.

Foto Epitaph Marie-Christine

Der Kreis schließt sich, denn der Auftraggeber war Herzog Albert von Sachsen-Teschen in Erinnerung an seine geliebte Gattin und Gefährtin. Als Tochter von Kaiser Franz Stephan kannte sie die Bedeutung eines internationalen Netzwerks  nur zu gut, war selber auch mit eingebunden. Tatkräftig hat sie ihn bei seiner Sammelleidenschaft unterstützt.

Foto Albertinastiege

So landen wir wieder bei der Albertina und hätten uns gemeinsam Kaffee und Kuchen verdient – im Kaffee Sacher!

Der Missbrauch der Sprache und des Wortes

Artikel / Buch:

Als sich Alexandria Ocasio-Cortez[1] eine Besuchserlaubnis für eines der Internierungslager an der mexikanischen Grenze besorgte und in einem Live-stream über die Zustände berichtete, gebrauchte sie das Wort „Konzentrationslager“, in der Beschreibung der Zustände in dem Lager und auf Basis einer Autorin (Andrea Pitzer –„Globalgeschichte der Konzentrationslager“), in dem sie den Vorwurf erhoben hat: „Die Vereinigten Staaten schüfen ein Konzentrationslagersystem“ aufgrund der Tatsache, dass eine Masseninternierung von Zivilisten ohne Gerichtsverfahren erfolge“.

Nach dieser Aussage von Cortez erfolgte ein Massenaufschrei von verschiedenen Organisationen und in Leserbriefen. Der Aufschrei mündete bald in der Gasse der historischen Analogien, in einem virtuellen Brüllwettbewerb über den Holocaust, in dem auch das Holocaust-Museum in Washington die Abgeordnete Cortez kritisierte: „Nichts könne schlimmer sein, als der Holocaust, deshalb dürfe auch nichts mit ihm verglichen werden“. Die andere Seite erklärte, dass wir aus der Geschichte nur dann vorsichtige Lehren ziehen können, wenn wir uns ab und zu klarmachen, dass es Ähnlichkeiten geben könne“.

Durch die Abgrenzung dieser gräulichen Straftaten, seien es Konzentrationslager oder Gulags, alleinig für bestimmt Vorkommnisse, werden diese Begriffe mythologisiert, da es unvorstellbar erscheint, dass es möglich sein köne, diese Ereignisse irgendwann einmal nur noch als Grautöne wahrzunehmen. Dadurch, dass Konzentrationslager oder Gulags überhöht und mythologisiert werden, wird der Vergleich mit heutigen angelehnten Situationen demgegenüber verharmlost, bzw. als etwas im Vergleich auf geschichtlicher Ebene Geringeres dargestellt, als etwas, dass nicht geschehen darf und kann, und es daher auch nicht geben kann. Und somit werden auch die Täter, die diese Internierungslager fordern, einrichten und mit Steuergeldern finanzieren, auch nicht zu Verbrechern, da es ja so etwas Böses nicht mehr geben darf und es daher auch nicht geben kann.  (Zitat: Masha Gessen).

Also sind die Berichterstatter, die über so etwas berichten, böse, da sie „Fake News“ verbreiten. Und schon hat sich der Spieß umgedreht und die Bösen sind die Guten und die Aufdecker, die kritischen Stimmen, sind die neuen „eigentlichen“ Feinde der Gesellschaft.

Ein Missbrauch der Sprache durch Lüge, also der bewussten und vorsätzlichen Täuschung, um die Gesellschaft zu polarisieren, abzuschotten und ein vermeintliches WIR zu schaffen, dass geheiligt und beschützt werden muss, war Anlass für mich, diese Zeilen zu Papier zu bringen.

Eine Teilung der Gesellschaft in ein WIR, die dem allgemeine „Mainstream“ folgen und dies unreflektiert gutheißen, impliziert damit auch automatisch eine Polarisation zu den Anderen, denen da draußen, die vielleicht auch rein wollen, ähnlich sein wollen, aber nicht sollen.

Worte sollten, damit diese eine soziale und kulturelle Bedeutung haben und uns als Sprache dienen, eindeutig und unmissverständliche Einheiten sein, die dazu dienen eine Kommunikation zu ermöglichen, oder etwa nicht mehr?

In jedem Wort steckt auch ein Stück Macht: Mit Wörtern macht man Politik. Doch Demokratie lebt von der Vielfalt der Sprache, denn unter Sprache versteht man im allgemeinen Sinn, alle komplexen Systeme der Kommunikation.

Wer die Sprache hat, hat die Macht. Wer die Bedeutung der Wörter bestimmt, bestimmt den Diskurs. Und wer den Diskurs beherrscht, beherrscht Meinungen und Emotionen.

In letzter Zeit fällt mir jedoch auf, dass zunehmend Kunstgriffe und fast schon zauberhafte Verwandlungen der Wörter und deren Bedeutung stattfinden, um Fakten zu verändern oder anders darzustellen. Das Beispiel „Fakenews“ aus meiner letzten Rede möchte ich hier nicht wiederholen sondern anhand von einigen neuen Beispielen meinen Gedankengang erläutern.

Vorausschicken darf ich, dass ich als Naturwissenschaftler und Analytiker es gewohnt bin, dass es die absolute Wahrheit nicht gibt; und als philosophisch denkender Mensch in „unserem Literaturklub“ ist es mir auch eine Selbstverständlichkeit, dass Graubereiche und Schattierungen notwendig sind.

Ich bestreite auch nicht, dass es oft schwierig, ist das Richtige, das Wahre zu erkennen, zu oft ändert sich der Standpunkt durch die Erzählung mehrerer, d.h. den ersten Eindruck, den man gewinnt, ist immer nur eine Seite des Würfels. Durch die Erzählungen anderer verändert sich die Sicht oft um 90° bis 180° und lassen den Würfel von einer anderen Seite erscheinen.

Einige Beispiele die meine Gedanken verständlich machen sollen, wie sich Worte wandeln oder missbräuchlich verwendet werden.

Beginnen wir mit dem Wort:

EXPERTEN [2]

Experten sind definitionsgemäß Personen, die über überdurchschnittlich umfangreiches Wissen auf einem Fachgebiet oder über spezielle Fähigkeiten verfügen. In meiner Arbeitswelt habe ich es oft mit Experten zu tun, die in ihren jeweiligen Fachgebieten über entsprechend vertieftes Wissen verfügen. In der Politik schaut es da schon ganz anders aus, siehe die vielen parlamentarischen Vorträge, bei denen einzelne Abgeordnete über Themen referieren, die sie weder erlernt, noch studiert, geschweige denn über das sie ein vertieftes Wissen verfügen. Dennoch treten sie als Experten auf. Auch in Experten-Kommissionen sitzen oftmals Personen, die vielleicht erweiterte Managementfähigkeiten besitzen oder parteipolitische Funktionen, aber oftmals keine Fähigkeiten auf speziell geforderten Fachgebieten. Von Experten darf man sich auch keine parteipolitisch neutrale Sachlichkeit erwarten. Oftmals sind mehrere Sichtweisen auf Sachverhalte vertretbar und dann werden die Experten halt so ausgewählt, dass die Meinungen und Ergebnisse vertreten werden, die gewünscht sind.

Experte ist also ein inflationär gebrauchter Begriff, der rechtlich nicht geschützt ist. Daher sollte man Experten ersten googlen (CV) und zweitens deren Aussagen zunächst einmal hinterfragen, denn die sogenannten Experten sollen oftmals für eine ideologisch motivierte unsachliche Politik herhalten.

FREIHEIT [3]

Freiheit ist die Möglichkeit, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auszuwählen und entscheiden zu können. Somit steht individuelle Freiheit als Selbstbestimmung in einem natürlichen Zusammenhang und Spannungsverhältnis zu anderen Werten.

Da die Freiheit des Einen oftmals zu Lasten der Anderen geht, darf man sich keinen falschen Illusionen von Freiheit hingeben und muss gewählte Freiheit stets mit Blick auf das Gemeinwohl prüfen. Freiheit ist nämlich nur dann etwas Positives, wenn sie andere nicht übermäßig in ihren Interessen beeinträchtigt.

In der heutigen Zeit und in der Politik wird das Wort Freiheit oft missbraucht. Offene Grenzen, freie Religionsfreiheit, freie Wirtschaft gelten uns heute als selbstverständliche Begriffe, doch wenn wir sie uns näher betrachten, dann sieht es etwas anders aus.

Die offene Grenze, die Bewegungsfreiheit, zumindest in der EU vor COVID-19, ist für manche eine echte Freiheit, die es ihnen ermöglicht, in einem anderen Land arbeiten und die Binnengrenze ohne regelmäßige Kontrolle passieren zu können. Für andere, die sich vor Kriminellen schützen wollen oder eine weitere Zuwanderung aus kulturellen oder anderen Gründen kritisch gegenüberstehen, eine Unfreiheit, weil ihnen ein Stück Sicherheit genommen wird.

Selbiges gilt für die Religionsfreiheit und deren Einrichtungen.

Daher ist die Gesellschaft darum bemüht, einen einheitlichen Wortbegriff für Freiheit zu schaffen, einen gemeinsamen Nenner, bei dem zwangsläufig nicht alle „freier“, sondern in Wirklichkeit alle „unfreier“ werden.

Damit werden verschiedene Interessen gleichgestellt, damit jeder, eingeschränkt zwar, aber dennoch möglich, eine allgemein verträgliche Freiheit leben kann.

Die Ungleichstellung einzelner Interessen, sei es politisch, religiös, geographisch, wirtschaftlich oder sonst wie, wird auch heute immer öfter gelebt, was zu einer Radikalisierung führt, die ausgenutzt wird, um andere „Äußere“ zu unterdrücken. Dies geschieht heutzutage v.a. in autokratischen Strukturen, aber auch in demokratischen Strukturen, in denen mit Unwahrheiten Ängste geschürt werden, Feinde hochstilisiert werden, um damit eine Unfreiheit zu etablieren, die weitere Beschneidungen im Namen der Freiheit zulassen. Selbiges gilt natürlich für wirtschaftliche Prozesse, in denen Arbeiter ausgebeutet werden (Stichwort: Billiglohnländer) oder im Umweltbereich (Mülltourismus, …).

Um es nicht zu lang zu machen, möchte ich noch das Wort TOLERANZ anführen.

TOLERANZ [4] – also das Gelten und Gewähren lassen anderer oder fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten.

Die Geschichte hat uns gelehrt, dass die Menschen von Natur aus wenig tolerant sind. Andersgläubige wurden und werden oft diffamiert, ausgegrenzt und verfolgt, bis zur Tötung oder Auslöschung hin. Daher musste die Menschheit die Toleranz, die Duldung und die Akzeptanz erfinden und definieren, also das Gewähren lassen abgelehnter Sachverhalte aus dem Grund, da eine Bekämpfung aufgrund von Gesetzen und gesellschaftlichen Verhältnissen bzw. aus moralischen Gründen nicht möglich ist.

Heutzutage werden Duldung oder Akzeptanz oft missbräuchlich als Toleranz bezeichnet und so manche Gruppierungen, wie politische Ausrichtungen, rühmen sich mit dem Begriff Toleranz. 

Die Flüchtlingsbewegung, die zur Migration verkommen ist, also von der Notwendigkeit zur Flucht gezwungen, um oftmals dem Tod zu entgehen, zur freiwilligen selbstbestimmten Not-losen Reise wird oftmals in der Politik und Gesellschaft mit dem Begriff der Toleranz belegt.

Weder humanitäre Hilfeleistungen noch die Facharbeiterdefinitionen sind zulässige Argumente für den Begriff Toleranz. Für beide Argumente gibt es besser Lösungen. Toleranz im Bereich der Sexualität stigmatisiert Homosexuelle oder Transgende-Personen.

Toleranz wird aus einer persönlichen, vermeintlich höheren Position gewährt und befeuert, damit das Hervorheben von Unterschieden. Nicht das Selbstverständnis der natürlichen Diversität steht im Vordergrund, sondern der persönliche oder gesellschaftliche Standpunkt der Differenzierung.

Muss ich Toleranz auch dicken oder dünnen, großen oder kleinen Menschen oder auch normalen, dem Durchschnitt entsprechenden Menschen aussprechen und wird nicht erst die Andersartigkeit damit betont?

2018 veröffentlichte Michiko Kakutani[5], eine ehemalige Literaturkriterin der NY Times, ein Buch mit dem Titel „Der Tod der Wahrheit[6], in welchem sie argumentiert, dass postmoderne[7] Denker, Trump und andere Autokraten erst den Weg geebnet hätten.

Vereinfacht gesagt, bestreitet die postmoderne Argumentation, dass jenseits menschlicher Wahrnehmung eine objektive Realität existiert, und behauptet vielmehr, dass Wissen durch die Prismen von Rasse, Geschlecht und andere Variablen gefiltert wird.

Dadurch, dass sie die Möglichkeit einer objektiven Realität abstritt und den Wahrheitsbegriff durch die Konzepte von Perspektive und Positionierung ersetzt, schrieb die Postmoderne das Prinzip der Subjektivität fest.

Sprache wird als unzulässig und instabil betrachtet – als Teil der unüberbrückbaren Kluft zwischen dem, was gesagt, und dem was gemeint ist – und selbst die Vorstellung von Menschen als vollständig rational handelndes, autonomes Individuum wird wiederlegt, da jeder von uns, bewusst oder unbewusst, durch eine bestimmt Zeit und eine bestimmte Kultur geprägt wird.

Aus Erfahrung wissen wir, dass niemand ganz alleine die objektive Welt in ihrer vollen Realität adäquat erfassen kann, weil sich die Welt dem Einzelnen stets aus nur einer Perspektive zeigt und offenbart, welche mit dem Standpunkt in der Welt korrespondiert und von diesem bestimmt wird.

Wer die die Welt, so wie sie „wirklich“ ist, sehen und erfahren will, so kann er es nur, indem er sie als etwas versteht, was vielen gemeinsam ist, zwischen ihnen liegt, sie trennt und verbindet, sich jedem anders zeigt, und daher nur in dem Maß verständlich wird, als viele miteinander über sie reden und ihre Meinung und Perspektiven miteinander und gegeneinander austauschen.

Nur mit dem Wissen des Erlernten und Erfahrenen als Experte, nur durch die Freiheit, miteinander zu sprechen, der Toleranz einander zuzuhören, erscheint die Welt als das, worüber wir sprechen, in ihrer Objektivität und ihrer Sichtbarkeit und zwar von allen Seiten!“


[1] Alexandria Ocasio-Cortez (* 13. Oktober 1989 in New York City), häufig auch bei ihren Initialen AOC genannt,[1] ist eine US-amerikanische Politikerin der Demokratischen Partei. Sie gehört seit Januar 2019 für den 14. Kongresswahlbezirk von New York dem Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten als dessen jüngste Abgeordnete an, nachdem sie in der Vorwahl den an vierter Stelle in der Parteiführung amtierenden Mandatsinhaber Joe Crowley geschlagen hatte. Ocasio-Cortez bezeichnet sich als demokratische Sozialistin.

[2] Experte (auch Fach- oder Sachkundiger oder Spezialist) oder Expertin ist eine Person, die über überdurchschnittlich umfangreiches Wissen auf einem Fachgebiet oder mehreren bestimmten Sacherschließungen oder über spezielle Fähigkeiten verfügt. Neben dem theoretischen Wissen kann dessen kompetente Anwendung, also praktisches Handlungswissen, für einen Experten kennzeichnend sein.

[3] Freiheit (lateinisch libertas) wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auszuwählen und entscheiden zu können. Der Begriff benennt in Philosophie, Theologie und Recht der Moderne allgemein einen Zustand der Autonomie eines Subjekts.

[4] Toleranz, auch Duldsamkeit,[1] ist allgemein ein Gelten lassen und Gewähren lassen anderer oder fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten.[2] Umgangssprachlich ist damit heute häufig auch die Anerkennung einer Gleichberechtigung gemeint, die jedoch über den eigentlichen Begriff („Duldung“) hinausgeht.[3]

Das zugrundeliegende Verb tolerieren wurde im 16. Jahrhundert aus dem lateinischen tolerare („erdulden“, „ertragen“) entlehnt.[4] Das Adjektiv tolerant in der Bedeutung „duldsam, nachsichtig, großzügig, weitherzig“ ist seit dem 18. Jahrhundert, der Zeit der Aufklärung, belegt,[5] ebenso die Gegenbildung intolerant, als „unduldsam, keine andere Meinung oder Weltanschauung gelten lassend als die eigene“.[5]

[5] Michiko Kakutani (geboren am 9. Januar 1955 in New Haven, Connecticut) ist eine amerikanische Publizistin und Literaturkritikerin. Als Hauptrezensentin der New York Times zählte sie bis 2017 zu den einflussreichsten, zugleich aber auch umstrittensten Literaturkritikern der USA.

[6] Der Tod der Wahrheit: Gedanken zur Kultur der Lüge, aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel (original: The Death of Truth. Notes on Falsehood in the Age of Trump), Klett-Cotta 2019, 197 S., ISBN 978-3-608-96403-5

[7] Dienten in der Moderne die Metaerzählungen noch dazu, gesellschaftliche Institutionen, politische Praktiken, Ethik und Denkweisen zu legitimieren, so geht in der Postmoderne dieser Konsens verloren und löst sich auf in eine Vielzahl von nicht miteinander zu vereinbarenden Wahrheits- und Gerechtigkeitsbegriffen.

Kein Schritt zurück

N dia. Ta bom?

Ta bom! Ta bom?

Ta bom! Calor!

Ajang, calor cheo.

Cheo calor!

            Nundi bu sa ta bai?

N sta bei pa porto riba

            Porto riba, ajang. Ti mas logo.

Ti mas logo.

Auf meinem täglichen Weg zur Arbeit, war das die die Begrüßung meines Nachbarn Senhor Tiof. Vor vielen Jahren, als ich in einem kapverdischen Dorf gelebt habe. In einer noch vormodernen Zeit vor dem Autoverkehr, vor Telefon, vor Fernsehen, natürlich auch vor dem Internet und der Vernetzung mit der Welt. Die Begrüßung hat sich jedes Mal so abgespielt, mehr oder minder gleich, jeden Tag.

Heute geht es um den Lehrlingsschritt. Die Auswahl des Themas für dieses Baustück war gar nicht so leicht. Warum Lehrlingsschritt und nicht Zirkel, Winkelmaß oder Bibel? Vielleicht weil mir Bewegung und Tanz näher liegen als handwerkliches Arbeiten…

In diesem Lehrlingsbaustück werde ich versuchen,

  • meine kurzen Erfahrungen mit dem Lehrlingsschritt darzustellen,
  • darüber zu sprechen, wo ich in meinem Leben ähnliche Erfahrungen gemacht habe
  • allgemein über Rituale zu reflektieren
  • meine gewonnene Erkenntnis darstellen, warum es immer einen Schritt zurück gibt, in der physischen Welt, aber keinen, wenn wir Richtung Osten schauen

Die Menschen des Dorfes so zu begrüßen, sich einzulassen auf die lokalen Gebräuche waren meine Eintrittskarte in die Gemeinschaft der Bewohner und Bewohnerinnen des Dorfes.

Dieses Begrüßungsritual war keine kultische Handlung. Aber es war der Übertritt von der Umgebung meines Hauses in eine andere Welt, in die Welt des Dorfes, die es schon seit Jahrhunderten gab und die sich in diesem Zeitraum wahrscheinlich gar nicht so sehr verändert hat, und wenn, dann in sehr kontinuierlichen Bewegungen, immer im Rhythmus der klimatischen Bedingungen, also aufeinander folgenden Trocken- und Regenzeiten.

Damals hatte ich das sehr gerne gemacht, war offen genug, mit 25 Jahren, habe die Sprache relativ schnell gesprochen. Den Schritt zurück habe ich erst nach zweieinhalb Jahren gesetzt.

Der Lehrlingsschritt ist für uns Teil des Rituals zum Eintritt in den Tempel unserer Loge. Die Assoziation mit dem Begrüßungsritual in Kap Verde war für mich sofort da. Bei beiden geht es um den Eintritt bzw. Übertritt in eine andere „Welt“.

Zweimal stolpernd, bevor man einen dritten – „richtigen“ – Schritt macht.

Oder genauer: Den linken Fuß gegen Osten gerichtet, den rechten im rechten Winkel dazugesetzt. Jeweils mit dem linken Fuß beginnend, den rechten nachziehend. Drei Schritte, zwei kurze, ein langer.

Den Schritt als Relikt kultischer Handlungen zu sehen, unterliegt unterschiedlichen Interpretationen. Eine besagt, dass die zwei kurzen Schritte den Eifer der Lehrlinge versinnbildlichen, der lange die Ausdauer (Felsenstein).[1] Genau wie beim Lehrlingsschlag, der im selben Rhythmus ausgeführt wird. [2]

Wir tun das „im Zeichen“, die rechte Hand flach mit abgespreiztem Daumen, knapp an der Kehle. Das verstärkt die Wirkung des Lehrlingsschritts, denn die Bedeutung soll ja darin liegen, dass wir uns eher die Kehle durchschneiden lassen, als dass wir unsere Geheimnisse verraten.

Eine andere Interpretation greift zurück auf das Alte Testament oder die griechische Mythologie.

Früher wurde das Ritual mit nur einem Schuh ausgeführt, also mit ungleich langen Beinen. Das Hinken sollte die Unvollkommenheit symbolisieren. Eine Unvollkommenheit, die jedem menschlichen Tun innewohnt.

Die Freimaurer beziehen ihre Geschichte und Symbolik vor allem auf die Bauwerkskunst. Trotzdem ist der Hauptpasswortgeber Tubal Kain, der aus dem Alten Testament überlieferte Sohn Kains. Dieser hat aber nicht das Baumeistertum erfunden, sondern die Schmiedekunst.

Und der Schmied, der der mit dem Feuer hantiert, wird quer durch viele Kulturkreise als hinkend und außenseiterhaft dargestellt. Das hat wohl viel mit dem Feuer zu tun, mit dem er hantiert, und dessen „wackeliger und flammiger Natur“.

Freimaurer sind auch „Lichtgläubige und Lichtsuchende“ (Schauberg). Beim Eintritt zur Arbeit schreiten wir im Lehrlingsschritt mit vorwärts gerichtetem Blick auf den MvSt, dem Sitz der Weisheit. Die eigentliche Arbeit beginnen wir dann mit dem Anzünden und Auslöschen der drei kleinen und drei großen Lichter. Das Leuchten des physischen Lichts symbolisiert die Erkenntnis oder das große Wahre, das wir suchen. Oder wie wir heute als von Karl Popper Geschulte sagen würden, die immer größere „Wahrheitsnähe“, die wir anstreben. In diesem Sinn glauben wir an das ewige Licht und die ewige Suche danach. 

In der Geschichte der Menschheit wurde das Feuerwesen – also die Suche nach der Erkenntnis – von der herrschenden Schicht nur zu oft verteufelt. Wie auch die Freimaurer. Was natürlich zusammenhängt. Denn jede Herrschaft beruht auf Annahmen und Dogmen. Die Erleuchter – oder Bewusstseinsvermehrer – sind immer die, die diese in Frage stellen und die die Dunkelheit, also einen früheren unbewussten Zustand, in neues Licht rücken.[3]

Zurück zur konkreten Welt unseres Tuns.

Ich erinnere mich. Bei meiner zweiten Arbeit, ich stand als Erster an der Schwelle zum Tempel. Die Tür ging auf und ich habe angesetzt zum Schritt. – Bloß, plötzlich, ich wusste nicht mehr wie! Ich hatte mich ganz darauf verlassen, dass es beim ersten Mal so gut geklappt hatte. Jetzt aber stand ich alleine da, ohne Impetus, ohne zu wissen wie. Ich habe nicht hineingefunden in die Choreographie, den Rhythmus, den eingeübten Ablauf, der es uns leicht macht, die Schwelle zu überschreiten. – Sekunden, die zur Ewigkeit wurden, der Wunsch, die Peinlichkeit ginge doch schnell zu Ende.

Der von uns ausgeführte Lehrlingsschritt ist die Zäsur, die den Unterschied zwischen unserer Alltagswelt und unserer Arbeit im Tempel darstellt. Jeder tut den Schritt allein, in immer gleicher Weise. Einmal begonnen, gibt es kein Zurück mehr. – Kein Zufall, dass ein Schritt zurück nicht Teil der Choreographie ist. – Die automatisierte Abfolge hilft uns, den Takt für die darauffolgende Arbeit zu finden. Wie beim Tanzen, der Rhythmus ist die Basis dafür, kreativ zu sein, uns ausdrücken zu können.

Für mich ist es als Lehrling interessant und schön nochmals die Möglichkeit zu bekommen, in eine neue Welt der Zeichen und Symbole einzutreten und explizit darüber zu reflektieren.

Mit über 60 Jahren habe ich auch schon einige Schwellen immer und immer wieder überschritten, um einzutauchen in andere Welten.

  • In den Jahren meines Studentenseins in die Welt der Aktivisten der Lokal-, Friedens- und Umweltpolitik
    Der Strickpullover und die Schlapfen waren damals die Zeichen der Abgrenzung nach außen.
  • In die vorhin erwähnte Welt eines westafrikanischen Dorfs – mit all seinem vormodernen Umgangs der Menschen untereinander
  • In die Welt der Manager/innen und Unternehmer/innen, als ich knapp 10 Jahre ein Produktionsunternehmen leitete: Die nuancierten Business-Kleidungsvorschriften einzelner Branchen sind Legende, brauche ich hier nicht aufzuzählen. Die Marke des Firmenwagens von strenger Hierarchie getragen – damals begann der Aufstieg mit einem VW Passat, dann kam der Audi und schließlich – nur wenn es sehr gut lief  – der BMW.
  • In die Welt der Managementberater, in der es gruppenweise besonders viele ritualisierte Handlungen gibt. Man denke an die systemischen Berater oder zumindest an die Berater im systemischen Management, denen ich angehörte.
  • In die Welt der Autoren und Vortragenden, wo ich viel zu spät gelernt habe, dass man sich mit dem Publikum niemals vermischen darf.
  • Und wie jeder von uns auch, in manch andere kleinere Welten, in die einer Modern Dance Gruppe, eines Elternvereins, einer Kaffeehausrunde, einer Bergsteigergruppe, u. Ä.

Jetzt will ich das alles nicht direkt mit der Arbeit unserer Loge vergleichen, aber alle diese Welten haben immer wieder eines gemeinsam:

Um als Einzelner dabei zu sein, erfordern sie fortwährend und immer wieder diesen Schritt hinein, dieses Überschreiten einer Schwelle.

Ritualisierte Abfolgen oder das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten erleichtern uns dabei das Hineintauchen in diese Welten. Was früher wohl religiös-kultische Akte waren, sind heute kleinere, subtilere Handlungsweisen, Haltungen, Zeichen.

Der Lehrlingsschritt – wie überhaupt die ritualisierte Arbeit – ist bei uns hier ein bewusst formalisierter Prozess. Das macht wahrscheinlich auch einen großen Unterschied. Wir bewahren uns eine Struktur, die uns einen Rahmen für unser Denken gibt. Und wir reflektieren auch gerne darüber

So wie der Lehrlingsschritt vorwärts weist, zeigt er uns den Weg hinein in die „Gemeinschaft“, fördert den Zusammenhalt. Rückwärts wirken Rituale immer bremsend und tragen auch dazu bei, Gemeinschaften vor einem Zerfall zu bewahren.

Trotzdem, wenn ich zurückblicke in meinem Leben, auf die Abfolge der Zugehörigkeiten, des Mittuns, des gemeinsamen Erlebens, immer wieder bin ich ausgetreten aus Gemeinschaften und habe mich neuen Dingen, Menschen und anderen Gemeinschaften zugewandt.

  • Nach der politischen Zeit kam Afrika. Das war abrupt, aber in der Abfolge der Ereignisse auch logisch. Eine Herausforderung ist der anderen gefolgt.
  • Nach der Möbelproduktion kam wieder Afrika. Das war nicht logisch, zumindest nicht von den Verdienstmöglichkeiten.
  • Die Managementberatung kam in Afrika und hat mich dann in den DACH- Raum zurück geführt.
  • Dann kam aber wieder Afrika, mit wieder andere Ländern, anderen Themen.


Mit dem Wissen von heute stelle ich fest: Den Schritt zurück habe ich selten gescheut. Warum? Das ist für mich nicht einfach zu erklären.

Weil ich unzufrieden war? Weil ich etwas anderes wollte? Ideen hatte, die ich nicht umsetzen konnte?

Hier lerne ich, dass die Welt der Handwerker, also die Welt des Tuns, immer eine unvollkommene ist.

Vielleicht liegt darin ein Teil der Erklärung, eine feine Unterscheidung.

Die Welt des Tuns ist grundlegend anders als die Welt des Feuers, also die Welt der Ideen und Erkenntnisse.

In der Welt der Ideen gibt es keine Schritte zurück. Das liegt in der Natur des Immateriellen.

– Gedanken, Ideen, Erkenntnisse in die Welt gesetzt, lassen sich nicht mehr zurücknehmen. Einmal vorgebracht, führen sie ihr Eigenleben und schreiten ganz automatisch weiter voran.     


[1] Vgl. Jürgen Felsenstein, Grundlagen der Ritualreform, in: 60 Jahre unabhängige Freimaurerloge Wien, Festschrift 1955-2015, S 67

[2] Hans Fischer, Schau in dich – Instruktionen für Lehrlinge, 2015, S 53

[3] Vgl Heinz Sichrovsky, Ein Bruderkampf um Troja – Die griechische Götterwelt im Ritual der Freimaurer, Sudienverlag, 2018, S 37ff

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf meine Arbeitswelt aus?

Nach Schockstarre und pseudo-systemrelevantem Zwangsaufenthalt/-Arbeit im Büro die Ruhe genossen und effektiver gearbeitet, da keine Störungen.

Woran arbeite ich?

Nach 20-jähriger Forschungstätigkeit in einer großen Pharma-Firma (3 Jahre) und an Universitäten (17 Jahre) bin ich vor 10 Jahren in den  Technologietransfer (TTO) der MedUni Wien gewechselt. Das TTO ist Meldestelle für Diensterfindungen, zuständig für das Patent- & Lizenz-Management der MedUni Wien und bildet die Schnittstelle zwischen den WissenschaftlerInnen der MedUni Wien und der Wirtschaft. Ziel der MedUni Wien ist es, die Ergebnisse der universitären Forschung bestmöglich zum Wohle der Gesellschaft und des medizinischen Fortschrittes zu verbreiten. Darüber hinaus fördert die MedUni Wien die Patentierung und wirtschaftliche Verwertung ihrer Forschungsergebnisse, um zusätzliche Finanzierungsquellen für die Forschung generieren zu können. 

Ich habe vor fast dreißig Jahren im Fach molekulare Virologie (Erforschung von Retroviren, HIV; HTLV 1) promoviert. Dreißig Jahre! Was hat sich inzwischen getan? Welche Erkenntnisse hat man dazugewonnen, oder eben nicht, sodass es passieren konnte, dass wir dermaßen von Covid-19 überrascht wurden.

Dafür gibt es mehrere Gründe:

1.) Pharmafirmen haben ihre Forschungsaktivitäten aus Kostengründen ausgelagert und „bedienen“ sich bei den Universitäten, die in Österreich erst in den letzten 10 Jahren lernten, ihr Wissen auch zu vermarkten (Frage, ist das der Sinn und Zweck einer Uni?).

Durch 2.) viel zu wenig Budget für Forschung und Bildung sind die Unis gezwungen, Drittmittel einzuwerben (MedUni Wien: 102,7 Mio Drittmittel, 400 Mio vom Staat) und Einnahmen aus Lizenzen zu lukrieren.

Was hat das zur Folge?  Es werden vor allem jene Krankheiten erforscht, deren Behandlung/Diagnose Gewinne einbringen. Es werden auch Krankheiten generiert (Cholesterinnormwerte, die sukzessive niedriger werden). D.h. Forschung betreffend seltener Erkrankungen und Erkrankungen, die vor allem in nicht zahlkräftigen Ländern auftreten, sowie Grundlagenforschung werden nicht mehr betrieben, da keine Einnahmen zu erwarten sind.

 Also, wer bitte möchte an Coronaviren forschen, wenn dafür kein Geld zu holen ist?

Plötzlich (jetzt)  gibt es viel Geld/staatl. Förderungen, um klinische Studien und andere Covid- 19-Forschungsprojekte zu finanzieren: alleine die MedUni Wien hat zur Zeit über 100 Projekte laufen (im Wert von mehreren Mio €).

Gesellschaftliche Aspekte:

– Investition in Bildung und Forschung ist unpopulär (in den letzten  Jahren Verbesserung)

 -„Prostitution“ der Wissenschaftler, um ihre Gehälter zumindest für einige Jahre, zu gewährleisten

Das Ansehen der Wissenschaft in der Gesellschaft muss gestärkt werden: jetzt einmalige Chance:

 Der Gesamtösterreichische Universitätsentwicklungsplan 2019–2024 Wien, Oktober 2017, Systemziel 2: Stärkung der Grundlagenforschung

Umsetzungsziele: a) Die Universitäten bleiben Hauptträgerinnen der Grundlagenforschung in Österreich. Universitäten, deren Ausgaben für Forschung und experimentelle Entwicklung 2015 64% aller F&E-Ausgaben für Grundlagenforschung in Österreich ausmachten (insgesamt zeichnen die Universitäten für 21% aller Ausgaben für F&E verantwortlich).

Die Medizinische Universität Wien  ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit fast 8.000 Studierenden ist sie weltweit eine der größten und bundesweit die mit Abstand größte medizinische Ausbildungsstätte. Mit ihren 26 Universitätskliniken, zwei (Stichtag 1.1.2020) klinischen Instituten, zwölf medizintheoretischen Zentren und zahlreichen hochspezialisierten Laboratorien, zählt sie auch zu den bedeutendstenSpitzenforschungsinstitutionen Europas im Life Science Bereich.5800 Angestellte, 630.000 Patienten.

Was können wir tun?

Lobbying für Stärkung der Unabhängigkeit der Wissenschaft, größeres Budget, Bewusstseinsbildung

Forschungs- und Technologiebericht 2019

Achtung: Fördergelder (FFG) fließen erst recht wieder in Unternehmen (KMU)

Änderungen im medizinischen Betrieb durch Corona

Verschiebung der Patientenströme durch scharfe Auftrennung der Aufgaben einzelner Spitäler , orientiert an der Ausstattung und Expertise, zB. Intensivbetten.

Reduzierung der medizinischen Kontakte und Leistungen sowie Operationen auf ein absolutes Minimum durch Corona  – die Folge – leere Spitäler  – leere Ordinationen.

Die medizinische Konsequenz: Verzögerte Behandlungen, die bei bösartigen und anderen, z.B. internistischen Erkrankungen (Krebs Herzinfarkte Thrombosen ) – kurz  oder längerfristig -lebensverkürzende Auswirkungen haben können.

Viele Patientenkontakte bleiben auch aus, weil die Angst vor einer Corona-Infektion größer ist als der Leidensdruck oft harmloser Unpässlichkeiten, die im Normalbetrieb häufig zu Besuchen, vor allem in den Notfallambulanzen, führen, da Filter-Prozesse – wie durch praktische Ärzte und Fachärzte – nicht ausreichend funktionieren. Niedergelassene Mediziner müssen aufgrund der bestehenden Honorarordnung viele Patienten täglich betreuen und zusätzlich die schwierige Rechtslage und deren Auslegung berücksichtigen, woraus oft zwingend die Zuweisung in ein Spital erfolgt.

Weil alles und jederzeit kostenlos ist, könnten – analog zur Angst vor Corona – Ambulanzgebühren zu einem massiven Rückgang der Patientenströme, vor allem im Bereich der Notfallambulanzen, führen.

Man sieht einerseits das Einsparungspotenzial, andererseits die Gefahr für verzögerte Therapien.  Juristischer und wirtschaftlicher Druck auf medizinische Institutionen und Personal ist extrem hoch, und dies führt gerade bei oft harmlosen Unpässlichkeiten zur Vornahme viel zu vieler Untersuchungen – auch zur persönlichen Absicherung.

Dafür würde aber auch mehr  Personal benötigt. Termine für wirklich dringende Untersuchungen verzögern sich, damit auch die Diagnose und Therapie, was oft die Heilungschancen vermindern wird.

Kommunikation mit Patienten:

Änderung der gesetzlichen Vorgaben durch Corona sind  erzwungen.  Kommunikationswege, die bisher aus Datenschutzgründen verboten waren, können nun verwendet werden. Es ist auf Grund der notwendigen Kontaktminimierung erlaubt, über Telefon Befunde zu besprechen, Aufklärungen durchzuführen, Behandlungsstrategien und Alternativen vorzuschlagen, darüber aufzuklären und Behandlungen mit zugehörigen Terminen zu vereinbaren.

Ärzte können im Sinne von Homeoffice auch Patientendaten des Krankenhauses von zu Hause einsehen und die telefonische Kommunikation mit den Patienten auch von Zuhause im Krankenhaussystem dokumentieren.

Die Weiterbildung der Ärzte und die Kommunikation unter Fachleuten könnte, wie man jetzt sieht, auch vollständig auf Videokonferenzen verlegt werden. Die Kongressindustrie würde aber möglicherweise massiven Druck, zum Beispiel auf die Datenschutzbeauftragten, machen, um ihren Untergang durch Videokongresse zu verhindern und so Lobbyismus aus völlig fremden Gebieten sowie Neuerungen in der Fortbildung und Wissenschaft verhindern. Der Umstieg auf Videokongresse könnte durch Vermeidung der Reisetätigkeit eine beträchtliche Entlastung der Umwelt bewirken und neben vielen anderen Vorteilen auch die Ansteckungsgefahren deutlich reduzieren.

Die Kongressindustrie würde deutlich schrumpfen, aber eine andere Industrie durch elektronische Aufrüstung der Videokonferenzteilnehmer deutlich gewinnen.

Leider würden die menschlichen Kontakte verkümmern, andere Kulturen durch die Reisen zu den Kongressstädten nicht mehr erfahren werden, kein Verständnis für Fremdes entstehen, die Intoleranz steigen und daraus resultierende Aggression letztendlich zu Zerstörungen und im weitesten Sinne auch zu Krieg führen.

Die Kostenfreiheit im E-Mail Bereich ist ein großer Nachteil, weil hemmungslos Mails verschickt werden, die riesige  Datenmengen darstellen, die gesendet, gelesen und gespeichert werden müssen. Abgesicherte elektronische und  telefonische Kontakte mit Patienten sollten erlaubt werden, um die Patientenströme zu reduzieren, damit die Verkehrswege und die Umwelt entlasten und  durch weniger Ausfallzeiten (Arztbesuch) an der eigenen Arbeitsstädte den Schaden an der Wirtschaft zu verringern.

Die Coronakrise zeigt viele Alternativen auf, die wir unbedingt nachverfolgen und das Beste daraus auch in unsere Zukunft implementieren sollten

Wie wirkt sich die Corona-Krise in meinem beruflichen Umfeld aus?

In meinem Beruf als Wirtschaftsprüfer beurteile ich im Auftrag der Eigentümer oder des Aufsichtsrates die Ordnungsmäßigkeit des Jahresabschlusses und der Buchführung von Unternehmen, Stiftungen und auch von Vereinen. Der Jahresabschluss umfasst die Bilanz, also eine Übersicht über Vermögensgegenstände, Eigenkapital und Schulden sowie eine Gewinn- und Verlustrechnung, also die Zusammenfassung der Erträge und Aufwendungen für das abgelaufene Geschäftsjahr. Daneben sind in einem Anhang zum Jahresabschluss die Bilanzierungs- und Bewertungsgrundsätze sowie ergänzende Angaben für den Jahresabschluss darzustellen, um ein möglichst getreues Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens zu vermitteln. Bei größeren Unternehmen ist zusätzlich ein Lagebericht über den Geschäftsverlauf mit wesentlichen Kennzahlen, einer Beschreibung der wesentlichen Risiken, denen das Unternehmen ausgesetzt ist sowie einem Ausblick auf das nächste Geschäftsjahr zu erstellen.

Unser Prüfungsurteil bildet Grundlage für unternehmerische Entscheidungen der Geschäftsführung und der Eigentümer, aber auch anderer Stakeholder wie Banken, Investoren und Arbeitnehmervertreter und soll das Vertrauen der Kapitalgeber in die Finanzberichterstattung der Unternehmen stärken.

Wie wirkt sich nun die Krise in meinem beruflichen Umfeld aus?

Die Abschlussprüfungen führen wir nach entsprechender Planung und Vorbereitung vor Ort bei unseren Kunden durch. Dabei analysieren wir Zahlen aus der Buchhaltung und anderen IT-Systemen, sehen uns Berechnungen und Belege an und besprechen sie mit unseren Kunden. Mit 16. März war alles anders: ab da wurde für alle unsere Mitarbeiter Home-Office verordnet und der persönliche Kontakt, sowohl zu unseren Teams als auch zu unseren Kunden,  war schlagartig nicht mehr möglich. Nachdem alle unsere Mitarbeiter über Laptops, Smartphones und Internet-Verbindung zu unseren Bürosystemen verfügen, war das Weiterarbeiten von zuhause aus technisch kein Problem. Der fehlende persönliche Kontakt in unserem engeren Team von rund 70 Mitarbeitern musste mit vielen Telefonaten, Telefon-  und Videokonferenzen kompensiert werden, um das Level an erforderlicher Information, des Coachings und der Motivation, aber auch des Arbeitsfortschrittes aufrecht zu erhalten. Das hat für mich die Arbeitstage um Einiges verlängert, wo ich doch absolut kein Frühaufsteher bin! Das Arbeiten über zwölf bis dreizehn Stunden vor dem Bildschirm und das ohne viel Bewegung habe ich als anstrengend empfunden. Da ist Selbstdisziplin gefragt!

Unsere vorwiegend junge Mannschaft ist damit im Großen und Ganzen sehr gut zurechtgekommen und kann sich auch künftig die Arbeit von zuhause aus sehr gut vorstellen, die Work-Life-Balance kommt da offenbar nicht zu kurz. Seit 18. Mai ist unter bestimmten Einschränkungen die Arbeit im Büro wieder möglich, doch der befürchtete Ansturm blieb gänzlich aus: lediglich rund 15% der auf die Hälfte reduzierten Arbeitsplätze wurden täglich besetzt.

Die Zusammenarbeit mit unseren Kunden hat in dieser Zeit flächendeckend sehr gut funktioniert, bis auf wenige, allerdings davor bekannte  Ausnahmen („aus den Augen, aus dem Sinn“). Die Prüfungen konnten virtuell sowohl inhaltlich als auch zeitlich weitgehend planmäßig abgewickelt werden, Flexibilität war natürlich auf beiden Seiten gefragt. Erste Kundenbesprechungen finden nun auch wieder persönlich statt.

Langjährige gute persönliche Kontakte haben die Umstellung  erleichtert, aber alle haben die neue Arbeitsweise als eine Herausforderung angesehen, die es gemeinsam zu bewältigen galt. Virtuelle Besprechungen wurden gut angenommen und gelebt. Dies gilt auch für Aufsichtsratssitzungen oder eine Angebotspräsentation vor einem 25-köpfigen Entscheidungsgremium, indirekt mein erster Berührungspunkt mit der Krise, als das physische Treffen Ende Februar ganz kurz davor abgesagt wurde.

Ich arbeite vor allem mit Handelsunternehmen oder Konsumgüterherstellern zusammen, das können Familienunternehmen oder internationale Konzerne sein. Dementsprechend unterschiedlich waren und sind diese Unternehmen von der Krise betroffen: während sich Hersteller von Toilettenpapier, Snackprodukten, Würsten oder Brettspielen sogar an Umsatzzuwächsen erfreuen konnten, blieb vor allem der Textilhandel auf seiner Ware sitzen. Ganz schlimm hat es Unternehmer getroffen, die am Flughafen auf nicht vorhandene Gäste warten müssen, wie z.B. den Autohandel.  Das wird wohl noch eine Weile so bleiben und sich nur sehr langsam erholen.

Praktisch alle betroffenen Kunden haben die wirklich tolle Unterstützung der Hilfsprogramme der österreichischen Bundesregierung in Anspruch genommen, vor allem die Kurzarbeitsbeihilfe und nun den Fixkostenzuschuss. Dabei wurde Solidarität mit den Arbeitnehmern gezeigt, Kündigungen gab es praktisch keine.

Was kann nach der Krise besser werden, was wird bleiben?

Werte wie Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft, einschließlich des Carings für die Kunden als Menschen auch in deren privatem Umfeld  haben aus meiner Erfahrung an Bedeutung gewonnen und führen zu einer Intensivierung der persönlichen Beziehungen. Auch mit meinen Kunden habe ich durch die gemeinsam durchlebte Krisensituation ein Zusammenrücken und mehr emotionale Nähe erlebt. Ich wünsche mir, dass sich dieses Mehr an Menschlichkeit auch im beruflichen Umfeld erhalten kann.

Darüber hinaus ist in einer virtuellen Umgebung eigenverantwortliches Handeln hoch gefragt, der Blick muss über den Tellerrand erhoben werden!

Der Anteil der Arbeit im Home Office wird nach der Krise deutlich höher sein als davor, in unserem Unternehmen rechnen wir mit einem Anstieg von 5% auf 20 bis 25%. Gleichzeitig wird es mehr Desk-Sharing in den Büros geben und es wird weniger Bürofläche pro Mitarbeiter benötigt. Heißt das auch, dass es weniger neue Bürotürme geben wird? Mehr Home Office hat auch Auswirkungen auf die Wohnsituation, junge Familien wollen zunehmend im Grünen wohnen und arbeiten.

Die Krise als schöpferische Zerstörung (nach Josef Schumpeter) hat zu einem Neudenken und Überdenken von Geschäftsmodellen geführt, wie z.B. beim Gastronomen, der auf Lieferservice umstellte oder das kleine Buchgeschäft, das schnell einen Online-Shop aufbaute. Diese Online-Aktivitäten werden weiter stark zunehmen und nicht nur von den Jungen sehr gut angenommen. Die Krise wirkt wie ein Turbo auf die Digitalisierung und Innovationen. So wünschen sich manche meiner Kunden für die Zukunft die Beibehaltung der virtuellen Abschlussprüfung.

Manche Unternehmen haben in der Krise die Nachteile der Globalisierung hautnah erlebt, etwa wenn Lieferungen aus China plötzlich ausgeblieben sind und sie selbst nicht mehr produzieren oder liefern konnten. Es ist noch zu früh, eine Rücknahme der globalen Produktions- und Lieferketten zu erkennen, aber ist es notwendig, dass eine Jeans im Laufe der vielen Produktionsschritte bis zur letztbestimmten Verwendung 60.000 km zurücklegt?

Das Profitdenken wird man nicht verbieten können, aber wenn sich Kostenvorteile auch global ausgleichen (können) oder es grundsätzlich um die Lieferfähigkeit und damit auch Versorgungssicherheit geht, wird die Regionalität an Bedeutung gewinnen, ebenso wie verlässliche Geschäftspartner. Hier müssen die großen Lebensmittelhändler achtgeben, das „leben und leben lassen“ nicht noch mehr zulasten ihrer Lieferanten zu verschieben.

Mein Fazit aus der Krise: so aufregend die Umstellung der Arbeitsweise auf Home-Office auch war, die Menschen auf Kundenseite und unsere Mitarbeiter freuen sich aufrichtig wieder auf persönliche, wertschätzende Kontakte, die durch eine virtuelle Umgebung nicht ersetzt werden können. Vor allem aber haben menschliche Werte an Bedeutung gewonnen und man ist trotz Abstand halten näher zusammen gerückt.

Wahrheit versus Ergebnis

In unserem Videomeeting sind diesmal wir Gesellen an der Reihe, ein kurzes Referat zu halten, welches einerseits euch mehr von uns als Menschen, unserer Tätigkeit und unseren täglichen Abläufe in der Zeit von Corona vermitteln soll, aber auch natürlich einen Bezug zu unserer Gesinnung, der Freimaurerei beinhaltet.

Ich möchte euch daher anhand eines Beispiels aus meiner Berufswelt die Diskrepanz zwischen ergebnisorientiertem Verhalten und der Wahrheit, soweit ich sie zu definieren und erfassen vermag, näherbringen.

Im Hintergrund dieses Themas stehen die Fragen:

Was wollen wir glauben   –   was sollen wir glauben –  was ist eigentlich richtig?

Ich bin als Chemiker und Biologe auf dem Gebiet der Analytik und Beweissicherung von Umweltthemen tätig. Meine Auftraggeber, wie Bund, Gemeinde, Firmen oder Privatpersonen, beauftragen mich als Sachverständigen für die Überprüfung und Beurteilung von Untersuchungsergebnissen und darauf aufbauend auch mit der Erarbeitung von Maßnahmenplänen für weiter Handlungen, wie z.B. Sanierungen von Grundwasserverunreinigungen, Maßnahmen zur Gewässerregenerierung, Änderungen von Bescheiden und dergleichen.

Als Beispiel soll hier die Erfüllung von behördlichen Bescheid-Auflagen zur Beweissicherung eines Kunden dienen.  Ihr könnt euch das so vorstellen, dass ihr z.B. einen Badeteich oder einen Trinkwasserbrunnen habt und diesen regelmäßig untersuchen lassen müsst, ob die Qualität noch in Ordnung ist. Ihr als Besitzer beauftragt ein Labor für die Probenahme und Analyse und mich mit der Beurteilung und Auswertung der Ergebnisse, wobei die Ergebnisse in einem Bericht der Behörde vorgelegt werden müssen.

Die Messergebnisse sind nun aus verschieden Gesichtspunkten zu bewerten (Rahmenbedingungen):

  1. Chemisch-analytisch: Wie ist der Messwert, wie wurde er analysiert, nach welcher Norm, mit welchem Verfahren, mit welchen Geräten und mit welcher Messunsicherheit.
  2. Ökonomisch: Kann der erhobene Parameter durch andere Parameter ersetzt werden, welches Labor wurde beauftragt (Kosten der Untersuchung bzw. Konkurrenz zwischen den Labors).
  3. Gesetzlich und Gesellschaftspolitisch: Was, wenn Messwerte über Grenzwerten liegen (besteht Handlungsbedarf? Ist ein Gefahrenpotential gegeben?).

In meinem konkreten Fall wurden von dem Labor Messergebnisse in einem Prüfbericht vorgelegt, die plausibel waren, d.h. die augenscheinlich richtig und im Vergleich zu den Vorjahren kaum Veränderungen aufgezeigt haben. Nach vertiefter Begutachtung haben sich diese Ergebnisse allerdings als falsch herausgestellt. Dies, indem bei der Analyse die Reinheit der Geräte nicht gewährleistet war, und damit die Genauigkeit nicht mehr eingehalten werden konnte bzw. wurden im Labor zu hohe Werte gemessen, wurden nachträglich eigenmächtig korrigiert, damit sie ins Schema passen und wenn die Analyse irrtümlich komplett vergessen wurde, wurden Messwerte schnell erfunden.

Ein Skandal? Ein Verbrechen? – Klar, dass ich aber nur durch akribische mühevolle Arbeit aufdecken konnte und es mich über ein Jahr gekostet hat, sowohl meinen Auftraggeber als auch die Behörde zu überzeugen, endlich Maßnahmen zu ergreifen. Ein Labor übrigens, das europaweit tätig ist, ein Großkonzern, der auch als Hauptlabor für die Untersuchungen von Covid-19 Tests tätig ist – nur so nebenbei.

Schlimm, oder? Aber mal ganz ehrlich, wer von euch hat schon einmal seinen Blutbefund hinterfragt, wie diese Messwerte zustande kommen oder die Statistik der Neuinfektionen?

Was ist die Ursache für diese gesetzeswidrigen Handlungen, die fehlende Qualität und die Manipulation?

Wenn die einwandfreie Analyse Zeit und Geld verschlingt und es uns als Gesellschaft wichtiger ist, unmittelbar – also zeitnahe – ein Ergebnis zu bekommen, dass dadurch aber mit einer höheren Unsicherheit versehen ist (Stichwort COVID-19-Sicherheit von 60-85% – ob positiv oder negativ), und wir zusätzlich verlangen, dass die Kosten möglichst niedrig sein müssen, besteht die Gefahr, dass dies die Unternehmen zwingt, den Qualitätsmaßstab immer niedriger zu setzen. Also letztendlich gleicher Output bei geringeren Kosten, was wiederum zu einem erhöhten Konkurrenzdruck beim Mitbewerber führt und dieser ebenso  gezwungen wird, so zu agieren, bis irgendwann von Qualität nichts mehr übrig ist!

Wie gut kann und muss ich ein Ergebnis absichern, damit dieses richtig und gültig ist? Auch dazu gibt es Normen und Verfahrensvorschriften, auch dazu werden die Labors von der Behörde jährlich überprüft, begutachtet und müssen, um vergleichbar zu sein, eine Akkreditierung aufweisen.

Die Behörde oder die Gesellschaft kann aber immer nur überprüfen, was ihr vorgelegt wird, und wenn man im Vorhinein weiß, wann wer was untersuchen wird, wann und wo Augenmerk auf eine bestimmte Sache gelegt wird, dann besteht die Möglichkeit, genau dort eine entsprechend höhere Anzahl an Tests, die etwas genauer gemessen werden, und besser qualitätsgesichert sind, vorzulegen. Befinde ich mich aber am Rand des Sichtfeldes oder gar außerhalb, dann trifft mich womöglich die ganze Wucht der ökonomischen Einsparungen.

Die Ergebnisse werde allerdings alle einheitlich gestaltet, ohne dass ersichtlich ist, wie gut die Qualitätssicherung im Hintergrund funktioniert hat, sodass jedermann davon ausgehen kann, dass alles bestens analysiert wurde, weil ja erstens akkreditiert, von der Behörde auditiert, nach Norm analysiert und unter dem Schutz einer riesigen Qualitätsüberwachung eines multinationalen Konzern gemessen wurde.

Auf welcher Grundlage, nach welchen Werten handeln wir?

Was, wenn die Werte nun ungenau oder womöglich manipuliert sind?       

Kann ich als Einzelner überhaupt noch die Ursachen, die Parameter und Regeln erkennen?

Wenn ich einen Wollpullover in der Waschmaschine mit Wollprogramm und niedriger Umdrehung, handwarm oder kalt wasche und im Ergebnis mein Pullover nur noch für eine Puppe taugt, weil er eingegangen ist, wer oder was war dann schuld daran, wenn ich alle Vorgaben erfüllt habe? Die Waschmaschine, die Temperatur, die Umdrehungszahl, das Waschmittel, oder war die Qualität des Pullovers doch nicht 1A?

Wir werden mit einer Fülle an Informationen versehen, haben verständliche Anzeigen und eine vermeintlich logische Auswertung. Wir bekommen klare Ergebnisse vorgesetzt und vermögen gar nicht mehr die Hintergründe zu sehen, die zu einem Resultat führen.

Für mich bedeuten meine Erfahrungen im Berufsfeld, aber auch in dieser Zeit der Krise und Einschränkung, dass hinter jedem präsentierten Ergebnis eine Erwartung oder vielleicht sogar eine Vorgabe steht, die erfüllt werden soll, sei es aus eigenem Verlangen (ein Cholesterinwert unter 200 ist besser als einer über 400!) bzw. eine geringe Zahl an Covid-19-Infizierter sich besser verkauft, eine geringe Schadstoffkonzentration im Trinkwasser natürlich wünschenswert ist.

Als Freimaurer bin ich offen für verschiedenste Erwartungshaltungen und Pluralität in der Sache, aber ein Messergebnis sollte doch immer nachvollziehbar, transparent und der Wahrheit entsprechen und NICHT den Bedürfnissen entsprechend manipuliert sein.

Denn wenn Maßstäbe oder Werte im Generellen verändert werden, wenn ein rechter Winkel nicht mehr 90 Grad beträgt und eine schiefe Optik oder ein krummes Verhalten gesellschaftlich als „lotrecht“ verkauft werden, mache ich mir schon Sorge um unsere Zukunft.

Trotzdem glaube ich, so wie unser Bundespräsident, daran: Wir sind nicht so! Und wir werden auch diese Krise, womöglich verändert, aber sicherlich reifer überstehen.

Ein Weg der kleinen Schritte, ein Werk von vielen unterstützenden Händen geschaffen und ein scharfer Blick ist es, was notwendig WAR, IST und ERHALTEN werden muss, damit wir als Gesellschaft weiterhin sicher, frei, glücklich und befriedet leben können.

Also bleibe ich weiterhin achtsam und tolerant, und wenn es nötig ist, pinkle ich als kleine Ameise dem Elefanten ans Bein!