Die Bürgschaft

BS von Br. Richard Mach, GOÖ, 2011

Schon als Kind mochte ich diese „großen“ Balladen, (von denen wir alle zumindest wissen, dass es sie gibt); ich musste sie damals zwar abschreiben, um meine Handschrift zu verbessern, doch faszinierten mich diese langen Gedichte seltsamen Inhalts und so lernte ich sie während des Abschreibens auch gleich auswendig…

Was ich als Kind auswendig konnte, hatte allerdings Lücken bekommen, und so begann ich einfach so, zum Spaß, wieder Vers um Vers zu repetieren, und als Erwachsener, als Freimaurer, sah ich die Ballade plötzlich in einem neuen Licht …

Die Bürgschaft

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Damon, den Dolch im Gewande: Ihn schlugen die Häscher in Bande,

„Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!“

Entgegnet ihm finster der Wüterich.

„Die Stadt vom Tyrannen befreien!“

„Das sollst du am Kreuze bereuen.“

Damon, oder eine Gruppe hinter ihm – wir wissen es nicht – stellt die herrschende Regierung mehr als in Frage, und die Lösung lautet: Königs-Mord.

Heiligt der Zweck die Mittel?

Auch wenn wir davon ausgehen, dass der Tyrann ein grausamer selbstsüchtiger Machthaber ist – und wer hätte nicht schon dann und wann daran gedacht, ein Attentat emotional nicht doch vielleicht rechtens finden zu können, wie etwa bei Khomeini, Ceaucescu, Milosevics Saddam Hussein, Bush, Putin, Berlusconi…? , so wissen wir doch dass ein Mord ethisch nicht vertretbar ist …

Wer sind die Guten, wer die Bösen? Wer entscheidet, was der richtige Weg ist? Und wer schützt sich vor wem? Wer rechtfertigt sein Verhalten, seine Aufrüstung, seine Schutzanzüge nicht mit dem Verhalten, der Aufrüstung, den chemischen Kampfstoffen der anderen?

Und wir selbst in unserem kleinen Umkreis? Wir reagieren ja auch nur auf unser Gegenüber     So wie dieser wiederum auf sein Gegenüber – auf uns selbst – und es gibt so viele richtige Wirklichkeiten … und jeder hat recht. Nur das Recht, über einen anderen zu urteilen und diesen dann infolge dessen zu sanktionieren, das Recht hat niemand. So wie z.B. die Amerikaner die orientalische Lebensart und deren Weltbild nicht verstehen, so können auch wir mit anderen Menschen und deren Art zu leben und zu denken nur bedingt übereinstimmen. Dabei stimmt unsere Sprache, unser kulturelles und soziales Umfeld und vieles mehr überein; aber wir kennen selten die Hintergründe und Umstände warum jemand anderer so ist, so denkt, sich so benimmt.

Hier helfen Neugier, Toleranz und Vertrauen. Wir wissen ja: … DIE EIGENE MEINUNG NICHT FÜR DIE EINZIG

WAHRE ZU HALTEN… und uns immer wieder daran zu erinnern. Das ist manchmal schwierig und da „Recht haben“ „überleben können“ bedeutet, im Kleinen wie im Grossen, und jeder überleben will, haben wir hier eine wichtige Aufgabe: den Mut zu entwickeln, gegen den Ur-Instinkt auch in der Sicht des anderen einmal im Unrecht sein zu können …Denn bei einem persönlichen Konflikt, der ungeschickt zwischen 2 Parteien ausgetragen wird, gibt es immer 2 Opfer, aber auch 2 Agressoren und meistens auch 2 Verlierer…

„Ich bin“, spricht jener, „zu sterben bereit Und bitte nicht um mein Leben:

Doch willst du Gnade mir geben, Ich flehe dich um drei Tage Zeit,

Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit…

Viel tut sich in diesen Zeilen: Damon übernimmt Verantwortung für sein Tun – er steht zu dem Anschlag, denn er ist überzeugt, dass sein beabsichtigter (Königs)- Mord zum Wohle vieler anderer gewesen wäre…

Er akzeptiert die Konsequenz seines Handelns, ohne Ausrede, ohne Wahrheitskorrektur… Doch er hat noch eine unerledigte Verpflichtung: Er muss noch seine Schwester verheiraten…

.. .oder was auch immer – nicht so wichtig. Wichtig ist für mich dabei, dass es für ihn Verpflichtungen gibt, denen er sich auch angesichts dieser verschärften Umstände nicht entziehen will. Dabei würden wir sicher verstehen, wenn er sich ab diesem Moment aller Verpflichtungen entbunden hätte fühlen können – er wird hingerichtet werden, was zählt da sonst noch?

Warum will er das vorher noch erledigt wissen? Für mich unter anderem aus 2 Gründen: Aus Liebe zu seiner Schwester, und aus Pflichtbewusstsein.

…und dann knallt dieser Damon dem Tyrannen rotzig den Satz hin:

Ich lasse den Freund dir als Bürgen, Ihn magst du, entrinn‘ ich, erwürgen.“

Na toll! Was macht der Wahnsinnige?

Reitet einen Freund ‘rein? Ist das mit dem Freund abgesprochen? Ist er womöglich bereit, ihn zu opfern? Wie kann er so handeln?

Er will sich die Zeit, die er für die Erfüllung seiner Pflicht benötigt, erkaufen, und bietet dafür dem Herrscher als Pfand ein anderes Leben an – das seines Freundes! Also ich würde mich bedanken, als Freund, wenn über mich so verfügt werden würde – und dafür muss es mir noch nicht mal ans Leben gehen. Oder es ist ein Trick, um einfach ab- hauen zu können, aber das würde er doch nicht…oder würde er doch…?

Das denkt sich auch der Tyrann:

Da lächelt der König mit arger List Und spricht nach kurzem Bedenken:

„Drei Tage will ich dir schenken; Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist,

Eh‘ du zurück mir gegeben bist, So muß er statt deiner erblassen, Doch dir ist die Strafe erlassen.“

Der König schließt von sich auf den anderen: Er geht davon aus, dass sich Damon aus dem Staub machen wird. Seine Grausamkeit besteht darin, dass er durch die eventuelle Exekution des (unschuldigen) Freundes Damon noch härter bestrafen kann. Denn er weiß, dass Damon seine

Schuld daran gegebenenfalls bis an sein Ende mit sich herumtragen wird. „Komm zurück und stirb oder fliehe und trage Schuld am Tod des Freundes“

– das ist der Deal, er überlässt Damon die selbstgewählte Verantwortung, den – wie er glaubt – Gewissenskonflikt, das Dilemma.

Und er kommt zum Freunde:

„Der König gebeut,

Daß ich am Kreuz mit dem Leben Bezahle das frevelnde Streben.

Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; So bleib du dem König zum Pfande,

Bis ich komme zu lösen die Bande.“

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund

Und liefert sich aus dem Tyrannen;

Jetzt erst teilt er seinem Freund die Ereignisse und seine Entscheidung mit, und dieser akzeptiert es, Pfand in diesem brisanten Abkommen zu sein – schweigend! Und die schweigende Umarmung symbolisiert Verständnis und Zustimmung, Mitgefühl, Liebe und Vertrauen.

Keine Fragen? Keine Diskussionen? Das Ge- dicht berichtet darüber nichts… Aber was lässt den Freund dieses Vabanque-Spiel mitspielen?

Ich vermute, der Freund war in Damons Ab- sicht, den Tyrannen zu töten, eingeweiht und die Nachricht von Gefangennahme und Verurteilung Damons kam nicht wirklich überraschend für Ihn. Er ist sicherlich auf eine gewisse Art Komplize. Und er weiss, wenn Damon einen solchen Handel eingeht, dass dieser alles tun wird, um sein Versprechen, wiederzukommen, einzulösen. Denn es gibt zwischen ihnen einen Ehrenkodex. Er weiss, dass Damon dies nicht tun würde, ohne einen für ihn triftigen Grund, und in Ihrem Verhältnis zueinander existiert aufgrund des Kodex unbedingtes Vertrauen, er VERTRAUT seinem Freund, er vertraut ihm sein Leben an.

Auch wir Freimaurer haben Kodizes. Ich will hier gar nicht die halben alten und vieles aus den neuen Pflichten abschreiben, aber auf sie verweisen. Und ich möchte gerne anregen, dass wir sie uns immer wieder ansehen, um uns zu erinnern… Und auch zu prüfen, ob wir selbst uns danach verhalten. (DENN ES GIBT EINEN RICHTER, DEM NICHTS VERBORGEN BLEIBT… ) Damon muss seinerseits dem Tyrannen vertrauen, dass dieser nicht schon vor Ablauf der Frist den Freund hinrichten lässt. Nur der Tyrann braucht niemandem zu vertrauen – das hat er schon so eingefädelt. Herzlos wäre er zufrieden wenn irgend jemand stürbe. Aber das Spiel, in dem er hofft, die Schlechtigkeit der Menschen einmal mehr bewiesen zu finden, macht ihm natürlich noch viel mehr Spass – eine nette Abwechslung im Einerlei des tyrannischen Alltags.

Und dann geht alles sehr schnell:

Der andere ziehet von dannen.

Und ehe das dritte Morgenrot scheint,

Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,

Eilt heim mit sorgender Seele, Damit er die Frist nicht verfehle.

Damon hatte keinen Moment den Gedanken, nicht mehr zurückzukehren – was ja zu vermuten war, nachdem er sogar Angesichts seines bevor- stehenden Todes die Pflicht seiner Schwester gegenüber wahrzunehmen sehr ernst genommen hat.

Doch auf seiner Rückreise treten Schwierigkei- ten auf – hier jetzt der Mittelteil zusammengefasst:

Kaum ist er auf dem Weg, …

„…da gießet unendlicher Regen herab…“

…den weit über seine Ufer angeschwollenen reissenden, tosenden Strom überwindet er angst- voll/mutig und mit Gottes Hilfe. Die Zeit verrinnt und auf seiner weiteren Wanderung besteht er, mit der Kraft der Verzweiflung, den Kampf gegen eine Bande von Wegelagerern.

Und drei, mit gewaltigen Streichen Erlegt er, die andern entweichen.

Erschöpft und durstig ist er danach der sen- genden Sonne ausgeliefert, findet jedoch zum Glück eine Quelle, sich zu laben:

Und freudig bückt er sich nieder

Und erfrischet die brennenden Glieder.

Drei mal könnte er in Versuchung geraten, die Schwierigkeiten zum Anlass zu nehmen, aufzugeben. Drei Prüfungen, hatte also unser Protagonist zu überwinden: jede für sich Grund genug, sich um das eigene Überleben zu kümmern, und nicht mehr zurückzukehren an den Ort, wo ihn nach der Erfüllung seiner Pflicht der Tod erwartet. Weil er den Strom, die Räuber, die Erschöpfung als Hindernisse hatte, das hätte es begründet, aufzugeben.

„Weil“ ist ein vielstrapaziertes Wort: So begin- nen Ausreden. Und das war für Damon nicht akzeptabel. Er setzte alles daran, die Probleme auf seiner Reise zu lösen, und versteckte sich nicht hinter „Weil’s“.

Oft können wir nicht zur Logenarbeit kommen, oder auf ein Seminar fahren, weil… Geht mir genauso. Ich arbeite viel und kämpfe mit 2 Händen und einem Kopf um mein berufliches Überleben. Wie viele von uns. Doch wenn ich in mich hineinhöre, dann spüre ich, ob mir diese „Weils“ gerade recht kommen, oder ob ich es bedaure, verhindert zu sein. Ich bin bemüht, mit Klienten und Kunden meine Termine so zu legen, dass ich erst als letzte Möglichkeiten die Termine unserer R.A. anderweitig vergebe. Ja, das geht nicht immer, vieles kommt unverhofft und manches über Nacht und alles ist wichtig…

Aber ist es wirklich jedes einzelne Mal, wo wir ausfallen, so unmöglich, es doch zu schaffen? Lasst uns um Lösungen bemüht sein, statt Gründe zu haben, warum wir wieder einmal nicht an der Arbeit teilnehmen können!

Langsam geht die Sonne unter, Damon nähert sich endlich der Stadt – und scheint zu spät zukommen. Und der im Gedicht als „redlich“ bezeichnete Hüter des Hauses, der ihm entgegeneilt – als eine weitere Instanz des Gewissens – sogar er empfiehlt ihm:

„Zurück! du rettest den Freund nicht mehr, So rette das eigene Leben!

Den Tod erleidet er eben.

Von Stunde zu Stunde gewartet‘ er Mit hoffender Seele der Wiederkehr, Ihm konnte den mutigen Glauben

Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.“

Damit würde Damon auch von dieser Seite her Absolution zuteil, wenn er aufgeben würde, doch er kämpft weiter darum, den Vertrag zu erfüllen, ja, sogar falls der Freund schon hingerichtet worden ist.

…Er schlachte der Opfer zweie Und glaube an Liebe und Treue!“

Während der für seine Zuversicht verhöhnte Freund auf Damons Wiederkehr hofft, – sicher hatte er grauenhafte Angst, doch grundsätzlich glaubte er an seinen Freund, sonst hätte er sich nicht auf all dies eingelassen, dringt Damon zum mit Schaulustigen überfüllten Richtplatz vor:

Am Seile schon zieht man den Freund empor…

Uff! Gerade noch rechtzeitig.

„Rechtzeitig“ ist ein gutes Wort: Es bedeutet zur rechten Zeit etwas zu tun oder am vereinbarten Ort zu sein. „Rechtzeitig“ ist das Wort des 24-zölligen Maßstabs:

UM SICH DIE ZEIT MIT WEISHEIT EINZUTEILEN

Man bedenke: Unpünktlichkeit hätte dem Freund das Leben gekostet. Hier und heute ist es nicht so extrem; heute kostet Unpünktlichkeit nur die Zeit der anderen. Aber das ist ja nicht so schlimm, oder?

… und wie er auf seiner Ersten Reise den Strom bezwingt, so

… zertrennt er gewaltig den dichten Chor:

„Mich, Henker“, ruft er, „erwürget! Da bin ich, für den er gebürget!“

Nein – das ist Fiktion. Kein Mensch ist so konse- quent und würde, egal ob sinnvoll oder sinnlos, zum Preise seines Lebens in dieser Situation sei- nen Idealen treu bleiben…

Obwohl … behaupten nicht auch wir, dass wir uns „…LIEBER DIE KEHLE DURCHSCHNEIDEN LIESSEN, ALS DIE GEHEIMNISSE ZU VERRATEN, DIE UNS ANVERTRAUT WURDEN…“

Was beinhaltet dieses Versprechen?

Einander zu schützen! Für einander das Beste zu wollen. Die Gemeinschaft über das Ego zu stel- len. Einander „schweigend als treue Freunde zu umarmen …“. Mit jedem einzelnen Male, wo wir ins Zeichen gehen, geloben wir das aufs neue. Mit diesem Zeichen sind wir Bürgen unserer Gemeinschaft.

Abgesehen von unseren Paten hatte jeder von uns 3 + 1 Bürgen:

AUS DEM REZEPTIONSRITUAL:

MVST: WER BÜRGT FÜR SIE ?

VM:    ICH SELBST IM EIGENEN NAMEN SOWIE

IM NAMEN VON DREI MEISTERN DER LOGE

Hier übernehmen die 3 Interviewer die Bürg- schaft sowie der Vorbereitende Meister, der den Suchenden in die Loge führt. Es ist eine Aufgabe für andere zu bürgen, es ist Verantwortung.

Wie verstehen wir diese Verantwortung? Der Bürge garantiert der Loge, dass der Suchende wirklich ein freier Mensch von gutem Ruf und ein wahrhaft Suchender ist.

Und was wenn nicht? Wenn der eingebrachte neue Bruder falsch eingeschätzt wurde. Wie geht es dann denen, die für ihn gebürgt haben? Und was geschieht mit ihnen? Ans Kreuz genagelt werden sie nicht…

Für wen wir bürgen, das wirft auch auf uns ein bestimmtes Licht; es erzählt auch über unseren Charakter und unsere eigene Meisterschaft etwas. Und wenn Brüder nicht mehr in die Loge kommen, oder die Loge verlassen – wie fühlen sich deren einstige Bürgen?

Ging vielleicht irgend etwas zu schnell? War vielleicht zu wenig Zeit zum Kennenlernen? Wollten wir vielleicht gerne aus bestimmten Gründen einen Suchenden als Bruder gewinnen? Vorsicht, bezüglich der eigenen Motive!

Für manchen meiner Brüder bürge ich der Loge gegenüber. Ich habe behauptet, und mich dabei auf Informationen und meine Intuition und auf meine Erfahrung verlassen, – „Dieser hier ist ein freier Mensch von guten Sitten“ – und meine Loge vertraut meinem Urteil, das ich nicht leichtfertig abgebe. Ich weiss, dass dieser neue Bruder, wie auch jeder andere, bestrebt sein wird, das in ihn gesetzte Vertrauen zu bestätigen. Das schmälert aber nicht meine eigene Verantwortung. Noch ist das für mich mehr als eine symbolische Geste. Ich werde auch künftig nicht vorschnell handeln und urteilen. Denn es braucht nun einmal eine gewisse Zeit, um jemanden kennenzulernen, ein Stück seiner Seele zu sehen und ein wenig mehr zu erkennen, als die geschönte Oberfläche, die wir einander lieber zeigen, besonders in den Momenten, in denen wir exponiert sind.

Die Patenschaft geht für mich über die Bürg- schaft noch hinaus: Als Pate bürge ich der Loge gegenüber und auch meinem „Patenkind“ gegenü- ber für die Rechtschaffenheit meiner Loge. Ich bürge als Meistermaurer dafür, ihn bis zur Meisterschaft zu begleiten. Zur Verantwortung kommt noch dazu, Beistand, Anlaufstelle für Fragen und Probleme zu sein, maurerisches Vorbild zu sein. All das erfordert Vertrauen von allen Seiten..

Und dieses Vertrauen gibt es bei Damon und seinem Freund: Damon hat sich also durch die Menge gedrängt und bietet sein Leben an, um den Freund auszulösen. Alle sind überwältigt und berührt und so werden beide vor den König gebracht:

Dieser

…blicket sie lange verwundert an. Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen, Ihr habt das Herz mir bezwungen;

Und die Treue,

sie ist doch kein leerer Wahn –

So nehmet auch mich zum Genossen an: Ich sei, gewährt mir die Bitte,

In eurem Bunde der Dritte!“

Das hat ihn einfach umgehauen! Und ein Idiot dürfte er nicht gewesen sein, unser Tyrann, denn er erkennt sehr schnell, welche Kraft in dem gegenseitigen Vertrauen der Freunde liegt. Er konnte dieses Vertrauen auch mit seinem grausamen Spiel nicht zerstören:

(Des rühme der blut’ge Tyrann sich nicht, Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht, …)

Es wird ihm klar, dass er diese Nähe und Zugehörigkeit noch nie erlebt hat, und an TREUE BIS ÜBER DAS nicht geglaubt hat – dass diese Loyalität in seiner Wirklichkeit nicht existiert hat, und doch kein leerer Wahn zu sein scheint!

Und dieser verhärtete Mann beweist seinerseits grossen menschlichen Mut: er bittet um die Aufnahme in diesen Bund! Er erklärt sich damit bereit, die Sitten und Gebräuche dieser Gemeinschaft zu akzeptieren und danach zu leben.

Er hatte den Mut umzudenken, zu erkennen, einzusehen. Er hatte die Weisheit, nicht recht ha- ben zu müssen und die Größe, das zuzugeben…

Das wünsche ich mir, dieses Vertrauen unter den Menschen, dass wir einander nicht misstrauen oder Grund zu Misstrauen geben… Vertrauen erreicht das Herz und macht den Menschen wieder offener und lässt uns sicher fühlen.

Misstrauen beginnt bei einem selbst, denn oft projizieren wir etwas aus den Niederungen unseres eigenen Charakters auf den Anderen und nehmen Negatives an und vorweg.

Wenn ich schon so ein Schltzohr bin, was muss ich dann erst vom Anderen annehmen…?

BONMOT „SCHLITZOHR“: Wer stiehlt, verliert seine Ehrbarkeit und den Ohrring. Früher wurde er dem Gesellen ausgerissen, der dann auf ewig als

„Schlitzohr“ gekennzeichnet war.

Ich denke, Misstrauen ist Angst. Angst, „gelinkt“, über den Tisch gezogen, benachteiligt zu werden. Als der Blöde dazustehen…

Ja, dann fehlt dort das (sich) Selbst-Vertrauen! Sich Selbst-Vertrauen verringert das eigene

Misstrauen und ermöglicht einem inneren Frieden.

Wenn man aufhört, zu vertrauen, kann man zwar nicht mehr so enttäuscht werden – dafür enttäuscht man andere… Es geht nicht darum, blindes Vertrauen zu haben, sondern klaren Blickes willens zu sein, zu vertrauen. Und einander nicht zu missinterpretieren.:

„Wenn wir etwas gesagt oder getan haben, das man auf zwei Arten interpretieren kann; und eine Art davon macht dich traurig oder böse, dann meinten wir wahrscheinlich die andere.“

Soll heissen: „Gib der positiven Interpretation eine Chance, trau’ mir eher das Gute als das Schlechte zu!“

EPILOG

Dieses Gedicht ist für mich in vielerlei Hinsicht von maurerischen Tugenden durchdrungen:

Es ist eine Geschichte über Vertrauen, Menschenliebe, Zuverlässigkeit, Pflichtgefühl, Treue, Loyalität, Liebe, Läuterung, Umdenken, Verzeihen und vielem mehr. Und Selbstveredlung. Klingt fast schon wie ein Hollywoodfilm – ja, Patriotismus (…die Stadt vom Tyrannen befreien…) ist auch drinnen…

Alles übersteigert, damit man’s auch kapiert. Soll aber nicht als Ausrede dienen, in so eine Situation sowieso nicht kommen zu können: es gibt viele kleine Attentate, so manchen kleinen„Mord“… und auch viele kleine Kriege, unter Freunden, unter Geschwistern…

Ich kann die Kriege der Welt nicht beenden, das ist zu gross für mich, für jeden von uns, oft so- gar zu gross für die Beteiligten. Was aber für keinen von uns zu gross ist, das ist unsere eigene Einstellung, unsere eigene Achtsamkeit – im Kleinen, im Persönlichen, im Zwischenmenschlichen – unsere Bereitschaft, unsere eigenen Kriege zu be- enden, denn es ist kein Frieden möglich, ohne die Bereitschaft zu vertrauen.

                                  Vertrauen ist einer der Schlüssel zum Frieden als Zustand des Seins!

DIE BÜRGSCHAFT · FRIEDRICH SCHILLER

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Damon, den Dolch im Gewande: Ihn schlugen die Häscher in Bande,

„Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!“ Entgegnet ihm finster der Wüterich.

„Die Stadt vom Tyrannen befreien!“

„Das sollst du am Kreuze bereuen.“

„Ich bin“, spricht jener, „zu sterben bereit Und bitte nicht um mein Leben:

Doch willst du Gnade mir geben, Ich flehe dich um drei Tage Zeit,

Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; Ich lasse den Freund dir als Bürgen,

Ihn magst du, entrinn‘ ich, erwürgen.“

Da lächelt der König mit arger List Und spricht nach kurzem Bedenken:

„Drei Tage will ich dir schenken;

Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist, Eh‘ du zurück mir gegeben bist,

So muß er statt deiner erblassen, Doch dir ist die Strafe erlassen.“

Und er kommt zum Freunde:

„Der König gebeut,

Daß ich am Kreuz mit dem Leben Bezahle das frevelnde Streben.

Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; So bleib du dem König zum Pfande,

Bis ich komme zu lösen die Bande.“

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund Und liefert sich aus dem Tyrannen;

Der andere ziehet von dannen.

Und ehe das dritte Morgenrot scheint,

Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,

Eilt heim mit sorgender Seele, Damit er die Frist nicht verfehle.

Da gießt unendlicher Regen herab, Von den Bergen stürzen die Quellen, Und die Bäche, die Ströme schwellen.

Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab, Da reißet die Brücke der Strudel herab,

Und donnernd sprengen die Wogen Dem Gewölbes krachenden Bogen.

Und trostlos irrt er an Ufers Rand: Wie weit er auch spähet und blicket

Und die Stimme, die rufende, schicket.

Da stößet kein Nachen vom sichern Strand,

Der ihn setze an das gewünschte Land, Kein Schiffer lenket die Fähre,

Und der wilde Strom wird zum Meere.

Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht, Die Hände zum Zeus erhoben:

„O hemme des Stromes Toben!

Es eilen die Stunden, im Mittag steht Die Sonne, und wenn sie niedergeht Und ich kann die Stadt nicht erreichen, So muß der Freund mir erbleichen.“

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut, Und Welle auf Welle zerrinet,

Und Stunde an Stunde ertrinnet.

Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut Und wirft sich hinein in die brausende Flut Und teilt mit gewaltigen Armen

Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

Und gewinnt das Ufer und eilet fort Und danket dem rettenden Gotte; Da stürzet die raubende Rotte

Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,

Den Pfad ihm sperrend, und schnaubert Mord Und hemmet des Wanderers Eile

Mit drohend geschwungener Keule.

„Was wollt ihr?“ ruft er vor Schrecken bleich,

„Ich habe nichts als mein Leben, Das muß ich dem Könige geben!“

Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:

„Um des Freundes willen erbarmet euch!“ Und drei mit gewaltigen Streichen

Erlegt er, die andern entweichen.

Und die Sonne versendet glühenden Brand, Und von der unendlichen Mühe

Ermattet sinken die Kniee.

„O hast du mich gnädig aus Räubershand,

Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land, Und soll hier verschmachtend verderben,

Und der Freund mir, der liebende, sterben!“

Und horch! da sprudelt es silberhell, Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen, Und stille hält er, zu lauschen;

Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell, Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell, Und freudig bückt er sich nieder

Und erfrischet die brennenden Glieder.

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün Und malt auf den glänzenden Matten

Der Bäume gigantische Schatten;

Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn, Will eilenden Laufes vorüber fliehn,

Da hört er die Worte sie sagen:

„Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.“

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß, Ihn jagen der Sorge Qualen;

Da schimmern in Abendrots Strahlen Von ferne die Zinnen von Syrakus, Und entgegen kommt ihm Philostratus, Des Hauses redlicher Hüter,

Der erkennet entsetzt den Gebieter:

„Zurück! du rettest den Freund nicht mehr, So rette das eigene Leben!

Den Tod erleidet er eben.

Von Stunde zu Stunde gewartet‘ er Mit hoffender Seele der Wiederkehr, Ihm konnte den mutigen Glauben

Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.“

„Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht, Ein Retter, willkommen erscheinen,

So soll mich der Tod ihm vereinen.

Des rühme der blut’ge Tyrann sich nicht, Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,

Er schlachte der Opfer zweie Und glaube an Liebe und Treue!“

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor, Und sieht das Kreuz schon erhöhet,

Das die Menge gaffend umstehet;

Am Seile schon zieht man den Freund empor, Da zertrennt er gewaltig den dichter Chor:

„Mich, Henker“, ruft er, „erwürget! Da bin ich, für den er gebürget!“

Und Erstaunen ergreifet das Volk umher, In den Armen liegen sich beide

Und weinen vor Schmerzen und Freude. Da sieht man kein Augen tränenleer,

Und zum Könige bringt man die Wundermär‘; Der fühlt ein menschliches Rühren,

Läßt schnell vor den Thron sie führen,

Und blicket sie lange verwundert an. Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen, Ihr habt das Herz mir bezwungen;

Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn – So nehmet auch mich zum Genossen an:

Ich sei, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der Dritte!“