20´´ Pause
Was ist nun los? Hat es ihr die Sprache verschlagen? Die Zeit verrinnt!
Nun, das waren gerade einmal 20 Sekunden. Aber vielen ist es sicher viel länger vorgekommen. Womit wir gleich beim ersten Merkmal der Zeit wären. Sie ist relativ.
Großvater pflegte zu sagen: „ Das Leben ist erstaunlich kurz. Jetzt in der Erinnerung drängt es sich mir so zusammen, dass ich zum Beispiel kaum begreife, wie ein junger Mensch sich entschließen kann, ins nächste Dorf zu reiten, ohne zu fürchten, dass – von unglücklichen Zufällen ganz abgesehen- schon die Zeit des gewöhnlichen, glücklich ablaufenden Lebens für einen solchen Ritt bei Weitem nicht hinreicht“ dieser Ausspruch von Franz Kafka in „Ein Landarzt“, steht stellvertretend für unser Gefühl, unsere Wahrnehmung, dass die Zeit so unterschiedlich vergehen kann.
Schon in der Antike unterschied man die messbare Zeit von der gefühlten und wies ihnen zwei Gottheiten zu: Chronos und Kairos. (siehe auch Stangl, 2019).
Gott Chronos findet in unserer Sprache Verwendung in den Begriffen Chronologie, Chronometer oder auch chronisch und steht für das Verstreichen der Zeit, einem Zeitverlauf, für den Abschnitt von Beginn bis Ende. Er drückt sich aus in der Natur vom Aufblühen bis zum Verwelken, in der Lebenszeit der Menschen oder dem Bestehen des Universums seit dem Urknall. Ähnlich wie wir unsere Zeit oft beurteilen, war auch der Gott Chronos grausam, hart, quälend.
Zeus jüngster Sohn Kairos steht für den rechten Augenblick, den Moment. Niemand weiß, wann er wo sein wird und ist er da, ist er auch schon wieder weg. Ganz markant ist sein Haarschopf und sein kahler Schädel, sowie das messerscharfe Rasiermesser in seiner Hand. Durch Kairos wurde die Redewendung geprägt „Die Gelegenheit am Schopfe packen“, was bedeutet, dass man vorbereitet sein sollte für den rechten Augenblick, dann kann man zugreifen oder wenn nicht zeitig genug zugegriffen am kahlen Hinterkopf abrutschen. Kairos gibt der Zeit eine völlig neue Dimension. Er verleiht ihr Tiefe, eine Qualität. Mit Mut und Entscheidungsfreude, geht man ins freudvolle Handeln. Geht ein Risiko ein, irrt, sammelt Erfahrung, übernimmt Verantwortung für sich, den Gedanken und Gefühlen, dem eigenen Leben. In Kairos und somit dem rechten Augenblick, dem verantwortlichen mutigen Handeln, liegt der Schlüssel zum Glück. (Anita Schmitt)
Ich habe mir die Zeit genommen, einige meiner Tätigkeiten in „Echtzeit“, damit meine ich, die Zeit, die Uhren messen zu berechnen. Was aber messen Uhren? Sie geben Antwort auf die Frage nach der Position von Ereignissen auf einer Skala, es geht also um den Zeitpunkt und die Dauer eines Geschehens, zB. Sand, der durch die Sanduhr läuft. Womit früher die Zeit doch recht genau gemessen werden konnte. Heute wird die Zeit mit Atomuhren gemessen, was auch der Anlass war die Definition der Zeiteinheit über atomare Vorgänge zu geben: Seit 1967 ist eine Sekunde als das 9 192 631 770-fache der Periodendauer der Strahlung definiert, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes des Cäsium133- Atoms entspricht. Daher wird sie als Atomsekunde bezeichnet.
Unter dieser Definition kann ich mir nicht wirklich etwas vorstellen, bzw. sie nachvollziehen. Da ist mir die „alte“ Sonnensekunde wohl geläufiger (bis in die 1950er Jahre): Der Bruchteil, nämlich 1⁄86 400 des mittleren Sonnentages. Diese Festlegung wurde eingeführt, damit ein durchschnittlicher Sonnentag 24 · 60 · 60 Sekunden lang ist.
Zurück zu meinen Berechnungen (bezogen auf 50 Lebensjahre, der einfachen
Rechnung halber) wofür ich bis jetzt wieviel Zeit aufgebracht habe und wie ich
sie wahrnahm:
Als die Zeit im Flug verging: Kino, Theater: 7 Monate; spielen: 6 Monate; Tagträumen: 3 Monate; interessante Gespräche führen: 7Monate; TV: 2 Jahre (gesamt 4 Jahre); Arbeiten: 3,5 Jahre (gesamt 4,5 Jahre), Essen: 1 Jahr (gesamt 2 Jahre).
Als die Zeit stehenblieb: Küssen: 200 Stunden; Autounfall: 10 Sekunden; Schlafen: 16 Jahre (wo bin ich denn da und wie lange? darauf werde ich später noch kurz eingehen)
Als die Zeit nicht und nicht verging: Auto-, Bahnfahrten: 2 Jahre; Warten auf irgendwen oder – was: 125 Tage; TV: 2 Jahre (gesamt 4 Jahre); Arbeiten: 1 Jahr (gesamt 4,5 Jahre); Essen: 1 Jahr
(gesamt 2 Jahre)
Wenn wir im Alltag auf die Zeit achten, dann scheint sie mal an uns, bzw. mit uns vorbeizurasen, mal zieht sie sich in die Länge
Hier eine der physiologischen Erklärungen dazu:
Je mehr man erlebt und sich daran auch erinnern kann, desto länger kommt einem eine Zeitspanne später vor. Ein abwechslungs- und ereignisreicher Urlaub erscheint daher länger als der gleiche Zeitraum in der Monotonie des Alltags. So vergeht das Leben für uns subjektiv wohl auch deshalb immer schneller, weil wir – verglichen mit Kindheit und Jugend – im Lauf des Älterwerdens immer weniger neuartige Erlebnisse haben und die Routine des immer Gleichen zunimmt.
In Schrecksekunden tritt ein Zeitlupeneffekt ein, bei dem sich die Abläufe scheinbar verlangsamen. Das ist durch das stark erhöhte Erregungsniveau des Körpers in einer „kämpfe oder flüchte „-Situation bedingt, wodurch physiologische und mentale Vorgänge vergleichsweise schneller ablaufen; der ganze Organismus ist auf eine möglichst rasche Überlebensreaktion ausgerichtet (Hudson Hoagland). Man nimmt an, dass das Auge in derselben Zeiteinheit mehr Einzelbilder „aufnimmt“ und dadurch die Zeit gedehnt wird.
Wir kennen dieses Phänomen auch wenn wir Fieber haben. Unsere innere Uhr läuft durch die erhöhte physiologische Aktivität beim Fieber schneller ab, was die Zeit subjektiv betrachtet dehnt.
Über diese physiologischen Vorgänge (neuronale Aktivität, die in der vorderen Inselrinde kulminiert, sowie über nachgeschaltete Hirnareale wie dem anterioren zingulären Kortex in der Mittellinie des Gehirns, die physiologische und Verhaltensreaktionen anstoßen) , entsteht demnach ein Ich, das sich seiner selbst und seiner Präsenz in Zeit und Raum bewusst ist. Dieses gefühlte Ich ist untrennbar verbunden mit den sich verändernden Körperzuständen und damit dem Gefühl des Zeitverlaufs. Die Ich-Vorstellung und das Zeit-Erleben gehen somit Hand in Hand: Eine intensivere Ich-Wahrnehmung läuft mit dem Gefühl eines langsameren Zeitverlaufs parallel; ein weniger ausgeprägtes Ich-Empfinden korrespondiert mit einer erlebten Beschleunigung des Zeitverlaufs. (Marc Wittmann)
Verschiedene Bewusstseinszustände verdeutlichen diese Zusammenhänge:
So sind wir in der Langeweile des Wartens ganz auf uns zurückgeworfen und spüren uns selbst intensiv – und die Zeit will einfach nicht vergehen.
Anders das so genannte Flow-Erleben: Bei ihm führen stark fordernde Tätigkeiten, die sich aber mit den eigenen Ressourcen bewältigen lassen, zu beschleunigtem Zeitempfinden. Beispiele sind etwa das Musizieren, Schreiben eines Textes, oder Basteln. Die Absorption in der Beschäftigung reduziert die Ich-Wahrnehmung stark, und neben ihr verliert sich auch das Zeitgefühl. (Marc Wittmann)
Der Schlaf und Halluzinogene lassen Zeit und Ich verschwinden.
Der Philosoph Heraklit konstatierte: Die Wachen/Munteren haben eine einzige gemeinsame Welt, im Schlaf wendet sich jeder der eigenen zu, und ich ergänze: bei unseren Arbeiten zwischen Hochmittag und Hochmitternacht wenden wir uns unserer freimaurerischen Welt, dem inneren Licht zu.
Die Zeit und das Bewusstsein, diese Geschwister, die ohne einander nicht sind und sein können. Denn wer würde denn über Zeit philosophieren und nachdenken, wenn nicht unser Ich UND wo wäre denn unser ICH ohne Zeit, ohne Anfang und Ende, Geburt und Tod?
Dieser Erkenntnis, so neu sie auch nicht ist, gewahr, ist es nun mein Plan, meinen Alltag mit vielen neuen Handlungen zu spicken. Die vielzitierte Achtsamkeit führt dann zur ebenso viel zitierten Entschleunigung und dies wiederum zu einer mir subjektiv langsam vergehender Lebenszeit. Womit wir beim Zeit gewinnen wären:
Der Aufruf: Carpe diem soll dieses Wertschätzen der uns nur endlich zur Verfügung stehenden Zeit in Erinnerung rufen.
Gewinne ich Zeit, wenn ich entschleunige, also das Gegenteil von beschleunige, demnach bremse?
„Die Zeit verweilt lange genug für denjenigen, der sie nutzen will“ meinte schon Leonardo da Vinci. Soll ich nun verweilen, bremsen, die Zeit dehnen? Denn es gibt doch Wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen, sagte schon Mahatma Gandhi.
Ein Widerspruch unserer Zeit, unserer Gesellschaft ist unter vielen anderen genau dieser: Einerseits ist das Handeln pro Zeiteinheit, die Effizienz, das Maß aller Dinge. Andererseits wird viel über das vorher erwähnte Entschleunigen berichtet und in diversen Lebensratgebern der Wohlstandsgesellschaft als DIE Erkenntnis für ein glücklicheres Leben dargestellt.
Wir haben alle 24 Stunden Zeit. Jeden Tag. Das ganze Jahr. Unser ganzes Leben lang. Es geht also nicht darum, wie wir mehr Zeit gewinnen können, sondern vielmehr darum, was wir aus diesen 24 Stunden neben Schlafen und gelegentlich Essen tun. Statt „Ich habe keine Zeit“ sollte ich lieber „Ich habe Zeit für andere Dinge“ sagen. Damit bin ich Herrin meiner Zeit.
Manchmal lasse ich mir einfach bewusst noch eine Minute länger Zeit. Tick tack
Jetzt habe ich noch gar nicht über den physikalischen, philosophischen oder gar den maurerischen Aspekt gesprochen, wiewohl alle miteinander verknüpft sind.
Denn ein maurerische Symbol, der 24-zöllige Maßstab leitet uns an, über die Zeit nachzudenken und den Tag bewusst und weise zu planen. Er symbolisiert die 24 Stunden (schöne Primzahlzerlegung und glz. Produkt der ersten natürlichen Zahlen 1x2x3x4=24) des Tages die der Maurer folgendermaßen einteilen soll:
Sechs Stunden zur Arbeit, sechs Stunden um Gott zu dienen, sechs Stunden um einem Bruder oder Freund zu dienen, soweit es in seinen Kräften steht und sechs Stunden zum Schlafe.
Dies wiederum auf die heutige Zeit umgelegt entspricht einer Einteilung der Wachzeit in drei Abschnitte: Arbeitszeit, Sozialzeit –die Zeit mit Familie und Freunden – und Individualzeit –die Zeit mit sich selbst.
Natürlich soll
diese Zeiteinteilung symbolisch begriffen werden. Sicherlich ist damit nicht
eine pedantische Zeiteinteilung unseres Tagesablaufs gemeint. Wir sollten damit
vielmehr darauf hingewiesen werden, für alles ein rechtes Maß zu pflegen und
die Dinge zur rechten Zeit in angemessener Qualität zu tun. Sowohl im Ritual,
also auch zu den gemeinschaftlichen Abenden und Vorträgen ruft uns der Meister
zur Arbeit. Diesem Aufruf sollten die Maurer auch nachkommen und pünktlich ihre
Arbeit aufnehmen.
Ich weiß ja nicht, inwieweit eure Zeiteinteilung weise ist, meine muss definitiv noch verbessert werden. Zuviel Arbeit, zu wenig Zeit für Familie und Freunde und viel zu viel Zeit „verschwendet“ mit TV! Nichts Neues, aber allein dieses Wieder-Bewusstmachen, Zeit-Prioritäten neu zu setzen war es wert dieses Baustück zu erarbeiten.
Ein weiterer Aspekt, der mir immer bewusster wird: Es kommt nicht auf die Menge der erledigten Aufgaben an, sondern auch, wie bewusst ich sie erledige, erlebe und wertschätze. Das gilt in der Arbeit genauso, wie für den Augenblick, wenn ich morgens das Schlafzimmerfenster öffne und mehrmals tief durchatme. Ich bemühe mich den Dingen die Zeit, die sie brauchen, zu geben.
Und welche Zeit haben wir jetzt?
Halbzeit des Baustücks? Profan: 20:02? Weltenkritisch: 5 vor 12? Maurerisch: 6019 (oder doch eher 6023?), bzw. HochNACHmittag?
Nun gut, mit der Jahreszahl 6019 kann ich schon etwas anfangen, aber bitte was bedeutet denn Hochmittag? Ziemlich sicher nicht highnoon. Obwohl – eine Definition gefällt mir: erfolgreichster, aufregendster Zeitabschnitt, Höhepunkt einer Periode. So soll unsere Arbeit doch sein.
Die Übersetzung indes lehrt: es lautet korrekt: High twelve.
Die Definition im Freimaurer-wiki: Der Begriff „Hochmittag“ wird im englischen Ritual folgendermaßen gegeben: „Da die Erde sich ständig um ihre Achse und um die Sonne dreht, und die Freimaurerei allgemein über ihre Oberfläche verbreitet ist, so folgt daraus, dass die Sonne immer in ihrem Meridian in Beziehung zur Freimaurerei sein muss.“
Die symbolischen Arbeiten vollziehen sich in zeitlicher Ausdehnung von Hoch-Mittag bis Hoch- Mitternacht. Damit ist der Sonnenlauf der symbolische Rahmen für den zeitlichen Ablauf der zeremoniellen Handlung. Ein also nicht näher definierter, nicht abgegrenzter, sich je nach Stand- Gesichtspunkt und Erkenntnis ausdehnender, wachsender Zeit-Raum. Ein Heraustreten aus der realen Zeit in eine Dimension, in der das Wirklichkeit wird, was nie geschieht und immer ist.
Diese Dimension wird von jeder unserer maurerischen Gemeinschaften bei jeder Feier geschaffen, wenn sie sich auf sich selbst, ihren Charakter und ihre Aufgaben besinnen und unserem Sein einen übergreifenden Sinn geben möchte.
Ich soll meine befristete Lebenszeit rechtschaffen einteilen und sie bestmöglich nutzen. „Meine Arbeit gelingt nur dann, wenn sie zur rechten Zeit geschieht und das klarste Licht des Mittags meinen Werkplatz erhellt“.
Aber, bei all dieser vernünftigen Zeiteinteilung und –nutzung, sollte auch Platz bleiben für genussvolles Verweilen, Spontanität, Offenheit für flexible Zeitrochaden, eine sinnvolle Zeitverschwendung. Denn sonst kommen wir, also ich zumindest, wieder in die Alltagszeitspirale, die mein Leben im Sauseschritt (und nicht in „Saus und Braus“) vorbeizischen lässt.
Denn und das muss hier auch erwähnt werden, die Zeit unterscheidet sich von den anderen Dimensionen (Oben/Unten, Links/Recht, Vorne/Hinten) grundsätzlich, da sie nur in eine Richtung geht. D’ Alembert schrieb 1754 in Diderots berühmter Enzyklopädie unter dem Stichwort „Dimension“, lange vor Einsteins vierdimensionaler Raumzeit: „Ein schlauer Bekannter von mir glaubt, dass man eine Zeitspanne als vierte Dimension betrachten kann; diese Idee mag man kritisieren, aber sie besitzt meiner Ansicht nach einen gewissen Wert, und sei es, dass sie neu ist“.
Keine Umkehr ist möglich. Keine Zeitreise. Ein herunterfallendes
Glas zersplittert und die Splitter setzen sich nicht wieder zum Glas zusammen:
das ist die unumkehrbare Gerichtetheit eines Vorgangs, von der Unwahrscheinlichkeit
einer gegebenen Ordnung zur Wahrscheinlichkeit ihrer Auflösung, der Entropie
(Rüdiger Safranski).
Der Zeit wohnt also eine Richtung inne, durch welche sich die Vergangenheit von der Zukunft unterscheidet.
Sehr schön ist das von Friedrich Schiller in Worte gefasst worden:
Dreifach ist der Schritt der Zeit:
Zögernd kommt die Zukunft hergezogen, Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ewig still steht die Vergangenheit.
Unser Leben wird immer mehr von der Zeit bestimmt, von einer Zeit, die unser Leben einteilt, unsere Verfügbarkeit diktiert, die immer knapper wird und nicht zuletzt immer globaler. Aber nicht nur die Simultaneität der Weltzeit bestimmt unser Denken, wenn wir zum Beispiel an die Bewegungen der internationalen Märkte denken.
An dieser Stelle kam mir in den Sinn mich mit der Zeit, in der wir gerade leben, auseinanderzusetzen. Allerdings stürmten so viele Gedanken gleichzeitig auf mich ein: wie Werteverlust, Nationalismus, Klimawandel, Wohlstandsverwahrlosung, Turbokapitalismus, (Plastik)-vermüllung, künstliche Intelligenz, Asylpolitik, Digitalisierung, Umweltschutz, Bevölkerungsexplosion. Dies wären Themen für mindestens 10 weitere Baustücke.
So bleibe ich heute doch bei der Zeit als solcher.
Es ist uns schon seit einiger Zeit bewusst geworden, dass man mit der Zeit ein besonderes Problem hat: Anders als der Raum, der sich in aller Stille betrachten und vermessen lässt, hat die Zeit die unangenehme Eigenschaft, ihre eigene Betrachtung zu unterminieren. Wie der Meisterdenker des Deutschen Idealismus Hegel schon feststellte, vergeht Zeit, während wir über sie nachdenken. Man kann nicht sagen: „jetzt“, denn schon ist das gegenwärtige „jetzt“ zum vergangenen „jetzt“ geworden. Die subjektiv erlebte Gegenwart umfasst z.B.in der Physiologie eine Zeitspanne von 2,7 sec. Die Schwelle, ab der zwei Ereignisse als getrennt erkannt werden (Fusionsschwelle), ist vom jeweiligen Sinnesorgan abhängig. So müssen optische Eindrücke 20 bis 30 Millisekunden auseinander liegen, um zeitlich getrennt zu werden, während für akustische Wahrnehmungen bereits 3 Millisekunden ausreichen (Gerstbach).
Wie können wir das Jetzt erfassen? „Die Physik hat keine Begriffe, keine Methoden, um diesen unendlich kurzen Moment zwischen Vergangenheit und Zukunft zu beschreiben“, so der Physiker Gernot Münster. „Sie möchte allgemeingültige Aussagen treffen. Die Zukunft liegt offen vor uns, die Vergangenheit unveränderlich, wie ‚gefroren‘, hinter uns. Der Moment des Gefrierens aber hat sich im Augenblick der Beschreibung schon wieder verändert.
Andere Kulturen haben eine ganz andere Zeitauffassung. Würden wir Hopi-Indianer aus Nordamerika fragen, stießen wir mit unserer Zeitreihung auf Unverständnis: »Vergangenheit« und »Zukunft« kommen in ihrer Sprache nicht vor (Benjamin Lee Whorf). Wie viele andere Bauernkulturen leben die Hopi in einer praktisch zeitlosen Welt. Ihr Tageslauf ist an die natürlichen Erscheinungen gekoppelt, und so wie die Jahreszeiten sich wiederholen, wiederholt sich auch die Zeit. Jahreszahlen sind unbekannt und natürlich auch Bezeichnungen für kleinere Intervalle wie Minuten oder Sekunden. Die Sprache der Hopi enthält keinen Verweis auf die Zeit, weder explizit noch implizit, sie leben in einem Zustand des immer währenden Jetzt.
Das Jetzt »verdunstet« auf unendlich kleinem Raum und in unendlich kurzer Zeit. Vielleicht hatte Albert Einstein dies im Sinn, als er sagte: »Der Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist eine Illusion, wenn auch eine hartnäckige. « Zen-Meister Seppo formuliert diese Einsicht so: »Wenn du wissen willst, was Ewigkeit bedeutet – sie ist nichts weiter als eben dieser Moment. Wenn du sie nicht in diesem gegenwärtigen Moment erfassen kannst, wirst du sie nie erhaschen.«
So komme ich als leidenschaftliche Naturwissenschaftlerin auch nicht ohne Bemerkungen zur Relativität der Zeit umhin. Sehr einfach erklärte der Meister der Relativität, Albert Einstein, ebendiese: „Zeit hängt von der Bewegung ab. Draußen fällt ein Fahrrad um, hinten platzt ein Schlauch im Garten. Für den, der mittendrin sitzt, passiert das gleichzeitig. Für jemanden, der mit 30 Kilometern pro Stunde vorbei fährt, fällt erst das Fahrrad um, dann platzt der Schlauch. Das ist Relativität“.
Mit anderen Worten: Der Ablauf der Zeit, genauer gesagt der Gang von Uhren, hängt davon ab, wie sich der Beobachter und die Uhr relativ zueinander bewegen. Eine Uhr, die sich relativ zu uns mit einer gewissen Geschwindigkeit bewegt, geht langsamer als eine ruhende Uhr. Hält Laufen daher jung? Ja, aber nicht wegen der Relativität J, außer ich bewege mich mit Lichtgeschwindigkeit.
Die Relativität der Zeit wird gerne im so genannten Zwillingsparadoxon veranschaulicht: Ein Zwilling verlässt die Erde in einem Raumschiff, welches mit hoher Geschwindigkeit ins Weltall fährt und nach ein paar Jahren wieder zurückkehrt. Während der auf der Erde verbliebene Zwilling zum Greis gealtert ist, entsteigt dem Raumschiff seine deutlich weniger gealterte Schwester. Zwar liegt die Realisierung dieser Geschichte weit außerhalb der heutigen Möglichkeiten, der Effekt wurde jedoch mit Hilfe von Atomuhren in Flugzeugen experimentell bestätigt. Für gewöhnliche Geschwindigkeiten ist der Effekt natürlich äußerst gering. Der Faktor, um den eine bewegte Uhr langsamer geht, beträgt für einen Radfahrer 1 Sekunde in 200 Millionen Jahren. Erst bei Geschwindigkeiten, die mit der Lichtgeschwindigkeit von 300.000 km/sec vergleichbar sind, wird der Effekt nennenswert.
.Die aus der Relativitätstheorie folgenden Effekte sind keineswegs esoterische Phantasiegebilde der Wissenschaftler, sondern spielen in vielen Bereichen der heutigen Physik und Technik eine Rolle. Als Beispiel sei das GPS (Global Positioning System) genannt. Ohne Berücksichtigung der Relativitätstheorie würde sich in den GPS-Geräten täglich ein Fehler von 10 km aufsummieren.(Gernot Münster).
Die Fülle der Antworten auf die Frage „Nun was ist ‚Zeit‘, hat unermesslich zugenommen, und dennoch sind wir so ratlos wie zuvor: ja, je weiter wir in das Geheimnis der Zeit einzudringen scheinen, umso mehr wird das Phänomen zum Rätsel.
Insofern ist es kein Wunder, dass die Philosophie seit über 100 Jahren vom Thema der Zeit fasziniert ist, genauer, dass sie versucht, den allmächtigen Seinsfaktor Zeit neu und angemessener zu bestimmen. Zeit vergeht, aber sie dauert auch an: Ein Paradox, das der französische Philosoph Henri Bergson zu seinem Untersuchungsfeld gemacht und beschrieben hat. Zur Veranschaulichung dieses Fließens der Zeit greift Bergson gern zu einem musikalischen Beispiel, der Melodie. Auch bei ihr hören wir einzelne Töne, aber erst im Verschmelzen erkennen wir die Melodie.“
Bei Kant hingegen war die Zeit a priori gegeben, demnach von der Erfahrung unabhängig („Kritik der reinen Vernunft“,1781). Die moderne Physik jedoch lehrt uns, dass Zeit unauflöslich mit dem Raum verbunden ist. Daher muss sie genauso wie der Raum erfahren werden.
Naturwissenschaftler
pflegen sich oft unbefangener auszudrücken. Der Physiker John A. Wheeler hat
die Zeit gerne so charakterisiert, wie er es in einem Graffito in der
Herrentoilette des Old Pecan Street Cafe in Austin, Texas, 1976, fand: „Zeit
ist die Methode der Natur, zu verhindern, dass alles auf einmal passiert! (Time
is nature’s way to keep everything from happening all at once.“)
„Du musst die Veränderung sein, die du in der Welt sehen willst.“, sagte einst Gandhi. Wenn du dir also ein Umfeld wünschst, in dem jeder weniger Stress und dafür mehr Zeit hat, beginne am besten bei dir selbst. Du allein entscheidest, was für dich wichtig ist und wofür du dir Zeit nehmen willst. Alle anderen kannst du ohnedies nicht ändern.
Steve Jobs: Ihre Zeit ist begrenzt, also verschwenden Sie sie nicht damit, das Leben eines anderen zu leben. Lassen Sie sich nicht von Dogmen in die Falle locken. Lassen Sie nicht zu, dass die Meinungen anderer Ihre innere Stimme ersticken. Am wichtigsten ist es, dass Sie den Mut haben, Ihrem Herzen und Ihrer Intuition zu folgen. Alles andere ist nebensächlich.
Thich Nhat Hanh: Unser wahres Zuhause ist der gegenwärtige Augenblick. Wenn wir wirklich im gegenwärtigen Augenblick leben, verschwinden unsere Sorgen und Nöte und wir entdecken das Leben mit all seinen Wundern.
Dalai Lama: Der Mensch opfert seine Gesundheit, um Geld zu machen. Dann opfert er sein Geld, um seine Gesundheit wieder zu erlangen. Und dann ist er so ängstlich wegen der Zukunft, dass er die Gegenwart nicht genießt; das Resultat ist, dass er nicht in der Gegenwart lebt; er lebt, als würde er nie sterben, und dann stirbt er und hat nie wirklich gelebt.
Werden wir mit der Zeit lernen, wie wir am besten mit der Zeit umgehen? Kommt der Rat weiterhin, wenn die Zeit kommt?
Wird die Zeit weiterhin alle Wunden heilen?
Oder laufen wir weiterhin mit der Zeit um die Wette?
Literatur:
Franz Kafka: Ein Landarzt – Kleine Erzählungen, Vitalis 2007. Stangl, W. (2019). Gehirn und Zeit. werner stangl´s arbeitsblätter
Anita Schmitt, Akademie Heiligenfeld GmbH, https://www.kongress-heiligenfeld.de/chronos- und-kairos-goetter-der-zeit/Hudson Hoagland, amerikanischer Neurowissenschaftler Marc Wittmann, Gefühlte Zeit, C.H Beck Verlag, Aug. 2016
Marc Wittmann, Wenn die Zeit stehen bleibt: Kleine Psychologie der Grenzerfahrungen, C.H Beck Verlag, März 2015
Zitat von Heraklit von Ephesos (Philosoph, Grundthese: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ (Griechenland, 550 – 480 v. Chr.)
Friedrich v. Schiller, Sprüche des Konfuzius
Rüdiger Safranski, Zeit: Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen, Carl Hanser Verlag,2015 ISBN 978-3-446-25011-6
Gernot Münster, Institut für Theoretische Physik, WWU Münster; Was ist Zeit?
Gottfried Gerstbach: Analyse persönlicher Fehler bei Durchgangsbeobachtungen von Sternen in: Geowissenschaftliche Mitteilungen, Band 7, S. 51–102, TU Wien 1975, ISSN 1811-8380.
Henri Bergson: Dauer und Gleichzeitigkeit. Über Einsteins Relativitätstheorie. Hamburg 2015 Philo Fine Arts, Fundus-Bücher 218
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, Der transzendentalen Ästhetik , Zweiter Abschnitt, Von der Zeit, 1781
Benjamin Lee Whorf , Hopi time controversy, 1936 „An American Indian model of the Universe“