Amae und ihre Geschwister

Jeden Tag, bewusst oder unbewusst. Manchmal aktiv gesteuert, meist leiten sie uns durch den Tag, wir lassen sie passieren, schenken ihnen mehr oder weniger Aufmerksamkeit oder werden von Ihnen gesteuert.

Es sind unsere Gefühle!

Die Maler der Romantik sahen den Himmel voller Emotionen. Das ist der Grund, warum sich die Malerei so intensiv mit der Darstellung des Himmels beschäftigt hat. Oft ging es gar nicht um die dargestellte Landschaft, sondern um die Vermittlung von Gefühlen. Der Himmel als Wohnort des Göttlichen, schien der geeignete Ort, um andere über die eigenen Emotionen zu informieren. Selbstverständlich war es nicht üblich, laut darüber zu sprechen. Eingeweihte wussten die Bilder auf diese Art zu lesen. Es war eine, uns verlorenen gegangene, Version von Kommunikation.

Die Wolken und ihre stetige Veränderung war die Versinnbildlichung menschlicher Gefühle. Wolken fügen sich zusammen, können für einen Moment lang alles einfärben und ein sehr starkes Bild geben. Nur wenige Augenblicke später sind sie gänzlich verschwunden, abgelöst von einem neuen Himmelsbild. Ganz genau so, wie sich Gefühle für uns Menschen anfühlen können. Manche sind wie durchsichtige Fetzen, wir nehmen sie kaum wahr, andere sind tiefrot wie ein Sonnenuntergang und dominieren unser Sein.

Übung 1:

Bitte schließt jetzt Eure Augen, atmet einmal ganz bewusst ein und tief aus und lasst vor Eurem inneren Auge jetzt Euren Wolkenhimmel entstehen.

Wie sieht er jetzt aus? Sind es dünne zarte Wolken, die frei für sich stehen? Oder sind die Wolken stark und intensiv, viele auf einem Fleck, verbunden mit den anderen. Weht der Wind in eurem Wolkenbild? Stark oder ist es nur ein schwaches Lüftchen?

Wie ist es herauszufinden, was ihr gerade fühlt? Ungewohnt? Anstrengend? Oder einfach und vertraut? Wann habt ihr das letzte Mal über Eure Gefühle im hier und jetzt nachgedacht? Tut das gut oder ist das mühsam und nervig?

Was ist inzwischen mit Euren Wolken passiert? Haben sie sich verändert oder sind sie gleich geblieben? Versucht, Euch Euer Wolkenbild einzuprägen und öffnet die Augen mit dem Gefühl, dass Ihr Euch gerade bewusst gemacht habt.

Danke!

Die sogenannte Kommandozentrale unserer Wolken bzw. Gefühle findet sich tief in unserem Gehirn. Im Temporallappen ist ein tropfenförmiges Gebilde, das die Reize der Außenwelt bewertet und entscheidet, ob wir darauf eingehen sollen oder sie besser meiden.

Was da kommandiert wird, wurde von den Menschen in den verschiedenen Jahrhunderten allerdings völlig unterschiedlich gesehen.

Die alten Griechen glaubten z.B., dass wilder Zorn vom üblen Wind herbei-getragen wird und man deshalb die starken Winde meiden sollte.

Bis zum Anfang des 19.Jahrhunderts findet man nirgends Beschreibungen von Emotionen, wie wir sie heute kennen. Dafür findet man Ausführungen von Unfällen der Seele, sittlichen Empfinden, oder man verspürte Leidenschaften von enormer Tragweite.

  1. Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende, was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt! (Goethe)
  2. Das Gewissen ist die Stimme der Seele. Die Leidenschaften sind die Stimme des Körpers. (Rousseau)
  3. Deine Begierden und Dein Geschmack sind jetzt deine Tyrannen. Lass es gut sein, man muss sie austoben lassen! Sich Ihnen widersetzen ist Torheit. (Lessing)

Kleiner geschichtlicher Abriss:

Auf den Arzt Hippokrates geht eine Theorie zurück, die sich bis in die Renaissance gehalten hat. Diese Theorie besagt, dass jeder Mensch vier elementare Substanzen im Körper hat, welche für die Ausbildung der Gefühle, der Gemütslage und der Persönlichkeit verantwortlich sind.

1 )Blut

2) Gelbe Galle

3) Schwarze Galle

4) Schleim oder Phlegma

Menschen mit mehr Blut in den Adern, haben demnach ein hitziges Temperament. Wer mehr Schleim aufweist, ist friedfertig. Schwarze und gelbe Galle hingegen bringen das Blut zum Kochen und treiben es in die Gliedmaßen; der Mensch wird angriffslustig oder streitsüchtig.

Bis heute kennen wir den Ausdruck, das Blut zum Wallen bringen oder wir beschreiben jemanden als phlegmatisch – schöne Grüße von Hippokrates.

Charles Darwin hat als erster Emotionen wissenschaftlich untersucht. Er hat Reisenden und Missionaren eine Art ersten Fragebogen mitgegeben. Fast über den ganzen Globus wurden Menschen befragt, was sie bei Trauer und heftiger Erregung verspüren. Sie sollten aufschreiben, welche Bereiche des Körpers davon betroffen sind.

Freud hat den Begriff der „Gefühlstöne“ begründet. Er versuchte damit, die Komplexität zu ergründen, die Gefühle in uns Menschen bewirken. Und was wir alle noch regelmäßig zitieren ist die „Freud‘sche Fehlleistung“- also ein Gefühl, das uns wie ein kleines Teuferl bespringt und unsere Gefühle wie Wut oder Eifersucht aus dem Unterbewusstsein rasch für alle sichtbar werden lässt.

Dass Emotionen auch verschiedenen Kulturen unterliegen ist die jüngste Erkenntnis. Erst im 20. Jahrhundert hat man herausgefunden, dass unsere Gefühle nicht nur durch unseren Körper und unseren Geist geformt werden, sondern auch stark von der uns prägenden Kultur beeinflusst sind.

Übung 2:

Emotionen spüren und verändern! Denkt an etwas Ärgerliches, lasst auch Eurer Körpersprache freien Lauf – denkt an etwas Trauriges und denkt an etwas Schönes – ein richtges Glücksgefühl.

Wie war das? Haben die Gedanken Eure Gefühle dominieren können? War es eine Leitung der Gefühle? Haben sich die Gefühle echt angespürt?

Die Reise in die Welt der Gefühle zeigt:

Gefühle verändern sich offensichtlich stark durch Raum und Zeit.

Das Wahrnehmen durch die Sinne – wir nennen es Gefühle

Gefühl: umgangssprachliche Bezeichnung und Verwendung für einen erlebten Zustand bzw. subjektiven Erlebniszustand.

Auf Gefühle stoßen wir immer dann, wenn wir fragen, ob und wie ein Ereignis, eine Vorstellung oder eine Erinnerung eine Person berührt.

Beim Erwachsenen sind Gefühlszustände überwiegend unwillkürliche, teil-automatisierte Reaktionen, in denen sich jeweils die Art und der Grad des Involviert seins zeigen.

Man erfährt sich beim Erleben von Gefühlen häufig auch als eher passiv; Gefühle erscheinen häufig als spontan, unwillkürlich, wie von selbst, außerhalb der Kontrolle der Person entstehend.

Den größten Teil unseres Lebens nehmen wir sie mehr oder weniger wahr, beschäftigen uns aber nur im Ausnahmezustand damit. Gefühle werden in den extremen Situationen wichtig – etwa wenn wir verliebt sind oder bei Verlust.

Ich habe als junger Mensch gedacht, dass Gefühle für alle Menschen auf der Welt gleich sind, wir das mehr oder weniger selbe Spektrum an Gefühlen zur Verfügung haben – so wie alle Menschen zwei Arme und zwei Beine haben. Hab‘ spannend gefunden zu erfahren und erleben, dass Menschen quer über den Globus völlig unterschiedliche Gefühle haben.

Übung 3:

Unsere Brüder/unsere Schwester werden uns jetzt Gefühle zeigen, und ihr seid aufgerufen, sie zu benennen – genießt bitte den Anblick und ruft dann heraus, welches Gefühl Euch vermittelt wird

Darstellen von Gefühlen:

 Darstellen von Angst:    Laut sagen:   Das ist fürchterlich

Darstellen von Freude:    Laut sagen:      Das ist richtig

Darstellen von Traurigkeit:   Laut sagen:    Das ist traurig

Darstellen von Wut/Ärger:   Laut sagen:      Das ist falsch

 Darstellen von Liebe:    Laut sagen:   Das ist wunderbar

Darstellen von Scham:  Laut sagen:    Ich bin falsch

……..

Darstellung von Ekel:   Laut sagen: Das will ich nicht

Darstellung von Neugier:  Laut sagen:    Das interessiert mich

Ein Gefühl bedeutet: das Bewusstwerden einer vorangegangen Emotion.

Dieser Prozess des Bewusstwerdens ist uns heute geläufig, wir werden dazu aufgefordert und angehalten. Ob wir positive oder negative Gefühle höher bewerten, unterliegt der Kultur und Mode, in der wir groß werden.

In der Renaissance wurde man ermuntert, traurig zu sein, weil dort die Erfüllung des Geistes zu finden sei.

Im 18. Jahrhundert hat man gelehrt, dass ein ernsthafter Künstler nur einer ist, der regelmäßig erschüttert ist.

Die griechischen Philosophen nannten die Fähigkeit zur Ausblendung negativer Gefühle Ataraxie. Ein Begriff, der Gemütsruhe, Seelenfrieden oder auch Gelassenheit umschreibt.

Noch eine Stufe höher steht die Apathie, das komplette Ausschalten von Gefühlen.

Beides galt damals als schwer zu erreichender Idealzustand, wer möchte heute freiwillig apathisch sein?

Der moderne Mensch ist höchst interessiert, die Ataraxie zu erreichen, und viele von uns können dazu bestimmt auch persönliche Erfahrungen liefern, was es Schönes zu fühlen gibt, wenn man in den Zustand der wohltuenden Ruhe ohne negative Belastung gelangt.

Wir arbeiten am rauen Stein – versuchen uns stetig selbst zu beobachten, zu erforschen –, demnach gehört auch das Erfühlen, was uns bewegt, zu unserer Arbeit.

Wenn wir uns selbst erforschen, erliegen wir mit ziemlicher Sicherheit einem Phänomen, das die Psychologie: Selbsterforschungsillusion nennt.

Psychologen aus den unterschiedlichsten Richtungen sind sich in diesem Punkt einig: Die Selbstbeobachtung unserer Gefühle im Jetzt ist fehlerhaft, unzuverlässig, irreführend, sprich meistens falsch.

Stimmungen, Gedankenfetzen und Gefühlregungen führen uns an der Nase herum bzw. in die Irre.

Wollen wir uns selbst erforschen, ist viel wichtiger als den derzeitigen IST-Zustand zu erheben, eine Rückschau zu halten.

Was ist die Bilanz der letzten 30 Jahre?

Welche Themen und Gefühle ziehen sich tatsächlich durch einen großen Teil meines Lebens? Nur das ist aussagekräftig!

Evolutionär gesehen, war es immer wichtiger, die Gefühle des anderen zu erkennen. Das Bewusst machen der eigenen Gefühle war lange überhaupt nicht wichtig, deshalb hat der Mensch darin auch wenig Übung.

Wie sich unser Gegenüber fühlt, war relevant: ist er Freund oder Feind – mir gut gesonnen oder muss ich flüchten.

Das hat auch dazu geführt, dass wir die Gefühle der anderen ununterbrochen gescannt und beobachtet haben. Das haben wir erhalten und können es alle.

Interessanterweise sind meist Freunde oder nahe Verwandte deshalb besser imstande, eine relevante Scala von Gefühlen über uns abzugeben, als man selbst.

Provokantes Fazit: Vertraue Deinen Gefühlen nicht! Sie sind zu unstet!

Als Segler gesprochen: vertraut man seinen Gefühlen, wäre das so, als würde man einem Kompass folgen, der ununterbrochen die Richtung wechselt.

Was fühlst Du? – ist eine Frage, die wir als Kind selten gestellt bekamen. Wir aber würden sie mit größerer Wahrscheinlichkeit an unsere Kinder richten.

Über Jahrhunderte hatte es in keiner Gesellschaft Platz gegeben, über Gefühle zu sprechen und schon gar nicht über sie nachzudenken. Das war höchstens Gelehrten und Philosophen vorbehalten.

Und auch die Kunst war die Welt der Gefühle. Sie waren die Basis für den künstlerischen Ausdruck. Künstler räumte man ein, Emotionen zu haben und sie auch für alle sichtbar zu leben.

Das Fühlen hat erst in der modernen Gesellschaft einen Platz bekommen, nicht zuletzt deshalb, weil man erkannt hat, dass auch wesentliche ökonomische Zusammenhänge ableitbar sind.

Die Mode des sogenannten persönlichen Aufarbeitens hat erstaunlicherweise eine Epidemie des „Selbstmitleids“ gebracht, nicht wie man vermutet hat, eine Vielfalt von Gefühlen.

Schon Seneca warnte davor und sprach vom „Unglück der Selbstzerfleischung“.

Senecas Lösung:

  Akzeptiere, dass das Leben nicht perfekt ist – Du tust Dir um einiges leichter!

 Woran liegt der Sinn unglücklich zu sein, nur weil man unglücklich war – fragt Seneca weiter?

Die Art, wie wir empfinden, ist nicht nur von uns selbst geprägt, sondern auch immer mit Erwartungen und Vorstellungen der jeweiligen Kultur verwoben, in der wir leben. Rund um 1900 war in Wiens intellektueller Welt nur der ernst zu nehmen, der missmutig war. Lebensfrohe Menschen hielt man für oberflächlich und ganz bestimmt ungebildet.

Emotionen scheinen derart signifikant zu sein, dass sich die Menschen mit ihren vielen Nuancen dazu eigene Einteilungen gezimmert haben.

Die Pintupi, ein Volk in Westaustralien, kennt zum Beispiel 15 verschiedene Arten von Angst und hat dafür nicht nur eigene Wörter, sondern auch Rituale um sie auszudrücken.

In Peru gibt es zum Beispiel kein Wort für unseren Begriff Sorge.

Um 1500 v. Chr. kannte man bei den Veden schon das Gefühl Abhiman. Abhiman ist der Schmerz und die Wut, die in uns aufkommen, wenn uns eine Person verletzt, die wir lieben oder von der wir erwarten, dass sie uns freundlich behandelt.

In Indien gilt Abhiman als eines der wichtigsten Gefühle innerhalb von Familien, wenn ungeschriebene Gesetzte nicht eingehalten werden.

Malu ist ein Gefühl, für das es in Indonesien Rituale und Kultur gibt. Malu ist das Gefühl, das uns beschleicht, wenn wir Menschen höheren Ranges begegnen. Würdenträger, der Chefetage und wem auch immer. In der westlich orientierten Welt würden wir uns als Versager fühlen, wenn wir im Erwachsenen sein noch immer das Gefühl des Unterlegen seins empfinden oder rot werden und zu stottern beginnen. In Indonesien gilt es als gute Manieren, malu zu zeigen. Es ist so selbstverständlich, wie bei uns „danke“ zu sagen.

Diese Liste würde sich noch lange fortsetzen lassen.

Mein liebstes Gefühl auf meiner Spurensuche, möchte ich jetzt mit Euch teilen.

Abschlussübung:

Bitte alle aufstehen, dreht Euch zu einander. Bitte zu zweit zusammen gehen.

Nehmt einander in die Arme und schließt Eure Augen.

Amae hat bei uns keinen Namen.

Amae ist in Japan zu Hause.

Amae ist das Gefühl, jemanden innig umarmen zu wollen.