Die Musik, dich ich für mein Baustück gewählt habe, stammt aus einer Aufnahme des Neujahrskonzerts 2003 der Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt. Egal, wo ich am 1 Jänner war, wenn ich die Klänge des Walzers an der schönen blauen Donau hörte, fühlte ich mich zu Hause. Daheim!
Ich bin auf dieses Thema gestoßen im Rahmen der letzten Nationalratswahlen. Da tauchte ein Plakat der FPÖ auf, sie sei „die Heimatpartei“. Gleich beim ersten Mal ist mir dieser Ausspruch negativ aufgefallen. Wenn die FPÖ die Heimat vertritt, sollte das heißen, dass alle anderen nicht die Heimat vertreten?
Will ich die gleiche Heimat wie die FPÖ haben?
Zunächst habe ich mich gefragt, was Heimat für mich eigentlich bedeutet? Und warum der Begriff Heimat für mich einen schalen Beigeschmack hat. Da fielen mir zunächst Heimatfilme ein, Alpenglühen, Liebesromanzen, Förster, die Wilderer jagen, Alpenbäche, naja Sisi usw.
Wie auch immer, ich begann über den Begriff Heimat nachzudenken und danach auch zu recherchieren.
Das erste was mir in den Sinn kam, war die Bundeshymne (Text Paula Preradovic).
Ursprünglich „Heimat bist Du großer Söhne“! seit 2011 umgewandelt in: „Heimat bist du großer Töchter und Söhne“.
Die Bundeshymne ist eines unserer Staatssymbole. Wer sie „verächtlich macht oder sonst herabwürdigt“, macht sich nach § 248 StGB wegen „Herabwürdigung des Staates und seiner Symbole“ strafbar. Somit sind auch der Text der Bundeshymne und der Begriff Heimat schützenswert.
Kleiner Exkurs zur Melodie der Bundeshymne, die sich aus dem „Bundeslied“ ableiten soll:
Neunzehn Tage vor seinem Tod soll Wolfgang Amadeus Mozart, Mitglied der Freimaurerloge „Zur Wohltätigkeit“, mit der Freimaurerkantate sein letztes vollendetes Werk geschrieben haben. Am 14. November 1792 brachte der Buchdrucker Joseph Hraschansky in Wien die Partitur in zwei Varianten heraus. Einem Teil der Gesamtauflage war das später sehr bekannte „Kettenlied“ mit dem Text Lasst uns mit geschlungen Händen beigebunden. Der Titel lehnt sich daran, dass die Freimaurer ihre Versammlungen damit beendeten, dass sie das Lied mit verschlungenen Händen als Zeichen ihrer Gemeinschaft sangen.
Spätestens seit den 1960er Jahren wird von Musikforschern die Zuschreibung des als „Bundeslied“ bekannt gewordenen „Kettenliedes“ an Mozart bezweifelt. Nach den Erkenntnissen führender Musikwissenschafter gab es über Jahrzehnte hinweg die These, dass das Bundeslied von „Claviermeister“ Johann Baptist Holzer stamme, einem Logenbruder der Wiener Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“. Neuere Forschungen ergaben hingegen, dass der Komponist Paul Wranitzky, Konzertmeister der Wiener Hofoper am Kärntnertor, gleichfalls Logenbruder, aller Wahrscheinlichkeit nach der Urheber dieser Melodie war.
Zusammenfassend dürfen wir feststellen, dass einige Freimaurer an der Melodie unserer Bundeshymne mitgewirkt haben.
Kehren wir aber zum Thema zurück:
Da gab es 2018 einen ideologischen Disput der deutschen Grünen mit der AfD, wer die Heimat tatsächlich vertreten darf und für sich diesen Begriff in Anspruch nimmt.
Und da fällt mir ein, dass unser Ritual vorsieht, nach der Rezeption an der Tafel Toasts auf die Königliche Kunst, auf die Frauen und auf das Vaterland und sein Staatsoberhaupt (siehe Intern. Lexikon der FM unter dem Begriff Vaterland) auszubringen. Somit kennen wir den Begriff der Heimat in der Freimaurerei nicht direkt, sondern nur in Verbindung mit dem Vaterland.
Verwirrung machte sich breit.
Also habe ich versucht, mich systematisch dem Thema „Was bedeutet Heimat?“ zu nähern. Und welchen Konsequenzen hat es, wenn Heimat definiert wird und alles andere und alle anderen, die nicht dazugehören, daher nicht einer Heimat angehören?
Versuch einer Begriffsbestimmung
Zunächst war ich sehr überrascht, wieviel Dissertationen und Habilitationen zum Thema Heimat zu finden sind. Unter anderem die Dissertation von Andrea Bastian „Der Heimat-Begriff“, Tübingen 1995.
Sie führt darin aus, dass der ursprüngliche Begriff erstmals im 15. Jhdt. nachweisbar ist und damit Grundbesitz, Gut, Anwesen gemeint war. Die Weiterentwicklung von Haus, Heim zu Heimat oder englisch „home“.
Definition Heimat im Brockhaus: „Heimat ist zunächst auf einen Ort (auch als Landschaft verstanden) bezogen“.
Im Meyers Enzyklopädischen Lexikon finden wir zu Heimat: „Heimat definiert subjektiv von einzelnen Menschen oder kollektiv von Gruppen, Stämmen, Völkern, Nationen erlebte territoriale Einheit, zu der ein Gefühl besonders enger Verbundenheit besteht“.
Das Erste, das bei all den Annäherungen zu der Begriffsbestimmungen Heimat auffällt, ist, dass es sich immer um eine subjektive Wahrnehmung handelt. Heimat kann daher nicht als objektiver, allgemeingültiger Begriff festgemacht werden, sondern ist für jeden individuell unterschiedlich. Tatsächlich definieren wir mit dem Begriff Heimatgefühl, was für jeden Einzelnen Heimat bedeutet.
Es ist somit nicht einfach, den Begriff Heimat exakt zu deuten, so ähnlich wie es Augustinus in seinen Betrachtungen über das Problem der Zeit gegangen sein muss: Solange mich niemand danach fragt, ist es mir als wüsste ich es, fragt man mich aber und soll ich es erklären, dann weiß ich es nicht mehr“.
Es geht grundsätzlich um eine subjektive Wahrnehmung – das Heimatgefühl. Was vermittelt uns diesen Eindruck:
- Geruch auftauender Erde im Vorfrühling, Geruch des Wachses eines frisch eingelassenen Fußbodens
- Anblick eines Gegenstandes oder Gebäude
- Hören einer bestimmten Melodie oder einer Stimme
- Bestimmter Wohnort
- Nahestehende, vertraute Menschen
- Regelmäßige, wiederkehrende Feste
Der gemeinsame Nenner ist das Gefühl der Vertrautheit, Sicherheit, Zugehörigkeit, Anerkennung und Geborgenheit.
Indem man sich etwas vertraut macht, sei es einen bestimmten Raum (Landschaft/Ort/Elternhaus, in dem heranwachsende Individuen sich Winkel für Winkel vertraut machen) oder einen Menschen, verleiht man ihm Einzigartigkeit und darin ist der Kern des individuellen Heimatgefühles begründet. (Zitat Andrea Bastian)
K. Weigelt in seinem Artikel 1984 zum Thema Heimat (erschienen in den“ Studien zur politischen Bildung“) führt aus: „Heimat ist die Erfahrung, als Mensch angenommen zu sein…, irgendwohin zu gehören, wo man willkommen ist, wo man geliebt und geachtet wird… Geborgenheit kann es nur geben, wo der Mensch in dieser Weise angenommen und sich damit auch in seiner Würde geachtet weiß“.
Konrad Lorenz beschreibt den Zusammenhang von Sicherheitsgefühl und Heimat so: „Wir alle unterschätzen, wie sehr uns die Angst im Nacken sitzt und wie sehr wir uns nach Sicherheit sehnen! Heimatgefühl ist ein qualitativ eigenartiges Lustgefühl, das jeder kennt und das man empfindet, wenn man etwas sehr Vertrautes wiedersieht. Daraus entsteht ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit. Man fühlt sich zu Hause“.
Zusammenfassend kann daher gesagt werden: Heimat ist nur subjektiv definierbar; Heimat ist ein Gefühl, das jeder mit Sicherheit, Vertrautheit, Zugehörigkeit, Anerkennung und Geborgenheit identifiziert.
Ich habe Freunde befragt, was sie spontan zum Begriff Heimat sagen und was Heimat für sie ist.
Viele bezeichnen zunächst das Land aus dem sie stammen, als ihre Heimat. Diesen geographischen Begriff verwendet wohl die Textstelle in unserer Bundeshymne, denn gemeint ist sicher damit die Republik Österreich.
Es gibt daher eine geographische Unterscheidung, die je nach Individuum sehr unterschiedlich ausfällt. Interessanterweise habe ich nur eine Person getroffen, die Europa als ihre Heimat genannt hat…
Gebräuche, Traditionen, Geschmack eines bestimmten Gerichtes oder der Duft lösen heimatliche Gefühle aus. Das heißt, dass wir in unserer Sozialisierung Vertrautes, Sicheres und Geborgenes später dann mit dem Heimatbegriff assoziieren.
Wenn nun von außen suggeriert wird, was für eine bestimmte Gruppe Heimat ist, wird damit auch sehr schnell klar, dass alles was sich außerhalb befindet, möglicherweise als Bedrohung empfunden werden könnte.
Interessant ist, dass dabei Heimat wieder nicht identifiziert wird. Zunächst wird es wohl die Zugehörigkeit zu einem Staat oder vielleicht auch einer Gruppe mit bestimmten Merkmalen sein. Die Angehörigen dieses Staates oder dieser Gruppe genießen bestimmte Vorrechte (aktives/passives Wahlrecht, Sozialleistungen, Reisepass usw.). Offenbar müssen die Rechte dieser Gruppe vor irgendwas geschützt werden?!
Das Territorium Heimat hat offenbar immer auch – bei Mensch und Tier- mit „Überleben“ zu tun, zumindest gewährt die Rückkehr auf ein eigenes oder gemeinsames Territorium Sicherheit und Entspannung.
Aber was bedeutet das für alle diejenigen, die ihr Land verlassen haben? Vielleicht für die Ausbildung, den Job, die Liebe, wegen wirtschaftlicher Notwendigkeit oder Gefahr für ihr Leben und ihrer Familien? Wir erleben seit einigen Jahren „Völkerwanderungen des 20./21. Jahrhunderts“ aus mannigfachen Gründen. Alle diese Menschen, die ihr vertrautes Territorium verlassen haben und in ein neues, anderes Land gezogen sind, haben dieses Gefühl der Sicherheit/Vertrautheit/ Geborgenheit nicht mehr. Teilweise können und gehen sie auch zurück, teilweise wollen sie zurück, können aber nicht. Es gibt sehr viele Gründe, warum Menschen ihre Heimat auf Dauer verlassen.
Zum Teil brauchen wir diese Menschen als Arbeitskräfte oder sie sind Teil unser Familien geworden, weil sie eingeheiratet haben oder schlicht sehr gute Freunde oder Nachbarn sind.
Alle haben das gleiche Recht auf ihr Heimatgefühl, wie ich es für mich in Anspruch nehme. Oder nicht? Natürlich im Rahmen unserer gesetzlichen Bestimmungen und unserer Gebräuche/Kultur und nicht zuletzt unter Respektierung der Freiheit der Anderen.
Schwester Anita hat mich auf ein beindruckendes Buch zu diesem Thema hingewiesen. Isolde Charim: „Ich und die Anderen“.
Klappentext: „Keiner kann heute seine Kultur….Debatte um religiöse Zeichen.“
In ihrem Buch unterscheidet Charim (sehr vereinfacht) drei unterschiedliche Phasen des Individualismus.
Die erste Phase wird von den großen Verbänden wie Staat, Religion usw. geprägt. Es genügt daher, bürgerlich oder christlich zu sein oder auch nur Österreicher, um dieser/diesen Gruppen anzugehören. Der Mensch wurde quasi hineingeboren und musste sich oder die Gruppe nicht in Frage stellen. Die fortschreitende Pluralisierung der Lebensformen brachte es mit sich, dass neue Gruppen auftauchten mit anderen Merkmalen. Es war daher eine Entscheidung einer dieser Gruppen angehören zu wollen (Beispiel Homosexualität, Frauenbewegung und anderen Minderheitenbewegungen). Hier spricht Charim vom zweiten Individualismus. Die Pluralisierung der Bevölkerung bedeutet einen dritten Individualismus. Alle drei Formen bestehen heute nebeneinander.
Sehr vereinfacht dargestellt bedeutet es, dass im 19. und 20. Jahrhundert es relativ einfach war, jeden Einzelnen einer bestimmten Gruppe zuzuordnen, und es auch dem Individuum einfach war, sich eine bestimmte Partei, Religion oder Lebensform zu wählen oder auch nur zu leben. Durch die fortschreitende Pluralisierung haben sich alle diese alten Grenzen, Regeln, Gesetze verändert und der Einzelne müsste für sich definieren, was und wer er/sie ist! Was ungemein komplexer ist, noch dazu, wo die Einflüsse durch Informationen zu allen Bereichen eine schier unendliche Anzahl an Möglichkeiten bietet.
Fixe Zuordnungen, klare Regeln lösen sich auf! Zugunsten eines riesigen Angebotes an möglichen Denkrichtungen, Lebensformen, Philosophien und vieles mehr.
Zurückkommend auf das eingangs erwähnte Heimatgefühl als Sozialisierung, Vertrautheit, Sicherheit. Wie kann in diesem gesellschaftlichen Umbruch ein Gefühl von Heimat entstehen? Oder können neue Heimaten kreiert werden? Die deines Ursprungs und die deines Aufenthaltes/Wohnsitz?
Und so wird es nicht nur eine Heimat geben. Nicht nur für uns, aber auch für jeden, der seine ursprüngliche Heimat verlässt, oder dessen Eltern diese verlassen haben, aber heute noch engste Beziehungen pflegen.
Pluralisierung in diesem Sinn bringt Freiheit. Und eine Gesellschaft, Gruppe oder Land/Nation muss sich davor nicht schützen, denn es droht keine Gefahr, sondern ist eine Bereicherung.
Ich denke, wir sollten sensibel reagieren, wenn bestimmte Gruppen uns suggerieren wollen, was unsere Heimat sein sollte.
Insbesondere als Freimaurer, die wir uns den Gedanke der Aufklärung verschrieben haben (Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit), sollten wir achtsam umgehen, wenn bestimmte Organisationen, Gruppen oder sonst wer beginnt zu definieren, wer dazugehören darf und unter unserem Schutz steht und wer draußen bleiben soll.
Auch wir FM prüfen eingehend, wen wir in unsere Loge aufnehmen oder nicht. Wir machen Interviews, berichten und stimmen ab. Ist daher die Logos für unsere Gruppe die Heimat? Ja sicher, die Gesichter sind uns vertraut, wir fühlen uns anerkannt und sicher. Aber trotzdem reisen wir, besuchen andere Obödienzen und andere Logen. Für uns ist Reisen zu anderen Logen sehr positiv und erweitert den Horizont und unsere Sichtweisen auf unsere Rituale und vieles mehr.
Wenn Heimat nicht der verkitschte Försterfilm ist, sondern ein ehrliches, persönliches Gefühl, das Wohlgefühl vermittelt, dann soll es jedem unbenommen sein, sich daran zu erfreuen.
Wir sollten jedoch sehr vorsichtig sein, wenn bestimmte Interessvertreter plötzlich einen unhinterfragten Heimatbegriff verwenden, um sich von anderen abzugrenzen.