Wozu brauchen wir Deckung?

Wenn wir von Deckung reden, dann meinen wir Verschiedenes:

1. Deckung als Synonym für die Anonymität eines Bruders, einer Schwester über die Mitgliedschaft beim Bund, im weitesten Sinne meinen wir also Verschwiegenheit.

 2. Im Ritual tragen die Aufseher Sorge dafür, dass die Loge gehörig gedeckt ist.

3. Deckung heißt aber auch, die Loge zu verlassen.

Angesichts der Dringlichkeit des Themas, möchte ich mich auf die ersten beiden Punkte konzentrieren. Denn darum geht es.

Deckung hat mit der altenglischen Tradition des Tylors (des Dach- oder Ziegeldeckers) zu tun. Er war für die ‚Deckung’ der Loge verantwortlich (und übrigens auch für die Kreidezeichnung am Boden). Er war es, der den letzten Dachziegel von außen auflegte, wenn alle Brüder in der Loge waren. Tat er das nicht, weil z.B. nicht alle anwesend waren, befand man sich eben ‚unter freiem Himmel’.

Die Alten Pflichten von 1723 geben uns über das Betragen in Gegenwart von Fremden, welche nicht Maurer sind, vor: Ihr sollt in Reden und Betragen vorsichtig sein, dass auch der scharfsinnigste Fremde nichts zu entdecken vermöge, was nicht geeignet ist, ihm eröffnet zu werden. (Zuweilen müsst ihr auch ein Gespräch ablenken und es klug zur Ehre der Ehrwürdigen Bruderschaft leiten.)

Das Reden und Betragen im digitalen Raum ist aber so gut wie immer ungeschützt. Facebook, E-Mails, WhatsApp, ja auch Zoom sind offene Bücher für jeden, der sich etwas besser mit IT-Technik auskennt. Und wenn es nur jeden für sich betreffen würde, könnte man unsere Unvorsichtigkeit damit rechtfertigen, dass natürlich jeder für sich entscheiden kann, ob er oder sie seine oder ihre Mitgliedschaft offenlegt. Aber jede Nachricht, die wir einander schreiben, richtet sich zumindest an ein anderes Mitglied. Wenn diese Nachricht, und sei es auch nur die Kontaktdaten und ein Betreff, der masonisch konnotiert ist, – vom Inhalt gar nicht zu reden – von Fremden mitgelesen wird, ist die Deckung unserer Geschwister schon nicht mehr gewährleistet. Und wir haben doch aber versprochen, unverbrüchliches Schweigen zu bewahren. Schließlich geht es nicht nur um uns als Einzelperson. Es geht auch immer um den Anderen.

Diesem Teil des Gelöbnisses gerecht werden und ihn in Einklang mit unserer Kommunikation zu bringen, ist ein Anspruch, den ich noch nicht gänzlich verstanden habe. Ich möchte dann später mit Euch diskutieren, wie er zu verstehen ist.

Mit der Digitalisierung haben die Gefahren ja nicht abgenommen. Problematisch sehe ich aber nicht nur die digitale Kommunikation.

Stellen wir uns vielleicht folgendes vor:

In 2 bis 3 Monaten treffen wir uns wieder physisch in unseren Räumlichkeiten. Obwohl wir alle Maßnahmen einhalten, also Desinfektionsmittel bereitstellen, Abstand halten – wobei die Frage ist, wie das Ritual dann in seinen Einzelheiten durchgeführt werden kann? – und Handschuhe tragen, kommt es in der Folge unseres Treffens zur Verbreitung einer Corona-Infektion bei Zweien von uns. Die Gesundheitsbehörden müssen alle Personen, mit denen Infizierte innerhalb der letzten 2 Tage Kontakt hatten, verständigen, damit sie sich in Quarantäne begeben. Dazu werden die Handydaten der Infizierten ausgewertet. So gelangen die Kontaktdaten von uns allen, die bei diesem Treffen waren, in die Hände des Gesundheitspersonals, das zweifellos zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Doch überall, wo Daten gespeichert werden, werden sie auch missbraucht, sagte mir schon vor Jahren ein befreundeter IT-Experte.

Anderes Szenario: Jemand von uns ist mit einem Wirtschaftstreibenden befreundet, der in der Baubranche eine bedeutende Stellung hat. Irgendwann übernimmt man für ihn als Freundschaftsdienst einen Gesellschaftsanteil. Damit ist keine Arbeit verbunden, man hält ihn nur treuhändig. Als die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft dem Wirtschaftsboss Betrug und Untreue in Millionenhöhe vorwirft, weil er Geschäfte mit mehreren Liegenschaften und Gesellschaftsanteilen getätigt hat, ist sich die WKStA sicher, dass er das alles nicht allein gemacht haben kann, dazu brauchte er Berater, Manager, Geschäftspartner. Es kommt zu Hausdurchsuchungen bei allen, denen der Oberstaatsanwalt habhaft wird, auch bei unserem Bruder oder unserer Schwester. Der PC wird mitgenommen, auf diesem befindet sich die Mitgliederliste unseres Vereins – wohlgemerkt unverschlüsselt. Es werden in der Folge auch E-Mail-Korrespondenzen ausgewertet, dabei werden unsere Arbeitstafeln, Protokolle und Rituale zum Ermittlungsakt genommen. Ich weiß, dass das bereits passiert ist.

Und dann lesen wir Schlagzeilen in der Zeitung, dass H. C. Strache in seinen kruden Verschwörungstheorien die Israelitische Kultusgemeinde, die ÖVP und Freimaurer für den Ibiza-Skandal verantwortlich macht.

Und jetzt ein Blick in meine Welt: Ich arbeite in einer Anwaltskanzlei, die politisch und gesellschaftlich auf der mir diametral entgegen gesetzten Seite positioniert ist. Meine Chefs und ich akzeptieren einander, vertrauen tun wir uns nicht. Wenn die auch noch wüssten, dass ich dabei bin, ist meine Karriere vermutlich beendet.

Wir brauchen gar nicht weit zurückschauen, um zu erkennen, dass Verfolgung und Repression ganz präsent sein können. Deshalb empfinde ich die äußere Deckung als notwendiges Kriterium.

Meines Erachtens ist sie aber auch Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt eine innere Einstimmung finden können. Die alltäglichen Gedanken und Sorgen abzustreifen, das Draußenliegende draußen zu lassen. Und mich stattdessen auf die Gemeinschaft und das Erlebnis zu fokussieren, auf das vertrauensvolle Beisammensein, auf die Ziele, die wir mit der Arbeit erreichen wollen: Das Herz zu erwärmen und den Geist zu erhellen.

Die neuen Pflichten drücken es prägnant aus:

(In der Loge sollt Ihr frei von den Bedrängnissen des Alltags die Sammlung finden, um unvoreingenommen und gemeinsam mit Euren Brüdern die wichtigen Fragen Eurer Gegenwart und Eurer Gesellschaft zu behandeln.) – Die Deckung der Loge erlaubt Euch, Eure Ansichten ohne Rücksicht auf profane Bindungen zu äußern, die Bruderschaft wird immer bereit sein, sich mit Euren Meinungen zu befassen.

Wenn aber die äußere Deckung nicht gegeben ist, kann meines Erachtens auch keine innere Deckung hergestellt werden. Wenn man nicht sicher sein kann, dass das Gesagte auch tatsächlich verschwiegen bleibt, ist eine vertrauensvolle Öffnung nicht möglich.

Zusammenfassung:

Die maurerische Deckung ist eine Verantwortung gegen uns selbst und gegen die Geschwister. Die Deckung ernst nehmen, heißt auch Digitalisierung mitzudenken. Was uns im analogen Umgang selbstverständlich ist, nämlich, dass man in Anwesenheit von Profanen keine maurerischen Gespräche führt oder, dass wir von Geschwistern nicht sagen, dass sie beim Bund sind, sollte auch in der digitalen Welt gelten.

Fragen für die virtuelle Diskussion:

Welche Verantwortung tragen wir überhaupt für die Deckung der anderen Mitglieder? Ist es mit unserem Gelöbnis vereinbar, dass wir unsere E-Mails unverschlüsselt versenden oder über einsehbare Messenger-Dienste kommunizieren oder Gruppeninterna ungeschützt auf unseren Rechnern liegen lassen?

Schlusswort:

Die Deckung bildet zwar ein Dach, das einigermaßen Schatten spendet und leidlich gegen den Regen, aber nicht gegen die Zugluft schützt.

(unbekannt)