FMei in anderen Ländern – Blick über unsere Grenzen

Liebe Geschwister, lasst uns heute eine masonische Reise in andere Länder und andere
freimaurerische Traditionen unternehmen:
Bei jeder Rezeption hören wir es (zit.): „Die Freimaurerei besteht in ihrer gegenwärtigen
Form seit Jahrhunderten, aber der freimaurerische Gedanke ist uralt. Er ist nicht gebunden an
Form, Zeit und Ort und wurzelt tief in der Seele des Menschen. Wenn sich auch im Laufe der
Zeit hier und dort äußere Verschiedenheiten herausgebildet haben, die wesentlichen inneren
Grundsätze sind immer und überall dieselben geblieben…“
Wir alle gehören dem Maurerbund an, egal wer jetzt wen offiziell als solchen anerkennen
mag und wer nicht. Die Rituale bei uns in der RSG unterscheiden sich nur unwesentlich von
den Ritualen Eurer Loge und das liegt nicht zuletzt auch daran, dass wir bis in die 1950-er
Jahre ja eine gemeinsame frm. Geschichte hatten. Wir alle sind Glieder einer Kette, die sich
um den ganzen Erdball schlingt. Doch der Blick über die Grenzen des Vertrauten, jener
Freimaurerei, in die wir einst hineingeboren wurden, die wir teils bis in die tiefsten Fasern
unseres Wesens verinnerlicht haben, kann auch eine ganz andere, fremdartige masonische
Welt offenbaren, in der lediglich Symbole, zumindest ein paar davon, vertraut erscheinen.
Freimaurerei in anderen Ländern kann sich von unserer gewohnten frm. Arbeitsweise oft
sehr stark unterscheiden.
Das kann verunsichern, aber auch neugierig machen. Nähern wir uns nun so oft gehörten
und vielleicht nicht immer genau verstandenen Begriffen, wie „Emulationsritual“, Arbeit
nach Schröder, der Andreasmaurerei oder auch dem „französisch-schottisches Ritual“. Um
die Eigenheiten und Verschiedenheiten der frm. Ritualistik verstehen zu lernen, um das
englische Emulationsritual von unserem Ritual nach Schröder, dieses wiederum vom frz.-
schottischen Ritual zu unterscheiden und damit auch unser eigenes Ritual besser
einschätzen zu können, müssen wir in groben Sprüngen die Historie der spekulativen
Freimaurerei von ihren offiziellen Anfängen im Jahre 1717 in London bis in die Gegenwart
Revue passieren lassen:
Die Logenversammlungen der angenommenen Maurer fanden im England des frühen
18.Jhds. in den Hinterzimmern von Wirtshäusern statt und noch lange nicht in eigenen
Tempelräumen. Eine Loge wurde dort errichtet, man sagte „gezeichnet“ – to draw the lodge.
Gezeichnet wurde wirklich, meist mit Kreide auf den Boden. Zuerst ein Viereck in der Mitte
des Raumes, in das danach ganz primitiv einzelne Symbole eingefügt wurden. Zum Ende der
Arbeit wurde alles wieder fein säuberlich gelöscht.
Auch heute noch wird die Loge in England und vielen anderen nach dem Englischen Ritual
arbeitenden Ländern zu Anfang erst errichtet. Doch anstelle von Zeichnungen auf dem
Boden werden heute im Zuge der Eröffnung der Loge sog. Tracing boards aufgestellt. Das
sind Tafeln mit den Symbolen des jeweiligen Grades. Woher kennen wir das Tracing-board,
zu Deutsch das Zeichen- oder Reißbrett? Es ist auch bei uns bekannt als das dritte
unbewegliche Kleinod der Loge, neben dem glatten und dem rauen Stein. Bei uns ist dieses 3. Kleinod im ersten Grad versinnbildlicht im Tapis. Den Tapis gibt es in den englischen Logen
nicht, dafür eben das Tracing board. Und dieses wird vor dem Pult des 2.A aufgestellt. Die
Pulte der hammerführenden Beamten stehen dabei nicht so im Tempel wie bei uns. Der
MvSt. sitzt auch in England im Osten, der 1.A ihm gegenüber im W, der 2. A im Süden. Der
Sekretär, der in England eigentlich das zentrale Element und damit wichtigste Glied in der
maurerischen Kette ist, sitzt dem 2.A gegenüber im N (Anlage 1).
Der Tempelraum selbst ist im Gegensatz zu unserem Tempel im Englischen freimaurerischen
System vor Eröffnung der Loge einfach nur ein profaner Raum. Die Brüder treten ohne
irgendeine Ordnung ein und setzen sich auf frei gewählte Plätze. Dann ruft der ZM zur
Ordnung und geleitet den MvSt., die Aufseher und die sog. Deacons, das sind die
Laufburschen der Aufseher, prozessionsartig zu deren fixen Plätzen im Tempel.
Äußere und innere Türwache überprüfen nun durch Klopfzeichen die Deckung nach außen,
dann überprüfen die beiden A die Deckung nach innen, indem sie auf Aufforderung ihre
Deacons die Kolonnen abschreiten und die Brr. das Zeichen geben lassen.
Danach wird gemeinsam jenes Lied gesungen, das wir vorhin zur Einstimmung auf mein
Baustück gehört haben. Dieses Lied ist eigentlich ein gesungenes Gebet, gerichtet an den
„Architect Dinive“ den „göttlichen Architekten“, bei uns bekannt als das Symbol des GBaW.
Dieser ist ein zentrales maurerisches Symbol, der oberste Meister, zu dem zu Anfang und am
Ende der Arbeit Gebete gesungen werden. Das ist ein großer Unterschied zur Maurerei in
unseren Breiten, da wir das Symbol des GBAW keinesfalls anbeten, sondern beim Öffnen
und Schließen der Loge lediglich erwähnen. Erst durch die Eröffnung der Loge und das
Aufstellen des Tracing boards wird der Raum in England zum „heiligen Raum“, dem
Freimaurertempel.
Traditionell werden – wie ein paar von Euch schon gehört haben – in England alle Rituale auf
Punkt und Beistrich genau, auswendig gesprochen. Die Ritualtexte sind dabei umfangreich
und lang, einzelne Passagen bis zu 20 Minuten ohne Unterbrechung und durch teils uralte
Phrasen und altenglische Ausdrücke höchst komplex. Diese Texte sind nicht im Geringsten
vergleichbar mit den wenigen Sätzen, die uns in unseren Ritualen abverlangt und dennoch
meist heruntergelesen werden. Die englischen Ritualtexte beinhalten stets eine ausführliche
rituelle Instruktion über die Aufgaben der Freimaurerei im Allgemeinen, sowie über die
Funktion eines jeden Beamten der Logenarbeit und die dem Grad entsprechenden Symbole.
Dies geschieht in Wechselrede zwischen dem MvSt. und den Aufsehern.

Die Ritualtexte sind unverändert mehrere hundert Jahre alt und in entsprechend barockem
altem Englisch gehalten.
Mit dem Auswendigsprechen dieser langen Rituale folgt man in der Englischen FM der
historischen, noch aus der Zeit der Werkmaurer stammenden Tradition der strikt
mündlichen Überlieferung der Passwörter und aller Rituale. Stets und ausschließlich from
mouth to ear – vom Mund zum Ohr. Das war mühevoll, dafür aber sicher. Und zudem nicht
unpraktisch, konnten doch viele Freimaurer, besonders aus den britischen Kolonien bis in die
Mitte des vergangenen Jahrhunderts nicht lesen und schreiben. Die Rituale wurden stets
vom Immediate Past Master an den Whorshipfull Master, den MvSt weitergegeben.
Der Vorgänger des aktuellen MvSt. sitzt deswegen auch heute noch immer im Osten gleich
neben dem Stuhlmeister, um diesem im Notfall soufflieren zu können. Einsager zu brauchen,
wird aber als besondere Schande empfunden und kommt daher nur sehr selten vor.
Die erste offizielle Niederschrift des englischen Emulationsrituals datiert erst aus den 1970er
Jahren. In Lodges of trainee, eigenen Übungsarbeiten kann ein werdender MvSt. noch vor
seiner Einsetzung sein Ritualkönnen üben, ernsthaft unterstützt, korrigiert und kontrolliert
von älteren erfahrenen Pastmastern. Im Rahmen einer Logenreise habe ich selbst einer
solchen Übungsloge beigewohnt und mir dabei gedacht, dass ich dort ganz sicher niemals
MvSt. geworden wäre.
Die englische Freimaurerei kennt im Gegensatz zu uns keine Baustücke. In der Arbeit selbst
wird eine sog. Agenda abgearbeitet, d.h. organisatorisches und auch karitatives besprochen
bzw. Initiationen oder Lohnerhöhungen vorgenommen. Bei jeder Graderteilung ist eine
ebenfalls auswendig und frei gesprochene Instruktion Teil der Arbeit. Doch nicht in unserem
Sinn, also vom jeweiligen VM selbst verfasst, sondern ebenfalls nach uralten Vorlagen über
die Jahrhunderte überliefert stets das gleiche.
Wie wirkt nun die FM im englischen System auf die dortigen Brüder, so ganz ohne Baustücke
mit Diskussion, so ganz auf das Gestrige fixiert? Mir wurde gesagt, dass durch das stete
Wiederholen bei jeder Arbeit die Inhalte des im Ritual gesagten mehr und mehr in das
Unbewusstsein dringen und so das Handeln des FM positiv beeinflussen sollen. Für Maurer
unserer Breiten ist das alles kaum vorstellbar. Funktionieren dürfte es aber dennoch, denn
die Anzahl der Logen und auch jene der Freimaurer ist im englischsprachigen Kulturkreis
unvergleichlich größer, als in unseren Breiten. Obwohl die Mitgliederzahlen – im Gegensatz
zu jenen bei uns – heutzutage stetig zurückgehen.
Logenarbeiten finden in England selten mehr als einmal im Monat, in manchen Logen auch
nur alle 2-3 Monate statt. Das höchste der Gefühle für dortige Maurer sind dabei die Lodges
of Emuation, die sog. Emulationsarbeiten.
Bei diesen Emulationsarbeiten werden an einem Abend alle Grade bearbeitet. Es beginnt
ganz gewöhnlich mit Eröffnung der Loge im ersten Grad. Nun werden die Entered
apprendices, die Lehrlinge in den Tempelvorraum geschickt, und die Loge in den II. °
umgewandelt. Dann werden auch die Fellows of the Craft, die Gesellen hinausgeleitet und
danach in den III. Grad umgewandelt. Bei Vereidigung des neuen MvSt. werden danach nun
auch die übrigen Master Masons, die gewöhnlichen Meister, vor die Türe geschickt. Lediglich die Pastmaster Masons, alle ehemaligen Stuhlmeister, die stets an einem eigenen Past-
Master – Schurz erkennbar sind, verbleiben im Tempel. Sie wandeln die Meisterloge in den Pastmaster-Degree um, holen danach den werdenden Stuhlmeister in den Tempel, vereidigen und instruieren ihn. Wobei jeder Bruder einer Loge einmal Stuhlmeister wird, und das relativ früh – weil da das Hirn noch fit genug ist für das viele auswendig lernen – und Stuhlmeister ist man in England immer nur für ein Jahr. Das Emulations-Ritual steigt nach dem Pastmaster-Degree wieder schrittweise hinab bis in den ersten Grad. Die ganze Zeit dazwischen warten all jene, die den Grad nicht mitbearbeiten dürfen, also Brüder Lehrlinge, Gesellen und ggf. auch die anderen Meister geduldig und schweigend – beaufsichtigt von der äußeren Türwache – im Vorraum des Tempels. Die Rituale sind alle sehr ausführlich und lange, das Ganze kann damit einige Stunden dauern.
Diese Tradition und die Ritualistik der Emulationslogen sind in Großbritannien und vielen
ehemaligen britischen Kolonien und zum Teil auch den USA seit dem Jahre 1816, also seit
mehr als 200 Jahren praktisch unverändert. Damals wurde das Ritual der „Lodge of
Improvement“ nach der Wiedervereinigung der „Ancients“ und der „Moderns“ zur „United
Grand Lodge of England – UGLE“ festgelegt und – damals eben nicht – niedergeschrieben.
Fassen wir zusammen: die Loge wird im englischen System erst errichtet, die Aufseher sitzen
anders als bei uns, alles wird auswendig gesprochen. Gearbeitet wird auf- und absteigend in
allen Graden, es gibt kein Baustück, die Arbeiten dauern sehr lange. Ach ja, an der WT nach
der Arbeit gibt es keine Diskussion, weil es ja kein Baustück gibt.
Dafür gibt es jede Menge Toasts, vom König, über den Großmeister, den Regional-GM, den
Distrikts-GM bis hinunter zum eigenen Stuhlmeister, oft gespickt mit teils scherzhaften
Einlagen und jeder Menge Whisky …..
Am Tag nach einer solchen Arbeit war mir schnell klar, warum diese so selten stattfinden,
man würde es öfters nicht lange überleben.
Im Gegensatz zu England ist die Entwicklung der FM in Kontinentaleuropa ungleich
vielfältiger verlaufen. Die FMei hat sich ab Mitte der 1720er Jahre sprunghaft auf den
Britischen Inseln und in der Folge auch auf dem Europäischen Festland ausgebreitet. Doch
mit der Einheit war es in der spekulativen FMei sehr bald vorbei: dafür sorgten primär
heftige innerenglische Auseinandersetzungen über die Zulassung und Intensität religiöser
Inhalte in der FMei.

Sie führten in England im Jahr 1756 sogar zur Gründung einer Gegen-Großloge, der stark
religionsaffinen „Ancients“ (= sog. Altmaurer), religiösen Fundamentalisten als Gegenpol zu
den „Moderns“ (= Neumaurer) genannten der 1717 gegründeten GL von London.
Besonders die von diesen Ancients ausgehenden heroisierenden und idealisierenden
Theorien zur Entstehung der FMei, alles natürlich wilde Spekulationen und Phantasien,
führen in Kontinental-Europa, und hier besonders den deutschsprachigen Ländern zu
mannigfaltigen und teils paradoxen Strömungen und Entwicklungen unterschiedlichster
einander heftig anfeindender freimaurerischen 3-Grad und Hochgradsysteme mit teils
höchst obskuren Auswüchsen. So sind in den Deutschen Ländern neben der „Strikten
Observanz“ hier als Beispiele die „Asiatischen Brüder“, die „Afrikanischen Bauherren“, Graf
Caligostros „Ägyptische GL“, der Illuminatenorden oder auch die Goldmacher zu nennen.
Nach diesen fast 30-jährigen Wirren innerhalb der FMei in Deutschland setzten sich im Jahre
1782 beim sog. Wilhelmsbader Kongress letztlich die Reformer um Friedrich Ludwig
Schröder gegen die Brüder der „Strikten Observanz“ durch und schufen ein wohl
strukturiertes und auf die Grundsätze des alten englischen 3-Grad Systems zurückgeführtes
Ritual, das sog. „Schrödersche Ritual“.
Auf diesem basiert auch weitgehend unser heutiges Ritual in der GLvÖ und auch das Eure,
das – zwar um einiges abgespeckt – ja unserem fast gleich ist. Und denkt bitte kurz in diesem
Kontext an G.E. Lessing und seine Kritik an den Zuständen der damaligen zeitgenössischen
FMei in seinem berühmten Werk „Ernst + Falk“! Lessing hat wenige Tage nach seiner
Aufnahme wieder gedeckt und ist tragischer Weise ziemlich genau ein Jahr vor diesem
Wilhelmsbader Reformkongress verstorben.
Die religiöse Bindung war bei Schröder – so wie auch ursprünglich in der Konstitution von
Anderson festgelegt – nicht mehr streng christlich. Der Glaube an ein „Supreme Being“ – also
den Großen Baumeister war zwar weiterhin obligat, der GBaW wurde bei Schröder aber
nicht mehr angebetet. Die Bibel liegt zwar als eines der 3 großen Lichter auf dem Altar,
aufgeschlagen beim Johannes-Evangelium. Sie dient aber lediglich als Symbol alten
überlieferten Wissens und nicht mehr als religiöses Werkzeug. Unser gegenwärtiges 3-Grad
Ritual basiert weitgehend auf Schröder. Es wurde Ende des 19. Jhds. von Br. Johannes Beigl
modifiziert, darauf komme ich gleich zu sprechen. Doch stellt sich zuvor die Frage: Wie sind
die Baustücke in unsere Maurerei gekommen?
Ein wichtiger Zeitgenosse Schröders war der Wiener Freimaurer Ignaz von Bohrn. Er war in
den 1770-er Jahren ein bedeutender Mineraloge in Wien, Aufklärer und Freimaurer und ab
1782 MvSt. der Wiener L. “Zur Wahren Eintracht“. Eigentlich wollte Ignaz von Bohrn in Wien
eine freie Akademie der Wissenschaften gründen. Doch dies wurde von Kaiserin Maria
Theresia, die in Österreich keine unzensurierten Wissenschaften zulassen wollte, nicht
erlaubt.
Quasi als Ersatz begründete Bohrn im Freiraum der damaligen Maurerei Übungslogen, in
denen wissenschaftliche Vorträge als „Baustücke“ gehalten wurden. Diese Struktur der frm.
Arbeit (= Ritual + Baustück) fand vielfach in Europa Nachahmung und ist bei uns – im
Gegensatz zu englischen Freimaurerlogen – bis heute ein wesentlicher Teil der frm. Arbeit im
Tempel. Die Baustücke haben damit auch das in unseren Breiten heute so wichtige Element
der Individualität in die FM eingebracht, ohne die unsere Kette wahrscheinlich genauso
schrumpfen würde, wie dies heute im so traditionell orientierten englischen Kulturkreis der
Fall ist.
Im Windschatten der französischen Revolution wurde im Jahr 1795 die Freimaurerei in
Österreich durch Kaiser Franz II/I verboten und konnte erst nach dem Ausgleich mit Ungarn
1867 in den sogenannten „Grenzlogen“ wieder auferstehen. Als erste rein deutschsprachige
Loge wurde 1871 in Neudörfl/ Leitha – damals ungarischer Reichsteil der Monarchie – die
Loge Humanitas gegründet und diese ist damit die eigentliche Mutterloge der neueren
österreichischen FMei.
Die L. Humanitas und ihre zahlreichen Tochter – und Enkellogen – dazu gehört unter anderem
auch meine im Jahr 1907 gegründete Loge Kosmos – arbeiteten vorerst nach dem klassischen
Schröder ́schen Ritual. Doch dieses wurde durch Einfluss der Symbolischen Großloge von
Ungarn, unter deren Schutz die Grenzlogen damals arbeiteten, sowie des christlichen
Freimaurerordens zunehmend mit religiöser Symbolik überfrachtet. Auch der nach dem
französisch-schottischem Ritual arbeitende Großorient von Ungarn hat christliche, aber auch
französische Spuren in die damalige Ritualistik der Grenzlogen eingebracht, wie
beispielsweise bis heute den „Schrecklichen Bruder“ in der Dunklen Kammer und das „kleine
Licht“ bei unserer Rezeption.
Ab dem Jahr 1874 wurde das österreichische Grenzlogen-Ritual im sog. Ritualstreit (synonym
auch Atheismus-Streit) unter Federführung des Br. Hermann Beigel (ZUK) wieder zahlreicher
christlich-religiöser Inhalte, wie Gebeten, Niederknien etc., die sich zwischendurch
„eingeschlichen hatten“, entledigt. Dies vor allem deswegen, da sich die damals mehrheitlich
jüdischen Brüder der Kette nicht mit christlich-geprägten Ritualteilen identifizieren konnten
und wollten. Wie die damaligen Brüder der Grenz-Logen danach genau gearbeitet haben, ist
leider nicht bekannt, aus dieser Zeit sind keine Rituale überliefert. Daher lässt sich auch nicht
rekonstruieren, wann genau bei uns die obligate Abfrage von Zeichen, Griff und Wort beim
Betreten des Tempels, die es auf Grund französischer Einflüsse einst gegeben hat, aus
unsrem heutigen Ritual verschwunden ist oder sich die Sitzpositionen einiger Beamter im
Tempel geändert haben. Die nach dem 1. Weltkrieg gegründete „Großloge von Wien“
arbeitete schon sehr ähnlich, wie wir es heute tun. Nur „Siezten“ einander die Brüder damals
noch.
Es folgten später noch Justierungen wie das Weglassen der körperlichen Strafandrohung bei
Nichterfüllung frm. Pflichten im Gelöbnis oder die Änderung der Stellung des GBaW im
Ritual: so sagen wir heute beim Eröffnen der Loge: „in Ehrfurcht vor dem GBaW“ an Stelle
von: „im Namen des GBaW“, was einen großen Unterschied ausmacht, wenn man es
genauer betrachtet. All diese Modifikationen haben der Großloge im Jahr 1952 auch
beträchtliche Schwierigkeiten bei der Wiederanerkennung durch die UGLE bereitet.
Im Gegensatz zur Eurer Obödienz arbeiten in der GLvÖ alle Logen einheitlich nach denselben
Ritualen. Die vom Großmeister festgelegten Rituale sind für alle unsere Logen verbindlich.
Änderungen der Rituale finden heute nur sehr selten statt. Vorschläge dazu aus den
Kolonnen werden von einer Ritual-Kommission der Großloge bearbeitet, im Falle einer
positiven Empfehlung der Konstitution gemäß vom GM genehmigt und dann gilt das
veränderte Ritual ab sofort für alle unsere derzeit 78 Logen, die unter dem Schutz unserer
Großloge arbeiten.
Zusammenfassend arbeiten wir heute in der GLvÖ nach einem mehrfach modifizierten, sehr
abgespeckten Schröder-Beigel Ritual, das sich im Vergleich zu anderen von der UGLE
anerkannten Logen durch ein international gerade noch toleriertes hohes Maß an
Humanismus und Laizismus auszeichnet. Keinerlei Gebete, kein Niederknien beim Gelöbnis,
aber natürlich die Bibel als Symbol bei den 3 großen Lichtern, wie bei allen anerkannten
Obedienzen. „in Ehrfurcht“ anstelle von „im Namen des GBaW“ habe ich schon erwähnt.
Wie auch bei Euch ist unser Tempel ist immer ein ritueller Raum, wenn der Tapis vollständig
ausgelegt ist. Die Einrichtung des Tempels mit der Anordnung der Säulen „B“ und „J“, die
Position der Kleinen Lichter um den Tapis und auch die Sitzordnung der Aufseher entspricht
sowohl bei Euch als auch bei uns nicht mehr der ursprünglichen Form wie im Emulationsritus
und auch bei Schröder.
Hier bei Euch befindet sich die Säule „J“ im SW mit dem 2.A davor und die Säule „B“ im NW
mit dem 1.A davor. Jeder Aufseher ist für die Kolonne vis-a-vis zuständig, hat so seine
Kolonne besser im Blick.
Das war auch in GL vor dem 2. Weltkrieg in etwa so, heute steht bei uns die Säule „B“ vor
der Südkolonne mit dem 1.A davor und die Säule „J“ vor der Nordkolonne mit dem 2.A
davor. So wie hier gibt es dazu auch bei uns schlüssige Erklärungen dafür, warum das so sein
muss. Schaut man sich in anderen Obödienzen um, werden fast alle mathematisch
möglichen Varianten verwendet. Für Vielbesucher erfordert das ein wenig mehr an
Konzentration beim Eintritt und verfestigt einem das Gefühl, dass auch in der Maurerei
letztlich alle Wege nach Rom führen.
Lasst mich zum Schluss in der Geschichte nun nochmals zurück in die frühen Zeiten der
kontinentaleuropäischen Maurerei springen. Ebenfalls kontrovers entwickeln sich wegen der

strittigen Frage nach Religion und dem GBaW die FMei auch in Schweden und in Frankreich.
Da es im Norden keinen Reformator a ́ la Schröder gegeben hat, dürfen auch heute in den
nordischen – schwedisch geprägten – Ländern der Andreas-Maurerei nur Christen unserem
Weltenbund beitreten!
In Frankreich wurde die FMei frühzeitig von den Idealen der Aufklärung und schließlich auch
von den Idealen der französischen Revolution geprägt. Der Grand Orient de France (GOF)
wurde 1773 gegründet, wiederum aufgelöst und unter Napoleon schließlich
wiederbegründet. Im Zuge der napoleonischen Feldzüge wurde die französische Spielart der
FM besonders im südlichen und östlichen Europa bis nach Russland weit verbreitet [Krieg +
Frieden – Tolstoi].
Die 1871 – also knapp 100 Jahre später – in Folge des Deutsch-französischen Kriegs
gegründete 3. Republik brachte Frankreich die strikte Trennung von Kirche und Staat, die bis
heute zum französischen Selbstverständnis gehört. In diesem Fahrwasser der Trennung von
Kirche und Staat strich der Grand Orient de France im Rahmen eines Reform-Konvents 1877
den GBaW aus dem Ritual und verbannte auch die Bibel aus dem Tempel.
Dies führte zum Abbruch der wechselseitigen Anerkennung zwischen der UGLE (UK) und
dem GOF (F), ein Bruch, der bis heute andauert. Seit damals, seit 145 Jahren schwelt die
Frage nach Regularität und Anerkennung durch die UGLE über der Freimaurerei auf der
ganzen Welt.
Wie arbeiten also nun die französischen Brüder? Wirklich erleben dürfen wir Brüder der GL
es derzeit kaum, da nicht nur der GOF, sondern auch die anderen französischen Großlogen –
„Grand Lodge de France“ und zuletzt auch die „Grand Lodge National de France“ – von der
UGLE und damit auch von uns nicht anerkannt sind. Doch in der RSG haben wir eine unter
dem Schutz der GLvÖ französisch arbeitende Loge, die „Aux trois canons“ – ATC, die eine
Form des frz.-schottische Rituals – den Rité Ecossais Ancien et Accepté (REAA) bearbeitet,
dessen geläufigste Form ich Euch nun kurz vorstellen möchte:
Das frz.-schottische Ritual heißt so, weil es sich einerseits vom englischen System
unterscheidet und andererseits auch um seine Nähe und Abkunft von den schottischen
Hochgraden anzudeuten. Von diesem frz.-schottischen Ritual, das in den frz. Obedienzen
weit verbreitetet in verschiedenen Varianten bearbeitet wird, ist lediglich der viel seltener
Rité Ecossais Rectifié, der eine der Templermaurerei nahestehende Geschichte hat, zu
differenzieren und den lasse ich hier aus.
Im klassischen frz.-schottischen Ritual versammeln sich die Maurer im Vorraum des Tempels,
bekleiden sich maurerisch und betreten den T einzeln, um bei der Inneren Torwache auf
Zeichen, Griff und Wort geprüft zu werden. Der Tempel ist vorerst ein profaner Raum, in
dem die L. erst rituell errichtet wird. Man geht daher ohne Zeichen auf den Platz, der aber
stets vom ZM gewiesen wird. Erst danach betreten die Beamten in aufsteigender Wichtigkeit
bis hin zum MvSt. den Tempel. Die Loge wird eröffnet, wobei Großexperte (in etwa unser
VM) und ZM die kleinen Lichter entzünden und den Tapis entrollen. Anstelle der Bibel findet
sich bei den drei großen Lichtern ein leeres Buch. Gemeinsam wird nun das Zeichen gegeben
und die Batterie geklatscht, dazu gemeinsam ausgerufen: „Liberté – Egalité – Fraternité“.
Baustücke werden nicht überall gehalten, auch reine Verwaltungs-Arbeiten sind möglich.
Zum Schluss wird neben dem Sack der Witwe auch ein Sack der Vorschläge herumgereicht.
Der Tempel wird nach Schließen der Arbeit durch Einrollen des Tapis wieder profanisiert. Der
MvSt. verlässt allen anderen voran als erstes den Raum.
Im Vorraum versammeln sich alle nochmals, legen gemeinsam die Maurerische Bekleidung
ab und begeben sich danach in den Speisesaal, wo es – wenn es ein Baustück gegeben hat –
eine Diskussion darüber gibt und erst danach das gemeinsamen Mahl.
Um den Erfordernissen der UGLE gerecht zu werden, hat unsere ATC die Bibel bei den 3
großen Lichtern aufliegen. Die Position der Säulen „B“ und „J“ ist ident wie bei uns und nicht
– wie dies in der klassischen französischen Maurerei der Fall ist – umgekehrt. Der 1.A sitzt
allerdings im NW vor der Säule „J“, der 2.A im SW vor der Säule „B“, um – wie bei Euch –
seine Kolonne besser im Blick zu haben. Wie schon gesagt – variatio delectat!
Liebe Geschwister, ich habe mich bemüht, Euch nun drei unterschiedliche FM Ritualsysteme
näher zu bringen, eine übergroße Vielzahl an weiteren Varianten habe ich ausgelassen, teils,
weil mir dazu keine Unterlagen zugänglich sind und auch, um meine Zeichnung nicht noch
mehr zu überfrachten.
Was soll man nun tun, wenn man eine Loge besucht, in der anders, als man es von der
eigenen Bauhütte gewohnt ist, gearbeitet wird? Vorerst zur Sicherheit sich selbst wieder
Zeichen, Wort, Griff und auch das passende Passwort in Erinnerung rufen. Eventuell einen
der Gastgeber nach Besonderheiten im dortigen Ritual fragen. Aber vor allem: authentisch
bleiben!
Es kann vorkommen, dass Gäste uns fremden rituellen Handlungen ihrer eigenen Obedienz
folgen, weil sie es nicht anders kennen und wissen. Ich denke da an einen englischen Bruder
aus Oxford, der unlängst bei uns in meiner Loge zu Besuch war. Er ist ohne Zeichen
eingetreten und gegen die Richtung im Tempel gegangen. Nach dem heute gehörten ist es
verständlich, warum er das so gemacht hat. Aber was immer man auch falsch machen kann,
geschwisterliche Liebe und Toleranz werden darüber hinwegsehen. Daher machen wir uns
keine Sorgen.
Jeder Besuch anderer Obedienzen und das Erleben anderer Rituale bringen jeden von uns in
seiner maurerischen Entwicklung weiter. Und die stete Weiterentwicklung ist schließlich das,
was uns als Maurer ausmacht!

Anlage 1: typical Layout of an English Lodge

Anlage 2: Tempelordnung im alten Schröder-Ritual

Anlage 3: Blick in den Westen – alle gängigen Varianten der
Positionen der Säulen und der Aufseher im Tempel

SW Obödienz NW

Säule B 1.A GLvÖ Säule J 2.A
Säule B 2.A ATC (schottisch/GLvÖ) Säule J 1.A
Säule J 1.A Humanitas, Hermetica
DH alt/schottisch

Säule B 2.A

Säule J 2.A LGL, DH neu,
GOÖ/Schröder

Säule B 1.A