Ingeborg A. 02.11.2023
Cagliostro – eine zwielichtige und vielschichtige Persönlichkeit. Von vielen seiner Zeitgenossen des 18. Jh. als Arzt, Wunderheiler, Prophet, Mystiker und erleuchteter Meister hochverehrt, man sah ihn sogar als zweiten Messias an, von anderen als Betrüger, Scharlatan, Kurpfuscher und Hochstapler verdammt – insbesondere von der Katholischen Kirche, der allein schon sein Freimaurertum aufs Äußerste verdächtig war. Wer war nun dieser Cagliostro? Aber lassen wir ihn doch selbst erzählen:
Verehrter Großkophta!
Liebe masonischen Brüder und Schwestern!
Liebe Maurer-Söhne und –töchter!
In dubio contra reo !! – Im Zweifel gegen den Angeklagten!
Ein erprobtes Regular des Heiligen Offiziums – der Inquisition:
„Stets halte sich der Inquisitor an diese Regel. Zeugnisse aus dem Kreise der Angehörigen eines der Ketzerei Bezichtigten – also seines Weibes, seiner Kinder, seiner Verwandten oder Dienstleute – mögen gegen ihn gehört werden, aber nicht für ihn. Als Schutzzeugen sind die bezeichneten Personen durch die Stimme des Blutes, der Anhänglichkeit oder des Interesses beeinflusst nicht zugelassen.
Der Inquisitor beachte daher wohl: Wenn die erste Aussage eines Angehörigen oder Hausgenossen zu Ungunsten des Angeschuldigten geht und die zweite ihn entlastet, so ist nur der ersteren Wert beizulegen, nicht der zweiten… Im Notfall muss sich das Wort der Schrift bewähren: „Des Menschen Feinde sind seine Hausgenossen.“
Mein Stand vor dem „Unheiligen Tribunal“ war von Vornherein klar umrissen, eine mögliche Einstellung des Verfahrens oder gar ein Freispruch im Reich meiner Träume angesiedelt. Meine Antwort auf die Frage, wie ich denn mit wirklichem Namen hieße – reine Form – hieß mich das Heilige Offizium verhöhnen, in dem ich antwortete:
Ich bin, der ich bin!
Ich bin das Gestern. Ich bin das Heute. Ich bin das Morgen. Mein Name ist Geheimnis!
Mein Inquisitor, Seine Magnifizenz, Francesco Valerio de Zelada, Erster Kardinal-Staatssekretär und Minister der vatikanischen Regierung seiner Heiligkeit, Pius VI., konterte:
Zelada: Wenn Er uns nicht sagen will, wie Er mit richtigem Namen heißt und wo Er geboren, dann werden wir es Ihm sagen: Der angebliche Spross eines arabischen Sultans, der unter dem Namen Acharat am Hofe des Großmufti in Medina erzogen wurde und der später unter dem erlauchten Titel Graf Alessandro di Cagliostro ganz Europa heimsuchte – dieses den Märchen von „Tausendundeiner Nacht“ entsprungene Fabelwesen heißt mit bürgerlichem Namen Giuseppe Balsamo, von Beruf Federzeichner, geboren am 2. Juni 1743 zu Palermo, Sohn der Wäscherin Felicia Balsamo, geborene Bracconieri, und des Krämers Pedro Balsamo.
Seine Akte, die Akte Cagliostro, eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten und Schriftstücken, ist umfassend. Wir haben Ihn über Jahre hinweg observiert und seine Akte in verschiedene Rubriken geordnet.
Cagliostros freimaurerische Logentätigkeiten und andere Zeugnisse seines ketzerischen Treibens – Berichte über Cagliostros Kuren und Wunder – Cagliostros alchemistische Operationen – Der Großkophta und die ägyptische Bewegung – Cagliostro und die Halsband-Affaire, usf.
Also genügend Beweise, Ihn hierher vor das Hl. Offizium zu bringen.
Der Erste Kardinal-Staatssekretär war also willens, einen exemplarischen Inquisitionsprozess zu führen – nicht gegen einen kleinen häretischen Dumm- oder Querkopf, sondern gegen mich, angeblich den gefährlichsten und berüchtigtsten Abenteurer, Magier, Ketzer, Freimaurer und Illuminaten des Jahrhunderts.
Während Zelada seine „Beweise“ auf mich – den Inquisiten – einwirken ließ, dachte er wohl erneut über seine Beweggründe nach:
Zelada:
Dieser Prozess wird eine heilsame und abschreckende Wirkung auf das gesamte europäische Freimaurer- und Illuminatenwesen haben. Doch nicht nur das, denn seit die Pariser Volksmassen die Bastille gestürmt hatten, herrscht in Frankreich die Anarchie.
Überall werden, meist unter dem Schirme geheimer Freimaurer-Gesellschaften, Komplotte gegen die Souveräne und geistlichen Oberhäupter geschmiedet, auch im römischen Kirchenstaat.
Die Welt hat sich verändert, viele Menschen scheinen nicht mehr bereit, sich dem Diktat der Kirche und den von ihr aufgestellten Dogmen zu unterwerfen.
Der römische Machtanspruch ist auf das Äußerste gefährdet. Die seit beinahe 18. Jahrhunderten fest verankerten Grundpfeiler der katholischen Kirche drohen aus ihren Fundamenten gerissen zu werden. Wie wäre es um die Kirche bestellt, wenn alle Welt zu freiem, kritischem Denken aufgerufen, nicht mehr an Sünde, ewige Verdammnis glaubt?
Wie schon vor dem Kriegskabinett Pius VI. ausgeführt, das einen einzigen Tagesordnungspunkt zum Thema hatte, nämlich die Cautio criminalis Cagliostro, vermag der Teufel in vielerlei Gestalt, unter vielerlei Verkleidungen aufzutreten.
Seine verführerischste und gefährlichste Gestalt aber ist die des Heilkünstlers, Magus und Propheten. Unter dieser täuschenden Maskerade und dem usurpierten Titel eines Grafen von Geblüt hat sich Cagliostro in allen Ländern Europas eine ungeheure Zelebrität verschafft, mit seinen angeblichen Wunderheilungen und Weissagungen, seinen gottlosen und abergläubischen Doktrinen Abertausende von Menschen in seinen Bann gezogen und vergiftet.
Vor allem in Frankreich hat er mit Erfolg seine Netze gespannt und vermittels eines weitverzweigten freimaurerischen Logensystems nach dem ägyptischen Ritus zahllose Proselyten gemacht.
Selbst höchste geistliche Würdenträger, unter ihnen der Kardinal Rohan aus Straßburg, huldigen diesem falschen Messias und seinem ketzerischen Ritus. Eine Schande für die Heilige Mutter Kirche und das Papsttum.
Während man mich, den Inquisiten (meine Frau hielt man ebenfalls gefangen), wieder in das bestgesicherte Verlies in der Engelsburg verbrachte und mich mein Inquisitor Zelada mitsamt seinen Überlegungen verließ, erinnerte ich mich meiner aus rotem Saffian-Leder gebundenen Mappe. Beamte der Inquisition hatten sie im Hause des französischen Malers Belle, wo ich meine ägyptische Loge abzuhalten pflegte, in einem Geheimfach entdeckt und sogleich konfisziert. Die Mappe enthielt mein Manuskript, das den Titel trug:
‚Lach, Satan! –
Bekenntnisse des Allesandro Conte di Cagliostro. Von eigener Hand im Kerker der Bastille verfasst‘. (Man hatte mich inhaftiert wegen der unseligen Halsbandaffaire.)
Es ist müßig, zu fragen: Wer war ich, Cagliostro, wirklich? Je nach dem Standpunkt und Blickwinkel des Betrachters wird immer ein anderer Cagliostro zum Vorschein kommen. Doch zweifellos war ich ein Mensch mit Charisma, großer Überzeugungskraft und überragender Schauspielkunst. Als Kultfigur an zahlreichen europäischen Höfen, verstand ich, Fürsten, Könige und Königinnen in meinen Bann zu ziehen.
Von vielen meiner Zeitgenossen als zweiter Messias, Arzt und Wunderheiler, Prophet, Magier, Alchemist, Illusionist und Logengründer vergöttert, von anderen, kritischen Geistern als Scharlatan, Blender und Betrüger verdammt, wie beispielsweise die „Nachrichten von des berüchtigten Cagliostro Aufenthalt in Mitau“ der Elisabeth Gräfin von der Recke an Dorothea Herzogin von Kurland zeigten. Mein Aufenthalt in Kurland nämlich (1779) hatte binnen weniger Monate eine derartige Faszination meiner Person auf die Hofgesellschaft ausgeübt, dass mir – vermittels einer Palastrevolution – die Regierungsgewalt in diesem kurländischen Herzogtum angetragen werden sollte.
Also, mir, Alessandro Conte di Cagliostro, geborener Giuseppe Balsamo. – Haben mich also viele Zeitgenossen bewundert und verehrt, mit den armseligen Verhältnissen, in denen ich aufgewachsen bin, hätte wohl keiner von ihnen tauschen mögen. Der frühe Tod meines Babbos ließen meine Mammina, meine Schwester und mich des Nötigsten zum Überleben beraubt, zurück, so dass wir nunmehr von der Gnade meiner Onkel abhängig waren. –
Meine Kinder- und Jugendjahre in Palermo beschäftigen mich nur noch am Rande, eines ist jedoch gewiss, hier ward die Plattform geschaffen für meinen späteren Aufstieg:
Ausgezeichnet mit vielerlei Talenten, lernte ich bereits als Kind von Gauklern die mannigfaltigsten Kunststücke und Taschenspielertricks. Das Phänomen der menschlichen Sinnes-, Wahrnehmungs- und Denktäuschungen faszinierte mich Zeit meines Lebens. Und wie ich dieses Phänomen gelebt habe… ja, eigentlich bestand ich nur aus Täuschung und letztendlich täuschte ich mich auch selbst.
Ursprünglich vorgesehen für die geistliche Laufbahn – die billigste Lösung, hatte man doch einen Esser weniger, verbrachte mich meine Familie zunächst in das Seminar San Rocco, später in das Kloster der Brüder der Fatebenefratelli in Caltagirone Dort erfuhr ich zunächst als Apothekerlehrling erste Begegnungen mit der wundersamen Welt der Alchemie. Später dann in ebendiesem Kloster teilte man mich dem Bruder Krankenpfleger als Lehrling und Gehilfen zu.
Nach meiner Flucht vor den (w)armen Brüdern jener von Fatebenefratelli nahm ich Zeichenunterricht, wurde Federzeichner und schließlich Gehilfe bei einem meiner Onkel, der als Advokat tätig war. Dass ich mein spärliches Salär durch gewisse Transaktionen aufbesserte, wurde mir letztendlich zum Verhängnis, was meine Flucht nach Neapel zur Folge hatte. Die darauffolgende einjährige Lehrzeit bei Dottore Ambrosio legte gewissermaßen den Grundstein für meinen weiteren Weg als Arzt und Wunderheiler und vieles mehr, was die Menschen meiner Zeit in mich hinein interpretierten.
Gereist bin ich Zeit meines Lebens viel. – Nach meinem neapolitanischen Lehrjahr führte mich mein Weg nach Messina, wo ich mit aller Art von Betrügereien, Gauklerkunststücken und dem Fälschen von Münzen und Papieren meinen Lebensunterhalt bestritt.
Verschiedene Reisen im östlichen Mittelmeerraum ließen mich schließlich 1766 Malta erreichen, und als persönlicher Diener und Sekretär begleitete ich einen jungen Malteser-Ritter auf seinen Reisen nach Palästina und Ägypten, die er im Auftrag seines Ordens unternahm. Manche meiner Biographen meinen, ich hätte mich auch in Persien aufgehalten. Nun, wie es auch war – es ist lange her. Jedenfalls haben mich meine Aufenthalte im Orient einiges gelehrt, wie die Vertiefung meiner medizinischen Kenntnisse, der Chemie und viele in Europa unbekannte oder längst vergessene Techniken der Effekthascherei und des Trickbetruges.
Weitere Reisen, weitere Stationen. Im Grunde genommen war ich ständig auf der Flucht.
Ach, habe ich schon erzählt, dass ich am 20. April 1768 die Römerin Lorenza Feliciani heiratete? Wie ich aus einfachen Verhältnissen stammend, avancierte sie einige Jahre später zur Gräfin… Serafina, aber darüber etwas später.
Nun gingen wir – Lorenza und ich – gemeinsam auf Reisen. Wir bereisten unter wechselnden Namen ganz Europa und verkehrten häufig in den vornehmsten Häusern. Reisende in Sachen Alchemie und Geisterbeschwörung. Natürlich gab es anfänglich oft finanzielle Engpässe, doch der Not gehorchend, schreckten wir auch vor schlichter Prostitution nicht zurück. Lorenza möge mir verzeihen!
Meist waren unsere Abreisen überstürzt, sozusagen in letzter Sekunde, weil uns die örtlichen Behörden auf den Fersen waren oder weil sich anderswo günstigere Lebensumstände zu bieten schienen. So ging es einige Jahre auf diese Weise – oft unter Titel und Namen „Graf Balsamo“.
Meine schon erwähnten zahllosen Reisen quer durch Europa möchte ich nicht im Einzelnen abhandeln, aber die „highlights“, wie mein späterer Londoner Mäzen Sir Edward Hales, zu sagen pflegte, sollen diesem erlauchten Kreis nicht vorenthalten werden.
In Malta, einem weiteren „highlight“ meiner Laufbahn wurde ich schließlich der, unter dem mich die Welt kannte: Cagliostro. Hier entstand das Konzept – gemeinsam mit meinem Mentor (dem Malteser Ordensritter) – und unter der Patronanz des Großmeisters Pinto –, das mich vom Gelegenheitsgauner zum fahrenden Arzt, Magus und Freimaurer werden ließ.
Dank der Großzügigkeit Pintos und ausgestattet mit der Mitgliedschaft im altehrwürdigen Malteserorden, dem zukünftigen Entreebillet in die Londoner Großloge der Schottischen Ritter, gelangten wir m Jahre 1776 ein weiteres Mal nach London.– nach unserer „zweiten Taufe“ (man gab uns die Namen Alessandro Graf Cagliostro und Serafina Gräfin Cagliostro, geborene Prinzessin in Trapezunt).
In London lächelte uns Fortuna diesmal endlich gnädig, denn schnell wurde mir der Ruf eines außerordentlichen Wunderheilers und Wahrsagers zuteil. Zu meinen Spezialitäten zählte die Voraussage von Lotterienummern (natürlich ein ausgemachter Schwindel, der Dank erfolgreicher Bestechung eines Lotteriebeamten sehr einträglich war). Und mit dem Verkauf eines von mir entwickelten „Lebenselixiers“ klingelten endlich wieder Münzen in unseren Beuteln. So fällt in das Jahr 1776 also mein legendärer Aufstieg – seien wir ganz ehrlich – vom kleinen Betrüger zur messianischen Gestalt für weite Kreise der besseren Gesellschaft Europas.
Um diesen Qualitätssprung zu unterstützen und weil man mich berief, trat ich – wie in Malta bereits geplant und vorbereitet – 1777 der Freimaurerloge „Loge der Hoffnung“ bei, die zum Zweig der Strikten Observanz gehörte und der ebenso reichen wie mächtigen „Großloge von England“ unterstand!
Ich will mich aber nicht schlechter machen, wie meine Gegner mir üblicherweise unterstellen, denn ich habe die Idee der Humanität, Toleranz, und besonders der Wohltätigkeit – vor allem armen Bevölkerungsschichten gegenüber – sehr begrüßt. Wohl deshalb, weil eingedenk meiner eigenen Herkunft, in mir der Wunsch erwuchs, meine zahlungsunfähige Klientel kostenlos zu behandeln.
So viel zu meinem „sozialen Gewissen“, darüber verfüge auch ich, und war am Höhepunkt meiner einzigartigen Laufbahn dazu durchaus in der Lage. Mit den Prinzipien des Valentin Andreae Rosencreutz vertraut, wollte ich selbstverständlich entsprechend handeln, wonach es u.a. hieß: „Behandle die Mächtigen, Reichen und Hoffärtigen so, wie sie es verdienen; doch vergiss nie deine christliche Pflicht gegenüber ärmeren und bedürftigen Mitbrüdern und Schwestern…“.
Ich tat nicht nur Gutes, ich sprach auch darüber! Sollte die Welt doch wissen, mit wem sie es hier zu tun hatte! So gesehen, war mein soziales Engagement auch ein probates Mittel zur Förderung meiner Popularität.
Dass die „Loge der Hoffnung“ in London auch meiner Gattin den Zutritt gewährte, hatte ich zur Bedingung meiner Mitgliedschaft gemacht. Zwar hatte der Schatzmeister Sir Archibald schwer daran zu kauen gehabt – denn nach den Statuten waren keine Frauen zugelassen -, doch schließlich hatte er meine Bedingungen akzeptiert: Als Ausdruck unserer ganz besonderen ‚Wertschätzung Ihrer hochmögenden Person und der geheimen Wissenschaft, mit der Sie unsere Loge hoffentlich beglücken werden.
Aber es kam noch besser, denn nachdem ich als neu rezipierter Lehrling die neuen Brüder von meiner „überragenden Sehergabe“ überzeugt hatte, indem ich ihnen die Botschaft eines verstorbenen Meisters übergab, rief Sir Archibald:
Archibald: „Brüder und Meister! Es dürfte unserer Loge kaum zur Ehre gereichen, einen so begnadeten Kabbalisten und Seher wie Cagliostro als Lehrling aufgenommen zu haben. In Abweichung des Rituals schlage ich vor, ihn unter Umgehung des Gesellengrades noch heute zur Meisterprüfung zuzulassen und ihn sogleich in den dritten Grad zu erheben!“
Meine Meisterprüfung legte ich – verbundenen Auges – nach außen hin mit Bravour ab (mit schlotterten die Knie, ich war in Schweiß gebadet – aus Angst, dass man mir doch noch auf die Schliche kam). Doch nichts von alledem. Nachdem ich bewusst „in Ohnmacht“ gefallen war, waren meine Schottischen Ritter nicht mehr zu halten. Begeistert schrie der Venerable Br. Archibald:
Archibald: Ich begrüße den neuen Großmeister der Strikten Observanz, seine Herrlichkeit, den Grafen Alessandro di Cagliostro‘.
So wurde ich an einem Abend vom Lehrling zum Großmeister gekürt. Doch nicht nur dies: Einige Zeit später berief mich Sir Archibald zum Grand Expert, um im Auftrag der Strikten Observanz als Visitator, die zahlreichen Schwesterlogen am Kontinent zu bereisen.
Was mir im Vorfeld gewissermaßen als eine Art Aufstiegshilfe erschien, erwies sich bald als faszinierende Möglichkeit „wundersamer“ Geldvermehrung…unter Brüdern? Das Entree nicht für die bessere, nein für die höchste Gesellschaft. Abgesehen davon, war die masonische Bruderschaft meiner Zeit durchdrungen von glanzvollem Gepränge, hehren und würdigen Auftritten, was meinen Intentionen sehr entsprach.
Deshalb reifte in mir die Idee für etwas noch Pompöseres, Mystischeres. Wie schon in Malta, wie man sich heutzutage ausdrückt, angedacht, hatte ich vor, einen eigenen Orden zu gründen, der die Weisheit des Orients und die älteste Quelle der mystischen Offenbarungen mit der christlichen Religion verband und den Mitgliedern aller Konfessionen und Glaubensrichtungen offenstehen sollte.
Zugleich sollte sein Ritus so einzig in seiner Art sein, dass ich die Konkurrenz der zahlreichen anderen Freimaurerlogen, die wie die Pilze aus dem Boden schossen, nicht mehr zu fürchten brauchte.
So entstand der „Ägyptische Orden“!
(In der Folge traten dem Orden die mächtigsten und einflussreichsten Persönlichkeiten – vor allem Frankreichs -, und erklärte Gegner der herrschenden Bourbonen, bei.)
In Lyon begegneten mir die hiesigen Freimaurer und ihre Meister vom Stuhle zu anfangs mit kühler Reserve. Dann aber vollbrachte ich ein biblisches Wunder, indem ich einen Mann und Familienvater, den Arzt und Leichenbeschauer bereits aufgegeben hatten, wieder zum Leben erweckte. Nun liefen die Brüder der zwölf Lyoner Logen scharenweise zu mir – dem „neuen Heiland“ – über, denn sie waren ganz versessen darauf, in die höheren ägyptischen Mysterien eingeweiht zu werden
So beschloss ich als „Großkophta“, wie ich mich ab nun titulierte, und auf Drängen meiner Jünger hier die Mutterloge meines ägyptischen Ordens zu errichten, den Neuen Tempel Salomonis. Mit den von mir entworfenen Logenpatenten und Logendiplomen blühte mir ein einträgliches Geschäft; mussten doch meine Adepten, die mich mit DER GROSSE ANFANG anzureden hatten, dafür tief in die Tasche greifen:
Nach dem Geheimnis des Osiris, wonach zwölf unsterbliche Magier und Eingeweihte den Erdball regieren, einer von ihnen alle hundert Jahre wiedergeboren werde, um die Menschheit zu erleuchten, sei ich, der GROSSKOFTO, eben jener, in allen morgen- und abendländischen Teilen der Erde vom Allerhöchsten gesandt, um den Menschen das Licht zu bringen, sie zu höherer Vollkommenheit zu führen und hienieden das Neue Jerusalem zu errichten.
Da die ägyptische Loge auf dem Prinzip der Gleichheit beruhte, waren die Bürger aller Stände und aller Konfessionen zugelassen. – Als „Großkophta“ oder „Großkofto“ betrachtete ich mich selbst als Wiederhersteller der „wahren und ursprünglichen Maurerei“ sowie als Mittler zwischen dem christlichen Okzident und dem Orient – nach dem Motto: „Ex oriente lux!“
Auch Frauen waren zugelassen!
Für den später gegründeten Memphis-Misraïm-Ritus (1805 in Venedig) setzte ich durch meine Ordensgründung wichtige Impulse. Diese Memphis-Loge entstand längst nach meinem Übergang in den Ewigen Osten.
Wie gesagt, ich ließ in meinem Orden Männer und Frauen zu, wobei mir Serafina bei der Initiation weiblicher Neophyten assistierte. Sie pflegte dann die Gesichter ihrer Neophyten mit folgenden Worten anzuhauchen: „Ich hauche dir diesen Atem ins Gesicht, um in deinem Herzen die Wahrheit keimen zu lassen, in deren Besitz wir sind; ich hauche hinein, um deine guten Absichten zu stärken und dich im Glauben deiner Brüder und Schwestern zu bestätigen…“
Später erhielten die Frauen weiße Gewänder und nahmen an einer Zeremonie teil, bei der sie ermutigt wurden, die „schändlichen Bande“ ihrer männlichen Meister abzuwerfen. Danach wurden sie in den Garten und dann in einen Tempel geleitet, wo sie eine „einführende“ Begegnung mit mir selbst hatten.
Bei dieser Gelegenheit pflegte ich nackt auf einer goldenen Kugel aus dem Tempeldach herabzuschweben und meine Neophyten aufzufordern, im Namen der Wahrheit und Unschuld ihre Kleider abzulegen. Nun erklärte ich ihnen die symbolische Natur ihres Strebens nach Selbsterkenntnis, ehe ich wieder die goldene Kugel bestieg und zur Tempelkuppel empor schwebte.
Dies alles taten Serafina und ich allerdings nicht unbedingt aus reiner Nächstenliebe, denn die eingeweihten Damen bezahlten 100 Louisdor Teilnahmegebühr. Doch stammten viele der Damen aus der Aristokratie und konnten sich das durchaus leisten.
Nach dem Vorbild meiner Lyoner ägyptischen Loge sollten noch weitere Gründungen in verschiedenen Ländern Europas folgen, die sich großer Beliebtheit erfreuten, dank des phantastischen Rituals, das meine Zeitgenossen offensichtlich sehr faszinierte.
Wie mir mein späterer Inquisitor vorwarf, fand es die römische Kirche aber höchst verwerflich, dass meinem ägyptischen Orden orthodoxe Christen, Protestanten, Calvinisten, Juden, Beschnittene und Ketzer aller Art angehörten, sollte doch ein Zeichen der Versöhnung gesetzt und eine neue Ökumene gestiftet werden.
Mit immer größerem Erfolg führte mich mein Reiseweg weiter – Serafina immer an meiner Seite – meine spiritistischen Sitzungen, alchemistischen Experimente und Prophetien fanden ihre Fortsetzung in den Niederlanden, in Deutschland, in der Schweiz, sogar bis nach St. Petersburg gelangten wir.
Wie wir uns den persönlichen Zorn der Zarin Katharina der Großen zuzogen, vermag ich allerdings nicht mehr zu sagen, konnte ich doch zahlreiche Wunderheilungen und die Einrichtung eines Armen-Krankenhauses meinem Konto verbuchen. Mit knapper Not entgingen wir der Verhaftung – uns blieb nur noch die Flucht aus dem Russischen Reich.
Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Warschau nahmen wir Wohnsitz in Straßburg. In Straßburg fand ich meine treuesten Anhänger…und Finanziers: den Kardinal Rohan aus höchstem französischem Adel, den Basler Bankier und Kaufmann Jacob Sarasin und den Philosophen und Schriftsteller Johann Kaspar Lavater.
Nach einigen weiteren Etappen ließen Lorenza-Serafina und ich uns 1785 in Paris nieder – sozusagen als Nachfolger des im Jahre zuvor abgereisten Wunderheilers Messmer. Man empfing uns mit offenen Armen. Auch mein ägyptischer Ritus wurde sehr erfolgreich angenommen, alles lief nach meinen Erwartungen, bis…
Ja, bis zur Halsbandaffäre, an deren Beteiligung man mich „fälschlicherweise“ bezichtigte und mir die Kerkerhaft in der Bastille eintrug. Der Prozess, den der französische Staat gegen mich führte, endete zwar mit Freispruch, doch der Landesverweis aus Frankreich durch den König blieb uns beiden nicht erspart.
(Doch das mir vom Illuminaten-Bund aufgetragene Ziel, das Ansehen des Herrscherhauses zu untergraben, Empörung im Volk zu schüren, war durch meine Intrige erreicht worden. Der französische Thron wackelte bedenklich.)
Die eigentliche Hauptverantwortliche, Jeanne de la Motte-Valois, spiegelte Kardinal Rohan vor (erkennen Sie die Querverbindung? Mein Einfluss auf Rohan war Legende), er könne sich Hoffnungen auf die Gunst der Königin Marie-Antoinette machen, und bot sich als Vermittlerin an. In diesem Zusammenhang gelang es ihr, ein überaus kostbares und ein Vermögen wertes Halsband, das der Kardinal der Königin zugedacht hatte, an sich zu bringen und auf eigene Rechnung zu verkaufen.
Im letzten Abschnitt meines turbulenten Lebens überlasse ich meinem Ankläger, dem Kardinal-Staatssekretär Zelada, noch einmal das Wort:
Zelada: Heiliger Vater, verehrte Magnifizenzen und Eminenzen!
Nachdem Cagliostro aus Frankreich ausgewiesen und als gefährlicher Betrüger und Ränkeschmied erkannt worden war, irrte er mit seiner Gattin durch halb Euroipa.
Kein Land wollte ihn mehr aufnehmen, nur der Kirchenstaat war so gnädig, ihm freies Geleit nach Rom zu gewähren. Das Hl. Offizium hat ihn zunächst als Informant zur gewinnen versucht, da er als weitgereister Mann eine unschätzbare Erfahrungsquelle bezüglich der freimaurerischen Geheimgesellschaften Europas darstellt, jedoch hat er sich der Zusammenarbeit verweigert. Stattdessen hat er in Rom eine geheime Loge nach dem ägyptischen Ritus gegründet – und damit wissentlich gegen die Verdammungsbullen Clemens‘ VII. und Benedikts XIV. gegen die freimaurerischen Zusammenkünfte und Logen verstoßen.
Das Hl. Offizium ist auch im Besitze eines Schreibens Cagliostros, das dieser an die französischen Generalstände richtete:
‚Voller Bewunderung und Verbundenheit mit dem französischen Volk sowie aus Respekt gegenüber seinen Gesetzgebern und Volksrepräsentanten sehne ich mich danach, ohne Gefahr in das Land meines Herzens zurückzukehren und den Rest meines Lebens im Schoße einer Nation zu verbringen, aus dem mich ein willkürliches königliches Edikt verwiesen hat.‘
Zelada: Heiliger Vater, verehrte Magnifizenzen und Eminenzen!
Die Französische Revolution droht die bisherige Ordnung der Welt umzustürzen. Die Privilegien des Adels und des Klerus wurden abgeschafft, die Kirchen und Klöster geplündert und angezündet. Die geplante „Zivilkonstitution des Klerus“ sieht vor, alle Priester und geistlichen Würdenträger fortan dem Staate zu unterstellen. Dies ist die schlimmste Beleidigung gegen das Papsttum
Ich plädiere, an dem Sendboten der Revolution in Gestalt des Grafen Cagliostro ein Exempel zu statuieren, in dem wir, als Diener der heiligen Kirche und des Stuhls Petri, selbigen einem hochnotpeinlichen Inquisitionsprozess unterwerfen. Wir sind aufgerufen, unsere christliche Sendung und Wehrhaftigkeit zu beweisen.
In Gloriam coeli Dei!
***
Der Prozess gegen Cagliostro wegen Häresie, Zauberei und Freimaurerei zog sich bis ins Jahr 1791 hin – man konnte unter anderem auch seine Frau Lorenza/Serafina als Zeugin gegen ihn beeinflussen – und endete mit einem Todesurteil, das Papst Pius VI. in lebenslange Kerkerhaft umwandelte. In seinem Gefängnis, der Festung von San Leo bei Montefeltre im Herzogtum Urbino, ging Cagliostro am 26. August 1795 in den Ewigen Osten ein, zwei Jahre bevor die französischen Revolutionsheere in Rom einmarschierten. Seine Prophezeihung erfüllte sich: Der Kirchenstaat wurde mitsamt dem Hl. Offizium aufgelöst, Papst Pius VI. von Napoleons Truppen verschleppt und schließlich in die südfranzösischen Stadt Valence deportiert, wo er im Jahre 1799 verstarb.