Mensch und Tier – in Dir + mir

Wolfgang Trubel



Meine heutige Zeichnung dient in erster Linie der frm. Selbsterkenntnis, auch der
Selbstbeherrschung und Selbstveredelung, weil ja nur zu beherrschen und zu veredeln ist, was
man auch selbst kennt. Aber es kommt bei diesem Thema auch ein autobiografisches Element
hinzu.
Als junger Mensch bin ich nämlich vor einer Berufswahl gestanden: „Graugans oder
Äskulapnatter?“ Ohne ein klärendes Gespräch mit dem in den letzten Jahren zwar wegen seiner
historischen NS-Belastung nicht unumstrittenen, dennoch welt-berühmten Forscher +
Nobelpreisträger Konrad Lorenz, mit dem ich angeheirateter Weise verwandt bin, wäre ich
vielleicht Verhaltensforscher geworden und nicht Arzt!
Aber inspiriert durch Lorenz, in dessen Umfeld ich zu Schulzeiten erste Kontakte zur
Wissenschaft geknüpft habe, hat mich eine Frage schon damals begeistert und sie interessiert mich bis heute: was und wie viel von unserem menschlichen Verhalten findet sich auch in der Tierwelt wieder und welches Erbe tragen wir von unseren tierischen Vorfahren in Bezug auf unser tägliches Denken und Handeln noch heute in uns?
Ich möchte Euch nun auf eine kleine Reise zur Selbsterkenntnis in das Gebiet der vergleichenden Verhaltensbiologie mitnehmen, schauen wir uns an, was für Tiere wir Menschen so sind:
Denken wir dazu am Anfang einmal an die biblische Schöpfungsgeschichte. Da heißt es:
(Zit.)… Gott schuf die Menschen nach seinem Bilde, Er segnete sie und sprach zu ihnen: «Seid
fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und die Vögel des Himmels, über das Vieh und alle Tiere, die sich auf der Erde regen. » Und es geschah also.
Der Mensch hat sich über Jahrtausende gerne als Mittelpunkt der Welt gesehen und definiert, als etwas das nicht zur übrigen Natur gehört, sondern ihr als etwas wesensmäßig Höheres, quasi als des Schöpfers Ebenbild, gegenübersteht.
Zwar hat der bedingungslose Glaube an diese gottgegebene Überlegenheit des Menschen in
unserer aufgeklärten Kultur- und Wertegemeinschaft schon deutliche Sprünge bekommen, doch haftet dem Tierischen auch heute noch in der Sprache und Einstellung vieler das Primitive, Minderwertige und Unkontrollierbare an, von dem wir Menschen uns Kraft unseres Geistes, unserer Zivilisation und unserer Kultur doch gerne allzu deutlich unterscheiden. Eigentlich wirklich eine ausgesprochene Schweinerei!
Darwins Abstammungstheorie wurde bereits im Jahre 1858, also vor >165 Jahren publiziert.
Diese, wie auch alle weiteren Erkenntnisse der Naturwissenschaften, die uns Menschen zwar als
hochentwickelte Wesen, aber dennoch als Abkömmlinge aus dem Tierreich sehen und sich

damit in Gegensatz zu praktisch allen religiösen Überlieferungen stellen, haben bis in unsere Tage sehr viel Intoleranz und Widerspruch hervorgerufen.
Das schließt auch unsere modernen aufgeklärten Gesellschaften mit ein, dürfen doch Darwins
Lehren beispielsweise bis heute in vielen US-amerikanischen Schulen, wie z.B. in Utah immer
noch nicht unterrichtet werden! In der Türkei droht den Lehrern für die Vermittlung von Darwins Lehre seit Jahren gar eine schwere Kerkerstrafe, von Ländern, in denen die Scharia gilt, ganz zu schweigen! Unsere gemeinsamen tierischen Vorfahren und unser tierisches Erbe werden also heute immer noch vielfach in Abrede gestellt oder zumindest gründlich verdrängt.
Konrad Lorenz nennt dafür mehrere Gründe:
• Da ist einmal die frappante Ähnlichkeit unseres nächsten Verwandten aus dem Tierreich,
dem Schimpansen, der auf so manchen von uns wie eine schlechte menschliche Karikatur
wirkt und mit dem wir wirklich nicht allzu nahe verwandt sein wollen!
• Die Vorstellung, dass wir Menschen unserer hohen Intelligenz zum Trotz auch von
tierischen Instinkten und Trieben abhängig sein sollen, erscheint erniedrigend und kann
auch Angst machen.
• Und drittens gerät damit unsere idealistisch-philosophisch zweigeteilte Welt – hier die
wert-indifferente Welt der äußeren Dinge – dort die hohe Welt der inneren
Gesetzmäßigkeit des menschlichen Denkens – ziemlich durcheinander.
Zur Frage der Ähnlichkeit mancher Menschen mit Tieren möchte ich nichts sagen. Was immer es da zu sagen gäbe, es wäre nicht wissenschaftlich, subjektiv und im Einzelfall sicherlich
beleidigend. Auch die Philosophie möchte ich heute nicht strapazieren.
Das menschliche Verhalten – welches der homo sapiens ja kraft seines Geistes angeblich so gut
unter Kontrolle hat – ist es, auf das ich näher eingehen möchte. Und vor allem auf das „Tierische“ daran.
Jedes Lebewesen – so auch der Mensch – hat bestimmte genetisch festgelegte, also angeborene
Verhaltensweisen. Teilweise sind dies Reflexbewegungen, wie der Greif – Reflex des Säuglings.
In unserer Evolution haben nur jene Säuglinge überleben und sich später weiter fortpflanzen
können, die sich reflektorisch an ihrer Mutter anklammern und so mit ihr gemeinsam vor Gefahren flüchten konnten.
Auch unsere Mimik wie das Lachen, Weinen etc. als Reaktion auf äußere Reize ist dem Menschen angeboren. Und überall erkennen und begrüßen Menschen einander durch ein unbewusstes kurzes Heben der Augenbrauen, Anheben des Kopfes und Nicken, gleichzeitig breitet sich meist ein Lächeln auf dem Gesicht aus.
Wenn allerdings einer unserer „ganz nahen Verwandten“, der Schimpanse, uns „anlächelt“, d.h.
die Zähne bleckt, ist Gefahr im Verzug, denn bei diesem Tier bedeutet das Zähne-Blecken ein
Angriffssignal.

Prägung durch erstes Erlebtes ist der nächste Schritt in der Entwicklung unseres Verhaltens. Ein
Baby kann schon im Alter von wenigen Wochen seine Mutter am Geruch, dem Klang ihrer
Stimme und an ihren Konturen erkennen und reagiert freudig darauf, es „fremdelt“ hingegen bei ihm unbekannten Menschen.
Lorenz hat diese frühkindliche Prägung erstmals bei seinen Graugänsen beschrieben, bei denen die erste Prägung unmittelbar nach dem Schlüpfen erfolgt. Die frischgeschlüpften Küken watscheln demjenigen Objekt nach, das sie als erstes in ihrem neuen Leben in Bewegung sehen. Das ist üblicherweise die Graugansmutter und im speziellen Fall war es eben der Forscher Lorenz selbst.
Kleinkinder äußern ihre körperlichen und seelischen Bedürfnisse in der Folge immer gezielter und entwickeln ihr Verhalten, welches dann schon zunehmend erlernte Komponenten aufweist, reflektorisch in Bezug auf ihre Umgebung. Sie lernen also, zu assoziieren.
Auf einen bestimmten auslösenden Reiz hin wird mit einem bestimmten Verhalten geantwortet.
Anfangs geschieht dies ganz unbewusst. Tierexperimentell ist hier an das Beispiel des Pawlow‘
schen Hundes zu erinnern, der das Läuten einer Glocke mit dem nahenden Fressen assoziiert und zu speicheln beginnt.
Die Koppelung zweier aufeinanderfolgender Geschehnisse hat zur Folge, dass der Organismus,
sowie das erste Ereignis eingetreten ist, das zweite „erwartet“. Das Kleinkind verspürt mit Beginn des Essenzubereitens (Klappern von Kochgeschirr in der Küche etc.) seinen Hunger wie der Pawlow’sche Hund und fordert teils sehr heftig eine baldige Fütterung.
Im Tierreich zählen zu diesem reflektorischen Verhalten die meisten Instinkthandlungen, die
stets durch sog. Schlüsselreize auslösbar sind. Aber auch wir erwachsenen Menschen sind
natürlich überhaupt nicht frei von solchen Verhaltensmustern – man denke zum Beispiel an das
Imponier- und Balzverhalten einer Männer- oder Frauenrunde, wenn eine junge attraktive Frau
oder ein fescher junger Mann dazukommen.
Aber zurück zur Entwicklung unseres Verhaltens: die zuvor genannten Assoziationen werden mit zunehmendem Alter bewusster erlebt, das Kind lernt, durch bestimmtes Verhalten von ihm
gewünschte Reaktionen der Umwelt auch gezielt auszulösen (= assoziatives Verhalten).
Über-protektive Eltern, die schon auf den kleinsten Muckser des Kindes reagieren oder überhaupt ihr Verhalten zu sehr an den Bedürfnissen des Kindes orientieren – was unter sonst vernünftigen Menschen besonders jüngerer Generationen erstaunlich verbreitet ist – können so in kürzester Zeit vom eigenen Kleinkind regelrecht versklavt und tyrannisiert werden.
Wie von Niko Tinbergen und Konrad Lorenz experimentell gezeigt werden konnte, ist das soziale Verhalten, aber auch unsere Denk -und Wahrnehmungsweisen auch sehr stark durch
stammesgeschichtliche bzw. traditionelle Überlieferungen beeinflusst.
Im Tierreich lernen die Jungen viele Verhaltensweisen von ihren Eltern und geben sie wiederum an ihre Jungen weiter, wir nennen das auch die „funktionale Erziehung“.

Geschieht dies nicht, so wurden Versuchstiere frühzeitig von ihren Eltern getrennt und wuchsen mit neutralen Tierattrappen oder einem Spiegel auf – so kann sich das nicht-funktional aufgezogene Tier in seiner Umwelt überhaupt nicht zurechtfinden und vor allem mit seinen unter normalen Umständen aufgewachsenen Artgenossen überhaupt nicht kommunizieren.
Beim Menschen zeigten sich Auswirkungen der Abkehr von Traditionen und von spezifischem
Rollenverhalten und auch das Experimentieren mit neuen Erziehungs-Methoden auf das Verhalten künftiger Generationen bereits heutzutage in unserer von Beliebigkeit charakterisierten Sozietät, in der inzwischen praktisch alles – sogar bis hin zum eigenen Geschlecht – disponibel und wandelbar geworden ist.
Mangelnde funktionale Erziehung führt bei der jüngeren Generation zunehmend zur Isolation, zu Verunsicherung, Zukunftsängsten und auch zur Flucht aus der Realität in virtuelle Scheinwelten (X, Facebook, Tictoc etc.). Konsequenz daraus ist die fortschreitende Veränderung unserer Sozialstrukturen vom Gemeinsamen hin zur übersteigerten Egomanie des Einzelnen. Doch werden diese negativen Entwicklungen der Jugend von vielen Angehörigen der Elterngeneration bewusst in Kauf genommen.
Sich jungen Menschen und deren Problemen zuzuwenden, kann sehr mühsam und zeitaufwändig sein. Die Arbeitswelt nimmt den Eltern oft die dafür nötige Energie. Fokussierung auf den Broterwerb wird aber als Preis für höheren Lebensstandard, Sicherheit und Wohlstand gesehen.
Veränderungen im Sozialverhalten einer Spezies durch Wohlstand, Sorglosigkeit und
unzureichender funktionaler Erziehung können sich auch im Tierreich offenbaren. Hierzu ein
Bericht über das soziale Leben der Kuhreiher im Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende
Verhaltens- biologie der ÖAW auf dem Wiener Wilhelminenberg. Dort wurde unter anderem eine Kuhreiher-Kolonie begründet, um das Verhalten dieser Vögel in freier Natur besser studieren zu können. Hören wir dazu nun kurz den Bericht des Forschers Otto König:
(Zit.) Die vorerst kleine Kolonie entwickelte sich anfangs recht gut. Jedoch schon bald sollten wir Überraschungen erleben.
Die Jungen verließen nicht mehr ihre Eltern, ließen sich weiterhin füttern, statt selbständig zu
werden; ja sie gründeten selbst im Alter von einem Jahr keinen eigenen Hausstand, sondern
brüteten kollektiv – gemeinsam mit den Eltern. So standen nun drei, bisweilen auch fünf Vögel an einem Horst und benahmen sich genauso, als wären sie nur ein Ehepaar.
Keiner war auf den anderen eifersüchtig, keiner versuchte, eine Paarung mit einem anderen Vogel zu verhindern; ja es schien sogar, als verliefe durch die Vielfalt der Stimmungen der
verschiedenen Vögel alles viel intensiver. Es wurde mehr gegrüßt, mehr gebalzt, und das Kommen und Gehen nur während der großen Ruhepause mittags und in der Nacht unterbrochen.
Mehr Weibchen produzieren mehr Eier. Statt der normalen Vierergelege gab es sechs oder acht
Eier in den Horsten. Allerdings wollten nun auch mehr Vögel das Gelege unter ihre Fittiche
nehmen. Es wurde viel häufiger abgelöst und oft brüteten zwei Kuhreiher übereinander, manchmal schob sich noch ein dritter daneben. Selbstverständlich wurden in der Folge die Eier
öfters gerollt, und bei dem ganzen Getue fiel auch öfters mal eines auf den Boden.
Auf diese Weise verringerte sich die Zahl der Eier zusehends. Auch die Jungen hatten es beim
Schlüpfen, infolge der allgemeinen Unruhe, viel schwerer. Denn zu viele „Eltern“ kümmerten sich zu sehr um die Eier, jeder wollte unbedingt etwas betreuen. Da auch jeder Altreiher füttern
wollte, bekamen die Kinder zu viel Nahrung, waren ständig satt, bettelten nicht und hockten nur gelangweilt in den Nestern herum.
In der Freiheit sehen einander die Vogelpaare infolge der vielfachen Arbeit, die es dort zu leisten
gilt, wie Futterfang, Nestausbesserung, Jungenfütterung, Suchen neuer Nahrungsquellen, meist nur kurzfristig.
Einer der beiden Partner wacht etwa zwei bis drei Stunden am Horst bei den Jungen. Kommt der Gatte von der Nahrungsbeschaffung zurück, sind die Kinder bereits hungrig, betteln eifrig, und der bisher wachehaltende Vogel ist froh, nun selbst um Futter fliegen zu können.
Man begrüßt einander, krault ein wenig im Gefieder und wechselt die Arbeitsfunktion. Der
Ankömmling füttert die Kinder, ordnet am Nest und bleibt zur Wache, während nun seine
Partnerin davonfliegt. Zwei oder drei Stunden später kommt auch sie zurück und löst nun
ihrerseits ab.
Im Gehege aber hat man das Futter dauernd vor dem Schnabel, verliert den Partner nie aus dem Auge und wird seine auf die freie Wildbahn abgestimmte Energie nicht mehr los. Auch die Kinder kommen niemals in Notsituationen, lernen nicht die Schwierigkeiten und die Schliche der Futterbeschaffung, sondern machen nur die einzige, ihr weiteres Leben gestaltende Erfahrung, dass man im Fall von Hunger nur die Eltern anzubetteln braucht.
So kommt es, dass hier noch erwachsene, flügge Vögel vor den vollen Futterschüsseln sitzen und mit Flügelgepaddel und lautem Geckern von den Eltern Nahrung fordern.
Wir hatten unseren Kuhreihern, vom Brutplatz angefangen über Nistmaterial, Trink- und
Badewasser bis zur vitaminmäßig restlos ausgeklügelten Nahrung, alles gegeben, was sie
brauchten. Es gab keine Probleme mehr, keine Feinde und keine Bedrohungen. Sie lebten in einer „Sozialvoliere“ bester Konstruktion und hatten nichts zu tun. Es war eine Wohlstandskolonie mit kompletter Wohlstandsverwahrlosung entstanden.
Der Vergleich zum Menschen unserer Breiten drängt sich auf, vor allem der zum jungen
Menschen. Die zunehmende Tendenz, auf das wirtschaftliche „flügge werden“ zu verzichten und die Früchte elterlichen Wohlstands solange wie nur möglich zu genießen, anstatt unter gewissen Entbehrungen selbst welchen zu begründen, hat sich in unserer Gesellschaft weit verbreitet, wir nennen es auch das „Hotel Mama“.

Natürlich trifft diese jungen Leute nicht alleine die Schuld an einer solchen Lebenseinstellung,
sondern vor allem deren Eltern, die ihre Kinder zu lange und zu intensiv wirtschaftlich
verwöhnen.
Aber noch einmal zurück zum Kuhreiher, dem Otto König sehr ausführliche Untersuchungen
gewidmet hat. Dieser zeigt noch eine weitere interessante Ähnlichkeit zum Menschen. Wie schon der Name „Kuhreiher“ sagt, handelt es sich um eine Reiherart, die immer im Gefolge großer Weidetiere angetroffen wird und sich vornehmlich von den Insekten ernährt, die diese großen Tiere umschwirren. Bei uns gibt es sie nicht freilebend, da es ihnen derzeit hier noch zu kalt ist.
Kuhreiher haben sich aber von Afrika aus, praktisch auf alle Gebiete der Erde mit wärmerem
Klima ausgebreitet, eine „Bevölkerungsexplosion“, welche parallel zur stark wachsenden
weltweiten Rinderzucht erfolgt ist.
Diese explosive Vermehrung der Population führte bei diesen Tieren zum Phänomen der
„Akzeleration“: diese lässt die Kuhreiher schon viel früher geschlechtsreif werden – schon im
Alter von 1 Jahr im Gegensatz zu allen anderen Reiherarten. Sie hinken aber in ihrem
Sozialverhalten allen anderen Reihern deutlich nach und zeigen auch als einzige Art das
Phänomen der zuvor beschriebenen Wohlstandsverwahrlosung unter den obengenannten
Bedingungen.
Eine solche Akzeleration, das heißt ein immer früheres Auftreten der Pubertät und damit ein
Auseinanderdriften zwischen körperlicher und seelisch-geistiger Reife, ist auch beim heutigen
Menschen zu beobachten. Auch hier in Zusammenhang mit einer enormen Bevölkerungsexplosion und getriggert von einer Jurisdiktion, die aus populistischen Gründen das Alter der Volljährigkeit und des aktiven Wahlrechts längst in die Jugendjahre vorverlegt hat.
Doch unabhängig von der gesetzlichen Volljährigkeit und dem Wahlalter ist auch der schon mit
11-14 Jahren in die Pubertät kommende Mensch erst mit Mitte Zwanzig sozial und seelisch
wirklich ausgereift. In der westlichen Industriegesellschaft ist die Bevölkerungsexplosion durch
unsere wohlstandsbedingte Lebensweise nun wieder rückläufig, doch ist nun eine weitere Folge der Akzeleration, die wachsende Kinder- und Jugendkriminalität und damit die Frage nach einer Vorverlegung der Strafmündigkeit heute ein höchst aktuelles + kontroversielles Thema.
Unsere Bevölkerung wächst nicht mehr, weil bei uns Nachwuchs vielfach Einschränkung der
persönlichen Freiheit und wirtschaftlichen Nachteil bedeutet. Das führt zusätzlich zu den immer gravierender werdenden Problemen der Überalterung unserer Gesellschaft, für die es im Tierreichallerdings keine Entsprechung gibt.
Ich möchte noch einmal betonen, dass die Kuhreiher in dieser künstlichen Kolonie nicht einfach Verhaltensweisen des Menschen annehmen. Veränderte Verhaltensweisen, wie hier eben die der“Wohlstands-Verwahrlosung“ sind immer wieder bei einer Spezies mit einer fehlenden Motivationsquelle – in diesem Fall die der Nahrungsbeschaffung – zu beobachten, hier auch noch getriggert durch die zuvor erwähnte Akzeleration. Beides hier gezeigt an den Beispielen Mensch und Kuhreiher.

Das führt mich noch kurz zu der Frage: Was macht eigentlich ein Tier so den ganzen Tag lang?
Die alltäglichen einfachen artspezifischen Instinkt-bewegungen stehen häufig mehreren „großen“ Trieben zur Verfügung.
Vor allem die Bewegungsweisen der Ortsveränderung wie Laufen, Schwimmen Fliegen, etc., aber auch andere, wie Picken, Nagen, Graben usw. stehen im Dienst der „vier großen
Motivationsquellen“ nämlich:
Nahrungserwerb, Fortpflanzung, Flucht und Aggression.
Gerät nun dieses Gefüge der Motivationen durcheinander, kann das auf das gesamte Verhalten der Spezies enorme Auswirkungen haben, wie soeben bei den Kuhreihern gezeigt wurde, denen ja die Notwendigkeit des Nahrungserwerbes in der Voliere genommen wurde.
Einengung des natürlichen Lebensraumes oder Gefangenschaft sind die heute wesentlichsten
Ursachen für Veränderungen im tierischen Verhaltensmuster. Und auch hier ist die Analogie zu
uns Menschen evident. Nimmt man einem Tier jegliche Möglichkeit zur freien Bewegung und zur Flucht, kann sich seine Aggressivität und Kampfbereitschaft ins schier unermessliche steigern.
Auch bei hoher Populationsdichte einer Spezies nehmen deren Aggressionspotential und deren
Aggressivität gegen die eigene Spezies stark zu. Das ist aus zahlreichen Tierexperimenten bekannt und natürlich auch bei jeder größeren Menschenansammlung nachzuvollziehen.
Man denke nur an die eigene Laune im verstopften Straßenverkehr, die Stimmung im engen
Wartezimmer eines Amtes oder das besondere Flair eines überfüllten Aufzuges, besonders, wenn man es eilig hat und sich dann noch in jedem Stockwerk immer wieder Menschen dazugesellen.
Im Zusammenhang mit überbordender Aggressivität zueinander wird immer wieder von
„tierischem“ Verhalten der Menschen gesprochen, dem das edle und stets hilfreiche
„menschliche“ gegenübergestellt wird.
Dabei gibt es im Tierreich mit ganz wenigen Ausnahmen keine absichtliche Tötung von
Artgenossen und schon gar keine koordinierte Kriegsführung mit Massentötung.
Homo homini lupus est – der römische Dichter Plautus hat wohl recht damit, dass der Mensch des Menschen Wolf ist – nur dass dem Wolf dabei wirklich Unrecht getan wird!
Es gäbe nämlich auf der Welt längst keine Wölfe mehr, würden nicht verlässliche Mechanismen
im Verhalten von Wölfen und auch allen anderen Lebewesen, die dank natürlicher am Körper
gewachsener Waffen auch Artgenossen töten könnten, dieses Töten verhindern. Solche
Hemmungsmechanismen – wie sie genannt werden – hat der Mensch, ein von Natur aus
harmloser, waffenloser Allesfresser, praktisch keine.
Das war in seiner Evolution auch nicht notwendig, der Mensch war ein kluges Fluchttier, das
kaum in die Lage kam, Beute – im wahrsten Sinn des Wortes – eigenhändig umzubringen.
Inzwischen sind wir Menschen – dank unseres Erfindungsreichtums – bis an die Zähne bewaffnet und können auch auf große Distanzen töten, ohne dabei unmittelbar mit den Folgen

dieses Handelns konfrontiert zu werden. Müssten wir heute noch Tiere mit Händen und Zähnen töten, um Fleisch essen zu können, gäbe es unter uns wohl ausschließlich Vegetarier.
Dem anderen Menschen aber überhaupt sein Menschsein abzusprechen, tut sein Übriges, auch die
letzten Hemmungen fallenzulassen und menschliche Artgenossen in Massen zu töten oder solches zumindest gutzuheißen! Seien diese nun bezeichnet als Feinde, als Untermenschen, Nazis (wie gerade in der Ukraine) oder Ungläubige. Der vermeintliche gute Zweck dahinter heiligt in jedem Krieg jedes Mittel. So etwas gibt es bei den Viechern weit und breit nicht!
Ich fasse zusammen: Grundlage all unseres Verhaltens sind genetisch festgelegte Muster,
frühkindliche Prägungen, Koppelungen und Assoziationen, sowie Instinkte, Triebe, die
funktionale Erziehung und daraus abgeleitete Motivationen.
Überlagert werden diese einfachen – und natürlich auch im Tierreich oder vornehmlich dort zu
beobachtenden Verhaltensweisen von erlerntem Verhalten durch intentionale Erziehung,
Bildung und Vorbildwirkung durch andere Menschen, kurzum allen Mechanismen, die uns
schließlich als einen zivilisierten, kultivierten Menschen ausmachen.
Erlerntes Verhalten gibt es auch im Tierreich, doch möchte ich darauf aus zeitlichen Gründen jetzt nicht mehr näher eingehen.
Wichtig ist es, dass wir uns jener Verhaltensweisen, die so oft tierisch genannt – auch Teil unserer menschlichen Identität sind, stets bewusst sind, sie als Teil unserer Identität akzeptieren und uns nicht dafür schämen oder sie als minderwertig erachten. Es ist eben keinesfalls so, dass all unser Verhalten von unserem Verstand geleitet wird. Aber auch das Tierische in uns ist naturgegeben und es ist prinzipiell ein gutes Tier.
Gerade im Erkennen unserer tierischen Verhaltens-Grundlagen und im Beherrschen all der
niedrigen Triebe und Reaktionsmuster, die uns innewohnen und die immer wieder an die
Oberfläche drängen, liegt der Schlüssel zum höchsten Ziel, der Selbstveredelung des Menschen.
Und wo sonst – wenn nicht hier – kann dieses Ziel gesucht und gefunden werden.
I


Kettenspruch:
Gesagt ist nicht immer gehört
Gehört ist nicht immer verstanden
Verstanden ist nicht immer einverstanden
Konrad Lorenz

Schlussworte (optional): zum erlernten Verhalten im Tierreich möchte ich zum Abschluss noch
ein Beispiel anführen:
Habt Ihr gewusst, dass die Raben-Krähen zu den intelligentesten Tieren der Welt zählen? Sie
stammen in ihrer Urform von den Paradiesvögeln in Neuguinea ab und haben sich – ähnlich wie
der Mensch – Kraft ihrer Intelligenz und Anpassungsfähigkeit auf der ganzen Welt verbreitet.
Weltweit gibt es heute 125 verschiedene Krähenarten.
Es würde den Rahmen meiner Schlussworte sprengen, ginge ich nun noch genauer auf die
Intelligenz und Lernfähigkeit dieser Tiere ein. Daher nur ein Detail daraus: eine der
Hauptnahrungsquellen der Krähen im Winter in der Großstadt sind Walnüsse, die sie selbst im
Herbst gesammelt und versteckt haben.
Die Krähen finden – das wurde wissenschaftlich durch den Münchner Naturwissenschaftler Prof. Reichholf untersucht – bis zu 95% dieser versteckten Nüsse auch nach Monaten problemlos wieder, Eichhörnchen finden nur max. 20%. Um die Nüsse zu knacken lassen Krähen sie aus der Höhe auf harten Boden, wie Asphalt, fallen.
In eng verbauten Großstädten wie z.B. Tokyo, wo es kaum freie Asphaltflächen gibt, geht das
etwas anders: die Krähen werfen die Nüsse auf die Straße, lassen die Autos darüberfahren,
beobachten dabei auch die Verkehrsampel und sammeln die durch die Autos geknackten Nüsse ein, wenn die Ampel „rot“ zeigt.
Dieses „Nüsse-durch Autos-öffnen-lassen-und-dabei-auf-die-Ampel-achten“ wird von den
Jungtieren genau beobachtet, nachgemacht und weiter perfektioniert. Das ist aber nur ein Beispiel unter vielen, dass uns deutlich zeigt, dass wir Menschen Intelligenz und Erfindungsreichtum nicht für uns alleine gepachtet haben.