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Blick-Winkel

„Der Zirkel bildet mit dem Winkelmaß und der Bibel die großen Lichter der freimaurerischen Symbolik. Während das Winkelmaß mehr nach Vernunft und Gesetz regiert, ordnet der Zirkel – das Symbol der allumfassenden Menschenliebe – das Gefühlsleben, die seelische Einstellung zur Brüderschaft und zur Menschheit.“ So das Zitat aus dem Internationalen Freimaurerlexikon.

Soweit die Definition; so einfach und verständlich, oder auch nicht.

Der Zirkel ruht mit einer Spitze in mir und weist mit der anderen Spitze auf eine Schwester oder einen Bruder und symbolisiert somit die Nähe und die Verbundenheit. Je nach Öffnungswinkel, den ich mit dem Zirkel einstellen kann, steht mir dieser Mensch näher oder weiter entfernt gegenüber.

Ich nehme also Maß und ordne damit mich umgebende Menschen in ein Wertesystem ein.

Wie aber schaut die Beziehung aus, wenn ich kein Maß definiere. Wie verhält es sich dann mit der Einstellung zur Geschwisterlichkeit und Menschenliebe.

Ist die Liebe auch dann vorhanden, wenn ich dieser Beziehung kein solches Wertesystem zu Grunde legen kann?

Definition von Raum:

In einem dunklen Raum ohne Bezugsgrößen herrscht Ordnungs- und Orientierungslosigkeit. Ohne Raum und ohne Zeit ist ein ICH von einem DU oder einem WIR nicht unterscheidbar. Selbst wenn ICH mir über MICH klar wäre, so fehlt mir doch eine wesentliche direkte Bezugsgröße zu anderen Dingen, um das SEIN zu erklären. Ich benötige also ein Werkzeug, mit dem ich Maß nehmen kann und damit einen Bezug von Dingen zueinander einteilen kann.

Euklid von Alexandria war ein griechischer Mathematiker, der wahrscheinlich im dritten Jahrhundert vor Christus gelebt hat. Eines seiner berühmtesten Werke „Die Elemente“, ist eine Abhandlung, in der er Arithmetik und Geometrie seiner Zeit zusammenfasst. Darin sind erstmals Definitionen und darauf aufbauende Postulate enthalten und zusammengefasst, die weiter zu Axiomen (= Grundsätze oder Theorien) führen. Auch wenn er wahrscheinlich nicht Urheber aller in dem Buch enthaltener Definitionen und Erkenntnisse war, so ist es doch sein Werk, das damalige Wissen in einem Gesamtwerk zusammenzufassen und eine einheitliche akzeptierte Darstellung zu schaffen.

Ein Punkt, eine Linie, eine Ebene, ein Winkel, ein rechter Winkel, ein Abstand zweier Punkte im Raum – mit dem Lineal gemessen -, ein Algorithmus oder eine Gleichung: all das wird definiert und bildet die Grundlage des mathematischen Wissens und der Geometrie der damaligen Zeit.

Ich kann einen Raum definieren. Somit steht jeder Punkt im Raum zueinander in Relation. Durch die Schaffung von Raum ist es möglich, ein System zu etablieren, in dem jeder sich orientieren kann. Ich kann Orte definieren, ein Koordinatensystem mit einem Zentrum und definierten Grenzen. Ich kann nun mittels Zirkel einen Kreis oder eine Kugel, wenn wir Dreidimensional denken wollen, abschlagen und alle Geschwister innerhalb dieser Grenze als Einheit oder Grundgesamtheit definieren – mit gleichen Ansichten und gleicher Nähe.

Ohne Raumbezug wäre ein Treffen der Geschwister nicht möglich – wo, wann? Erst der Raum, das Abschlagen mittels Zirkel, ermöglichen es, uns zu orientieren und einander zu finden. Uns innerhalb dieser Kreisgrenze zu treffen und auszutauschen. Wir definieren diesen Raum als Grenze und geben ihm die Wertigkeit von innen und außen. „Wir arbeiten in Sicherheit“!

Dieses Abschlagen mittels Zirkel ist ein Abgrenzen gegenüber anderen. Diese Grenze zwischen innen und außen definiert nicht nur Freiheit zu etwas, sondern auch Freiheit von etwas. Wir schaffen eine Grenze, mit der wir uns von anderen bewusst unterscheiden.

Sind wir Freimauer nun Menschen, die sich dadurch bewusst ausgrenzen, obwohl uns die Menschheit doch ein wesentliches Anliegen sein soll? Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit, Toleranz und Humanität – wie verträgt sich dies mit der Schaffung bewusster Grenzen? Und wie schaut es innerhalb dieser Grenze mit den Werten zwischen den Geschwistern aus?

Der mittels Zirkel abgeschlagene Raum definiert einen exakten Rand. Treffen wir uns zu unseren Arbeiten, so stehen und sitzen wir – ausgerichtet nach Himmelsrichtungen und symbolischen Bezugsgrößen – einander gegenüber. Wir stehen in der fest verbundenen Geschwisterkette am Rande einer geschaffenen Kreisgrenze und orientieren uns zu einem Zentrum. Alle Geschwister haben denselben Abstand und doch andere Positionen. Wir sind einander und miteinander verbunden. Ausgerichtet zu einem geschaffenen Zentrum zwecks geistiger und körperlicher Konzentration.

Selbst wenn nur zwei Geschwister zusammentreffen, wird durch den Bezug dieser beiden Geschwister, durch den geschaffenen Abstand und Winkel zueinander, ein definierter Raum mit einem Zentrum geschaffen. Ein jeder von uns definiert seinen eigenen Raum, seine eigene Umlaufbahn und seine eigenen Bezugspunkte zu anderen Mitmenschen. Durch das Umherwandern auf seiner Umlaufbahn, durch das Verharren auf Schnittpunkten und Kreuzungspunkten mit anderen Umlaufbahnen anderer Geschwister, ist es möglich, verschiedene Standpunkte einzunehmen, ohne sein eigenes System verlassen zu müssen.

Wir bewahren bewusst oder unbewusst einen Abstand, ein jeder findet sich zurecht und verliert sich nicht in Raum und Zeit.

Definition von Zeit:

Durch das wiederholte und aufeinanderfolgende Abschlagen einer Größe wie dem Kreisradius auf der Kreisumlaufbahn, gelange ich stets zum Ausgangspunkt zurück. Das Wandern auf dieser Umlaufbahn mag Sinnbild unseres Lebens sein, eine stete Abfolge von Beginn und Wiederkehr zum Ausgangspunkt, wobei Anfang und Ende zwar den gleichen Ort haben, doch unterschiedliche Zeiten aufweisen.

Der Umfang des Kreises ist definiert als 2r π bzw. Φ π oder anders ausgedrückt, ergibt sich durch eine exakte Größe des Radius – ein nicht exakter Umfang des Kreises mit unendlich vielen Nachkommastellen, so als würde uns der Kreis die Unendlichkeit des Seins vor Augen halten, der steten Bewegung auf der Umlaufbahn und steten Wiederkehr zum Ausgangspunkt.

Durch das Abschreiten und Wiederkehren definiert sich ein Anfang und ein Ende, und ich vermag diese Zeit einzuteilen, Halbzeiten zu bestimmen und schaffe damit ein Koordinatensystem sowohl für Raum und Zeit. Ich beginne die Arbeit zu Hochmittag und beende sie zu Hochmitternacht. Wodurch ich wieder gleich lange Zeit außerhalb dieser Arbeit zur Verfügung habe, bevor wieder Hochmittag kommt.

Der Kreis wurde nun in zwei Hälften unterteilt. Erst diese Unterteilung führt nun zur Auseinandersetzung von Gegensätzlichem wie Tag-Nacht, hell-dunkel, männlich-weiblich, gut-böse, lebendig-tod, fest-flüssig, warm-kalt und so fort.

Durch diese neue Größe vermag ich die Wertigkeit der Einheit neu aufzuteilen und zu vergleichen.

Der Kreis unterteilt in zwei Hälften, die ineinander übergehen und stetes miteinander verbunden sind. Wie die Abfolge des rechten Schrittes auf den Linken, um mich fortzubewegen, so folgt auf den Tag die Nacht, auf die Arbeit die Ruhe, auf den Tod die Wiedergeburt.

Schlägt man den Radius eines Kreises entlang seiner Kreisbahn ab, so erhält man 6 bzw. 2 x 3 Schnittpunkte, bevor man wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Verbindet man die Schnittpunkte, die durch den rechten Schenkel entstanden, miteinander und jene, die mit dem linken Schenkel entstanden sind, so erhalten wir zwei gegengleiche Dreiecke, die auch als das Siegel Salomons bezeichnet werden.

„Die sind die Schlangen und Drachen, welche die alten Ägypter in Gestalt eines Zirkel gemalet, da der Kopf in den Schwanz beißt, um dadurch zu lehren, dass sie von und aus Dingen entsprossen, welches allein und für sich selbst genug sei, dass es in seiner Rundierung und Zirkulation sich vollkommen mache.“ Zitat: Nicolas Flamel – Buch der Hieroglyphischen Figuren (Nicolas Flamel – *1330 – † 1413 – franz. Schriftsteller und Alchemist).

Zwei Drachen, die sich in den Schwanz beißen, einer unbeflügelt als das Fixe und Beständige, der andere beflügelt als das Flüchtige und Unbeständige, die sich gegenseitig verzehren, als Symbol der schöpferischen Zeugung.

Anmerkung meinerseits: Stets in der Rechtsrotation, also im Sonnenlauf!

Neben den zwei Hälften oder zwei Standpunkten gibt es noch die Mitte und den Raum dazwischen. Ich vermag einen Anfang, eine Mitte und ein Ende auszumachen oder zeitlich gesehen eine Vergangenheit, eine Gegenwart und eine Zukunft.

Wie im Dreieck, dass durch den dritten Punkt eine neue Position erlaubt, welche es versteht, zwei Gegensätze zu vereinen und zu verbinden und somit eine neue Einheit formt. Aus These und Antithese entsteht die Synthese.

Die Baumeister verstanden es bereits, dass die Verbindung zweier Punkte statisch besser durch einen Bogen als durch eine Gerade zu erfolgen hat. Während sich eine Gerade unter Einwirkung von äußeren Kräften durchbiegt und somit zu einer Ablenkung der beiden Standpunkte zueinander hinführt, wodurch der Abstand der Punkte verringert wird, ermöglicht der Bogen die Ableitung der Kräfte entlang des Bogens selbst und führt zu einer Ausdehnung des Kreissegments nach außen, so als möchte er Raum schaffen für Neues.

Basierend auf dieser Erkenntnis, dass nun ein jeder von uns seinen eigenen Raum, seine eigene Umlaufbahn hat, unsere Umlaufbahnen einander überlagern und kreuzen, so können wir Schnittpunkte definieren, an denen wir den gleichen Standpunkt einnehmen und doch unterschiedliche Perspektiven haben können.

Wie die Geschwisterkette, in der jeder von uns miteinander verbunden ist auf einer vollkommenen geometrischen Figur. Würde man an jedem Punkt der Kreisbahn nun eine Tangente anlegen, also eine Gerade, die den Kreis nur an einem Punkt berührt, erkennt man, dass ein jeder von uns im rechten Winkle zum Mittelpunkt steht und doch haben wir unterschiedliche Positionen. Und durch das Fortschreiten, die Rotation ist es uns möglich, andere Standpunkte einzunehmen unter Wahrung der Distanz zueinander und in Bezug zum Zentrum als Vollkommenheit.

Es lässt uns aber auch durch das Abschreiten des Kreises auf unseren beiden Säulen, als Metapher einer anderen Bezugsgröße, die Möglichkeit der Sichtweise auf das Innen und Außen, auf das Vollkommene und das Menschliche möglich werden.

Neben dem Zirkel ist aber auch das Winkelmaß von entscheidender Bedeutung. Es ist Symbol für die Gewissenhaftigkeit, dass unser Handeln nach Recht und Gerechtigkeit erfolge. Es wird angelegt an die menschlichen Handlungen, auf dass sie erkannt werden als frei von Eigennutz, getrieben vom inneren Drang, ohne äußeren Zwang, in voller Erkenntnis des Rechten und Pflichtgemäßigem – so das Zitat aus dem Internationalen Freimaurerlexikon.

Die beiden großen Lichter „Zirkel und Winkelmaß“ liegen auf dem dritten großen Licht, der Bibel im Osten der Loge beim Meister vom Stuhl.

Der Zirkel liegt mit den Schenkeln geöffnet nach Westen und das Winkelmaß offen nach Osten. In der Darstellung dieser Symbole werden diese auch so angeordnet, mit dem Zirkel oben und dem Winkelmaß unten bzw. dem geistig Spirituellen – dem Himmel -, dem Weiblichen oben bzw. dem Menschlichen – dem Männlichen -, dem Irdischen unten.

Auch sind diese Symbole sehr schön in unserem Logenlogo zu erkennen mit einem Kreis der alles umrandet, der beides eint und als Einheit steht für den Kosmos, in dem jede Vielheit enthalten ist.

Der Zirkel als mächtiges Werkzeug, Maß zu nehmen, Raum und Zeit zu definieren, Größen zu übertragen und Bezüge herzustellen. Als Mahnung der Unendlichkeit und Toleranz und Humanität. Mit seinen Armen, die mich mit den Geschwistern verbinden, das Zentrum der Vollkommenheit erkennen lässt, Grenzen aufzeigt und mich davor bewahrt, grenzenlos zu agieren und mich zu verlieren.

Durch diese Erkenntnis der symbolischen und auch physischen Verbundenheit, der Definitionen von Raum und Zeit, von innen und außen, von Freiheit und Verbundenheit, die Schaffung von notwendigen Abgrenzungen, eines Zentrums der Erkenntnis und des Lichts, vermag ein jeder von uns, einer Schwingung gleich, sei es Ton oder Licht, mit einer Abfolge von hell und dunkel und/oder einer Schwingung positiv und negativ, von einem Zentrum ausgehend, diese Grenze zu durchbrechen, und damit unendlich weit den Raum zu erhellen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, von Hochmittag bis Hochmitternacht, vom Zenit bis zum Nadir – allumfassend, wie herinnen durch das Wort, draußen durch die Tat.

Der Zirkel mahnt aber auch zur Bescheidenheit. Wie der Umfang im Verhältnis zum Durchmesser ungenau ist, ist die Sichtweise der Verheißung einer Entschlüsselung geheimer Codes und verlorener Symbole als Mittelpunkt des freimaurerischen Rituals ungenügend.

Damit die Werte eines gleichermaßen auf Herkunft wie Zukunft bezogenen Humanismus im Bewusstsein der Menschen heutzutage präsent sind, müssen sie auch vermittelt werden. Hierzu bedarf es eines individuellen und gemeinsamen Nachdenkens – Zitat: „Die völkische Freimaurerei in Deutschland und wie man sich nach 1945 an sie erinnert“ – Hans-Hermann Höhmann, Leipzig 2014.

Deshalb bedarf es zur Sicherung humaner Lebenswelten NICHTS so sehr wie die Menschen – einzeln und in verschiedenen Gruppen – kooperativ zusammen zu binden oder wie Friedrich Schiller sagte: „Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raum stoßen sich die Sachen“.

Die Freimaurerei will ein Freundschaftsbund sein, der über alle weltanschaulichen, politischen nationalen und sozialen Grenzen hinweg Menschen miteinander verbindet. Wir Freimaurer folgen damit der speziellen Tradition, Trennendes zu überwinden, Gegensätze abzubauen, Verständigung und Verständnis zu fördern sowie Menschen zu verbinden.

Wir befinden uns aber auch an der Schnittstelle zwischen Freimaurerei und Gesellschaft. Wir streben nach Wahrheit, Toleranz und Geschwisterlichkeit. Wir grenzen uns bewusst ab, um in Sicherheit, in einem vertrauten sich wiederholenden Ritual zu arbeiten. Ein jeder bearbeitet seinen Stein, folgt seiner Umlaufbahn und toleriert Fremdes. Wir suchen nach Wahrheit durch das Nachdenken über die in den Ritualen und Symbolen verborgenen Lehren.

Erst durch diese Gegebenheiten, diese Handlungen vermag ich mein Leben zu ordnen und zu bestreiten.  Es ist Basis des Miteinander innerhalb der Geschwisterkette und Grundlage für mein Handeln in der profanen Welt.

Und so setze ich erneut meinen Zirkel an, gegründet in meinem Herzen, und vollführe einen Zirkelschlag ohne Ausgrenzung, aber mit Abgrenzung, leiser nur und bewusster doch.

Der Blick-Winkel, ein Erkenne dich selbst als Werkstück über den Zirkel.